Macchiavelli für die, die zu lesen verstehen.  
Heinrich Meier setzt seine Arbeit an der «Politischen Philosophie» fort.
von Uwe Justus Wenzel
Der deutsch-amerikanische Philosoph Leo Strauss hat vor über einem halben Jahrhundert eine Machiavelli-Deutung vorgelegt, die in dem neuen Buch von Heinrich Meier, «Politische Philosophie und die Herausforderung der Offenbarungsreligion», eine zentrale Rolle spielt.
Heinrich Meier setzt seine Arbeit an der «Politischen Philosophie» fort.
von Uwe Justus Wenzel
Der deutsch-amerikanische Philosoph Leo Strauss hat vor über einem halben Jahrhundert eine Machiavelli-Deutung vorgelegt, die in dem neuen Buch von Heinrich Meier, «Politische Philosophie und die Herausforderung der Offenbarungsreligion», eine zentrale Rolle spielt.
Es gibt «Machiavelli für Zeitgenossen», «Machiavelli für Manager», «Machiavelli für Mütter» und auch «Machiavelli für Frauen», nur einen «Machiavelli für Philosophen» sucht man auf dem Buchmarkt vergebens. In gewisser Weise hat Heinrich Meier nun Abhilfe geschaffen - mit einem Buch, das sich zwar nicht eigentlich zur Sparte der Ratgeberliteratur rechnen lässt und das den Namen Machiavellis gar nicht im Titel nennt, in dessen Zentrum aber eine Deutung steht, die den 1469 geborenen Florentiner Diplomaten, Politiker, Machttechniker, Historiker und Dichter als den Philosophen ernst nimmt, der er - auch - war. Es ist dies die Deutung, die Leo Strauss in seinen 1958 erschienenen «Thoughts on Machiavelli» gegeben hat. Sie ist ausgesprochen vielschichtig, und der Interpret des Machiavelli-Interpreten (der auch die deutsche Ausgabe der Schriften von Leo Strauss verantwortet) bemüht sich erfolgreich darum, jene Vielschichtigkeit nicht zu unterbieten.
Die Adressaten 
Kunstfertigkeit und Kennerschaft 
sind bei der hermeneutischen Arbeit umso mehr gefragt, als die 
Philosophen früherer Zeiten sich mitunter maskieren mussten, wollten sie
 der Zensur und drohender Verfolgung entgehen. (Heute wäre mit Blick auf
 andere Weltgegenden Ähnliches zu konstatieren.) Ihre Texte, heisst 
dies, weisen verschiedene «Oberflächen» und verschiedene «Tiefen» auf, 
sie haben exoterische und esoterische Seiten. Niccolò Machiavellis «Il 
Principe», in dem die Staatsräson gefeiert zu werden scheint, und seine 
«Discorsi», die demgegenüber eine Republik ohne Fürst entwerfen, machen 
da keine Ausnahme (beide sind freilich erst postum gedruckt worden).
So jedenfalls sah es Leo Strauss, 
und so sieht es Heinrich Meier. Allerdings wird die Furcht vor 
Repressalien in der Philosophiegeschichte nicht das einzige Motiv 
gewesen sein, Texte zu verrätseln. Schliesslich kultivierte auch Leo 
Strauss, der von 1938 bis zu seinem Tode, 1973, in New York und dann in 
Chicago wirkte, das Rollenspiel des «sorgfältigen Schreibens», wie 
Heinrich Meier bei seinem Versuch, «die Intention» der «Thoughts on 
Machiavelli» herauszupräparieren, mehr als einmal anzudeuten Gelegenheit
 hat. Ob hier der Elitismus ins Spiel kommt, der Leo Strauss und seiner 
Denkschule nachgesagt wird, ist eine Frage, die man links oder rechts 
liegenlassen kann. Stattdessen lässt sich fragen, an wen sich die 
jeweilige Schrift adressiert. Im Falle von Machiavellis Abhandlung über 
den Fürsten beantwortet Strauss selbst sie, wie Heinrich Meier vorführt,
 doppelt. Der Autor des «Principe» spreche einerseits und offenkundig 
als «potenzieller Ratgeber eines Fürsten», andererseits und ein wenig 
camoufliert als «Lehrer der politischen Weisheit». In der Rolle des 
Weisheitslehrers richte er sich an die «vorzüglichen Adressaten», an 
«zukünftige Philosophen», die Strauss auch «the young» nennt.
Im Einzelnen und des Näheren ist 
alles noch sehr viel komplizierter - und so, wie Heinrich Meier es 
darstellt, nur nachvollziehbar, wenn der Leser parallel Strauss und 
Machiavelli studiert (oder bereits intus hat). Nähme man das Buch 
gleichwohl als einen «Machiavelli für - werdende - Philosophen», was 
wäre es dann, das angehende Weisheitsliebende zu lernen hätten? Welche 
Ratschläge erteilt der Strauss-Meiersche «Machiavelli» (der mit dem 
gleichnamigen Autor des «Principe» nicht ganz identisch ist) seinen 
«vorzüglichen» Lesern?
Sie sind allesamt im Titel des 
Buches mehr oder weniger vorweggenommen: «Politische Philosophie und die
 Herausforderung der Offenbarungsreligion». Soll - in die 
Ratgebersprache übersetzt - heissen: Philosophen, begreift die 
Offenbarungsreligion samt zugehöriger Theologie als Konkurrentin und 
Widersacherin, wenn es um die Frage nach dem richtigen Leben und nach 
der Wahrheit geht! Paktiert, wo nötig, mit der Politik, um gegen 
Priesterherrschaft zu kämpfen! Sichert die «libertas philosophandi» und 
die Philosophie als Lebensweise nicht nur politisch, sondern übt euch 
auch in geistiger Verteidigung! Rückhaltloses Fragen ist besser als 
rückhaltloser Glaubensgehorsam! Die (christliche) Tugend der Demut ist 
die denkbar schlechteste Begleiterin eines Philosophen, lasst 
Grossgesinntheit («Megalopsychia») walten! Findet euer Glück im Denken, 
Verstehen und Erkennen! Und pflegt die Kunst des sorgfältigen 
Schreibens, damit die, die zu lesen verstehen, zu euch stossen können!
Ein programmatischer Entwurf 
Der Studie zu Leo Strauss' 
«Thoughts on Machiavelli» lässt Heinrich Meier eine folgen, die 
Jean-Jacques Rousseau - aufmerksamer Machiavelli-Leser auch er - und 
seinem «Du contrat social» gewidmet ist. Meier sieht Rousseau mit 
Machiavelli «in einer gemeinsamen Front gegen die Theokratie» stehen. 
Seine Interpretation des «Gesellschaftsvertrags» (sie lässt sich als 
Supplément zu des Interpreten weit ausgreifenden Reflexionen über 
Rousseaus «Rêveries» lesen) ist ebenso luzide wie konzise und weniger 
voraussetzungsvoll als das Strauss-Machiavelli-Stück. Beide Kapitel 
sollen, so Meier, einen programmatischen Entwurf aus dem Jahr 2000 
«substanziieren», der in dem vorliegenden Buch zum Auftakt nochmals 
abgedruckt ist: «Warum Politische Philosophie?» 
Mit historischer Substanz wird der Entwurf durch das, was ihm folgt, zweifellos gefüllt. Für seine systematische Ausführung scheint die Zeit noch nicht reif gewesen zu sein. - Bei der erneuten Lektüre der Münchner Antrittsvorlesung Heinrich Meiers, um deren Text es sich handelt, ist der für versteckte Andeutungen empfänglich gewordene Leser zu glauben versucht, es bedeute etwas, dass die Ausführungen mit «Wir alle» anheben und mit «wenige» enden. Das aber ist gewiss ein Hirngespinst.
Mit historischer Substanz wird der Entwurf durch das, was ihm folgt, zweifellos gefüllt. Für seine systematische Ausführung scheint die Zeit noch nicht reif gewesen zu sein. - Bei der erneuten Lektüre der Münchner Antrittsvorlesung Heinrich Meiers, um deren Text es sich handelt, ist der für versteckte Andeutungen empfänglich gewordene Leser zu glauben versucht, es bedeute etwas, dass die Ausführungen mit «Wir alle» anheben und mit «wenige» enden. Das aber ist gewiss ein Hirngespinst.
Heinrich Meier: Politische Philosophie und die Herausforderung der Offenbarungsreligion. C. H. Beck, München 2013. 238 S., Fr. 47.90.

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