Warum der Sufismus gar nicht so friedlich ist
Die Glaubensrichtung ist für viele Anhänger im Westen der liberalere Islam. Das ist ein Missverständnis.
Gastbeitrag von Stefan Weidner
Vom Anfang des 18. bis weit ins 20. Jahrhundert genoss die islamische Kultur einen ansehnlichen Ruf. Davon ist kaum etwas übrig geblieben. Allein der Sufismus, also die islamische Mystik, scheint noch davon zu zehren. Bereits Goethe hatte den mystischen Aspekt des Islam positiv hervorgehoben. Während der österreichische Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall den persischen Klassiker Hafis als weinseligen Liebesdichter übersetzte, erkannte Goethe in Hafis die "mystische Zunge".
Vom Pantheismus Spinozas geprägt, fand Goethe leichten Zugang zum Wechselspiel von Spiritualität und Weltlichkeit, das Hafis zur Meisterschaft entwickelt hatte. Seither gilt im Westen die liebestrunkene islamische Mystik als positives Gegenbild zu Orthodoxie und religiöser Engstirnigkeit.
Dieses nicht falsche, aber einseitige Bild hat sich bis in die Gegenwart gehalten und in die islamische Welt zurückgewirkt. Die Bewegung des türkischen Predigers Fethullah Gülen verweist gern auf ihre Anleihen beim Sufismus, was ihre ansonsten eher orthodoxe religiöse Orientierung gut kaschiert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan macht Gülen für den Putschversuch vor einigen Wochen verantwortlich und verfolgt echte und vermeintliche Anhänger unnachsichtig. Früher aber waren beide Weggefährten. Zusammen mit Erdoğan soll Gülen eine Zeit lang den im türkischsprachigen Teil Zyperns wirkenden Sufi-Meister des Naqschbandia-Ordens, Scheich Nazim, frequentiert haben. Scheich Nazim, so wird kolportiert, habe Erdoğans neuosmanische Visionen jedoch nicht teilen wollen, sodass sich ihre Wege bald trennten.
Ein Sufi-Orden ist kein Mönchsorden. Eher schon eine politische Partei.
Man sieht an diesem Beispiel, dass Sufismus mehr
und meist Anderes ist, als das, was man im christlichen Bereich unter
"Mystik" versteht. Ein Sufi-Orden ist keine sich von der Welt
abschließende Gemeinschaft wie ein christlicher Mönchsorden. Eher ähnelt
die Mitgliedschaft darin der in einem Sportverein oder einer
politischen Partei, nur eben mit religiöser Ausrichtung. Was viele
Menschen im Westen daran anzieht, ist nicht zuletzt das erwähnte
spirituelle Gemeinschaftserlebnis im Zikir, welches einmal in der Woche
die Adepten aus ihrem Alltag hebt.
Indem die Sufi-Orden ihre Mitglieder einbinden und spirituell betreuen, kommt ihnen eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion zu. Man dächte, sie wären die idealen Orte, um die psychisch instabilen, islamisch indoktrinierten Menschen aufzufangen, die für die Terrorpropaganda des sogenannten Islamischen Staates empfänglich scheinen. Doch leider schwindet in der islamischen Welt die Anziehungskraft des Sufismus, während der mit saudischem Geld finanzierte Salafismus zunehmend auch die spirituelle Führerschaft beansprucht.
In Algerien und Libyen kämpften die Sufi-Orden gegen die Kolonialmächte
Handke, Trojanow, Kermani - viele Autoren liebäugeln mit der islamischen Mystik
Findet hier noch ein echter Dialog mit der mystischen Tradition statt?
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