Donnerstag, 3. Mai 2018

Warum Deutschland falsch über das Grundeinkommen redet.

Zeitgeist Debatte über Grundsicherung
 

Geld ohne Gegenleistung
Warum Deutschland falsch über das Grundeinkommen redet 
Wer die Idee einer Grundsicherung mehrheitsfähig machen will, muss auch das Lager der Gegner überzeugen. Der Begriff "bedingungsloses Grundeinkommen" schadet dabei enorm.

von Johannes Hillje

Endlich redet Deutschland über das Grundeinkommen. Länder wie Finnland oder Kanada haben immerhin längst Pilotprojekte gestartet (beziehungsweise lassen sie nach eine zweijährigen Testphase vorerst sogar schon wieder auslaufen). Denn egal, ob man das Grundeinkommen nun unterstützt oder nicht, es braucht frische Ideen, um etwa dem Strukturwandel zu begegnen, der kommen wird - und zwar bald: 3,4 Millionen Jobs könnten schon in den kommenden fünf Jahren in Deutschland wegfallen. Das sagen nicht etwa technikskeptische Alarmisten, sondern 500 Unternehmen, die repräsentativ für die Gesamtwirtschaft stehen. 

Doch leider redet Deutschland falsch über das Grundeinkommen. Bevor die Diskussion richtig begonnen hat, könnte sie deshalb schon am sprachlichen Dilettantismus ihrer Verfechter scheitern. Wer für eine starke Grundsicherung kämpfen will, der braucht vor allem eine rhetorische Strategie, um die Gegner zu überzeugen - rein zahlenmäßig übrigens keine überwältigende Mehrheit mehr: Nach neuen Zahlen des "Sozio-oekonomischen Panels" (SOEP) sind bereits 49 Prozent der Deutschen für die Einführung eines "bedingungslosen Grundein- kommens".

Seit kurzem spricht die SPD nun von einem "solidarischen Grundeinkommen", das wie das bedingungslose klingt, aber keines ist. Die Sozialdemokraten meinen damit nämlich die Entlohnung von gemeinnütziger Arbeit für etwa 150 000 Langzeitarbeitslose. Das ist weder eine Lösung für die Millionen Menschen, einschließlich ganzer Berufsgruppen, deren gelernte Tätigkeit in den kommenden Jahren und Jahrzehnten "wegdigitalisiert" werden dürfte, noch ist es ein geschicktes Wording. Es ist vielmehr eine Abkehr vom Konzept, weil es den gängigen Begriff vom Grundeinkommen entfremdet, das eben nicht an eine bestimmte Tätigkeit oder einen Personenkreis geknüpft ist, sondern "bedingungslos" allen Bürgern ausgezahlt werden soll.


Eine finanzielle Zuwendung also, sagen wir 1000 Euro, die jede und jeder qua Mitgliedschaft in der Gesellschaft ausgezahlt bekommt, als Grundrecht, ohne Gegenleistung Monat für Monat. Andere Sozialtransfers werden dafür abgeschafft, deren Bürokratie abgebaut. Diese frei werdenden Mittel dienen in vielen Modellen der Finanzierung des Grundeinkommens, das losgelöst von jedweder Arbeit auch als "soziales Menschenrecht" verstanden wird. 

Mit ihrem Vorstoß torpediert die SPD diese Vision, indem sie den Begriff an eine geregelte Erwerbstätigkeit knüpft, statt den Begriff "Einkommen" von den klassischen marktwirtschaftlichen Parametern zu lösen. Genau das ist jedoch die revolutionäre Idee, die mittlerweile viele Ökonomen, Wissenschaftler, Aktivisten und eben auch die Hälfte der Deutschen unterstützen: Der Begriff "Einkommen" soll nicht mehr allein Tätigkeiten mit volkswirtschaftlichem Wert vorbehalten sein, sondern auch die ökonomisch unabhängige persönliche Entfaltung der Bürger miteinschließen. Im Kern, und das ist das revolutionäre, geht es um eine gesellschaftliche Neudefinition dessen, was den "Wert" besitzt mit einem "Einkommen" belegt zu werden. 
 
Und hier wird die Sprache essentiell, damit der Begriff vom bedingungslosen Grundeinkommen nicht allzu leicht angreifbar ist. Wir brauchen, etwas vereinfacht gesprochen: ein neues Wort. 
 
Denn zunächst ist der Versuch, den Einkommensbegriff aus der Vorherrschaft des ökonomischen Denkens zu befreien, vor allem mal der zweite Schritt vor dem ersten. Einkommen ist in unserer Gesellschaft (sprachlich) schließlich noch sehr klar an Leistung geknüpft. Nun zeigt uns die Kognitionswissenschaft aber, dass solche neuronalen Verbindungen in unseren Köpfen nicht so einfach aufzuheben sind: Sobald wir einen Begriff hören, verleihen wir ihm einen Sinn, indem wir ihn mit Erfahrungen aus unserem Wissensvorrat und Alltag assoziieren. Sonne verbinden wir mit Licht und Wärme, Einkommen eben mit Arbeit und Leistung. Zukünftig soll Einkommen aber nach den unser Denken prägenden ökonomischen Maßstäben auch für "Nicht-Leistung" (was übrigens ungleich Nichtstun ist) zur Verfügung stehen.
 
Die kognitive Überforderung durch die Gleichsetzung von "Leistung" und "Nicht-Leistung" macht es den Gegnern argumentativ leicht: So sagte Peter Weiß, CDU-Arbeitsexperte, dass das Grundeinkommen die "völlige Entwertung von Arbeit" sei. Aber um die Abwertung von Arbeit kann es ja eben nicht gehen, sondern um die Aufwertung von Anderem. Darunter fällt, einfach gesagt, alles, was ein Mensch im Rahmen seines Rechts zur freien Entfaltung der Persönlichkeit tun kann. 
 
Zweitens ist es nicht klug von "bedingungslos" zu sprechen. Bedingungslos ist nichts, mindestens an Recht und Gesetz muss sich schließlich jeder halten. Noch wichtiger ist aber, dass die Befürworter davon ausgehen, dass der Mensch sein grundsätzlich soziales und positives Wesen zur Entfaltung bringen wird, sobald er sich nicht mehr um die Sicherung der eigenen Existenz sorgen muss. Die Gültigkeit dieses Menschenbildes ist also ebenfalls Bedingung, damit das Konzept aufgeht. Die Befürworter sollten sich aber nicht darauf verlassen, dass ihre Annahmen über den Menschen zutreffen, gerade für diejenigen, die in einer Gesellschaft des Wettbewerbs und der Ellenbogen groß geworden sind.
 
Stattdessen sollten sie die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen mit der finanziellen Sicherheit sinnvoll umgehen. Das müsste über die Sozialisation und das Bildungssystem laufen, eben dort, wo man gesellschaftlich organisierte "Revolutionen" einleiten kann. Schon ist das Gelingen des Konzepts aber an Bedingungen geknüpft.
 
Wer also von sozialem, solidarischem oder bedingungslosem Grundeinkommen redet, verwendet sprachliche Ausdrucksformen, die wahrscheinlich allen linken und auch sehr vielen sozialdemokratischen Seelen schmeichelt, auch wenn es aufgrund des Abbaus der bestehenden sozialen Sicherungssysteme, also des Abbaus gegenseitiger Solidarität, durchaus linke Kritik am Grundeinkommen gibt. Aber das reicht eben nicht. Wer die Idee einer starken Grundsicherung mehrheitsfähig machen will, muss auch das Lager der Skeptiker (im Durchschnitt wohl noch eher Konservative und Liberale) überzeugen. Er muss gewissermaßen sprachlich bei ihnen auswärts spielen.
 
Liberale glauben an den freien Markt, aber auch an die Freiheit des Individuums als Triebfeder für Produktivität und Wachstum. Genau hier könnte der strategische Schlüssel zu einer breiten Mehrheit für eine starke Grundsicherung liegen - etwa, indem man das Projekt "Freiheitssicherung" tauft. Nur derjenige, den keine existenziellen Sorgen plagen, kann die Rolle des der freien Marktwirtschaft zugrunde liegenden freien, selbstständigen und vernunftbegabten Wesens ausfüllen. Die heutige globale Marktwirtschaft macht vielen Angst, macht sie unfrei, eine sogenannte Freiheitssicherung würde sie in die Position bringen, die der Liberalismus als Menschenbild verficht. Das wäre ökonomisch sinnvoll und solidarisch zugleich - und zwischen beidem hätten man eine sprachliche Brücke geschlagen.

Über den Autor  
Johannes Hillje arbeitet als Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er bloggt unter www.rettetdiewahlen.eu und ist auf Twitter als @JHillje unterwegs. 


Nota. - Ein Missverständnis ist das Haupthindernis, das ist wahr. Aber es ist nicht bloß ein semantisches. Es ist ein perspektivisches. Dass Michael Müller das Thema neu aktualisiert hat, ist löblich. Dass er es aber wieder so dargestellt hat, als ginge es um Ausweitung und Totalisierung des Sozialstaats, ist ein Skandalon, der in den Mittelpunkt gestellt zu werden verdient. Ganz laut muss man sagen: Das Bedarfsunabhängige Grundeinkommen ist kein "linkes" Projekt. 

Es geht nicht um Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Nicht dass das belanglose Dinge wären. Aber hier stehen sie nicht zur Diskussion. Das Bedarfsunabhängige Grundeinkommen hat einen plausiblen Sinn als eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Arbeit:
aus Nicht erweitern, sondern vertiefen.

"Die Digitalisierung auch der industriellen Fertigungsprozesse, die viel älter ist als das Internet, überträgt nicht nur, wie die herkömmliche “Automatisierung”, die exekutiven Tätigkeiten, sondern auch die kombinatorischen (planerischen) Funktionen an die Maschine. Nicht nur körperliche Arbeit, sondern auch der größte Teil der intellektuellen Arbeiten im Fertigungsprozess wird nicht mehr von Menschen ausgeübt werden müssen. Auch hochqualifizierte Arbeiter werden überflüssig. Übrig bleibt für die lebendigen Menschen der eigentlich inventive Teil der intellektuellen Arbeit – im Fertigungsprozess wie in allen anderen Bereichen der gesellschaftlichen Reproduktion; nicht mehr so sehr ‘Arbeit’ als vielmehr ‘Kunst’.

Und haben wir uns das nicht schon immer gewünscht? Der springende Punkt ist aber, dass nach Marx intellek- tuelle Arbeit (und Kunst) grundsätzlich “unter ihrem Wert” verkauft werden muss. Doch wenn am Ende nur sie für den Menschen übrigbleibt, kann das nicht mehr unter Marktgesetzen geschehen. Mit andern Worten, die aufs Intellektuelle herabgebrochene Arbeitskraft kann auf die Dauer nicht Ware bleiben, von deren Verkauf allein sich die große Masse der Menschen ernähren muss. Die werden einen andern Lebensunterhalt finden müssen. Und finden können, weil die Digitale Revolution die Produktion so explosiv steigern wird, dass alle leben können, auch wenn sie nicht selber an der industriellen Fertigung beteiligt sind.

Darum ist das Bedarfsunabhängige Grundeinkommen sowohl notwendige Voraussetzung als auch unaus- weichliche Konsequenz der Digitalen Revolution."  

 
wird fortgesetzt
 
 
 
 
 

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