aus NZZ, 8. 3. 2014 günther gumhold, pixelio.de
Salz
von Samuel Herzog · Im
Anfang war das Salz - und das Salz war bei Tisch, lange vor der
Erfindung des ersten Möbelstücks. Ohne Salz ist nichts gemacht, was
gemacht ist, so könnte man in leicht verkrümmter Anlehnung an den
Evangelisten Johannes weiterfahren - auf jeden Fall schmeckt, was
gekocht ist, ohne Salz in der Regel so sehr nach nichts, dass es
geradezu als «nicht gemacht» angesehen werden kann. Unabdingbar ist Salz
aber nicht wegen seines Geschmacks, sondern weil es andere Aromen für
uns wahrnehmbar macht, für unseren Gaumen aufschliesst. Da haben wir
nach allen Regeln der Würzkunst ein orientalisches Ragout gekocht,
dessen Duft allein schon den Kara Ben Nemsi in uns weckt. Im Mund
hingegen schmeckt die geschmorte Sindbadiade nur lau nach ein paar
kraftlosen Spezereien. Dann aber streuen wir ein Löffelchen Salz über
das Fleisch, und schon steigt das Aroma wie eine Morgensonne in der
Speise auf - was eben noch trübe vor sich hin dümpelte, strahlt nun in
hellem Licht. Das ist es wohl: Salz ist Licht, zumindest bringt es Licht
in die Speisen, in die Welt.
Heute ist Salz ein billiger Stoff -
denn man hat herausgefunden, dass es in nahezu jeder Gegend der Welt
auch Salzvorkommen gibt. Jahrtausendelang aber war Salz so begehrt, dass
seinetwegen Intrigen ausgeheckt und Kriege ausgefochten, Handelsrouten
angelegt und zahllose Abkommen getroffen, Erfindungen vorangetrieben und
Expeditionen unternommen wurden. Auf gewisse Weise verdanken wir dem
Salz sogar die Erfindung der Steuer - war es doch das erste Gut, dessen
Verkauf mit Taxen belegt wurde. Salz ist das globalste aller
Lebensmittel, ja die Geschichte der Welt könnte gut auch als eine
Geschichte des Salzes geschrieben werden.
Die Naturwissenschaft lässt uns
wissen, dass die Welt ohne Salz auseinanderbrechen würde - und wir ohne
diesen Stoff zum Beispiel das für uns nötige Wasser nicht speichern
könnten und folglich austrocknen würden. Trotzdem rät uns die Medizin,
Salz nur sparsam zu konsumieren - weshalb sich ein Teil der Menschheit
heute einem salzarmen Leben verschrieben hat, derweilen sich der andere
Teil die Suppe partout nicht entsalzen lassen will.
Dass diese zwei Lager mit grosser
Leidenschaft gegeneinander antreten, überrascht nur wenig - hatte der
Mensch doch immer schon eine geradezu obsessive Beziehung zum Salz. Kaum
erstaunlich, war Salz doch auch als Konservierungsmittel für das
Überleben von zentraler Bedeutung - mindestens bis zur Erfindung von
Konservendose und Tiefkühlgerät. Das allein erklärt die Obsession aber
vielleicht noch nicht ganz. Salz ist auch ein Wunder, in mehrfacher
Hinsicht: Es ist das einzige Gestein, das dem Menschen als Lebensmittel
dient - und es kann zum Beispiel auf geradezu mirakulöse Weise aus
Wasser gewonnen werden, um sich dann auch wieder in Wasser aufzulösen.
Es gibt kaum eine heilige Schrift, die nicht auch Hinweise zum rechten
Umgang mit Salz enthält oder es wenigstens als Metapher für Bedeutsames,
Unabdingbares oder Sakrales zum Einsatz bringt.
«Ihr seid das Salz der
Erde», sagt etwa Jesus in der Bergpredigt zu seinen Jüngern. Die Kinder
Gottes als der Stoff, der die Erde würzt, konserviert, im Innersten
zusammenhält? Der Mensch hatte schon immer eine erstaunlich hohe Meinung
von sich - Jesus war da offenbar keine Ausnahme.
Der Psychoanalytiker Ernest Jones
hat der menschlichen Leidenschaft für Salz zu Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts einen längeren Aufsatz gewidmet - und der Menschheit eine
irrationale Fixierung auf das Thema Salz diagnostiziert, mit unbewussten
sexuellen Konnotationen. Er erzählt unter anderem, dass auf Schiffen
mit Salz an Bord immer eine besonders krasse Mäuseplage herrschte - und
man deshalb früher geglaubt habe, Mäuse könnten sich auch ohne
Geschlechtsverkehr reproduzieren, einfach indem sie sich ins Salz
legten. Sicher hätte Jones auch den 400-Meter-Champion Omo Diparrepus
zitiert, der 1999 in einem Interview gestand, der absolut erotischste
Moment seines Lebens sei jener gewesen, als ihm seine heutige Frau nach
dem letzten grossen Sieg seiner Karriere in der Garderobe das Salz aus
den Brusthaaren leckte. Das erinnert an einen Pariser Stich von 1157,
auf dem Frauen ihre Männer mit Salz einreiben, um sie so «gesund» zu
machen - Sport galt damals wohl noch als eine überflüssige Anstrengung.
Wenn man ein paar Salzflocken auf
seiner Zunge zergehen lässt, dann provoziert dies ein Prickeln, das
zugleich auf fast erregende Weise angenehm ist - und doch auch
gefährlich wirkt. Erwischt man etwas zu viel von dem Stoff, so trocknet
das Salz einem die Zunge aus, macht sie pelzig und wund, ja es verbrennt
sie geradezu. Es gibt kaum ein anderes Lebensmittel, das so bedrohlich
schmecken kann - allenfalls liesse sich mit einer zünftigen Chilischote
ähnlich Existenzielles erleben. Es ist, als merke man auch im Mund, was
für eine machtvolle Sache das Salz ist, was für eine unglaubliche Kraft
es hat, zu transformieren oder zu bewahren, Leben zu erhalten oder zu
zerstören.
Die WHO empfiehlt, das Salz vom
Tisch zu nehmen - das kommt einigen Restaurateuren sehr entgegen, die
überzeugt sind, dass sie ganz genau wissen, wie viel Salz für ihre Gäste
genug ist. Manche unter uns führen deshalb jederzeit ein kleines
Döschen Salzflocken mit. Auf Reisen gibt es uns das Vertrauen, dass wir
für die Begegnung mit dem Fremden gewappnet sind - und zu Hause gibt es
uns das Gefühl, dass auch wir die Welt verändern können, wenn auch
vielleicht nicht den Lauf der Dinge, so doch wenigstens die Art und
Weise, wie sie auf uns wirken.
Nota. - Salz war, als ein von jedermann jederzeit benötigtes, leicht zu konservierendes und unendlich teilbares Nahrungsmittel, auch das erste allgemeine Tauschmittel - Geld. Der lateinische Name der Lohnarbeit, salarium, stammt daher, dass der Sold von Beamten und Legionären anfangs in Salz ausgezahlt wurde..
JE
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