Samstag, 5. Mai 2018

Grundeinkommen III.


„In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wahren Reichtums abhängig weniger von dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und die selbst wieder in keinem Verhältnis stehen zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie. Was Tätigkeit des Arbeiters war, wird Tätigkeit der Maschine.“ So tritt der Arbeiter „neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu sein. Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört [auf] und muß aufhören, die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [Maß] des Gebrauchswerts.“ [9]

Mit andern Worten, das Wertgesetz verfällt. 

Es ist – unmittelbar – der Gebrauchswert des fixen Kapitals, der sich ändert, und – mittelbar – der Gebrauchswert der verbleibenden lebendigen Arbeit: “Hier wieder ein Beispiel von der Wichtigkeit der Bestimmung des Gebrauchswerts für die ökonomische Formbestimmung.”[10]

Seine Erfüllung findet der Prozeß der technologischen Arbeitsteilung in den computergesteuerten automatisierten Werkstätten der Gegenwart.Dort wird noch lange nicht die größte Menge an Gebrauchsgegenständen, aber längst die größte Wertmasse erzeugt. In deren Werkhallen überwacht ein Fachmann einen Komplex von Automaten, die die Arbeiten von einst Hunderten besorgen. Er versteht was davon, aber er tut normalerweise nichts. Dort entsteht täglich der vielfache Wert seines monatlichen Arbeitsentgelts, wobei es auf ein paar Nullen mehr oder weniger nicht ankommt. Kann man sagen, diese Wertmasse bestünde aus seiner “unbezahlten Mehrarbeit”? Dem ‘Begriff’ entspricht es weiterhin, aber der Begriff ist offenbar aus seinen Nähten geplatzt. Er ist unverhältnismäßig geworden und der Sache nicht mehr angemessen.

Nun ist auch noch ein Teil, nämlich der kombinatorische Anteil der lebendigen Intelligenz als ‘Programm’ kodiert worden und auf die Maschinen selbst übergegangen. Als Spezifikum der wirklichen lebendigen Arbeit, das schlechterdings nicht digitalisiert und kybernetisiert werden kann, ist am Ende des Prozesses allein der inventive, konzipierende Anteil der Intelligenz übrig geblieben: das lebendige Einbildungs- und Urteilsvermögen. Die Arbeitsteilung erreicht einen Punkt, wo sie die Qualität der Arbeit verändert. Die ‘Gebrauchswertseite’ macht sich gegen die bloße Formbestimmung (wieder) geltend. Das Individuelle gewinnt über den Durchschnitt die Oberhand. Der Tauschwert verfällt. 

Ressourcen, die durch Arbeit vermehrt werden können, sind an sich nun nicht mehr knapp. Virtuell sind die Bedürfnisse befriedigt, “produktionell” herrscht Überfluß. Wo Mangel aktuell noch immer auftritt, ist er kein ökonomisches, sondern lediglich ein Verteilungsproblem, das “nur noch” politisch gelöst werden muß. Und umgekehrt werden zusehends solche Ressourcen knapp, die durch Arbeit nicht vermehrt werden können und ipso facto keinen Tauschwert haben. Deren Verteilung auf die Bedürfnisse ist von Anfang an keine ökonomische, sondern “nur” eine politischen Aufgabe. 

Arbeit bleibt übrig als schiere Intelligenz: Einbildungs- und Urteilsvermögen. Deren Betätigung bezeichnen wir mit dem aktivischen Zeitwort wissen. Insofern ist die Feuilletonrede vom “Übergang von der Industrie- zur Wissensge- sellschaft” treffender als ihre Kolporteure denken. Freilich, nicht die Datei – nicht die Daten und schon gar nicht deren Gespeichertsein – macht Wissen aus, sondern die Generierung von Wißbarem; denn die Kombinatorik besorgt die Maschine. Ein so auf seinen ‘einfachsten Ausdruck’ zurückgeführtes Arbeitsvermögen ist nun nicht mehr regelmäßig getrennt von den Bedingungen seiner Ausübung. Es reicht ein Internetanschluß, mag man zugespitzt sagen.

Aber Intelligenz hat keinen Tauschwert. Weil einbilden und urteilen nur actu geschieht und als solches nicht wiederholbar ist, wird der Philosoph sagen. Doch die Erzeugnisse von Einbildung und Urteil kann man sehr wohl wiederholen, sogar hersagen, ohne sie zu verstehen. Und gerade darum hat Intelligenz keinen Tauschwert: “Das Produkt der geistigen Arbeit steht immer tief unter ihrem Wert. Weil die Arbeitszeit, die nötig ist, um sie zu reproduzieren, in gar keinem Verhältnis steht zu der Arbeitszeit, die zu ihrer Originalproduktion erforderlich ist. Z.B. den binomischen Lehrsatz kann ein Schuljunge in einer Stunde lernen.”[11] 

Der Tauschwert ist keine sachliche Eigenschaft des Produkts, sondern eine durch den gesellschaftlichen Verkehr ihm zugerechnete Größe, “nur eine eingebildete, d.h. bloß soziale Existenzweise der Ware, die mit ihrer körperlichen Realität nichts zu schaffen hat; sie wird vorgestellt”[12] nicht als die Arbeit, die gestern zu seiner Herstellung wirklich aufgewendet wurde, sondern als die Arbeit, die heute notwendig wäre, um es wieder herzustellen. 

Die Ausbildung – oder sagen wir besser: die Bildung einer lebendigen Intelligenz mag viele lange Jahre dauern und ein Vermögen kosten. Aber ihre Produktionen sind so gut wie gar nichts ‘wert’, weil schon morgen sie die Spatzen von den Dächern pfeifen oder ein ABC-Schütze mit der Maus klickt. Wo soll da ein Mehr-Wert herkommen? Selbst in seinem innersten Kern, dem Doppelcharakter der Arbeit, führt sich das Wertgesetz ad absurdum.

Das Arbeitsprodukt muß, um als individueller Gebrauchswert zur Geltung zu kommen, zwischenhin die allgemeine Geltung als Tauschwert annehmen. Der Ort dieses Umschlags ist öffentlich: der Markt. Öffentlich ist auch der Umschlagplatz der Gedanken, öffentlicher denn je: das Internet. Zur Geltung kommen beide durch Verkehr. 

Die Arbeiten tauschen sich nicht unmittelbar gegeneinander. Arbeit ist reell immer eine bestimmte, qualitativ besondere Tätigkeit, Gebrauchswert, und kann unmittelbar nicht verglichen werden; sondern nur privat “geschätzt”. Verglichen wird die Produktivität der – durchschnittlichen – Arbeit: vergegenständlicht im Tauschwert des Arbeitsprodukts. Das Produkt der Intelligenz sind die Gedanken. Vergleichen kann man sie auch mittelbar nicht. Aber sie ‘vergegenständlichen’ sich auf ihre Weise, im Datenspeicher. Doch der Tauschwert des Buchs beruht nicht auf den vergegenständlichten, schriftlich symbolisierten Gedanken, sondern auf seinem Materialwert: den Herstellungskosten. Hinzu kommt, als imaginäres, spekulatives Element, der Idealwert der Namen: der Ruf des Autors und des Verlegers. Die beeinflussen den Absatz. Ob und wie weit, kann aber nicht gemessen, sondern wiederum nur geschätzt werden (so wie der Käufer seinen Gebrauchswert ‘schätzen’ muß). Das gilt für “alle Produkte der Kunst und Wissenschaft, Bücher, Gemälde, Statuen usw. eingeschlossen, soweit sie sich dinglich darstellen”.[13] 

Um Tauschwert zu haben, muß sich die verausgabte Arbeitskraft irgendwo in Res extensa vergegenständlichen, denn anders könnte sie nicht angeeignet werden, nämlich so, dass jeder Andere von ihrem Gebrauch ausgeschlossen ist. Sollten Gedanken ‘Wert’ haben, so könnte er doch nicht als Tauschwert erscheinen: Denn sie können nicht den Eigentümer wechseln. Sie sind, einmal in die Welt gesetzt, öffentlicher Besitz. Sie sind das Öffentlichste überhaupt. Angeeignet werden kann der Datenträger, der sie speichert. Ist aber das Medium selber öffentlich, entfällt auch das. Sie sind eine virtuelle Realität. Nur virtuell, soweit sie erst noch vernommen werden müssen. Aber real sind sie auch unabhängig von ihrem Träger. Genauer gesagt, ist das Medium auch global und öffentlich zugänglich – irgendwo müssen sie schon gespeichert sein, aber wo und wie ist ganz gleichgültig, es könnte in Vergessenheit geraten, ohne der Präsenz der Gedanken Abtrag zu tun. ‘Wirklich real’, nämlich ursächlich wirkend werden sie freilich erst durch die Intelligenz, die sie vernimmt.

Die Nützlichkeit der Arbeiten kann nur mittelbar, durch den Tauschwert verallgemeinert werden. Die Gedanken sind unmittelbar allgemein, sie ‘haben’ keinen Wert, sondern sind ein Gut. Darum werden sie nicht ausgetauscht, sondern mitgeteilt. Wie weit sie geschätzt werden, wird man an ihren Wirkungen erkennen. Aber messen kann man es nicht.

[9] K. Marx, Grundrisse, in: MEW, Bd. 42, S. 600f.
[10] ders., Theorien über den Mehrwert, MEW 26.2, S. 489
[11] aaO., MEW Bd. 26.1, S. 329
[12] ebd., S. 141f.
[13] ebd., S. 142



wird fortgesetzt
 

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