Mittwoch, 23. Mai 2018

Vor 400 Jahren begann der 30jährige Krieg.

 aus derStandard.at, 23. Mai 2018, 07:25

Der Fenstersturz in die europäische Katastrophe
Vor 400 Jahren, am 23. Mai 1618, warfen Vertreter der protestantischen böhmischen Stände zwei königliche Statthalter und einen Kanzleisekretär aus einem Fenster der Prager Burg. Was folgte, waren 30 Jahre Krieg
 
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Eigentlich heißt Fenster auf Tschechisch ja "okno" – genau wie in einigen anderen slawischen Sprachen. Bloß wenn es um Fensterstürze geht, an denen die Prager Geschichte wahrlich reich ist, muss plötzlich ein Wort lateinischen Ursprungs her: "Defenestrace" sagen die Tschechen dann, also Defenestration. Ganz so, als sollte damit um jeden Preis die gesamteuropäische Relevanz der Ereignisse betont werden.

Die Historie ist bekanntlich ein Ort nachträglicher Bedeutungszuschreibung, und so ist auch die Nummerierung der Prager Fensterstürze umstritten. Einigkeit herrscht lediglich über den ersten: Ende Juli 1419 stürmten Anhänger des vier Jahre zuvor beim Konzil von Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannten Kirchenreforma- tors Jan Hus das Neustädter Rathaus, um Gesinnungsgenossen zu befreien – und defenestrierten dabei den Bürgermeister und mehrere Ratsherren. Der Vorfall gilt als Auslöser der Hussitenkriege.

Mehr als 60 Jahre später, im September 1483, spielten sich in den Rathäusern der Altstadt, der Neustadt und der Kleinseite ähnliche Szenen ab. Wieder ging es um Glaubensfragen, die stets auch Fragen der Machtpolitik waren, um die Eucharistie in beiderlei Gestalt, wie sie die Hussiten pflegen, wenn sie aus dem Kelch "das Blut Christi" trinken, und um Auseinandersetzungen innerhalb der Stadtverwaltung. Ein Krieg folgte damals jedoch nicht, das Ereignis geriet im historischen Bewusstsein weitgehend in Vergessenheit. Manche Historiker bezeichnen es dennoch als den Zweiten Prager Fenstersturz und widersprechen damit der gängigen Darstellung, die diesen erst auf 1618 datiert. Also auf das Jahr jenes Fenstersturzes, der am Anfang des Dreißigjährigen Krieges stand – und damit am Anfang des ersten gesamteuropäischen Konflikts.

Umfangreiche Rekatholisierung

Diese Katastrophe, die in der Folge den europäischen Hochadel ebenso in den Abgrund stürzen sollte wie die Bauernschaft, nahm ihren Ausgang am 23. Mai 1618. Am Vormittag kamen drei Männer im Burggraben des Prager Hradschin gerade so mit dem Leben davon. Auf ihrer Flucht krachten ihnen Gewehrkugeln um die Ohren, nachdem sie einen 17-Meter-Sturz aus einem Fenster halbwegs heil überstanden hatten.

Was war geschehen? Die Ursache der geschichtsträchtigen Defenestration liegt eine Weile zurück: Sechs Jahre zuvor war Kaiser Rudolf II. verstorben, der den böhmischen Protestanten im Majestätsbrief von 1609 Religionsfreiheit zugestanden hatte. Sein brüderlicher Nachfolger Matthias allerdings hielt wenig von dieser Vereinbarung – im Gegenteil: Er ließ immer mehr Protestanten aus den königlichen Diensten entlassen und förderte damit den Einfluss der Katholiken am böhmischen Hof. Als am 6. Juni 1617 Erzherzog Ferdinand zum König von Böhmen gewählt wurde, eskalierte die Situation: Ferdinands umfangreiche Rekatholisierungsmaß- nahmen in Böhmen, die die Rechte der Stände maßgeblich einschränkten, führten zu einem empörten Protest- schreiben der adeligen böhmischen Protestanten an den Kaiser – und der verbot daraufhin jegliche Standesver- sammlungen.

Die böhmischen protestantischen Stände waren verständlicherweise nicht erfreut. Am 23. Mai 1618 zogen rund 200 ihrer Vertreter unter der Führung von Heinrich Matthias von Thurn zur Prager Burg, wo ein improvisierter Schauprozess seinen Lauf nahm. Was dann geschah, mag politische, religiöse und auch individuelle Beweg- gründe gehabt haben. Letztlich aber löste es einen Krieg aus, der in den folgenden drei Jahrzehnten weite Teile Europas verheeren sollte.

"Wundersame" Rettung

Fakt ist, dass auch eine persönliche Kränkung diesem Prager Fenstersturz – und damit einem kontinentalen Konflikt – zugrunde lag: Graf Heinrich von Thurn war zuvor die Funktion als Burggraf von Karlstejn entzogen worden, nachdem er sich bei der Abstimmung für den neuen böhmischen König gegen den Habsburger Ferdinand entschieden hatte. Das Amt des Burggrafen von Karlstejn war freilich außerordentlich symbol- trächtig. Immerhin war er so auch für die böhmischen Kronjuwelen verantwortlich.

Damit mag es wohl kein Wunder sein, dass er den erzkatholischen Jaroslav von Martinic, seinen vom Kaiser bestimmten Nachfolger, aus einem Fenster der Prager Burg warf – gemeinsam mit Wilhelm Slavata von Chlum und Koschumberg sowie dem Kanzleisekretär Philipp Fabricius von Rosenfeld. Dass ein Misthaufen ihren Sturz gebremst und damit ihr Leben gerettet hat, dürfte ein anekdotischer Mythos sein. In zeitgenössischen Berichten wird ein solcher jedenfalls nicht erwähnt.


Ihr Überleben verdanken die drei Herren vermutlich eher der damaligen Mode, dem kühlen Wetter und statischen Prinzipien: Ihre schweren Mäntel und die für die damalige Zeit typischen schrägen Burgmauern dürften schlimmere Verletzungen verhindert haben. Die katholische Seite freilich hatte keinen Zweifel daran, wer die Männer letztlich gerettet hat: Niemand anderer als die Heilige Jungfrau Maria persönlich und ihre Engel griffen ein und bewahrten die katholischen Herren vor dem sicheren Tod, den die gottlosen Protestanten für sie vorgesehen hatten. Sein glückliches Schicksal, vermeintlich bedingt durch höhere Fügung, ließ Graf Wilhelm von Slavata zwei Jahre später in einem für die frühbarocke Zeit typischen Votivbild für die Nachwelt in üppiger Weise festhalten.

Als von Slavata sein kunterbuntes Bild malen ließ, nahmen die Folgen seines Fenstersturzes bereits ihren fatalen Lauf: Im November 1620 verloren die böhmischen Stände am Weißen Berg bei Prag unter Führung von Christian I. von Anhalt die erste große Schlacht des Dreißigjährigen Krieges gegen die kaiserlichen und bayerischen Truppen der Katholischen Liga. Friedrich V., Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz, kaum mehr als ein Jahr König von Böhmen – womit er sich den Spottnamen "Winterkönig" einhandelte, musste fliehen und gab so den Weg frei zur von Kaiser und Papst erhofften Rekatholisierung Europas.



Spurensuche in der Gegenwart

Der 1648 geschlossene Westfälische Friede gilt bis heute als Ausgangspunkt der Entwicklung von Völkerrecht und souveränen "Nationalstaaten". Inwieweit sich seine Spuren nach weiteren Einschnitten wie etwa dem Wiener Kongress 1815 oder den Katastrophen des 20. Jahrhunderts im Detail identifizieren lassen, ist Gegenstand vieler Debatten. Gleiches gilt für die Rolle der Nationen im geeinten Europa von heute – erst recht in der Fenstersturzstadt Prag.

Sowohl sprachlich als auch religiös seien die böhmischen Länder zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs ein sehr heterogenes Gebilde gewesen, sagt der tschechische Historiker Pavel Kolár, Professor am European University Institute in Florenz, zum STANDARD: "Es war eine supranationale Entität. Das wird heute oft vergessen." Geblieben sei allerdings die Idee von Böhmen als Mikrokosmos europäischer Konflikte – und ein darauf fußendes kollektives Bewusstsein, das zwischen europäischer Öffnung und Abschottung oszilliert, zwischen Nationalstolz und scheuem Rückzug. "Angesichts diverser Bedrohungen, etwa durch Kriege, kann natürlich auch die Öffnung negativ konnotiert sein", so Kolár.

Tatsächlich scheinen sich heute Selbstvergewisserung und Selbstironie meist die Waage zu halten, wenn im alltäglichen tschechischen Sprachgebrauch immer wieder der "böhmische Kessel" auftaucht: Eingebettet zwischen Erzgebirge, Riesengebirge und Böhmerwald umgibt er die Hauptstadt Prag, im 14. Jahrhundert Sitz von Kaiser Karl IV. und der von ihm gegründeten Universität, der ersten nördlich der Alpen. Jenseits des "Kessels" liegen Österreich, Deutschland und Polen. "Wir sind so selbstverständlich ein Teil von Europa, dass wir es oft gar nicht mehr sehen", brachte es ein ehemaliger tschechischer Diplomat auf den Punkt, Botschafter der ersten Stunde nach der Samtenen Revolution 1989.

Skepsis gegenüber Religionen

Das gescheiterte Aufbegehren gegen die katholischen Habsburger und deren anschließende 300-jährige Vorherrschaft dürften auch in der weitverbreiteten Skepsis gegenüber Religionen insgesamt ihren Ausdruck finden. Tschechien zählt heute zu den atheistischsten Ländern der Welt. Bei der letzten Volkszählung 2011 machten 45 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gar keine Angaben zur Religion, 34 Prozent bezeichneten sich explizit als nicht religiös. Zum römisch-katholischen Glauben bekannten sich nur zehn Prozent. Auch eine gewisse Skepsis gegenüber weltlichem Machtpathos scheint damit einherzugehen. Eine religiöse Unterlegung politischer Führungsästhetik wie in Polen oder Aufmärsche uniformierter Garden wie in Ungarn wird man in Tschechien kaum antreffen.

Andererseits ist die Meistererzählung vom ureigenen, vermeintlich pragmatischen Zugang zur Politik, der sich an den Problemen im Hier und Jetzt abarbeitet und nicht an Heilsvorstellungen im Jenseits oder Diesseits, auch eingebettet in ein isolationistisches Narrativ vom Kampf gegen Bevormundung "von außen" – gegen Wien (Habsburger), Berlin (Nazi-Besatzung) und Moskau (Kommunismus). Dass sich auf Basis solcher Simplifizierung kaum brauchbare Parallelen ziehen lassen, ändert nichts daran, dass manche Politiker gerne noch Brüssel an das vorläufige Ende der Erzählung setzen – demokratisches Beitrittsreferendum hin, Mitbestimmung in der EU her.
 

aus Süddeutsche.deErstürmung Magdeburgs am 10.Mai 1631

Die Furcht der einen, die Hoffnung der anderen
Vor genau 400 Jahren begann der Dreißigjährige Krieg, der Deutschland verändern sollte - und ein neues Medium entstand. Eine Übersicht.

 
Von Thomas Jordan

Am 23. Mai jährt sich zum 400. Mal der Prager Fenstersturz, mit dem der Dreißigjährige Krieg in Europa begann. Weniger bekannt ist, was sich in den 30 Folgejahren auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation abspielte. Sieben Fakten über drei Jahrzehnte, in denen sich religiöse Minderheiten Rechte erkämpften, der Krieg auch auf dem Feld der Bilder wütete und sich mit der Zeitung ein neues Medium durchsetzte.

1. Ein österreichischer Aufsteiger und furchtsame Böhmen

Im Jahr 1617 geht die Angst um bei den protestantischen böhmischen Adeligen. Soeben ist Ferdinand II., Erzherzog von Innerösterreich, gegen ihren Willen neuer König von Böhmen geworden. Der strenggläubige Katholik Ferdinand hat ein ehrgeiziges Ziel: Er will alle nach 1552 evangelisch gewordenen Gebiete im Reich wieder katholisch machen. Die Konfession dient dabei der Machtpolitik des Habsburgers. Über den katholischen Glauben sollen die Stände im Heiligen Römischen Reich dem katholischen Kaiser in Wien politisch unterworfen werden. Noch hat das Amt Ferdinands Vetter Matthias inne. Aber schon bald hofft der ehrgeizige Ferdinand, selbst Kaiser zu sein.


Kaiser Ferdinand II.
In dieser Situation entschließen sich protestantische Grafen in Böhmen zu einem symbolischen Befreiungs- schlag gegen die katholischen Habsburger: Sie stürzen die Statthalter des Kaisers aus Wien aus einem Fenster des Hradschin, der Prager Burg. Kurz darauf bieten sie dem protestantischen Kurfürsten Friedrich von der Pfalz die böhmische Königskrone an. Der Prager Fenstersturz ist Ausdruck einer hochexplosiven konfessionell-machtpolitischen Gefühlslage in den Ostgebieten des Reichs, die der Historiker Georg Schmidt mit den Worten beschreibt: "Die Furcht der einen und die vagen Hoffnungen der anderen bildeten zusammen genau jene Mischung, die nicht nur Kriege, sondern auch neue Kriegsziele entstehen lässt." 

2. Es geht um Konfessionen, Macht und die "deutsche Freiheit"

Mit dem neuen König kommt der Krieg: Als Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, später "Winterkönig" genannt, das Angebot der böhmischen Stände auf die Königskrone annimmt, rückt der Konflikt vom östlichen Rand mitten in das Zentrum des Heiligen Römischen Reiches. Das Territorium des jungen protestantischen Kurfürsten ist ein zerstreuter Flickenteppich, der sich von der Residenzstadt Heidelberg im Westen bis in die heute bayerische Oberpfalz im Osten erstreckt. Nicht zuletzt der bayerische Herzog Maximilian I., einer der Anführer der Katholiken im Reich, hat schon länger ein Auge auf die Gebiete des Kurpfälzers geworfen. Schon ein Jahr später erfüllen sich die territorialen Hoffnungen des Bayern an der Seite des Kaisers.

Der Preis dafür ist ein Krieg mitten im Reich: Im Jahr 1620 geht Kaiser Ferdinand II. zum Angriff gegen die aufständischen Böhmen und ihren neuen König über. Der habsburgische Kaiser kann 20 000 Soldaten der Katholischen Liga, einem Zusammenschluss katholischer Fürsten des Reiches, zum Sturm auf Prag mobilisieren. Außerdem stellt König Philipp III. von Spanien, ebenfalls ein Habsburger, 20 000 Soldaten, um die pfälzischen Stammlande des neuen böhmischen Königs Friedrich zu erobern. Für die protestantischen Fürsten im Reich steht mit dem Eingreifen der Spanier nun die "deutsche Freiheit" auf dem Spiel, in Flugschriften wird das "Vaterland der deutschen Nation" beschworen. Aus einem Konflikt zwischen Wien und Prag wird ein europaweiter Krieg.

3. Nachrichten aus der Schlacht - Der Krieg und die neuen Medien

Mit dem Krieg kommen die Zeitungen. Vor 1618 informierten meist nur Flugblätter über das Kriegsgeschehen. Die Berichterstattung blieb auf die einzelne Schlacht beschränkt. Mit dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges ändert sich das. Die gerade erst gegründeten wöchentlichen Zeitungen im Heiligen Römischen Reich konnten nun zum ersten Mal längere Entwicklungen im Kriegsgeschehen in den Blick nehmen. Oftmals kommt es sogar anlässlich des Krieges zur Gründung neuer, periodisch erscheinender Medien. In Köln werden von 1618 an die Wochentliche Niderlandische Postzeitungen gedruckt. Sie bestanden aus Nachrichtenbriefen aus Deutschland und Italien, die in Amsterdam gesammelt und zu Zeitungen zusammengefügt wurden.

Auch in Antwerpen erscheint 1618 die erste wöchentliche Zeitung, bald auch in Hildesheim, Halberstadt und Stuttgart. Die Menschen wollen regelmäßig und fortlaufend über die Kriegsentwicklungen informiert werden. Historiker sehen einen Zusammenhang zwischen der Gründung von Zeitungen und der Wahrnehmung des Krieges: Erst durch die kontinuierliche Berichterstattung in den Medien, so schreibt die Historikerin Esther-Beate Körber von der Freien Universität Berlin, wird es möglich, sich den Dreißigjährigen Krieg als ein zusammenhängendes Ereignis vorzustellen. Was im Zeitalter der Flugblätter als Aneinanderreihung einzelner Schlachten erschien, wird nun als fortlaufendes Kriegsgeschehen erkennbar.

4. Für Gott und die eigene Macht: Wechselnde Bündnisse

Im Jahr 1640 wagt der bayerische Kurfürst Maximilian I. das Unvorstellbare: Der Bayer, der wichtigste Verbündete des katholischen Kaisers in Wien, will das Bündnis wechseln. Maximilian I. will nun auf der Seite Frankreichs kämpfen, das mit dem protestantischen Schweden verbündet ist und bis zu diesem Zeitpunkt der Hauptgegner Bayerns ist. Maximilians Bündniswechsel gelingt letztlich nicht. Am wankelmütigen bayerischen Kurfürsten zeigt sich aber, wie die Hoffnung auf Gebietsgewinne althergebrachte und konfessionelle Bündnisse überlagert. Für Maximilian I. zählt in erster Linie, dass er selbst Kurfürst bleibt und die Oberpfalz dauerhafter Teil seines Territoriums.

Den Kurfürsten von Sachsen, Johann Georg I., treibt dagegen die Angst vor eigenen Gebietsverlusten gleich zu mehreren Bündniswechseln. 1630 überrollt Gustav II. Adolf von Schweden das Reich. Dem protestantischen Schwedenkönig gelingt es mit Hilfe des protestantischen Kurfürsten von Sachsen, innerhalb eines Jahres weite Teile Deutschlands unter seine Kontrolle zu bringen. Der Kurfürst unterstützte zuvor den Kaiser, und nur zwei Jahre später kämpft Johann Georg I. auch wieder auf der Seite des Habsburgers gegen die Schweden. Die Furcht vor dem kaiserlichen General Tilly hatte ihn zwischenzeitlich in die Arme Gustav Adolfs getrieben. In den darauffolgenden Jahren verbündet sich von 1634 an das von den Habsburgern geschlagene Schweden mit dem katholischen Frankreich. Das neue protestantisch-katholische Bündnis zielt auf das europäische Mächtegleichgewicht: Beide wollen verhindern, dass der Kaiser in Wien seine Macht weiter ausbaut.

Tilly in Magdeburg, 1631
Johann T'Serclaes von Tilly reitet über die Trümmer der 1631 belagerten und eingenommenen Stadt Magdeburg.
5. Krieg der Bilder und Symbole
 
Es ist eines der schlimmsten Massaker im Dreißigjährigen Krieg: Bei der Eroberung der protestantischen Stadt Magdeburg am 20. Mai 1631 durch die Truppen des kaiserlichen Feldherrn Tilly sterben 20 000 der 35 000 Stadtbewohner. Noch Jahrhunderte später spricht man in Deutschland von "magdeburgisieren", wenn man "völlig zerstören" meint. Dass sich die Magdeburger Ereignisse so tief in die Erinnerung einbrennen, daran haben die Bilder und Symbole, die von der Erstürmung berichten, großen Anteil. Ein kaiserliches Flugblatt aus dem Jahr des Geschehens bezieht sich auf das Massaker unter der zynischen Überschrift, wie "Herrn General Grafen von Tilly die alte Jungfrau zu Magdeburg verheiratet worden" sei. Die Zeichnung darunter zeigt die Stadt Magdeburg als junges Mädchen im Brautkleid, den siegreichen Feldherrn Tilly als Bräutigam. König Gustav Adolf von Schweden, der die Stadt nicht vor der Eroberung beschützte, wird auf dem Flugblatt zum grausamen Brautvater, der dem siegreichen Feldherrn Tilly seine Tochter übergibt.

Die Katholiken, die seit Jahrhunderten Marienstatuen und Heiligenbilder verehrten, sind mit Bildern und Symbolen vertraut. Aber auch auf protestantischer Seite erkennen Feldherrn die Bedeutung von Symbolen, um die eigenen Soldaten zu motivieren und Gegner zu demoralisieren. Der Schwedenkönig Gustav Adolf wird zum heilbringenden "Löwen aus Mitternacht", sein Eroberungszug zur biblischen Mission. Denn im Alten Testament vernichtet der Löwe die sündige Stadt Babylon, ein bei Protestanten im 17. Jahrhundert gängiges Bild für die katholische Kirche. Der protestantische Heerführer Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel lässt auf den Fahnen seines Heeres die Aufschrift "Alle für Gott und für Sie" anbringen. Mit "Sie" war bei dem protestantischen Heerführer nicht die bei Katholiken so beliebte Jungfrau Maria, sondern wohl die von ihm verehrte Frau des aus Böhmen vertriebenen "Winterkönigs" Friedrich von der Pfalz gemeint. Elisabeth wird in der Propaganda zur deutschen Freiheitsheldin. Die Soldaten des Braunschweigers sollen dafür kämpfen, dass sie in Prag als Königin einziehen kann.

6. Taschengeld für die Plünderer: Mitgefühl unter Feinden

Plündernde Söldner haben großen Anteil daran, dass der Dreißigjährige Krieg den Zeitgenossen so erbarmungslos erscheint. Ist eine Stadt in die Hände der Eroberer gefallen, ziehen feindliche Horden durch die Gassen und halten nach Beute Ausschau. Viele Häuser werden drei-, vier- oder fünfmal von Söldnerbanden geplündert, bis der letzte Silberlöffel aufgespürt ist. Vermuten die Plünderer, dass die Stadtbewohner Vermögen vor ihnen verstecken, werden diese oftmals gefoltert. Als Heidelberg von katholischen Söldnern eingenommen wird, erhebt sich, wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt, "ein jämmerlich Zetergeschrei durch Massacrieren, Plündern und Geldherausmartern mit Däumeln, Knebeln, Prügeln, Peinigen, Nägelbohren, Sengen an heimlichen Orten, Aufhenken, Brennen an den Fußsohlen, mit Schänd- und Wegführung der Frauen und Jungfrauen" .

Bei allen diesen Grausamkeiten gibt es aber auch Szenen, in denen sich zeigt, dass so mancher Söldner Mitleid mit der besiegten Bevölkerung empfindet. Der damals erst zwölfjährige Magdeburger Johann Daniel Friese berichtet in seinen Erinnerungen von einer solchen Szene bei der Plünderung seiner Heimatstadt. Als ein katholischer Söldner mit einem Spitzhammer auf seinen Vater losgeht, plappert dessen jüngster Sohn, der noch ein Kind ist, auf den Söldner los: "Ach lasst doch nur den Vater leben; ich will Euch gern meinen Dreier geben, den ich am Sonntag bekomme." Der Soldat ist von dem Angebot des Kleinkindes, ihm sein Taschengeld - den Dreier - zu geben, gerührt und verhilft der Familie gegen Lösegeld zur Flucht aus dem brennenden Magdeburg.

7. Rechte für Minderheiten: Ohne religiöse Toleranz gibt es keinen Frieden

Nach 30 Jahren Kampf und Verwüstung geht der Krieg mit dem Westfälischen Frieden 1648 zu Ende. Eine Einigung wird nur möglich, weil sich alle Parteien auf einen Ausgleich zwischen den Konfessionen verständigen können. Der Historiker Georg Schmidt nennt die Friedensverträge von Osnabrück und Münster 1648 einen "Meilenstein auf dem Weg zu Gewissensfreiheit und Toleranz". Neben Katholiken und Lutheranern wird nun auch ein drittes Bekenntnis, der Calvinismus, offiziell anerkannt. Häuser und Grundstücke, die den Calvinisten entzogen wurden, werden ihnen zurückerstattet. Wichtig war auch, dass nun die Möglichkeiten eingeschränkt wurden, die Konfession zum Spielball der Machtpolitik zu machen. Entschließt sich ein Landesherr dazu, für ein neues Bündnis seine Konfession zu wechseln, kann er seinen Untertanen sein Bekenntnis nicht mehr aufzwingen.


Zeitgenössischer Stich der Stadt Magdeburg von Matthäus Merian
Für die Reichsgebiete wird mit Ausnahme der habsburgischen Erblande eine Landeskonfession festgelegt - auf dem Stand wie sie am 1. Januar 1624 existiert hatte. Außerdem herrscht von nun an für alle Konfessionen mehr rechtliche Sicherheit: Wie die Anhänger ihr Bekenntnis ausüben dürfen, ist genau abgestuft. Gleiche Rechte für alle herrschen freilich nicht. Die katholische oder lutheranische Landeskonfession darf ihr Bekenntnis öffentlich mit Glockenklang feiern. Allen anderen wird die "devotio domestica" zugesichert. Die Angehörigen der konfessionellen Minderheit können nach ihrem Glauben leben und dürfen nicht wegen ihres Bekenntnisses diskriminiert werden. Kommt es zu Streitigkeiten zwischen Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen, werden die Gerichte konfessionell paritätisch besetzt.


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