aus Der Standard, Wien, 21. August 2016, 18:07
Kugelrunde Objekte aus der Steinzeit geben Rätsel auf
Um zu klären, wozu die in Südafrika gefundenen Artefakte einst gedient haben mögen, führten Wissenschafter einige Tests durch
Bloomington – Man kann über die Hinterlassenschaften früherer Zeitalter Spekulationen anstellen, bis einem der Kopf raucht – manchmal erweist sich ein Schuss Praxisbezogenheit als hilfreich. 2013 etwa wurde eine Gruppe indigener Fährtenleser aus Namibia nach Europa eingeladen, um steinzeitliche Fußabdrücke in mehreren Pyrenäen-Höhlen zu interpretieren. Danach mussten Archäologen einige liebgewonnene Hypothesen darüber, was sich einst in diesen Höhlen zugetragen hatte, auf den Müll werfen.
Ein Forscherteam aus den USA und Großbritannien hat nun ebenfalls auf einen praktischen Ansatz gesetzt. Dabei wurde zwar auf indigene Nachhilfe verzichtet, aber dafür auf einen interdisziplinären Ansatz gesetzt. An der im Fachmagazin "Scientific Reports" erschienenen Studie waren neben Archäologen auch Psychologen und Kinesiologen beteiligt. Uralte Kugeln Untersuchungsgegenstand waren annähernd kugelförmige Steinobjekte, die vor knapp 30 Jahren in einer Höhle, der Cave of Hearths, im südafrikanischen Makapan-Tal entdeckt worden waren. Die tennisballgroßen Objekte wurden auf ein Alter von 1,8 Millionen bis 70.000 Jahre vor unserer Zeit datiert. Umgelegt auf die menschliche Evolution ist das eine enorme Spannweite: Die älteste Marke läge noch in der Anfangszeit des Homo erectus, während die jüngste bereits in die Ära des Homo sapiens fiele.
Die Forscher bezeichnen die Objekte zwar als Artefakte, doch sieht es eher danach aus, dass natürliche Steine gezielt in Hinblick auf ihre Zweckmäßigkeit ausgewählt und aufbewahrt als tatsächlich bearbeitet wurden. Die wichtigste Frage lautet aber: Wozu haben diese Steine gedient? Waren es Waffen zur Verteidigung oder zur Jagd – oder Werkzeuge, die einem ganz anderen Zweck – zum Beispiel dem Zermahlen von Pflanzenmaterial – dienten?
Ballistische Berechnungen
Um das zu klären, übten sich die Forscher um Andrew Wilson von der Beckett Leeds University und Qin Zhu von der University of Wyoming im Werfen – auch wenn sie die wissenschaftlich wertvollen Objekte nicht direkt durch die Gegend schmissen, sondern sie genau vermaßen und die Werte in Modellrechnungen einfügten. Ein Sample von 55 Steinzeitkugeln wurde so getestet. Es zeigte sich, dass stolze 81 Prozent der Kugeln in Größe, Form und Gewicht ideal geeignet sind, um sie 25 Meter weit zu werfen: Das ist laut biometrischen Messungen die durchschnittliche Entfernung, auf die wir Menschen ein Ziel durch einen Wurf über die Schulter besonders gut treffen können: Unsere Arm- und Schulteranatomie ist in Zusammenspiel mit unserem Gesichtssinn darauf geradezu angelegt, so die Forscher. Kein anderer Primat könnte diese Bewegung nachahmen.
Und die Einschlagswucht eines solchen Steins auf einem mittelgroßen Ziel – etwa einer Impala-Antilope – wäre überaus effektiv, so die Berechnungen. Schlüsselrolle für die menschliche Entwicklung Würde es sich beispielsweise um Mahlsteine handeln, käme es primär auf ein hohes Gewicht an. Zwar können die Kugeln aus der Cave of Hearths auch dafür eingesetzt worden sein und somit als multifunktionale Werkzeuge gedient haben. Doch war das Gesamtpaket aus Größe, Form und Gewicht laut den Forschern zu sehr auf ballistische Eigenschaften zugeschnitten, als dass dies ein Zufall sein könnte.
Die südafrikanischen Kugelsteine dürften also zumindest auch Wurfobjekte gewesen sein, lautet das Fazit der Studie: Jagdwaffen aus einer Zeit, als es noch keine Speere gab. Geoffrey Bingham von der Indiana University betont, dass Steinwerfen eine Schlüsselrolle in der Entwicklung des menschlichen Jagdverhaltens gespielt habe. (red.)
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Scientific Reports: "A Dynamical Analysis of the Suitability of Prehistoric Spheroids from the Cave of Hearths as Thrown Projectiles"
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