aus nzz.ch, 5.9.2016, 18:54 Uhr
Merkel hält an ihrem Kurs fest
Nach der Landtagswahl im Nordosten Deutschlands ist die Politik in Aufruhr. Bundeskanzlerin Merkel gibt sich nüchtern und unbeirrt. Damit provoziert sie auch in den eigenen Reihen.
von Markus Ackeret, Berlin
Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt im Ausland eigentlich nie Stellungnahmen zu politischen Ereignissen in Deutschland ab. Am Montag hat sie in Hangzhou, nach Beendigung des G-20-Gipfels, als Parteivorsitzende eine Ausnahme gemacht. Die herbe Niederlage ihrer CDU bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern und deren Verknüpfung mit der von ihr geprägten Flüchtlingspolitik der deutschen Regierung machten das fast unumgänglich. Alles andere hätte erneut so ausgesehen, als stünde die Kanzlerin über den Niederungen der Politik – ein Vorwurf, der ihr seit Monaten entgegenbrandet.
Frustrierte Funktionäre
Merkel sagte, sie sei sehr unzufrieden mit dem Wahlausgang, auch vor dem Hintergrund der guten Arbeit, die die CDU in der Landesregierung zum Wohle des Bundeslands geleistet habe. Sie konstatierte aber auch nüchtern, viele Wähler hätten kein ausreichendes Vertrauen in die Kompetenz der Partei zur Klärung der Flüchtlingsfrage, die alle anderen Fragen des Wahlkampfs beeinflusst hatte. Das verlorengegangene Vertrauen müsse zurückgewonnen werden. Merkels Auftritt war aber eine Enttäuschung für all jene, die die CDU aus Frust über die Asylpolitik oder generell über die verschwundene ideologische Substanz der Partei nicht mehr unterstützen. Dasselbe gilt für Merkels Parteifreunde, denen ein Jahr vor der Bundestagswahl allmählich die Geduld ausgeht.
Zwar gestand Merkel ihre Mitverantwortung für das Debakel ein. Aber sie machte gleichzeitig klar, dass sie ihren sehr grosszügigen Umgang mit dem Zuzug Hunderttausender von Flüchtlingen nach wie vor für richtig hält. Damit erteilte sie den skeptischen Parteimitgliedern und Funktionären eine Absage, die von ihr ein Einsehen in Bezug auf die Unpopularität ihrer Entscheidung und einen Richtungswechsel verlangen. ...
Nota. - Wenn Merkel jetzt einknicken würde, käme die AfD auch bei der Bundestagswahl auf 20 Prozent, und die CDU müsste froh sein, wenn sie da mithalten könnte. Die AfD hätte das nicht verdient, aber die CDU.
Es soll schon vorgekommen sein, dass eine Regierung abgewählt wurde, obwohl oder weil ihre Politik richtig war. Da muss man dann die Zähne zusammenbeißen und die Reihen schließen. Die repräsentative Demokratie sieht aus gutem Grund regelmäßige Neuwahlen vor. Wenn aber eine Regierung eine als richtig erkannte Politik aufgibt, weil sie momentan an Popularität verliert, dann wird nachträglich die Politik nicht falsch; aber es zeigt sich, dass es die falsche Regierung war, und es ist gut, wenn sie abgewählt wird.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen