Warum Deutschland falsch über das Grundeinkommen redet
Geld ohne Gegenleistung Warum Deutschland falsch über das Grundeinkommen redet
Wer die Idee einer Grundsicherung mehrheitsfähig
machen will, muss auch das Lager der Gegner überzeugen. Der Begriff
"bedingungsloses Grundeinkommen" schadet dabei enorm.
von Johannes Hillje
Endlich redet Deutschland über das
Grundeinkommen. Länder wie Finnland oder Kanada haben immerhin längst
Pilotprojekte gestartet (beziehungsweise lassen sie nach eine zweijährigen Testphase vorerst sogar schon wieder auslaufen).
Denn egal, ob man das Grundeinkommen nun unterstützt oder nicht, es
braucht frische Ideen, um etwa dem Strukturwandel zu begegnen, der
kommen wird - und zwar bald: 3,4 Millionen
Jobs könnten schon in den kommenden fünf Jahren in Deutschland
wegfallen. Das sagen nicht etwa technikskeptische Alarmisten, sondern 500 Unternehmen, die repräsentativ für die Gesamtwirtschaft stehen.
Doch leider redet Deutschland falsch über das Grundeinkommen.
Bevor die Diskussion richtig begonnen hat, könnte sie deshalb schon am
sprachlichen Dilettantismus ihrer Verfechter scheitern. Wer für eine
starke Grundsicherung kämpfen will, der braucht vor allem eine
rhetorische Strategie, um die Gegner zu überzeugen - rein zahlenmäßig
übrigens keine überwältigende Mehrheit mehr: Nach neuen Zahlen des
"Sozio-oekonomischen Panels" (SOEP) sind bereits 49 Prozent der Deutschen für die Einführung eines "bedingungslosen Grundeinkommens".
Seit kurzem spricht die SPD nun von einem "solidarischen
Grundeinkommen", das wie das bedingungslose klingt, aber keines ist. Die
Sozialdemokraten meinen damit nämlich die Entlohnung von gemeinnütziger
Arbeit für etwa 150 000
Langzeitarbeitslose. Das ist weder eine Lösung für die Millionen
Menschen, einschließlich ganzer Berufsgruppen, deren gelernte Tätigkeit
in den kommenden Jahren und Jahrzehnten "wegdigitalisiert" werden
dürfte, noch ist es ein geschicktes Wording. Es ist vielmehr eine Abkehr
vom Konzept, weil es den gängigen Begriff vom Grundeinkommen
entfremdet, das eben nicht an eine bestimmte Tätigkeit oder einen
Personenkreis geknüpft ist, sondern "bedingungslos" allen Bürgern
ausgezahlt werden soll.
Eine finanzielle Zuwendung also, sagen wir 1000
Euro, die jede und jeder qua Mitgliedschaft in der Gesellschaft
ausgezahlt bekommt, als Grundrecht, ohne Gegenleistung Monat für Monat.
Andere Sozialtransfers werden dafür abgeschafft, deren Bürokratie
abgebaut. Diese frei werdenden Mittel dienen in vielen Modellen der
Finanzierung des Grundeinkommens, das losgelöst von jedweder Arbeit auch
als "soziales Menschenrecht" verstanden wird.Mit ihrem Vorstoß torpediert die SPD diese Vision, indem sie den
Begriff an eine geregelte Erwerbstätigkeit knüpft, statt den Begriff
"Einkommen" von den klassischen marktwirtschaftlichen Parametern zu
lösen. Genau das ist jedoch die revolutionäre Idee, die mittlerweile
viele Ökonomen, Wissenschaftler, Aktivisten und eben auch die Hälfte der
Deutschen unterstützen: Der Begriff "Einkommen" soll nicht mehr allein
Tätigkeiten mit volkswirtschaftlichem Wert vorbehalten sein, sondern
auch die ökonomisch unabhängige persönliche Entfaltung der Bürger
miteinschließen. Im Kern, und das ist das revolutionäre, geht es um eine
gesellschaftliche Neudefinition dessen, was den "Wert" besitzt mit
einem "Einkommen" belegt zu werden.Und hier wird die Sprache essentiell, damit der Begriff vom
bedingungslosen Grundeinkommen nicht allzu leicht angreifbar ist. Wir
brauchen, etwas vereinfacht gesprochen: ein neues Wort.Denn zunächst ist der Versuch, den Einkommensbegriff aus der
Vorherrschaft des ökonomischen Denkens zu befreien, vor allem mal der
zweite Schritt vor dem ersten. Einkommen ist in unserer Gesellschaft
(sprachlich) schließlich noch sehr klar an Leistung geknüpft. Nun zeigt
uns die Kognitionswissenschaft aber, dass solche neuronalen Verbindungen
in unseren Köpfen nicht so einfach aufzuheben sind: Sobald wir einen
Begriff hören, verleihen wir ihm einen Sinn, indem wir ihn mit
Erfahrungen aus unserem Wissensvorrat und Alltag assoziieren. Sonne
verbinden wir mit Licht und Wärme, Einkommen eben mit Arbeit und
Leistung. Zukünftig soll Einkommen aber nach den unser Denken prägenden
ökonomischen Maßstäben auch für "Nicht-Leistung" (was übrigens ungleich
Nichtstun ist) zur Verfügung stehen. Die kognitive Überforderung durch die Gleichsetzung von
"Leistung" und "Nicht-Leistung" macht es den Gegnern argumentativ
leicht: So sagte Peter Weiß, CDU-Arbeitsexperte, dass das Grundeinkommen
die "völlige Entwertung von Arbeit" sei. Aber um die Abwertung von
Arbeit kann es ja eben nicht gehen, sondern um die Aufwertung von
Anderem. Darunter fällt, einfach gesagt, alles, was ein Mensch im Rahmen
seines Rechts zur freien Entfaltung der Persönlichkeit tun kann. Zweitens ist es nicht klug von "bedingungslos" zu sprechen.
Bedingungslos ist nichts, mindestens an Recht und Gesetz muss sich
schließlich jeder halten. Noch wichtiger ist aber, dass die Befürworter
davon ausgehen, dass der Mensch sein grundsätzlich soziales und
positives Wesen zur Entfaltung bringen wird, sobald er sich nicht mehr
um die Sicherung der eigenen Existenz sorgen muss. Die Gültigkeit dieses
Menschenbildes ist also ebenfalls Bedingung, damit das Konzept aufgeht.
Die Befürworter sollten sich aber nicht darauf verlassen, dass ihre
Annahmen über den Menschen zutreffen, gerade für diejenigen, die in
einer Gesellschaft des Wettbewerbs und der Ellenbogen groß
geworden sind. Stattdessen sollten sie die Voraussetzungen dafür schaffen, dass
Menschen mit der finanziellen Sicherheit sinnvoll umgehen. Das müsste
über die Sozialisation und das Bildungssystem laufen, eben dort, wo man
gesellschaftlich organisierte "Revolutionen" einleiten kann. Schon ist
das Gelingen des Konzepts aber an Bedingungen geknüpft. Wer also von sozialem, solidarischem oder bedingungslosem
Grundeinkommen redet, verwendet sprachliche Ausdrucksformen, die
wahrscheinlich allen linken und auch sehr vielen sozialdemokratischen
Seelen schmeichelt, auch wenn es aufgrund des Abbaus der bestehenden
sozialen Sicherungssysteme, also des Abbaus gegenseitiger Solidarität,
durchaus linke Kritik am Grundeinkommen gibt. Aber das reicht eben
nicht. Wer die Idee einer starken Grundsicherung mehrheitsfähig machen
will, muss auch das Lager der Skeptiker (im Durchschnitt wohl noch eher
Konservative und Liberale) überzeugen. Er muss gewissermaßen sprachlich
bei ihnen auswärts spielen. Liberale glauben an den freien Markt, aber auch an die Freiheit
des Individuums als Triebfeder für Produktivität und Wachstum. Genau
hier könnte der strategische Schlüssel zu einer breiten Mehrheit für
eine starke Grundsicherung liegen - etwa, indem man das Projekt
"Freiheitssicherung" tauft. Nur derjenige, den keine existenziellen
Sorgen plagen, kann die Rolle des der freien Marktwirtschaft zugrunde
liegenden freien, selbstständigen und vernunftbegabten Wesens ausfüllen.
Die heutige globale Marktwirtschaft macht vielen Angst, macht sie
unfrei, eine sogenannte Freiheitssicherung würde sie in die Position
bringen, die der Liberalismus als Menschenbild verficht. Das wäre
ökonomisch sinnvoll und solidarisch zugleich - und zwischen beidem
hätten man eine sprachliche Brücke geschlagen.
Über den Autor Johannes Hillje arbeitet als Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er bloggt unter www.rettetdiewahlen.eu und ist auf Twitter als @JHillje unterwegs.
Nota. - Ein Missverständnis ist das Haupthindernis, das ist wahr. Aber es ist nicht bloß ein semantisches. Es ist ein perspektivisches. Dass Michael Müller das Thema neu aktualisiert hat, ist löblich. Dass er es aber wieder so dargestellt hat, als ginge es um Ausweitung und Totalisierung des Sozialstaats, ist ein Skandalon, der in den Mittelpunkt gestellt zu werden verdient. Ganz laut muss man sagen: Das Bedarfsunabhängige Grundeinkommen ist kein "linkes" Projekt.
Es geht nicht um Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Nicht dass das belanglose Dinge wären. Aber hier stehen sie nicht zur Diskussion. Das Bedarfsunabhängige Grundeinkommen hat einen plausiblen Sinn als eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Arbeit:
"Die Digitalisierung auch der industriellen Fertigungsprozesse, die
viel älter ist als das Internet, überträgt nicht nur, wie die
herkömmliche “Automatisierung”, die exekutiven Tätigkeiten, sondern
auch die kombinatorischen (planerischen) Funktionen an die Maschine.
Nicht nur körperliche Arbeit, sondern auch der größte Teil der
intellektuellen Arbeiten im Fertigungsprozess wird nicht mehr
von Menschen ausgeübt werden müssen. Auch hochqualifizierte Arbeiter
werden überflüssig. Übrig bleibt für die lebendigen Menschen der
eigentlich inventive Teil der intellektuellen Arbeit – im
Fertigungsprozess wie in allen anderen Bereichen der gesellschaftlichen
Reproduktion; nicht mehr so sehr ‘Arbeit’ als vielmehr ‘Kunst’. Und
haben wir uns das nicht schon immer gewünscht?
Der springende Punkt ist aber, dass nach Marx intellek- tuelle
Arbeit (und Kunst) grundsätzlich “unter ihrem Wert” verkauft werden
muss. Doch wenn am Ende nur sie für den Menschen übrigbleibt, kann das
nicht mehr unter Marktgesetzen geschehen. Mit andern Worten, die aufs
Intellektuelle herabgebrochene Arbeitskraft kann auf die Dauer nicht Ware
bleiben, von deren Verkauf allein sich die große Masse der Menschen
ernähren muss. Die werden einen andern Lebensunterhalt finden müssen.
Und finden können, weil die Digitale Revolution die Produktion so
explosiv steigern wird, dass alle leben können, auch wenn sie nicht
selber an der industriellen Fertigung beteiligt sind. Darum ist das Bedarfsunabhängige Grundeinkommen sowohl notwendige Voraussetzung als auch unaus- weichliche Konsequenz der Digitalen Revolution."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen