aus welt.de, 18. 5. 2018 So stellte man sich im Barock die Wirkung der Pest in de Antike vor
Spuren von Blei
Wie die Pest Roms Goldenes Zeitalter brutal beendete
In Bohrkernen aus Grönland haben sich Bleiemissionen erhalten, die bei der Silberschmelze entstanden. Als Zeugnisse antiker Wirtschaftskonjunkturen berichten sie von einer entsetzlichen Pandemie.
Bei ihrer Rückkehr aus Mesopotamien schleppten die Legionen den Tod ins Reich. Zuvor hatten römische Soldaten bei der Eroberung der parthischen Hauptstadt Ktesiphon einen Tempel des Apollon geschändet, indem sie auf der Suche nach Beute einen geweihten Raum erbrachen. In dem hatten chaldäische Alchemisten einen tödlichen Giftstoff verwahrt. Der wurde freigesetzt und „erzeugte sogleich unheilbare Krankheiten“. Bald „befleckte er bis an den Rhein und nach Gallien alles Land mit Pest- und Todesberichten“, notierte einige Zeit später ein Autor.
Diese Pandemie, die das gesamte Römische Reich heimsuchte, ist als „Antoninische Pest“ in die Geschichtsbücher eingegangen. Ihren Namen hat sie von dem Gentilnamen der beiden Kaiser Lucius Verus und Marc Aurel, die von ihrem Vorgänger Antoninus Pius adoptiert worden waren. Dass diese Seuche, die als eine besonders aggressive Form der Pocken gedeutet wird, auch für die Wirtschaft des Imperiums einen tiefen Einschnitt bedeutete, wird jetzt durch ein ungewöhnliches Zeugnis belegt. In Bohrkernen aus dem Eis Grönlands haben sich Spuren der Katastrophe erhalten.
In dem Eis finden sich Bleiablagerungen, die auf die Emissionen aus europäischen Blei- und Silberminen zurückgehen, berichtet jetzt ein Forscherteam in den „Proceedings“ der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften. „Unsere Messungen zeigten, dass die Bleiverschmutzung in Grönland sehr eng mit Seuchenzügen, Kriegen, sozialen Unruhen oder imperialer Expansion im antiken Europa zusammenhängt“, erläutert Joseph McConnell vom Desert Research Institute in Reno (USA). Zunächst untersuchten die Wissenschaftler die Strömungsverhältnisse in der Atmosphäre. Simulationen zeigten, dass die Windströmungen während der Antike nicht anders waren als im 20. Jahrhundert. Damals wie heute konnten also Emissionen mit dem Wind aus Europa nach Grönland gelangt sein. Dort setzten sie sich ab und wurden im Laufe der Jahrhunderte von Schnee und Eis überlagert.
Dass die Blei- oder Kupferablagerungen in grönländischen Eisbohrkernen Hinweise auf historische Ereignisse bergen könnten, ist keine ganz neue Idee. Bisher seien aber nur sehr wenige – nämlich 18 – Messungen aus dem Zeitraum zwischen 1100 v. Chr. und 800 n. Chr. ausgewertet worden, schreiben die Autoren. In der neuen Studie bewerteten die Forscher um McConnell nun in sorgfältig datierten Bohrkernen insgesamt 21.000 Messungen.
Die meisten feststellbaren Emissionen entstammen der Schmelze von Silber. Das Edelmetall wurde häufig aus Blei-Silber-Erzen gewonnen. Auch wurde Blei oft dem Silber im Herstellungsprozess beigemischt. Da die wichtigsten antiken Münzen wie die griechische Drachme oder der römische Sesterz aus Silber geprägt wurden, lassen die Bleiabsonderungen daher Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Situation in Zeiten zu, die durch die Bohrkerne ziemlich genau datiert werden können.
Die Bohrkernmessungen zeigen, dass die Bleiemissionen um 900 v. Chr. zunahmen. Damals entstanden nach dem Zusammenbruch des bronzezeitlichen Mächtesystems im 12. Jahrhundert v. Chr. die Grundlagen der griechisch-römischen Antike. Münzen wurden damals noch nicht geprägt, doch waren Schmuckstücke und Barren aus Gold und Silber bereits begehrte Handels- und Tauschgüter.
Um 900 v. Chr. begannen die Phönizier von den Küsten Syriens und Palästinas aus, die maritimen Handelsstraßen des Mittelmeers zu erschließen. Um 800 folgten ihnen die Griechen, die zahlreiche Kolonien in Süditalien, Kleinasien und am Schwarzen Meer anlegten.
Die wichtigste Neugründung der Phönizier wurde Karthago im Norden Tunesiens. Der Erste Punische Krieg, den das aufsteigende Rom und die Handelsmacht Karthago zwischen 264 und 241 bis zur Erschöpfung führten, lässt sich auch am starken Rückgang der Bleiemissionen ablesen.
Auch Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr., als die Römische Republik in endlosen Bürgerkriegen versank, nahm die Produktion von Silber offenbar deutlich ab. Das änderte sich in den letzten Jahrzehnten vor der Zeitenwende, nachdem Augustus ab 31 v. Chr. die kaiserliche Monarchie etabliert hatte und eine lange Periode des inneren Friedens und der wirtschaftlichen Prosperität eröffnete.
Ein Großteil der Bleiemissionen gehe auf die Ausbreitung von Minen im Norden der Iberischen Halbinsel und in Germanien zurück, schreiben die Wissenschaftler. Obwohl es in den römischen Provinzen an Rhein und Donau weniger Minen als in Spanien gegeben habe, seien die Emissionen daraus erheblich höher gewesen.
Die Krise des 3. Jahrhunderts
Die Herrschaft der sogenannten Adoptivkaiser im 2. Jahrhundert n. Chr. wird häufig das Goldene Zeitalter des Römischen Reiches genannt. Es endete politisch in den 170er-Jahren, als der Einfall der Markomannen Rom einen Vorgeschmack auf spätere Völkerwanderungen gab. Die schweren Kämpfe, die Kaiser Marc Aurel gegen sie bestehen musste und die die Militärmacht des Reiches auf das Äußerste beanspruchten, werden häufig als Grund für den beginnenden Niedergang angeführt.
Wie sehr auch die Antoninische Pest die Weltmacht getroffen hat, zeigt die dramatische Abnahme der Bleiemissionen in den Bohrkernen Grönlands. Die Bevölkerungszahl nahm ab, die Wirtschaft geriet in die Krise. Invasionen und politische Instabilität im Inneren taten ein Übriges, um der Krise des 3. Jahrhunderts den Boden zu bereiten.
Reno – Schon Mitte der 1990er Jahre stellten Forscher bei der Untersuchung von Eisbohrkernen aus Grönland fest, dass dieses "natürliche Archiv" die Aufzeichnungen menschlicher Chroniken widerspiegelt: Langfristige Trends und plötzliche Einschnitte in der Entwicklung der Zivilisationen am Mittelmeer ließen sich auch am Eis ablesen – in Form der Bleiemissionen, die über 4.000 Kilometer und mehr in die Arktis transportiert worden waren.
Der Grund: Solche Emissionen waren ein Abfallprodukt der Silberverhüttung. Da Silber für die antiken Währungen eine wichtige Grundlage bildete, kann man den Silberabbau als Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung einer Ära heranziehen. Ein internationales und interdisziplinäres Forschungsteam hat die Untersuchungen aus den 90ern nun fortgeführt und ist dabei wesentlich stärker ins Detail gegangen. Die Daten, die einen Zeitraum von 1100 vor unserer Zeitrechnung bis ins Jahr 800 umfassen, enthielten diesmal nicht 18, sondern 21.000 Messungen der Werte von Blei und anderen Stoffen.
Historikerdisput entschieden
Laut den Forschern um Studienerstautor Joseph R. McConnell vom Desert Research Institute in Reno begannen die Bleiemissionen etwa ab 900 vor unserer Zeitrechnung anzusteigen, als die Phönizier in den westlichen Mittelmeerraum expandierten. Karthago und das junge Rom hielten die Werte auf einem relativ hohen Niveau, das Maximum wurde schließlich im 1. und 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung erreicht.
Damit entscheidet das Klimaarchiv einen alten Historikerdisput, berichtet der Archäologe Andrew Wilson aus Oxford: nämlich die Frage, ob es Rom während der Republik oder der Kaiserzeit wirtschaftlich am besten ging. Die Bohrkerne weisen darauf hin, dass die zunächst noch prosperierende römische Wirtschaft in der Spätphase der Republik – in ihren letzten 90 Jahren – einen Niedergang erlebte.
Höhepunkt und Niedergang
Danach ging es deutlich bergauf: Seine größte Wirtschaftskraft erlebte Rom in der Zeit der Pax Romana, die von der Herrschaft Kaiser Augustus' an etwa 200 Jahre dauerte. Gegen Ende dieser Phase kam es zu einem an den Bleiwerten deutlich erkennbaren Einbruch – zeitlich fällt dieser mit der Ausbreitung der sogenannten Antoninischen Pest zusammen. Ein knappes Jahrhundert später folgte auf diese noch die Cyprianische Pest.
Bei beiden handelte es sich um Pandemien, die von einem noch nicht identifizierten Erreger – möglicherweise Pocken – ausgelöst worden waren und die verheerende Folgen hatten. Vor allem die Antoninische Pest löste ein Massensterben aus, das zu wirtschaftlichem Niedergang führte. Die Bohrkerne aus Grönland spiegeln auch das wider: Erst 500 Jahre später, im Frühmittelalter, erreichten die Bleiwerte wieder das Ausmaß der frühen Kaiserzeit. (red.)
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