Trotz Kriegen nimmt die Gewalt weltweit ab
Ein für die Uno erstellter Expertenbericht untersucht die menschliche Sicherheit weltweit und kommt zu einem überraschenden Ergebnis
Ein für die Uno erstellter Expertenbericht untersucht die menschliche Sicherheit weltweit und kommt zu einem überraschenden Ergebnis
von George Szpiro, New York
Ein Uno-Bericht stellt eine weltweite Abnahme der Gewalt fest. Dafür sei auch die Arbeit internationaler Organisationen verantwortlich. Über die Methodik für solche Studien besteht unter Experten allerdings Uneinigkeit.
Die Gewalt auf der ganzen Welt hat abgenommen. Dies ist das überraschende Fazit des jüngsten Berichts des Human Security Report Project, der zu einem beträchtlichen Teil vom EDA finanziert wird. Die Studie zur weltweiten Sicherheitslage wurde diese Woche an der Uno in New York von Andrew Mack präsentiert, Professor für internationale Studien und Direktor des Projekts. Mit der verblüffenden Feststellung bekräftigt der Bericht die These des Harvard-Professors Steven Pinker. In einem umstrittenen Buch («The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined») hatte er behauptet, dass die Menschheit heute in der friedlichsten Epoche aller Zeiten lebe.
Divergierende Ansichten
Angesichts des Blutvergiessens in
Syrien und Afghanistan, des «arabischen Frühlings», des drohenden
Konflikts in der Ukraine mag eine solche Feststellung fragwürdig
klingen. Folgerichtig, so scheint es, bezeugte denn auch 2012 der
amerikanische General Martin Dempsey vor einem Ausschuss des
amerikanischen Senats, dass die Welt gefährlicher geworden sei, als sie
es je war. Der Direktor des Nationalen Nachrichtendienstes James Clapper
erklärte in einem Interview sogar, dass er während seiner fünfzig
Dienstjahre im Nachrichtendienst nie mit einer breiter gefächerten
Palette von Krisensituationen zu tun gehabt habe. Der Human Security
Report 2013 analysiert, wie Pinker und die amerikanischen Militärs und
Beamten zu solch diametral entgegengesetzten Ansichten kommen konnten.
Statistische Messmethoden
Teilweise führt Mack die
divergierenden Einschätzungen auf die Messmethoden zurück, die für die
Vergleiche herangezogen werden. Zum Beispiel forderte der Zweite
Weltkrieg 55 Millionen Tote und war unbestrittenermassen der
verlustreichste Waffengang der Geschichte. Berechnet man aber die Zahl
der Opfer im Verhältnis zur Weltbevölkerung, war die mongolische
Invasion im 13. Jahrhundert mit 30 Millionen Toten, was damals 7,5
Prozent der Erdbewohner entsprach, weitaus verheerender; von 1939 bis
1945 wurden demgegenüber «nur» 2 Prozent der Weltbevölkerung getötet,
womit der Zweite Weltkrieg lediglich zum neuntblutigsten Konflikt aller
Zeiten würde.
Auch dies ist jedoch, statistisch gesehen, nicht das letzte Wort. Die mongolische Invasion wütete während eineinhalb Jahrhunderten, der Zweite Weltkrieg während sechs Jahren. Deshalb propagiert Mack die Berücksichtigung der Anzahl Opfer pro Jahr in Proportion zur Weltbevölkerung. Dadurch wird der Zweite Weltkrieg mit 400 Toten pro Jahr pro 100 000 Erdbewohner wieder die opferreichste Auseinandersetzung aller Zeiten. Hat Pinker somit unrecht?
Auch dies ist jedoch, statistisch gesehen, nicht das letzte Wort. Die mongolische Invasion wütete während eineinhalb Jahrhunderten, der Zweite Weltkrieg während sechs Jahren. Deshalb propagiert Mack die Berücksichtigung der Anzahl Opfer pro Jahr in Proportion zur Weltbevölkerung. Dadurch wird der Zweite Weltkrieg mit 400 Toten pro Jahr pro 100 000 Erdbewohner wieder die opferreichste Auseinandersetzung aller Zeiten. Hat Pinker somit unrecht?
Befürworter von Pinkers These
bezeichnen den Zweiten Weltkrieg als statistischen Ausreisser, der einem
dauerhaften Trend nach unten nicht widerspreche. Wie viele Ausreisser
darf es geben, bevor die These revidiert werden muss? Auf solche Fragen
könne der Bericht keine eindeutige Antwort geben, sagt Mack und legt
stattdessen eine weitere Methode zur Messung der Kriegsfolgen vor:
Kriegstote als Prozentsatz aller vorzeitig Verstorbenen, sei es durch
Kriminalität, Krankheiten, Hungersnöte oder eben Kriege. Laut Pinker
waren in prähistorischen Zeiten etwa 15 Prozent aller vorzeitigen
Todesfälle auf Gewaltakte zurückzuführen. Im 17. Jahrhundert waren es 2
Prozent, im 20. Jahrhundert 3 Prozent. Kritiker meinen, dass die
spärlichen archäologischen Daten zu fragmentarisch seien, als dass sie
mit späteren Angaben verglichen werden könnten.
Nicht nur Kriegsopfer
Überhaupt stehen Kriege laut dem
Human Security Report nur hinter einem Teil der durch Gewalt
verursachten Todesfälle. Mack zitiert die Geneva Declaration on Armed
Violence aus dem Jahre 2006, laut der heutzutage bloss etwa 10 Prozent
der durch Gewalt erfolgten Todesfälle auf Kriege zurückzuführen sind.
Der weitaus grössere Teil der gewaltsamen Todesfalle geht auf kriminelle
Aktivitäten zurück. Zwar seien gültige Statistiken über verbrecherische
Bluttaten schwer erhältlich, da viele Staaten ihre Zahlen nicht dem
Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung
meldeten, und historische Vergleichsdaten seien sowieso unverlässlich,
doch hat die Zahl der Mordopfer laut Pinker in Westeuropa von etwa 50
pro 100 000 Menschen im 14. Jahrhundert auf heute wenig mehr als eines
abgenommen.
Ausnahmefälle sind die
Bandenkriege in Zentral- und Südamerika, die in jüngster Zeit
signifikant zugenommen haben. Bandenkriege in Mexiko forderten im Jahre
2011 mit 13 000 Opfern mehr Tote als die Kriege in Afghanistan oder im
Sudan. Aber auch da gibt es statistische Überraschungen. Wenn nämlich
Quoten verglichen werden, liegt Mexiko mit 24 Bandenkriegs-Opfern pro
100 000 Einwohner weit hinter Guatemala mit fast 40, El Salvador mit 70
und Honduras mit 92.
Keine Selbstgefälligkeit
Insgesamt gibt der Bericht Grund
zu etwas Optimismus. Die Zahl internationaler Konflikte habe seit dem
Zweiten Weltkrieg, die der Bürgerkriege seit Ende des Kalten Krieges
abgenommen. Mack führt die positiven Entwicklungen auf wirksame, wenn
auch nicht sehr effiziente Anstrengungen der Uno und anderer
internationaler Institutionen zurück. Vermittelnde Bemühungen,
friedensfördernde Massnahmen, gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit,
Demokratisierung, verbesserte Staatsgewalt trügen zur Reduktion der
Gewaltanwendung bei.
Nicht zu unterschätzen sei auch
die normative Kraft der Ächtung militärischer Waffengewalt durch die
Staatengemeinschaft. Der Bericht schliesst mit der vorsichtigen
Feststellung, dass die Welt immer noch ein gefährlicher Ort sei, dass
die Gefahr aber abnehme. Allerdings dürfe dies nicht zu
Selbstgefälligkeit führen.
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