Samstag, 8. März 2014

Die Welt wird immer friedlicher.

aus NZZ, 8. 3. 2014                                                                                                    Angelika Koch-Schmid, pixelio.de

Trotz Kriegen nimmt die Gewalt weltweit ab
Ein für die Uno erstellter Expertenbericht untersucht die menschliche Sicherheit weltweit und kommt zu einem überraschenden Ergebnis

von George Szpiro, New York 

Ein Uno-Bericht stellt eine weltweite Abnahme der Gewalt fest. Dafür sei auch die Arbeit internationaler Organisationen verantwortlich. Über die Methodik für solche Studien besteht unter Experten allerdings Uneinigkeit. 

Die Gewalt auf der ganzen Welt hat abgenommen. Dies ist das überraschende Fazit des jüngsten Berichts des Human Security Report Project, der zu einem beträchtlichen Teil vom EDA finanziert wird. Die Studie zur weltweiten Sicherheitslage wurde diese Woche an der Uno in New York von Andrew Mack präsentiert, Professor für internationale Studien und Direktor des Projekts. Mit der verblüffenden Feststellung bekräftigt der Bericht die These des Harvard-Professors Steven Pinker. In einem umstrittenen Buch («The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined») hatte er behauptet, dass die Menschheit heute in der friedlichsten Epoche aller Zeiten lebe.

Divergierende Ansichten

Angesichts des Blutvergiessens in Syrien und Afghanistan, des «arabischen Frühlings», des drohenden Konflikts in der Ukraine mag eine solche Feststellung fragwürdig klingen. Folgerichtig, so scheint es, bezeugte denn auch 2012 der amerikanische General Martin Dempsey vor einem Ausschuss des amerikanischen Senats, dass die Welt gefährlicher geworden sei, als sie es je war. Der Direktor des Nationalen Nachrichtendienstes James Clapper erklärte in einem Interview sogar, dass er während seiner fünfzig Dienstjahre im Nachrichtendienst nie mit einer breiter gefächerten Palette von Krisensituationen zu tun gehabt habe. Der Human Security Report 2013 analysiert, wie Pinker und die amerikanischen Militärs und Beamten zu solch diametral entgegengesetzten Ansichten kommen konnten.

Statistische Messmethoden

Teilweise führt Mack die divergierenden Einschätzungen auf die Messmethoden zurück, die für die Vergleiche herangezogen werden. Zum Beispiel forderte der Zweite Weltkrieg 55 Millionen Tote und war unbestrittenermassen der verlustreichste Waffengang der Geschichte. Berechnet man aber die Zahl der Opfer im Verhältnis zur Weltbevölkerung, war die mongolische Invasion im 13. Jahrhundert mit 30 Millionen Toten, was damals 7,5 Prozent der Erdbewohner entsprach, weitaus verheerender; von 1939 bis 1945 wurden demgegenüber «nur» 2 Prozent der Weltbevölkerung getötet, womit der Zweite Weltkrieg lediglich zum neuntblutigsten Konflikt aller Zeiten würde.

Auch dies ist jedoch, statistisch gesehen, nicht das letzte Wort. Die mongolische Invasion wütete während eineinhalb Jahrhunderten, der Zweite Weltkrieg während sechs Jahren. Deshalb propagiert Mack die Berücksichtigung der Anzahl Opfer pro Jahr in Proportion zur Weltbevölkerung. Dadurch wird der Zweite Weltkrieg mit 400 Toten pro Jahr pro 100 000 Erdbewohner wieder die opferreichste Auseinandersetzung aller Zeiten. Hat Pinker somit unrecht?

Befürworter von Pinkers These bezeichnen den Zweiten Weltkrieg als statistischen Ausreisser, der einem dauerhaften Trend nach unten nicht widerspreche. Wie viele Ausreisser darf es geben, bevor die These revidiert werden muss? Auf solche Fragen könne der Bericht keine eindeutige Antwort geben, sagt Mack und legt stattdessen eine weitere Methode zur Messung der Kriegsfolgen vor: Kriegstote als Prozentsatz aller vorzeitig Verstorbenen, sei es durch Kriminalität, Krankheiten, Hungersnöte oder eben Kriege. Laut Pinker waren in prähistorischen Zeiten etwa 15 Prozent aller vorzeitigen Todesfälle auf Gewaltakte zurückzuführen. Im 17. Jahrhundert waren es 2 Prozent, im 20. Jahrhundert 3 Prozent. Kritiker meinen, dass die spärlichen archäologischen Daten zu fragmentarisch seien, als dass sie mit späteren Angaben verglichen werden könnten.

Nicht nur Kriegsopfer

Überhaupt stehen Kriege laut dem Human Security Report nur hinter einem Teil der durch Gewalt verursachten Todesfälle. Mack zitiert die Geneva Declaration on Armed Violence aus dem Jahre 2006, laut der heutzutage bloss etwa 10 Prozent der durch Gewalt erfolgten Todesfälle auf Kriege zurückzuführen sind. Der weitaus grössere Teil der gewaltsamen Todesfalle geht auf kriminelle Aktivitäten zurück. Zwar seien gültige Statistiken über verbrecherische Bluttaten schwer erhältlich, da viele Staaten ihre Zahlen nicht dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung meldeten, und historische Vergleichsdaten seien sowieso unverlässlich, doch hat die Zahl der Mordopfer laut Pinker in Westeuropa von etwa 50 pro 100 000 Menschen im 14. Jahrhundert auf heute wenig mehr als eines abgenommen.

Ausnahmefälle sind die Bandenkriege in Zentral- und Südamerika, die in jüngster Zeit signifikant zugenommen haben. Bandenkriege in Mexiko forderten im Jahre 2011 mit 13 000 Opfern mehr Tote als die Kriege in Afghanistan oder im Sudan. Aber auch da gibt es statistische Überraschungen. Wenn nämlich Quoten verglichen werden, liegt Mexiko mit 24 Bandenkriegs-Opfern pro 100 000 Einwohner weit hinter Guatemala mit fast 40, El Salvador mit 70 und Honduras mit 92.

Keine Selbstgefälligkeit

Insgesamt gibt der Bericht Grund zu etwas Optimismus. Die Zahl internationaler Konflikte habe seit dem Zweiten Weltkrieg, die der Bürgerkriege seit Ende des Kalten Krieges abgenommen. Mack führt die positiven Entwicklungen auf wirksame, wenn auch nicht sehr effiziente Anstrengungen der Uno und anderer internationaler Institutionen zurück. Vermittelnde Bemühungen, friedensfördernde Massnahmen, gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit, Demokratisierung, verbesserte Staatsgewalt trügen zur Reduktion der Gewaltanwendung bei.

Nicht zu unterschätzen sei auch die normative Kraft der Ächtung militärischer Waffengewalt durch die Staatengemeinschaft. Der Bericht schliesst mit der vorsichtigen Feststellung, dass die Welt immer noch ein gefährlicher Ort sei, dass die Gefahr aber abnehme. Allerdings dürfe dies nicht zu Selbstgefälligkeit führen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen