aus Der Standard, Wien, 8. Februar 2014
Aufbäumen der Arbeiter
Vier Tage lang bekriegen sie den "Ständestaat" - ein aussichtsloser Kampf
Vier Tage lang bekriegen sie den "Ständestaat" - ein aussichtsloser Kampf
Die politischen Gegensätze hätten in der jungen Republik Deutsch-Österreich nicht größer sein können: Sozialdemokratie gegen das katholisch-konservative Lager, dazwischen aufstrebende Nationalsozialisten. Mit der Ausschaltung des Parlaments durch Kanzler Engelbert Dollfuß im März 1933 spitzt sich die Lage zu - die parlamentarische Demokratie ist Geschichte. Kurz darauf wird der Republikanische Schutzbund, die bewaffnete Arbeiterwehr, verboten. Die Sozialdemokratie ist geschwächt, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit demoralisieren die Arbeiter.
Zum bewaffneten Widerstand gibt es in der Partei keinen Konsens. Als am 12. Februar 1934 die Linzer Parteizentrale einer Razzia unterzogen wird, gibt Schutzbundführer Richard Bernaschek das Signal zum Aufstand. Die Parteiführung zieht mit, eine Verzweiflungstat, ohne Aussicht auf Erfolg. Der Generalstreik misslingt: Gekämpft wird in Oberösterreich, der Steiermark und Wien. Vor allem Wiener Gemeindebauten werden beschossen. Der Schutzbund kann sich gegen die Übermacht von Bundesheer, Polizei und Heimwehren nicht durchsetzen. Nach vier Tagen endet der Kampf mit mehr als 300 Toten, zahlreichen Verwundeten und Verurteilungen. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei wird verboten. Im Mai 1934 verfestigt Dollfuß seine Macht mit der Gründung des austrofaschistischen Ständestaates, im Juli wird er von Nazi-Putschisten ermordet. Mit dem Anschluss an Hitler-Deutschland im Jahr 1938 ist der Ständestaat Geschichte. (mte)
aus profil-online, 25.1.2014, 15:26
1934: Wollte Kanzler Dollfuß E-Werks-Arbeiter „überfallsartig vergasen”?
Kurz vor dem 80. Jahrestag der dramatischen
Ereignisse des Februar 1934 taucht ein verstörendes Dokument auf: Wollte
Bundeskanzler Engelbert Dollfuß Wiener E-Werks-Arbeiter mit Giftgas
töten lassen?
Die Nacht war dramatisch verlaufen. Um 19 Uhr war es zu Kämpfen in der Döblinger Barawitzkagasse gekommen, gegen Mitternacht nimmt die Artillerie von der Hohen Warte aus den Karl-Marx-Hof mit schwerer Artillerie unter Beschuss. Um drei Uhr früh zerren Heimwehrmänner den sozialdemokratischen Bürgermeister Karl Seitz unter wüsten Beschimpfungen aus seinem Büro und bringen ihn ins Polizeigefangenenhaus. Die Stadträte waren schon am Abend verhaftet worden. In den frühen Morgenstunden setzen Einheiten zum Sturm auf den Högerhof an, einen Gemeindebau in Wien Simmering. Bei der Philadephiabrücke in Meidling fahren Panzerzüge auf.
Beschießung des Karl-Marx-Hofs
Überfallsartig zu vergasen
Um
acht Uhr dieses 13. Februar 1934 trifft im Wiener Polizeipräsidium ein
Anruf aus dem Bundeskanzleramt ein. Der Anrufer ist Ministerialsekretär
Albert Hantschk, einer der engsten Mitarbeiter von Bundeskanzler
Engelbert Dollfuß. Im Präsidium nimmt der Jurist Walter Sturminger den
Anruf entgegen und legt sofort einen Aktenvermerk an: „Dr. Hantschk,
BKA, teilt mit: Bundeskanzler Dr. Dollfuß habe die Anregung gegeben, die
E-Werke in Simmering nicht zu stürmen, sondern überfallsartig zu
vergasen, damit die Arbeiter keine Gelegenheit hätten die Maschinen zu
zerstören. Herrn Präsident gemeldet.“ Gezeichnet: Dr. Sturminger.
Karl-Marx-Hof
Der
irritierende Aktenvermerk lag jahrzehntelang unbeachtet in einer dicken
Klade des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW),
bevor ihn der Historiker Fritz Keller vor einigen Wochen eher zufällig
fand, als er für ein Buch über die alte sozialdemokratische Familie
Pölzer recherchierte. Kellerüberließ das Papier profil für weitere
Recherchen.
Ist es denkbar, dass dieses Dokument echt ist und wenn ja: Hatte sich der Referent aus dem Kanzleramt unklar ausgedrückt oder der Polizeijurist etwas missverstanden?
Das ist eher unwahrscheinlich. Beide waren tüchtige Beamte und machten nach 1945 bemerkenswerte Karrieren: Hantschk wurde Chef der industriepolitischen Sektion im Handelsministerium, Sturminger Sektionschef im Unterrichtsministerium. Sturminger wurde außerdem als Autor vielbeachteter Bücher über die zweite Wiener Türkenbelagerung bekannt.
Ist es denkbar, dass dieses Dokument echt ist und wenn ja: Hatte sich der Referent aus dem Kanzleramt unklar ausgedrückt oder der Polizeijurist etwas missverstanden?
Das ist eher unwahrscheinlich. Beide waren tüchtige Beamte und machten nach 1945 bemerkenswerte Karrieren: Hantschk wurde Chef der industriepolitischen Sektion im Handelsministerium, Sturminger Sektionschef im Unterrichtsministerium. Sturminger wurde außerdem als Autor vielbeachteter Bücher über die zweite Wiener Türkenbelagerung bekannt.
Armee vor dem Karl-Marx-Hof
Aber war es dem christdemokratischen Kanzler, einem tief religiösen Bauernsohn aus dem niederösterreichischen Alpenvorland, tatsächlich zuzutrauen, dutzende Arbeiter kaltblütig mit Giftgas töten zu wollen?
Um das Papier einordnen zu können, ist dessen Vorgeschichte zu analysieren.
Die beiden großen politischen Lager waren einander seit Beginn der 1920er-Jahre unversöhnlich gegenüber gestanden. Die Sozialdemokraten (SDAP) waren eine verbalradikale Linkspartei, was dafür sorgte, dass die Kommunisten, anders als in Deutschland, bedeutungslos blieben. Gleichzeitig ging man daran, im „roten Wien“ eine sozialistische Gegenwelt aufzubauen, mit neuen Sozialleistungen und prächtigen Gemeindebauten. Bis zur Machtergreifung Adolf Hitlers im Jänner 1933 gaben die Theoretiker der Partei, wie etwa Otto Bauer, die Forderung nach einem Anschluss an Deutschland nicht auf, weil sie die Verwirklichung des Sozialismus nur in einem größeren Staatengebilde für möglich hielten. Der Begriff „Österreich“ galt den Sozialdemokraten nicht viel: Er erinnerte sie an das verhasste Haus Habsburg.
Die Christdemokraten hatten das Ende der Habsburger-Monarchie nie überwunden und stützten sich auf den politischenKatholizismus der österreichischen Kirche. Demokratie und Parlamentarismusblieben ihnen fremd. Seit 1920 hatte die politische Rechte eine paramilitärische Truppe, die sogenannten Heimwehren. Die Sozialdemokraten antworteten 1923 mit einem eigenen Wehrverband, dem Republikanischen Schutzbund. ...
Schutzbund
Aus
den Nationalratswahlen 1930, den letzten der Ersten Republik, gingen
die Sozialdemokraten mit 41,1 Prozent als klarer Sieger hervor. Die
Christdemokraten erreichten nur 35,7 Prozent. Nach mehreren
Übergangskanzlern bildete Engelbert Dollfuß im Mai 1932 eine Regierung
aus Christlichsozialen, Heimwehren und Landbund.
Er geriet sofort von allen Seiten unter Druck: Die Heimwehren wollten gegen die Roten losschlagen. Die Nationalsozialisten hatten bei den Nationalratswahlen zwar nur drei Prozent der Stimmen bekommen, führten jetzt aber immer öfter Anschläge durch. Dollfuß suchte eine Schutzmacht und fand sie in Benito Mussolinis Italien. Auch Mussolini drängte Dollfuß zum Schlag gegen die Sozis. Die Zeit für „Reformen in entschieden faschistischem Sinn“ sei gekommen, Dollfuß dürfe den Antimarxismus nicht den Nazis überlassen und müsse „die Felsenfestung Wien“ zerstören.
Vier Wochen nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland schlug Dollfuß zu: Am 4. März 1933 löste er nach einer Abstimmungspanne den Nationalrat auf und führte die Pressezensur ein. Ab Mai 1933 durfte auch der Verfassungsgerichtshof nicht mehr zusammentreten. Der traditionelle Maiaufmarsch der SDAP wurde untersagt. Man schlage die Sozialdemokratie jetzt „Glied für Glied zum Krüppel“, triumphierte Heeresminister Carl Vaugoin in einer Kabinettssitzung im Juni 1933.
Die von Mussolini geforderte endgültige Zerschlagung der Parteien verkündete Dollfuß beim Katholikentag am 12. September 1933, dem 250. Jahrestag des Siegs der christlichen Heere über die Türken vor Wien: Einen „sozialen, christlichen, deutschen Staat auf ständischer Grundlage mit starker autoritärer Führung“ wolle er schaffen. Im November verhängte der Kanzler das Standrecht und führte die Todesstrafe ein ...
Er geriet sofort von allen Seiten unter Druck: Die Heimwehren wollten gegen die Roten losschlagen. Die Nationalsozialisten hatten bei den Nationalratswahlen zwar nur drei Prozent der Stimmen bekommen, führten jetzt aber immer öfter Anschläge durch. Dollfuß suchte eine Schutzmacht und fand sie in Benito Mussolinis Italien. Auch Mussolini drängte Dollfuß zum Schlag gegen die Sozis. Die Zeit für „Reformen in entschieden faschistischem Sinn“ sei gekommen, Dollfuß dürfe den Antimarxismus nicht den Nazis überlassen und müsse „die Felsenfestung Wien“ zerstören.
Vier Wochen nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland schlug Dollfuß zu: Am 4. März 1933 löste er nach einer Abstimmungspanne den Nationalrat auf und führte die Pressezensur ein. Ab Mai 1933 durfte auch der Verfassungsgerichtshof nicht mehr zusammentreten. Der traditionelle Maiaufmarsch der SDAP wurde untersagt. Man schlage die Sozialdemokratie jetzt „Glied für Glied zum Krüppel“, triumphierte Heeresminister Carl Vaugoin in einer Kabinettssitzung im Juni 1933.
Die von Mussolini geforderte endgültige Zerschlagung der Parteien verkündete Dollfuß beim Katholikentag am 12. September 1933, dem 250. Jahrestag des Siegs der christlichen Heere über die Türken vor Wien: Einen „sozialen, christlichen, deutschen Staat auf ständischer Grundlage mit starker autoritärer Führung“ wolle er schaffen. Im November verhängte der Kanzler das Standrecht und führte die Todesstrafe ein ...
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