Dienstag, 4. März 2014

Ägyptens Wirtschaft.

aus NZZ, 4. 3. 2014


Neue Regierung steht vor alten Problemen
Keine Anzeichen für eine schnelle Besserung der Wirtschaft in Ägypten

von Astrid Frefel, Kairo 

Die ägyptische Übergangsregierung von Hazem Beblawi ist an den Wirtschaftsproblemen des Landes zugrunde gegangen. Ihre expansive Finanzpolitik hat die interne Verschuldung weiter erhöht. Der Privatsektor leidet unter strukturellen Defiziten. 

Einer der Hauptgründe für den Rücktritt des ägyptischen Kabinetts von Premier Hazem Beblawi ist die Streikwelle, die seit Wochen durch das Land rollt. Es streiken Staatsangestellte, die den versprochenen Lohn nicht erhalten haben. Mitarbeiter von privaten Firmen, die höhere Gehälter verlangen, legen ebenfalls ihre Arbeit nieder. Bessere Arbeitsbedingungen und Lohnrückstände sind weitere Gründe für die vielen Streiks im ganzen Land.

Überall Firmenpleiten

Beblawi hatte sein Amt nach der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi durch die Armee im vergangenen Juli angetreten. In den folgenden Monaten verschlechterte sich die Sicherheit, und der Tourismus erreichte ein neues Rekordtief. Als Folge mussten zahlreiche Firmen schliessen. Zwischen Juli und September 2013 gingen rund 30 000 Arbeitsplätze verloren. Das Wachstum des Bruttoinlandproduktes (BIP) betrug im 3. Quartal 2013 magere 1% gegenüber einem Durchschnitt von 2,5% in der Zeit seit der Revolution vom Januar 2011. Die Regierung Beblawi versuchte mit einer expansiven Finanzpolitik Gegensteuer zu geben und mit höheren Staatsausgaben die Investitionstätigkeit sowie den privaten Konsum anzukurbeln.

Den Angestellten des öffentlichen Dienstes wurde zu Jahresbeginn ein Lohn von mindestens 1200 ägypt. £ (knapp 160 Fr.) versprochen, während die höchsten Gehälter auf den 35-fachen Wert festgesetzt und dann gleichzeitig viele Ausnahmen zugelassen wurden. Kürzlich beschloss die alte Regierung eine Rentenerhöhung, und noch vor wenigen Tagen gewährte der Staatspräsident der Polizei eine Gehaltsaufbesserung. Im September 2013 und im Februar 2014 wurden zudem zwei Investitionsprogramme von 29,6 Mrd. £ (rund 3,95 Mrd. Fr.) und 33,9 Mrd. £ (4,5 Mrd. Fr.) aufgelegt. Ziel dieser Massnahmen ist es, das Wirtschaftswachstum auf 3,5% zu steigern.

Erhöhungen nicht budgetiert

Nicht alle Staatsangestellten haben den versprochenen Lohn erhalten. Die zusätzlichen Ausgaben waren in den Budgets vieler der betroffenen Organisationen nicht eingeplant, weil der Regierungsentscheid mitten im Finanzjahr gefallen ist. Ein anderes Gehaltsgefüge hätte ohnehin zunächst die Anpassung des gesamten Entlöhnungssystems notwendig gemacht, um nicht neue Verzerrungen zu schaffen. Zudem haben gehaltliche Zugeständnisse im Staatswesen, die häufig zur Aufrechterhaltung der Loyalität der Beamten erfolgen, Druck auf die Privatunternehmen geschaffen, bei den Gehältern nachzuziehen. Der Unmut enttäuschter Arbeitnehmer entlädt sich jetzt vielerorts in Streiks. Die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit war ein Schlüsselmotiv der Massenproteste im Revolutionsjahr 2011 gewesen. Der neue Regierungschef Ibrahim Mahlab hat angekündigt, dass er das Gespräch mit den Streikenden suchen und die Kommunikation verbessern werde.

Die grösste Schwäche sei der sich stetig verschlimmernde Zustand der öffentlichen Finanzen, hält auch die Rating-Agentur Fitch in ihrem neusten Bericht fest. Er ergibt sich aus einer Kombination von sinkenden Einnahmen und höheren Ausgaben. Neben den steigenden Löhnen sind es insbesondere die ausufernden Subventionen - allein für Energie 128 Mrd. £ (rund 17 Mrd. Fr.) -, die im Finanzjahr 2013 zu einem Budgetdefizit von 13,7% des BIP geführt haben. Die Regierung Beblawi habe zudem keine Visionen gehabt, wie das Budgetdefizit abzubauen sei, werfen ihr Kritiker aus Wirtschaftskreisen vor. Sie hat sich genauso wenig an das «heisse Eisen» Subventionen gewagt wie die Vorgängerregierungen, obwohl bekannt ist, dass vor allem die Subventionen von Benzin überproportional den weniger Bedürftigen zugutekommen. Auch von den Lebensmittelsubventionen profitieren viele Reiche.

Die expansive Fiskalpolitik mit steigender interner Verschuldung (fast 85% des BIP) über die vergangenen zwei Jahre lasse wenig Raum für die Finanzierung des privaten Sektors, warnt die Weltbank in ihrem neusten Quartalsbericht. Das Wirtschaftswachstum werde zudem durch die bekannten Strukturschwächen gehemmt, wie zu wenig Investitionen in Industrie sowie Infrastruktur und die Verstrickung von Firmen mit der Politik, die Marktzugang und Wachstum neuer Unternehmen blockierten.

Mehr Schwarzarbeit

Die Folge der Schwäche in fast allen Schlüsselbranchen sei eine Ausweitung des informalen Sektors, hält die Weltbank fest. Die neue Führungsmannschaft Ägyptens, die am vergangenen Wochenende vereidigt wurde, muss sich daher denselben Herausforderungen wie die Regierung Beblawi stellen.

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