Wie verbreitete sich das Christentum über die Erde?
Ob diese Religion deshalb so erfolgreich wurde, weil sie von Mächtigen gefördert wurde, oder ob Unterprivilegierte die auch irdische Heilsbotschaft vorantrieben, ist umstritten. Zumindest in Austronesien setzten Missionare erfolgreich auf die Mächtigen.
Allerdings kann man diese Schachzüge auch umgekehrt interpretieren, darauf und auf den Inhalt der Glaubens- botschaft, die sozial Egalitäres wie Nächstenliebe im Zentrum hat, setzt die Bottom-up-Fraktion: Ihr zufolge war die römische Gesellschaft vor allem in ihren unterprivilegierten Teilen schon so vom auch irdischen Heilsver- sprechen durchdrungen, dass Konstantin gar nicht anders konnte, als auf dieser Welle zu reiten.
Wie soll man den Streit entscheiden? Viele Gesellschaften sind politisch hierarchisch organisiert und zugleich sozial in Klassen geschichtet. Und in viele kam das Christentum zuerst mit den Jüngern und dann mit anderen Missionaren früh, das Rekonstruieren ist schwierig. Aber in einer Region der Erde dauerte es, in Austronesien, das ist die Inselwelt des Pazifik, 1668 trafen erste Verbreiter des Christentums ein. Sie trafen auf höchst unter- schiedliche Gesellschaften: Manche, wie die der Isnegg auf einer Philippineninsel, waren in Familienverbänden egalitär organisiert, andere, wie die auf Hawaii, waren straff hierarchisch gegliedert, auch in den Sozialstruk- turen gab es viele Varianten. Und dann waren da noch Populationen, die ein paar Hundert Mitglieder umfassten, andere hatten Zehntausende.
Deshalb hat Joseph Watts (MPI Human History, Jena) die konkurrierenden Hypothesen in dieser Region getestet, in 70 Gesellschaften. In den meisten kam die Christianisierung rasch voran – im Durchschnitt war sie nach 30 Jahren abgeschlossen –, andere blieben bis heute weithin bei Naturreligionen, die Kwaio etwa auf den Solomon Islands, sie schlugen Missionare tot. Ganz anders auf Kapinmarangi, die gesamte Bevölkerung war nach einem Jahr konvertiert.
Nicht auf Druck von unten
Aber wo auch immer, ein Effekt der egalitären Botschaft zeigte sich nirgends: „Wir finden keine Evidenz, dass die Präsenz einer Unterklasse das Konvertieren begünstigte“, berichtet Watts. Das mag auch an den Missionaren gelegen sein: „Die Ressourcen der Mission auf den mächtigsten Führer konzentrieren, den man gewinnen kann!“ Das war die Devise eines der erfolgreichsten Missionare in Austronesien, John Williams (1796–1839), auf der Insel Erromango half sie ihm am Ende nichts, die Bewohner waren Kannibalen, sie töteten und verzehr- ten ihn.
Hängt Christianisierung also an der weltlichen Macht, kam sie durch deren Willen so weit? Nicht nur, ein dritter Faktor war noch wirkmächtiger als die Hierarchie, die Größe der Gesellschaft: Kleine soziale Einheiten werden rascher von Innovationen durchdrungen. Auch das war bisher umstritten, da in größeren und segmentierten Gesellschaften Innovationen rascher ersonnen werden. Aber bis sie sich dann durchgesetzt haben, dauert es (Nature Human Behaviour 23. 7.).
„Unser Befund ist vermutlich generalisierbar“, schließt Watts: „Es gibt ähnliche Muster des Konvertierens in Afrika und Lateinamerika, wo durch Missionare Naturreligionen rasch vom Christentum abgelöst wurden.“
Nota. - Welcher Erkenntnisgewinn wäre es, wenn man wüsste, nach welchen Gesetzen sich das Christentum ausgebreitet hat? Doch wohl nicht, dass man vorhersagen könnte, wie sowas beim nächsten Mal abläuft. Denn ein nächstes Mal wird es nicht geben. Allenfalls müsste sich eine neue Religion gegen ein etabliertes Christen- tum durchsetzen; aber das wäre eine ganz andere Geschichte.
Ist also aus der tatsächlich verlaufenen Geschichte nichts zu lernen? Die Frage lässt sich überhaupt erst sinnvoll stellen, wenn man sich darüber klargeworden ist, dass es sich jeweils nur um diese Einsicht in diese Geschichte handeln kann.
Dass das Oberhaupt eines Weltreichs eine anfänglich verfolgte, aber drei Jahrhunderte lang in den unteren Volksschichten erfolgreiche Glaubenslehre quasi über Nacht zur Staatsreligion erhebt, wird kein zweites Mal vorkommen. Man darf sich allerdings fragen, was ihn dazu bewogen hat. Das würde ein Licht werfen nicht nur auf seine individuelle mentale Verfassung - darüber wird im Fall Konstantins reichlich spekuliert -, sondern, was interessanter ist, auf den damaligen Zustand besagten Weltreichs.
Bereits Konstantins Vorgänger war auf die Idee verfallen, anstelle des synkretistischen, pluralistischen und partikularistischen heidnischen Amalgams eine allgemeine, die einzelnen Teile des Imperiums vereinigende Staatsreligion einzuführen: den im römischen Heer verbreiteten Kult des Sol invictus. Das hat nicht weit geführt, denn überall außer in den Legionen war er ein Fremdkörper. Es mag nun sein, dass Konstantin tatsächlich ein persönliches Bekehrungserlebnis hatte. Das erklärt aber nicht, weshalb der zweite Versuch erfolgreicher war als der erste. Der Umstand, dass das Christentum gerade nicht als ein von Kaiser und Heer oktroyierter künstlicher Kult von oben, sondern als ein aus dem Volk emporgewachsener Glaube erschien, mag den entscheidenen Unterschied ausgemacht haben.
Freilich hatte sich Konstantin damit auch in sektiererische theologische Verstrickungen eingelassen, die er nicht mit einem Machtwort auflösen konnte. An erster Stelle die einfache oder vielfache Natur Christi spaltete die Gemeinden. Konstantin ließ sich zunächst von den Arianern taufen. Aber als sich zeigt, dass er auf das lahmere Pferd gesetzt hatte, holte er die Taufe bei den siegreichen Athanasianern nach.
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Von der römischen Staatsverfassung und von der gesamten antiken Kultur hat allein die Kirche die europäische Völkerwanderung überlebt. In beiderlei Hinsicht konnte sie Karl der Große nicht entbehren. Als er sich gefallen ließ, dass der Bischof von Rom über die die römische Kaiserwürde bestimmte, hat er dem Christentum eine Machtposition verschafft, die keine andere Religion auf deer Erde je hatte.
JE
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