aus NZZ, 8. 2. 2014
Kein Mut 
Warum Italiens Politiker versagen
Warum Italiens Politiker versagen
awy. · «Über die 
wirklich wichtigen Probleme spricht niemand.» So sagt es Luca Ricolfi, 
einer der führenden Kolumnisten Italiens bei der Turiner Tageszeitung 
«La Stampa». Die Politiker sprächen viel und gerne über Regeln, über 
Wahlrecht, Immigration, Justizreform. Doch das seien Scheindebatten, sie
 dienten vor allem dazu, das wichtigste Thema zu verdrängen: Was ist zu 
tun, um die italienische Wirtschaft wieder in Gang zu bringen?
Die Wirtschaftskrise in Italien 
ist laut Ricolfi noch viel schlimmer, als sie allgemein dargestellt 
wird. Das Bruttoinlandprodukt sei in den letzten Jahren um 10 Prozent 
gesunken, aber das sei nicht die ganze Wahrheit: Die Produktion sei um 
30 Prozent zurückgegangen, so stark wie im Zweiten Weltkrieg. Doch die 
Lage werde von der Regierung und den Medien schöngeredet, etwa, wenn es 
heisse, die Differenz zwischen den Zinsen für italienische und deutsche 
Staatsschulden habe sich verringert. Dabei habe nicht Italien sich 
verbessert, sondern Deutschland sich verschlechtert. Verbessert hätten 
sich dagegen die andern hochverschuldeten Krisenländer der Euro-Zone.
Ricolfi, der sich selber politisch
 links verortet, empfiehlt fürs Erste eine «Schocktherapie» am 
Arbeitsmarkt: Man solle vier Jahre lang die Lohnnebenkosten, sprich die 
Sozialabgaben, drastisch senken für Unternehmen, die neue Arbeitsplätze 
schüfen. Das liesse sich schnell umsetzen, es käme sowohl den 
Unternehmern wie den Arbeitsuchenden zugute, und die Wirtschaft erhielte
 einen dringend benötigten Wachstumsimpuls. Dann müssten die 
Unternehmenssteuern gesenkt und müsste der Kündigungsschutz gelockert 
werden. Die Zeit werde knapp für Italien, es brauche Entscheidungen - 
doch den Politikern fehle der Mut, Klartext zu sprechen, meint Ricolfi 
bei einem Gespräch in Zürich.
Die Regierung von Enrico Letta 
falle vor allem auf durch ihre «Impotenz». Matteo Renzi, der neue Star 
der italienischen Linken, wage sich auch nicht an das Thema 
Arbeitsmarktreform, aus Angst vor seiner Partei und den Gewerkschaften. 
Mario Monti wiederum habe in der Regierung seine Reformideen nicht 
ansatzweise verwirklicht, dafür mit Steuererhöhungen die Rezession 
verschärft.
Wie kommt es, dass die Bürger 
Politiker wählen und wiederwählen, die offenbar nicht fähig oder willens
 sind, notwendige Reformen anzupacken? Die vielen «Mikroprivilegien» 
seien der Grund für den Stillstand. Alle profitierten in irgendeiner 
Form vom Staat und von der Fahrlässigkeit der Bürokratie. Niemand wolle 
seine Privilegien in Gefahr bringen - darum würden durchgreifende 
Politiker nicht gewählt. Zudem wollten sowohl die linken wie die rechten
 Parteien einen grossen Staat, um diesen zu besetzen und zu benutzen. 
Staatsabbau sei nicht vorgesehen, höchstens Staatsausbau; diesen wollten
 die Linken mit Steuern, die Rechten mit Schulden finanzieren. Es fehle 
in Italien die liberale Tradition, die den Staat begrenze und das 
Unternehmertum stärke.

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