Dienstag, 22. Mai 2018
Die Wiedertäufer in Münster.
aus welt.de, 9. 5. 2018 So stellten sich die Zeitgenossen das Treiben im Täuferreich zu Münster vor
„Unzeitige Liebe mit zarten kleinen Mädchen“
Es war ein mörderisches Experiment: 1534 errichteten endzeitliche Schwärmer in Münster ein „Tausendjähriges Reich“. Polygamie und Gütergemeinschaft wurden zum Markenzeichen dieser Theokratie.
Wenn am Mittwochabend auf dem Domplatz von Münster der 101. Katholikentag eröffnet wird, dürfte das Motto „Suche Frieden“ in aller Munde sein. Keine Rolle wird dabei wohl spielen, dass 484 Jahre zuvor, im Oktober 1534, am gleichen Ort eine ähnliche Losung beschworen wurde: „Ihr sollt den Frieden verkünden“, hieß es da, doch der Einschränkung, die folgte, werden die Gegenwärtigen wenig abgewinnen können: „Geschieht es aber, dass sie den Frieden nicht annehmen, so soll die Stadt zur Stunde versinken und in dem höllischen Feuer verbrennen.“ Das war die Botschaft der Wiedertäufer, die in Münster ihr Tausendjähriges Reich Sion errichtet hatten.
Es begann damit, dass im Februar 1534 ein gewisser Jan Mathys in die Stadt einzog. Die Bewohner der Bischofsstadt waren in den vorangegangenen Jahren mehrheitlich Anhänger Luthers geworden. Der gelernte Bäcker aus Haarlem in den Niederlanden war überzeugt davon, dass ihm Gott die Gabe der Prophetie verliehen habe. Und die ließ in ihm die Überzeugung wachsen, dass das Ende der Welt nahe sei. Hinzu kam ein persönliches Charisma, das die zum Mystizismus neigenden Anhänger der Reformation wie etwa die Täufer ansprach. Da diese in den Niederlanden zunehmend verfolgt wurden, fanden sie in Münster ihr „neues Jerusalem“.
Das hatte nicht zuletzt soziale Gründe. In der wohlhabenden Hansestadt war es einige Jahre zuvor zu Unruhen gekommen. Die weltlichen Handwerker gingen mit Gewalt gegen die privilegierten Werkstätten in den zahlreichen Klöstern vor, die unter der Schirmherrschaft des Fürstbischofs standen. Das trieb die Reformation voran. 1533 war der Rat der Stadt streng lutherisch, ein Vertrag mit dem Bischof sicherte den labilen Frieden. <
Doch der maßgebliche Reformator in der Stadt, Bernd Rothmann, predigte weniger eine bibelfeste Theologie im Sinne Luthers, sondern schwenkte mehr und mehr ins Lager schwärmerischer Bewegungen, die das sehnsüchtig erwartete Reich Gottes mit spirituellen Mitteln zu gewinnen suchten. Das zog immer mehr Täufer an, bis sie schließlich mit ihrem Propheten Jan Mathys die Macht übernahmen. Zunächst wurden die verbliebenen Katholiken verdrängt, bald auch die Lutheraner, die sich dem Täufer-Regiment verweigerten. Die städtischen Unterschichten – Gewerbetreibende, Lehrlinge, Tagelöhner – sahen die Chance, gegen die Herrschaft der Kaufleute und Zünfte aufzubegehren. Da das Vermögen der Vertriebenen konfisziert wurde, winkte zudem eine attraktive Beute.
Der sozialrevolutionäre Zug machte es Bischof Franz von Waldeck leicht, Verbündete gegen die Täufer zu gewinnen. Mit ihrem Geld heuerte er ein Söldnerheer an, das die Stadt einschloss. Allerdings erwiesen sich die Täufer als gefährliche Gegner. Die Stadt wurde in eine riesige Festung verwandelt. Die Dächer der Kirchtürme wurden abgetragen, sodass auf ihnen Geschütze postiert werden konnten. Zugleich radikalisierte sich das Regime.
Nachdem Mathys mit einigen Getreuen zu Ostern in das Lager des Bischofs geritten war, um im Vertrauen auf seine göttliche Sendung dort den Aufstand anzufachen, umgehend aber erschlagen worden war, übernahm ein gewisser Jan Bockelson die Führung der Täufer. Der gelernte Schneider und Bordellbesitzer aus Leiden (daher Jan van Leiden) erwies sich als ebenso charismatische wie machiavellistische Führungspersönlichkeit. Kritiker wurden verfolgt, gefoltert und öffentlich hingerichtet.
Jan van Leiden (1509-1536)
Ein Rat der Zwölf, der die zwölf Stämme Israels repräsentierte, wurde zum Hüter eines theokratischen Regiments eingesetzt, dessen Grundgesetz die Zehn Gebote wurden. Eine Konsequenz daraus war, die Gütergemeinschaft aller Menschen beim Anbruch des „tausendjährigen Reiches“ Christi sicherzustellen. Dass dies unmittelbar bevorstand, schienen die Truppen des Bischofs zu beweisen, die als Vorboten der Apokalypse gedeutet wurden.
Nachdem Schuldbriefe und Besitzurkunden verbrannt worden waren, widmete sich Johann I., wie sich Jan van Leiden nun nannte, einem anderen gesellschaftlichen Problem. Von den 11.000 Menschen in der belagerten Stadt waren 7000 bis 8000 Frauen. Die Lösung fand sich in der Bibel: Seid fruchtbar und mehret euch. Der selbst ernannte König ging mit gutem Beispiel voran, heiratete Mathys Witwe und weitere 16 Frauen (von denen er eine bald darauf hinrichten ließ). Damit wurden „alle Ehrbarkeit, Keuschheit, Enthaltsamkeit und Schamhaftigkeit aufgehoben“, berichtete ein Zeuge. Männliche Täufer verlangten mit Verweis auf das Alte Testament, „dass die Weiber der Willkür jedes Mannes, der ihre Liebe verlangte, bei Strafe der Hinrichtung zur Verfügung stehen sollten“.
Religion, Sex und Gewalt: Erotisch-schwülstige Huldigung des Königs von Sion, wie man sie sich im 19. Jahrhundert vorstellte.
Die Polygamie lieferte den Zeitgenossen nicht nur Argumente gegen die Täufer, sondern befeuerte auch ihre schwüle Fantasie. „Welche unzeitige Liebe sie mit zarten kleinen Mädchen, die kaum das elfte, zwölfte oder dreizehnte Jahr überschritten hatten, in ihrer Raserei übten, zeigte die unheilbare Krankheit oder der plötzliche Tod vieler Mädchen“, schrieb der Schulrektor Hermann von Kerssenbrock. „Die Frauen, die den Männern nicht auf ihren Wink gehorchten, wurden als Gefangene in das Rosentalkloster gebracht.“
Gleichwohl haben moderne Historiker die Heerschau mit großem Abendmahl, die Jan van Leiden am 13. Oktober 1534 auf dem zum „Berg Sion“ umgetauften Domplatz von Münster abhielt, als Beleg für den Konsens gedeutet, auf den der Täuferführer sich stützen konnte. Dabei wurden Apostel ausgewählt, die in weiteren Städten der Gegend die chiliastische Botschaft verkünden sollten. In Warendorf fiel die „münsterische Lehre“ zunächst auf fruchtbaren Boden, doch gelang es den Ratsherren mithilfe bischöflicher Truppen, die Täufer gefangen zu nehmen. Sie wurden enthauptet.
Da die Prophezeiungen König Johanns I., „dass das gemeine Volk noch vor Ostern (1535) von seinen Feinden erlöst würde“, nicht Wirklichkeit wurden, schwand mit den Nahrungsreserven auch die Moral in der belagerten Stadt Münster. Schließlich liefen zwei Bürger heimlich ins Lager des Bischofs und verrieten eine Schwachstelle in der Stadtmauer. In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1535 drangen die Truppen des Bischofs in die Stadt ein und veranstalteten ein Gemetzel.
In diesen Käfigen an der Lambertikirche wurden die Reste der Wiedertäufer zur Mahnung ausgestellt
Jan van Leiden und seine beiden wichtigsten Paladine, der „Statthalter“ und Scharfrichter Bernd Knipperdollinck und der Rat Bernd Krechting, wurden auf dem Prinzipalmarkt „an einen Pfahl gebunden und nachher mit feurigen und glühenden Zangen gemartert und getötet“, notierte der lutherische Reformator Antonius Corvinus, nicht ohne schmallippig hinzuzufügen, „gewiss unter großem Beifall und Freude der Priester, an denen Münster immer sehr reich gewesen ist“.
Dabei ist es nach dem Untergang der Täufer geblieben. Münster wurde ein Bollwerk der römischen Kirche in Norddeutschland. Wenn jetzt die 50.000 Dauerteilnehmer und Zehntausende Tagesgäste des Katholikentags über die Straßen der Altstadt flanieren, werden ihnen die drei eisernen Käfige am Turm der Lambertikirche kaum entgehen. In ihnen wurden die sterblichen Überreste der Täuferführer den Vögeln überlassen, auf „dass sie allen unruhigen Geistern zur Warnung und zum Schrecken dienten, dass sie nicht etwas Ähnliches in Zukunft versuchten oder wagten“.
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