Mit diesen Legionen strafte der Kaiser die Germanen
Lange glaubte man, die Römer hätten Germanien sich selbst überlassen. Ein spektakulärer Fund in Thüringen beweist das Gegenteil. Um 235/6 zog ein kaiserliches Heer siegreich durch Thüringen.
Das Römische Weltreich ruhte auf einem schlichten Gefäß aus Holz, dem modius. Üblicherweise mit „Scheffel“ übersetzt, handelte es sich um die größte römische Maßeinheit für Getreide und entsprach 8,6 Litern. Zugleich war es die Messgröße für die tägliche Getreideration einer Zeltgemeinschaft der Legion. Diese acht Männer lebten, schliefen, kämpften miteinander und bildeten als eine regelrechte Familie das contubernium, die kleinste Einheit des römischen Heeres. Sie mit einem modius zu versorgen zeigt im Kleinen die Genialität, mit der Rom seine Herrschaft organisierte. Denn die Logistik-Offiziere der Legion mussten nur die Zahl der ausgegebenen Scheffel zählen, um einen Überblick über ihre Mannschaftsstärke zu bekommen.
Mit diesen griffigen Beispielen bietet die Sonderausstellung „Roms Legionen unterwegs“ einen wunderbaren Einblick in das Militärwesen Roms und seine enge Verknüpfung mit dem Staat, der mit ihm das dauerhafteste Imperium der Geschichte begründete. Aber die Schau in der Arche Nebra, dem Dokumentations- und Erlebniszentrum am Fundort der berühmten Himmelsscheibe rückt nicht nur mit zahlreichen Rekonstruktionen von Ausrüstungsgegenständen, detailgetreuen Modellen ihr Thema ins Bild, sondern präsentiert auch eine echte Sensation. Denn zum ersten Mal sind Funde aus dem Marschlager zu sehen, das bei Hachelbich im Südwesten des Kyffhäusers ausgegraben wird. Damit wird erstmals die Anwesenheit eines großen römischen Heeres in Mitteldeutschland belegt.
Die ersten Spuren kamen 2009 bei einer „bodendenkmalpflegerischen Standardmaßnahme“ ans Licht. So bezeichnet Mario Küßner den Einsatz von Mitarbeitern des Thüringischen Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie, der in diesem Fall merkwürdigen Funden galt, die im Vorfeld von Straßenbauarbeiten gemacht wurden. Der Gebietsreferent des Hauses für Nordthüringen wurde unruhig, als er bei Hachelbich auf einen markanten Spitzgraben stieß. Auch Luftaufnahmen ließen Ausmaße erahnen, die an römische Schanzarbeiten erinnerten.
Geomagnetische und elektrische Untersuchungen, Geländesurveys und Grabungen erhärten seit 2014 diesen Verdacht: Bei Hachelbich stand ein römisches Marschlager, dessen vermutete Ausdehnung von knapp 50 Hektar nur eines bedeuten kann: „Hier kampierten über mehrere Tage hinweg mindestens 10.000 römische Soldaten, zwei kriegsstarke Legionen mit Hilfstruppen und Tross“, sagt Küßner. Auch wenn erst ein Bruchteil der Fläche ausgegraben wurde und das Gros der dabei gemachten Funde anderen Epochen zuzuweisen ist, ist sich der Archäologe sicher: „Drei Entdeckungen zeigen eindeutig, dass es sich um ein römisches Marschlager gehandelt haben muss.“
Da ist zum einen die rechtwinklige Anlage mit ausgehobenem Wall und davor verlaufendem Spitzgraben. Der Eingang selbst war zusätzlich mit Gräben und Brustwehren geschützt, wie es für römische Lager Standard war. Hinzu kommen acht typische Backöfen, in denen die Legionäre aus ihren Getreiderationen eine Art Zwieback als Marschverpflegung buken. Dass diese Feuerstellen errichtet wurden, zeigt zudem, dass das Lager wahrscheinlich über mehrere Tage hinweg benutzt wurde.
Der dritte Fund ist von größter Bedeutung, könnte er doch den Schlüssel zur Datierung bieten. Es handelt sich um zwei dreiflügelige Pfeilspitzen aus Eisen, wie sie von kompakten Reflexbögen verschossen wurden. Diese Waffen wurden von Hilfstruppen geführt, die in der nördlichen Levante bis hin zum Kaukasus rekrutiert wurden und zudem den Vorteil boten, dass sie für Germanen wertlos waren. Denn diese benutzten Langbögen, die längere und damit schwerere Geschosse erforderten, deren Spitzen im Übrigen blattförmig waren.
Eine dieser orientalischen Pfeilspitzen ist in Nebra zu sehen. Hinzu kommen Zierbeschläge, der Eckbeschlag einer Kiste und eine Reihe von Schuhnägeln. Für sich genommen würde diesen Stücken die Beweiskraft fehlen. Denn auch nachdem die Römer nach der vernichtenden Niederlage ihres Statthalters Varus 9 n. Chr. ihren Versuch aufgegeben hatten, das rechtsrheinische Germanien zu einer Provinz zu machen, standen römische Gebrauchs- und Luxusgüter zumal bei den Stammeseliten in hohem Kurs. Das zeigen Beigaben, die in germanischen Gräbern in Emersleben bei Halberstadt ans Licht kamen und ebenfalls in Nebra ausgestellt sind. Die Schuhnägel wiederum können mit Kriegern ins Land gekommen sein, die sich als Söldner bei Rom Hilfstruppen verdingt hatten und am Ende ihrer Dienstzeit mit ihrer Ausrüstung heimkehrten.
Alle Funde führen zudem einen negativen Indizienbeweis. „Kein einziges Stück lässt sich eindeutig der augusteischen Zeit zuordnen“, sagt Küßner. Die Legionen des Kaisers Augustus (reg. 31 v.–14 n. Chr.), der mit groß angelegten Feldzügen weite Teile Germaniens unterwarf, marschierten auf anders gearteten Nägeln. Das kann nur bedeuten, dass die Soldaten, die bei Hachelbich lagerten, an einem späteren Unternehmen teilnahmen. Aber welchem?
Da Hachelbich ein kurzfristig genutztes Marschlager war, wurden bislang nur einige Dutzend Dinge gefunden, die sicher von Römern stammen. Sie können im späteren ersten oder auch im dritten Jahrhundert gefertigt worden sein. „Da gibt es in der Machart keine Unterschiede.“ Aber eine historische Situation macht eine bestimmte Datierung plausibel: Der Feldzug, den der Kaiser Maximinus Thrax (reg. 235–238) um 235/36 gegen die Germanen unternahm.
Maximinus war im Jahr 235 von meuternden Legionären in Mogontiacum (Mainz) zum Imperator proklamiert worden, nachdem sie Kaiser Alexander Severus ermordet hatten. Lange hatten Historiker die Nachricht des Herodian, der Nachfolger hätte umgehend einen ausgedehnten Feldzug durch Germanien unternommen, als Propaganda abgetan, um den populären Siegertitel „Germanicus maximus“ annehmen zu können. Bis 2008 am Harzhorn im niedersächsischen Landkreis Northeim Spuren eines Schlachtfeldes ans Licht kamen, auf dem die Römer offenbar den Sieg davontrugen.
Seitdem wurden dort neben römischen Waffen, Münzen und Ausrüstungsgegenständen zahlreiche dreiflüglige Pfeilspitzen aus Eisen gefunden, wie sie in Hachelbich bezeugt sind. An beiden Orten waren also orientalische Hilfstruppen im Einsatz. Ob zur gleichen Zeit, ist allerdings die Frage, denn derartige Spitzen waren schon im ersten Jahrhundert n. Chr. in Gebrauch. Dennoch hält es Küßner für durchaus plausibel, dass am Harzhorn und bei Hachelbich dieselben römischen Truppen im Einsatz waren: „Maximinus Thrax führte eine Strafexpedition tief ins Innere des Landes, nachdem Germanen zuvor Einfälle über den Rhein in reichsrömisches Gebiet unternommen hatten.“
Für den Archäologen marschierten die Legionen von Mainz zunächst an die untere Werra, wo bei Hedemünden schon Heere des Augustus Lager errichtet hatten. Von dort zogen sie ins Eichsfeld und gelangten entlang der Wipper nach Hachelbich. Das eröffnete ihnen die Möglichkeit, die Gebiete um den Harz herum zu verheeren. Auf dem Rückweg versuchten Germanen dann am Harzhorn, den Römern den Weg zu verlegen. Vergeblich.
Was das für ein Heer war, das sich durch die Wälder Germaniens seinen Weg bahnte, macht die Ausstellung in Nebra mit vielen Rekonstruktionen zum Anfassen deutlich. So trugen die einfachen Legionäre in der Regel Kettenhemden. Wer einen Nachbau überstreift, wird schnell merken, wie schwer acht Kilogramm am Oberkörper sind. Hinzu kamen Helm (2 Kilogramm), Schild (6,5), Schwert (1,9), Speer (2), Langdolch (1), wattierte Unterkleidung (0,6) sowie Kochgeschirr, Wasser, eiserne Ration, Wechselbekleidung und Privatkram, zusammen rund 18 Kilogramm. Für Zelt, Decken, Schanzzeug und die acht Kilogramm schwere Getreidemühle stand jeder Zeltgemeinschaft ein Maultier zur Verfügung.
Gleich in zwei Punkten können das Lager bei Hachelbich und das Schlachtfeld am Harzhorn überkommene Ansichten korrigieren. Zum einen rehabilitiert ihr Fund jene antiken Chronisten, denen die moderne Forschung Übertreibung oder gar Verfälschung vorgeworfen hatte, wenn sie von römischen Feldzügen ins Innere Germaniens berichteten. Jetzt darf als sicher gelten: Mindestens 235/6 oder häufiger drangen Legionen Hunderte von Kilometern nach Osten vor.
Die planvolle Route, die Maximinus Thrax dabei vermutlich wählte, spricht auch gegen die Deutung, die Römer hätten nur eine nebulöse Vorstellung von den Veränderungen gehabt, die sich im Inneren Germaniens vollzogen. Dort fanden im 3. Jahrhundert Klans und kleinere Stämme zu regelrechten Völkern zusammen, die bald als Franken, Alamannen oder Vandalen die Grenzen des Imperiums berennen sollten. Offenbar hatte ein alter Haudegen wie der Soldatenkaiser Maximinus durchaus eine Vorstellung davon, sodass er beizeiten mit einem heftigen Militärschlag reagierte.
Nota. - Anzumerken immerhin dieser Unterscheid: Augustus schickte seine Legionen zum Erobern - und zwar vergeblich. Maximinius Thorax beschied sich schon mit einer Strafexpedition.
JE
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