Sonntag, 21. August 2016

Der jungsteinzeitliche Fundort Wachtberg bei Krems.

aus Der Standard, Wien, 7. 8. 2016                                                  Wachtberg, Skelette dreier Säuglinge

Einblicke in das Leben jungpaläolithischer Jäger und Sammler
Aktuelle Untersuchungen an Funden vom Kremser Wachtberg liefern Hinweise auf erstaunliche Mobilität

von Kurt de Swaaf

Krems – Man hätte kaum einen besseren Platz wählen können. Im Westen bricht die Donau aus dem Wachauer Hügelland hervor, während gen Südosten der Blick über das weite Tullnerfeld schweifen kann. "Es ist eine besondere Geländesituation", sagt Ulrich Simon und meint damit auch das günstige Mikroklima. Die sonnenexponierte Hanglage sorgt für Wärme. Sogar im Winter bleibt es auf dem Wachtberg relativ mild, bis vor kurzem gediehen hier noch die Weinreben. Inzwischen prägen jedoch Wohnhäuser das Areal. Und es ist nicht das erste Mal, dass sich Menschen an diesem Fleck niedergelassen haben.

Ulrich Simon kennt sich vor Ort bestens aus. Der am Institut für Orientalische und Europäische Archäologie (OREA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien tätige Wissenschafter ist einer der Experten, die den Hang oberhalb der Kremser Altstadt in den vergangenen Jahren untersucht haben.

Hinweise auf Bestattungsriten

Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden dort erste Spuren eines steinzeitlichen Lagers entdeckt. Ab 1995 führten Fachleute neue Bohrungen und Probegrabungen durch und fanden in rund fünf Meter Tiefe eine vielversprechende Siedlungsschicht, ein echter Glücksfall für die Forschung. Weitere systematische Grabungen brachten reichlich Artefakte zutage. Internationales Aufsehen erregten vor allem die drei auf dem Wachtberg aufgefundenen rund 30.000 Jahre alten Säuglingsskelette. Zwei der verstorbenen Babys waren mit einem Mammutschulterblatt zugedeckt worden, auch einen natürlichen roten Farbstoff hatte man hinzugestreut – eindeutige Hinweise auf Bestattungsriten.

Für die Archäologie sind gleichwohl nicht nur solche spektakulären Funde wichtig. Die gewaltige Fülle an kleineren Stücken, vom Holzkohlekrümel bis zum Steinsplitter, liefert ebenfalls wertvolle Hinweise. Einen Großteil dieses Materials haben die Forscher im Umfeld einer ehemaligen Feuerstelle geborgen. Letztere war am Boden mit Steinplatten ausgelegt und wurde offenbar über mehrere Zeiträume hinweg genutzt. Es lassen sich mindestens fünf verschiedene Ascheschichten unterscheiden. "Dies ist eine multifunktionale Feuerstelle", erklärt Simon. Den Befunden nach betrieben sie die Steinzeitmenschen sowohl für die Nahrungszubereitung wie auch zum Wärmen. Das Feuer diente vermutlich als Mittelpunkt des Zusammenlebens. In der Asche wurden unter anderem geformte Lössstücke gefunden, die sich wie Lehm kneten ließen. Auch eine Tierfigur ist dabei. Zum Teil sind noch die Fingerabdrücke der Urheber erkennbar.

Wie aber schützten sich die Bewohner des prähistorischen Lagers auf dem Wachtberg gegen widrige Witterungsverhältnisse? Europa war vor rund 30.000 Jahren fest im Griff der letzten Eiszeit, in Österreich herrschte damals ein geradezu arktisches Klima. Die Menschen kampierten wohl kaum unter freiem Himmel, meint Simon. Von Hütten oder ähnlichen Behausungen gebe es allerdings keine Überbleibsel. In der Nähe der Feuerstelle weise der Lössboden jedoch viele kleine Grübchen auf. Diese, sagt der Archäologe, könnten durch abtropfendes Wasser von einem Zeltdach entstanden sein. Abgesehen davon wurden auch einige Löcher gefunden – womöglich Überreste von Pfostensetzungen. Vielleicht lebten die Urkremser in Zelten aus Leder, im Ansatz ähnlich konstruiert wie die mongolischen Jurten.

Scharfkantige Werkzeuge

Im Inneren solcher Wohnstätten mag es dank des Feuers angenehm warm gewesen sein. Die Flammen spendeten zudem Licht zum Arbeiten. Ulrich Simon und seine Kollegen fanden im direkten Umkreis des Herds mehr als 8000 verschiedene Steinartefakte: behauene Kerne, Abschläge und zahlreiche scharfkantige Werkzeuge. Zum Teil handelt es sich dabei um sogenannte Rückenmesser und Lamellen mit wenigen Zentimetern Länge. Solche Steinklingen wurden in die Spitzen von Jagdwaffen eingearbeitet.

Die Geschoßspitzen selbst bestanden aus Knochen oder Geweih, die schneidenden Teile lagen zu mehrt darin eingeschaftet und waren manchmal zusätzlich mit Birkenpech festgeklebt. Mit der Zeit wurden die Steinklingen allerdings stumpf, sagt Simon. "Wir gehen davon aus, dass man an der Feuerstelle Rückenmesser ausgetauscht hat." Dafür bedurfte es erhitzten Birkenpechs und warmer, gelenkiger Finger.

Ihrem Bearbeitungstypus nach lassen sich die Steinstücke dem Pavlovien, einer regionalen Kulturgruppe des jüngeren Paläolithikums, zuordnen. Charakteristisch sind vor allem die vielen feingezähnten Messerchen, wie Simon erläutert. "Was wir finden, ist eigentlich meist nur der Abfall", betont der Archäologe lachend.

Jagd auf Mammuts

Dieser Müll indes bietet sogar Hinweise auf die Mobilität der Pavlovianer. Analysen zufolge dürfte zwar das meiste Steinmaterial dem Kiesbett der damals schon durch die Wachau fließenden Donau entstammen, manches aber kam von weiter weg. Hornstein aus der Umgebung von Brno ist ebenso darunter wie Radiolarit vom St.-Veit-Klippengürtel bei Wien. Man fand auch Radiolarit aus den Weißen Karpaten, im heutigen Grenzgebiet zwischen Tschechien und der Slowakei (vgl.: Quaternary International, Bd. 406, S. 106).

"Diese Jäger und Sammler bewegten sich über größere Distanzen hinweg", sagt Simon. Wahrscheinlich folgten sie dabei den Wanderungen ihrer wichtigsten Beutetiere, der Mammuts, im Wechsel der Jahreszeiten. Die haarigen Giganten lieferten nicht nur nahrhaftes Fleisch und Fett, sondern auch Felle, Knochen und Elfenbein als Werkstoffe. Schmuck war bereits beliebt. Elfenbeinanhänger kommen an jungpaläolithischen Fundplätzen häufig vor.

Die Pavlovianer stellten allerdings vielerlei Wild nach. In Krems-Wachtberg kamen, neben Mammutgebeinen, auch Knochen von Rentieren, Wildpferden, Wölfen, Eisfüchsen, Vielfraßen und Schneehasen zutage. Die meisten diesen Arten findet man heute in Tundragebieten, doch während der Eiszeit waren sie typische Bewohner der Mammutsteppe, eines grasreichen, überaus produktiven Ökosystems mit zahlreichen Großsäugern. Beste Bedingungen also für die nomadischen Steinzeitjäger.  


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