Tödliche Aggression
Die tierischen Wurzeln menschlicher Gewalt
Die
Bereitschaft, Artgenossen zu töten, scheint im Menschen genetisch
verankert zu sein. Kulturelle Faktoren entscheiden jedoch über ihre
Umsetzung.
Die tiefen Frakturen am Schädel lassen nichts Gutes erahnen: Zweimal wurde der junge Frühmensch mit demselben Gegenstand an der Stirn verletzt, dann durch einen 13 Meter tiefen Schacht in eine Höhle geworfen. So zumindest haben Archäologen letztes Jahr die Verletzungen interpretiert, die der rund 430 000 Jahre alte Schädel «Cranium 17» aus der archäologischen Fundstätte Sima de los Huesos im Norden Spaniens aufweist. Die Forscher wollen damit den frühesten bekannten Fall eines gewaltsamen Todes in der Menschheitsgeschichte rekonstruiert haben. Das Töten von Artgenossen scheint also fest im Stammbaum des Menschen verankert zu sein. Ein Forscherteam um José Maria Gómez von der Estación Experimental de Zonas Áridas in Almería ist nun dem evolutiven Ursprung dieser Gewaltbereitschaft auf den Grund gegangen. Ihre Ergebnisse präsentieren sie nun in der Fachzeitschrift «Nature».
Gewaltbereite Primaten
- So friedlich war die Welt noch nie.
- Die Welt wird immer friedlicher.
- Nein, es wird nicht immer alles nur schlimmer.
- Es wird alles immer besser.
Um
herauszufinden, wie weit eine solche tödliche Gewaltbereitschaft bei
Säugetieren verbreitet ist, analysierten Gómez und seine Kollegen
publizierte Daten zu mehr als 4 Millionen Todesfällen bei 1024
Säugetierarten und mehr als 600 Populationen des Menschen aus den
vergangenen rund 50 000 Jahren. Bei fast 40 Prozent der untersuchten
Arten fanden die Wissenschafter Hinweise auf tödliche Aggressionen gegen
Artgenossen. In einem weiteren Schritt untersuchten sie dann, ob das
Ausmass der menschlichen Gewaltbereitschaft aufgrund unserer Position
innerhalb des Stammbaums der Säugetiere zu erwarten ist. Dazu
berechneten sie die Gewaltbereitschaft des Menschen anhand jener
verwandter Arten.
Die Auswertungen ergaben, dass bei der Gattung Homo
– zu der der moderne Mensch, aber auch der Neandertaler gehört – 2
Prozent aller Todesfälle durch Gewalteinwirkung zustande kommen sollten.
Dieser Wert hat sich im Lauf der Entwicklungsgeschichte verändert, wie
die Analysen weiter zeigten. Bei den ursprünglichsten Säugetieren war er
mit weniger als einem Prozent noch tief, um dann bei der Entstehung der
Primaten auf 2,3 Prozent anzusteigen. Als sich die ersten Menschenaffen
und Menschen entwickelten, sank er wieder auf 1,8 Prozent. Laut den
Forschern deutet dies darauf hin, dass die Bereitschaft, Artgenossen zu
töten, in der Linie der Primaten tief verankert ist.
Weniger Morde in Staaten
Schliesslich
verglichen Gómez und sein Team den anhand des Stammbaums ermittelten
Wert mit den Literaturdaten. Wie sich zeigte, war das Ausmass an
tödlicher Aggression in den meisten Epochen deutlich höher als erwartet
und sank erst in den letzten 500 Jahren unter die 2-Prozent-Marke. Laut
Gómez könnten dafür Unterschiede in den soziopolitischen Strukturen
(Gruppen von Jägern und Sammlern, Bauerngemeinschaften,
Stammesfürstentümer und Staaten) ausschlaggebend sein.
In
Stammesfürstentümern sind 14 Prozent der Todesfälle gewaltsam. Laut den
Forschern liegt dies daran, dass in diesen Strukturen Konflikte um
Territorien, begrenzte Ressourcen oder einen höheren Status häufig sind.
Anders sieht es bei Gesellschaften aus, die in Staaten leben. Hier
macht der Anteil der absichtlich getöteten Personen deutlich weniger als
2 Prozent aller Todesfälle aus; womöglich, weil die Monopolisierung der
legalen Gewaltanwendung durch den Staat die Gewaltbereitschaft
verringere, vermuten die Forscher.
Nature, Online-Publikation vom 28. September 2016.
Unser aggressives Erbe ist jedoch sowohl genetisch als auch sozial bedingt: "Das Sozialverhalten und die Territorialität, die wir mit unseren nächsten Verwandten teilen, haben ebenfalls dazu beigetragen", betonen die Forscher.
Im Laufe unserer Kulturgeschichte hat sich dann die Gewaltrate weiter verändert. In der Zeit vor 5.000 bis 3.000 Jahren stieg sie steil auf 15 bis 30 Prozent an, wie Gómez und seine Kollegen berichten. Sie führen dies auf das Aufkommen von Stammesfürsten und größeren Gruppenverbänden zurück. Mit ihnen häuften sich auch Fehden und Kriege.
Erst in der Neuzeit, vor rund 100 Jahren, sind Mord und Totschlag wieder seltener geworden: Heute liegt die Rate tödlicher Gewalt nur noch bei 0,1 Prozent, wie Studien zeigen. Damit liegen wir heute um das rund 200-Fache niedriger als unsere Vorfahren in der Steinzeit. Das belegt eindrücklich, dass auch wir Menschen kein reines Produkt unserer Biologie sind – aggressives Erbe hin oder her. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature19758)
(Nature, 29.09.2016 - NPO
Nota. - Man mag es drehen, wie man will: Ein Gutes hat die Zivilisation jedenfalls gebracht - sie hat uns friedlicher gemacht - nachdem die Naturgeschichte uns über Millionen Jahre hin hat mörderischer werden lassen.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen