aus nzz.ch, 6.9.2016, 07:00 Uhr
Umstrittene Thesen des Ökonomen Galor
Weshalb der Wohlstand so ungleich verteilt ist
Ökonomen versuchen seit langem, die Quellen des Wohlstands zu ergründen. Oded Galor von der Brown University ist an einer Ökonomentagung für eine Erklärung in die Menschheitsgeschichte eingetaucht.
von Christoph Eisenring, Augsburg
Weshalb sind die Wohlstandsunterschiede zwischen den Ländern derart gross? Man kommt rasch darauf, dass Länder verschieden stark in Infrastruktur oder in Bildung investieren. Doch mit dieser Erklärung gibt sich Oded Galor, Professor an der renommierten Brown Universityin Rhode Island, nicht zufrieden. Der Forscher ist vielmehr überzeugt, dass ein wichtiger Grund weit zurück in der Menschheitsgeschichte zu finden ist, wie er im Gespräch darlegt.
Galor ist einer der Hauptreferenten an der Tagung des Vereins für Socialpolitik in Augsburg, an der bis Mittwoch 500 meist deutschsprachige Ökonomen ihre Arbeiten vorstellen. Er hat eine so radikale wie umstrittene These: Eine bedeutende Rolle spielt für ihn der genetische Mix der Bevölkerung. Und dieser Mix hat sich vor Tausenden Jahren ausgeprägt, als einzelne Gruppen des Homo sapiens die Wiege der Menschheit in Ostafrika verliessen. In Europa kam der moderne Mensch vor etwa 40 000 Jahren an.
Jenseits von Afrika
Als sich eine Gruppe aus Ostafrika gelöst habe und sich dann wieder teilte, hätten deren Mitglieder immer nur eine Teilmenge der genetischen Ausprägungen der grösseren Gruppe mit sich genommen, erläutert Galor. Die Bevölkerung Äthiopiens habe bis heute eine hohe genetische Vielfalt, weil dort die Wiege der Menschheit stehe, das weit davon entfernte Bolivien dagegen eine geringe, argumentiert der Forscher. Galor und sein Co-Autor Quamrul Ashraf haben nun die wirtschaftliche Entwicklung mit dieser Vielfalt in Beziehung gesetzt. Ihr Resultat ist überraschend: Ein Sechstel der heutigen globalen Einkommensunterschiede lasse sich durch Unterschiede im genetischen Mix erklären.
Dieser Effekt ist laut ihren Berechnungen mehr als doppelt so stark wie derjenige von Institutionen, man denke an Eigentumsrechte und Rechtssicherheit. Und auch die geografische Lage eines Landes weist mit 10% einen geringeren Erklärungsgehalt für die Wohlstandsunterschiede auf.
Der optimale Grad an Vielfalt
Laut Galor gibt es nun Gesellschaften, deren genetischer Mix (nicht einzelne Gene) eher mit wirtschaftlichem Erfolg einhergeht als derjenige anderer Länder. Grosse genetische Vielfalt wie in Ostafrika sei nicht per se gut, weil sie mit mehr Konflikten sowie geringerem Vertrauen verbunden sei. Doch Vertrauen ist für gedeihliches Wirtschaften wichtig. Auch wenig Vielfalt wie in Bolivien sei dem Wohlstand abträglich, da darunter die Fähigkeit einer Gesellschaft leide, sich rasch neuen Situationen anzupassen. Staaten mit hohem Wohlstand befinden sich laut den Berechnungen in einer mittleren Position.
Dazu gehören etwa die USA, aber auch viele westeuropäische Länder wie Deutschland und die Schweiz. Dagegen könnte Äthiopien – wären alle anderen Faktoren in den Ländern vergleichbar – sein Pro-Kopf-Einkommen verdoppeln, hätte seine Bevölkerung den genetischen Mix der USA. Bolivien könnte sein Einkommen sogar verfünffachen.
Dies sind Zahlen, die man etwas ungläubig zur Kenntnis nimmt. Eine Diskussion über einen «optimalen» genetischen Mix weckt zudem unangenehme Assoziationen an genetische Auslese. Das meint Galor natürlich nicht. Er sagt vielmehr, dass es ein wenig wie bei der Lotterie sei: Länder bzw. ihre Bevölkerungen haben vor Jahrtausenden bestimmte biologische und geografische Merkmale gezogen, die bis heute nachwirken. Hat dies nicht etwas sehr Deterministisches? Ja, aber machtlos sei man trotzdem nicht, antwortet der Forscher.
Mit Bildung gegensteuern
Er sieht den entscheidenden Ansatz in der Bildung. In Ländern mit «zu grosser» genetischer Vielfalt müsse in der Bildung viel Gewicht auf gegenseitiges Vertrauen gelegt werden oder auf den Schutz ethnischer Gruppen, rät er. Im «homogenen» Bolivien dagegen wäre dem kulturellen Austausch, der Förderung von Kreativität besonderes Gewicht beizumessen. Und wie steht es mit Migration? Da es zwei bis drei Generationen dauere, bis Migranten ebenbürtig am Wirtschaftsgeschehen des Gastlandes teilnähmen, steht sie für ihn nicht im Vordergrund.
Weshalb Europa schneller war
Die genetische, aber auch kulturelle Vielfalt führt Galor auch als Grund an, weshalb in Europa die industrielle Revolution früher einsetzte als in China. So war das Reich der Mitte vor tausend Jahren eigentlich in einer besseren Ausgangslage als Europa. In China herrschte 4000 Jahre lang relative Stabilität. Europa wurde dagegen immer wieder von Regimewechseln gekennzeichnet, etwa dem Übergang von den Griechen zu den Römern. Später wurde der Kontinent von Kleinstaaterei geprägt.
Chinas kulturelle Homogenität sowie gesellschaftliche Kohäsion sei ein Vorteil gewesen, um eine bestimmte Produktionstechnik optimal zu nutzen, sagt Galor. Solange sich technologisch also nicht allzu viel änderte – bis etwa ins 15. Jahrhundert hinein –, hatte China einen Wettbewerbsvorteil. Doch als sich die industrielle Revolution abzuzeichnen begann, setzte Europas Renaissance ein. Es brauchte nämlich Personen, die bereit waren, Neues zu wagen. Und dies war in Europa, das geografisch weniger isoliert ist als China, eher möglich. Man denke an England und die Niederlande, wo die Einwanderung von Protestanten neue Ideen brachte, oder an die Schweiz mit den Hugenotten.
Galor ist kein Eiferer. Er tritt zwar dezidiert für seine Thesen ein, macht aber auch längere Pausen, wenn er nach einer Antwort sucht, oder fragt das Gegenüber, was es denkt. Ob man mit veränderten Bildungsinhalten mehr aus der Vielfalt holen kann, sei dahingestellt. Nachvollziehbar ist seine Kritik an der konventionellen Wachstumstheorie. Sie kann schlecht erklären, weshalb sich die Wohlstandsunterschiede zwischen den Staaten lange verstärkt haben. Dass die geografische Lage, aber auch die kulturelle Prägung, die letztlich in der Menschheitsgeschichte weit zurückreichen kann, dabei eine Rolle spielt, scheint plausibel und mag bisher unterschätzt worden sein.
Nota. - Rassistisch ist eine Theorie nicht schon dann, wenn sie sagt, dass genetische Ausstattungen in der Menschheitsgeschichte eine Rolle spielen könnten. Rassistisch wäre die Aussage, dass ein bestimmtes Gen oder eine bestimmte Kombination von Genen eine Volksgruppe gegenüber anderen Volksgruppen privilegiert.
Letzteres Erklärungsmodell wurde immer wieder mal vorgetragen, doch zum einen hat es nie irgendetwas befriedigend erklärt, noch konnte es je durch empirische Daten überzeugend belegt werden. Andererseits wurden die schlimmsten Verbrechen damit gerechtfertigt, die die Geschichte kennt. Es gibt also Grund, solchen Erklärungsversuchen mit besonderer Skepsis entgegenzutreten.
Kritisch jedoch wird in der Wissenschaft jedem Erklärungsversuch entgegengetreten, denn das ist es, was Wissenschaft ausmacht. Kritisch heißt: Jedes Argument auf seine Gründe prüfend. Die politischen Implika-tionen einer Theorie können zu besonderer Vorsicht mahnen; doch betreffen sie ihre möglichen Motive, nicht aber ihre Gründe. Die müssen in jedem Fall für sich selber geprüft werden, ohne Angst vor den möglichen Resultaten.
JE
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