Kubas halbherzige Wirtschaftsreformen
Die kosmetischen Liberalisierungsschritte im Mikrobereich können die Zuckerinsel nicht aus der wirtschaftlichen Misere führen
von Richard Bauer, Havanna
Die kosmetischen Liberalisierungsschritte im Mikrobereich können die Zuckerinsel nicht aus der wirtschaftlichen Misere führen
von Richard Bauer, Havanna
Nach drei Jahren Reformpolitik steht die Wirtschaft Kubas nicht besser da. Die Euphorie über eine «Marktwirtschaft von unten», gekoppelt an ein sozialistisches Gesellschaftsmodell, ist verflogen. Was nottut, sind produktive Auslandsinvestitionen.
Liebhaber von Industriearchäologie
kommen in Kuba auf ihre Rechnung. Rostende Eisenbahnen und Traktoren,
von subtropischer Vegetation überwucherte Fabrikhallen und Werkgelände -
der Entdeckerfreude sind keine Grenzen gesetzt. Im «Valle de los
Ingenios», dem Tal der Zuckermühlen, erinnern romantische Ruinen an die
Zeit der spanischen Kolonialherren, als kubanischer Zucker dank
Sklavenarbeit die Welt eroberte. Klobig und beschämend, dafür umso
zahlreicher sind dagegen die über das ganze Land verstreuten Relikte aus
der Zeit nach der Revolution von 1959. In unterschiedlichen Stadien des
Zerfalls zeugen sie vom katastrophalen Scheitern der von der
Sowjetunion inspirierten Industrialisierungspolitik.
Sozialistischer Friedhof
Ausserhalb der Hafenstadt
Cienfuegos thront die imposante Bauruine des Atomreaktors von Yuraguá.
Er wurde trotz unermüdlicher Fürsprache von Fidel Castro Díaz-Balart,
dem ältesten Sohn des Revolutionsführers, der in der Sowjetunion
Nuklearphysik studiert hatte und die kubanische Atombehörde leitete, nie
fertig gebaut. Tschernobyl und der Zusammenbruch des Ostblocks
verhinderten es. Vor einem Jahrzehnt ordnete die Regierung die
Schliessung von knapp der Hälfte der 150 Zuckermühlen des Landes an. Die
Zuckerproduktion ging von einem Rekordhoch von 8 Mio. t auf etwas
mehr als 1 Mio. t jährlich zurück. Die Verarbeitung von Zuckerrohr zu
Biotreibstoff ist auf persönliches Betreiben Fidel Castros ein
nationales Tabu. Von den 2000 Betrieben, die allein die DDR im Zuge der
sozialistischen Bruderhilfe aufbauen half, dürften noch gerade ein paar
Dutzend funktionieren, darunter Druckereien, Brauereien und ein
überdimensioniertes Zementwerk, das bis heute nie auf vollen Touren
lief.
Auf den meisten Industrieruinen,
die der Realsozialismus hinterlassen hat, wird nie wieder neues Leben
blühen. Was an Produktionsmitteln unmittelbar nach dem Wegbrechen des
sozialistischen Blocks noch zu retten gewesen wäre, ist nach zwei
Jahrzehnten «Kriegswirtschaft», fehlenden Ersatzteilen, systematischem
Diebstahl und Schlendrian endgültig zugrunde gegangen oder technologisch
überholt. Spurlos verpufft sind Milliarden Rubel an ideologisch
gesteuerter Entwicklungshilfe, angetrieben von der vermeintlichen
«Zärtlichkeit der Völker».
Reformen auf Sparflamme
Während die Mehrzahl der
lateinamerikanischen Volkswirtschaften im letzten Jahrzehnt kräftig
gewachsen sind, tritt Kuba an Ort (vgl. Grafik). Nach einem unter den
Erwartungen liegenden Wachstum von 2,7% im letzten Jahr prognostiziert
die Regierung für 2014 ein noch schlechteres Resultat von 2,2%. Dabei
werden es im April bereits drei Jahre sein, seitdem die Kommunistische
Partei Kubas nach langem Zögern und landesweiten Befragungen ein
umfassendes Reformpaket verabschiedete. Mit dem Rückbau der
Staatswirtschaft hapert es, und das Bekenntnis zur freien
Marktwirtschaft ist voller Wenn und Aber. Von den 313 angekündigten
Massnahmen für die Wirtschafts- und Sozialpolitik sind erst ein
Bruchteil umgesetzt worden. Diese betreffen in erster Linie «weiche»
Bereiche zur Beruhigung der Bevölkerung, lassen aber das Hauptproblem,
die Steigerung der Produktion auf breiter Basis, ausser acht.
Wohl können Kubaner nach 50 Jahren
Entbehrungen Autos und Häuser kaufen, ins Ausland reisen oder Hotels
betreten, die früher den Ausländern vorbehalten waren. Auch dürfen sie
Ackerland pachten, einen Genossenschaftsbetrieb eröffnen oder als
eigenständiger Unternehmer ein Restaurant, eine Pension, ein Taxi oder
einen Schönheitssalon betreiben. Doch die Idee eines hybriden Systems
mit einer an der kurzen Leine gehaltenen «Marktwirtschaft von unten» bei
gleichzeitiger Beibehaltung der «Planwirtschaft von oben» stösst
rascher an ihre Grenzen, als deren Schöpfer es wohl erwartet haben.
Grösster Stolperstein ist der politische Entscheid, niemals auf die
Errungenschaften des Sozialismus in Form grosszügiger Subventionen für
die allgemeine Wohlfahrt zu verzichten.
Seit dem Zusammenbruch der
Sowjetunion sei es dem kubanischen Sozialismus nicht gelungen, genügend
Sparaufkommen und Investitionen für einen nachhaltigen Weg zu Wohlstand
zu generieren, stellt Richard E. Feinberg von der University of
California fest. Echte Neuinvestitionen gab es nur in ganz wenigen, von
der Regierung als prioritär bezeichneten Sektoren. Dazu gehören die
Energieversorgung, die Gewinnung von Nickel, die Biotechnologie sowie
der Tourismus. Die meisten verarbeiteten Industriegüter müssen
importiert werden. Ausser Rum und Bier kauft kein Kubaner freiwillig
Produkte, die von der heimischen Industrie herstellt werden, zu sehr
zweifelt er an Qualität und Design. Trotz Reformen ist die Situation der
Landwirtschaft katastrophal. Wohl gibt es mehr Gemüse und Früchte dank
freien Bauernmärkten, doch das Gros der Nahrungsmittel muss eingeführt
werden.
Kredite und Investitionen
Nach dem Untergang der Sowjetunion
haben Akademiker der University of Miami im Rahmen des Cuba Transition
Project den gewaltigen Finanzbedarf errechnet, der für den Wiederaufbau
von Wirtschaft und Infrastruktur nach einem Regimewechsel in Kuba nötig
wäre. Als Lösung schwebte den Experten ein massgeschneiderter
Marshall-Plan mit internationaler Finanzierung vor. Heute sind es
kubanische Ökonomen und aufgeklärte, häufig an ausländischen
Managementschulen ausgebildete Offiziere der Streitkräfte, welche die
Regierung unter Raúl Castro drängen, die Schleusen für
Auslandinvestitionen endlich zu öffnen.
Dieser Tage wird der weitgehend
von Brasilien finanzierte Tiefwasserhafen von Mariel eingeweiht. Daran
angrenzend soll die erste Sonderzone für die Ansiedlung ausländischer
Unternehmen entstehen. Für März ist ein neues Gesetz angesagt, das
Klarheit für ausländische Investoren schafft. Unter den gegenwärtig
gültigen Bestimmungen wurde mehr als ein Unternehmer von der Regierung
bedrängt und verliess das Land oder geriet in die Fänge der Justiz. 2000
zählte man 400 kubanisch-ausländische Joint Ventures. Heute sind es
noch knapp die Hälfte.
Der Wachstumsschub - trotz
Weiterbestehen des amerikanischen Handelsembargos - kommt so lange
nicht, als es um die Kreditwürdigkeit des Landes schlecht bestellt ist.
Niemand traut den Kubanern über den Weg, seit sie sich 1986 gegenüber
internationalen Schuldnern für zahlungsunfähig erklärten, den
Schuldendienst einstellten und später sogar Guthaben von ausländischen
Firmen bei kubanischen Banken einfroren. Dafür bezahlt das Land einen
hohen Preis. Kurzfristige Darlehen werden laut Kennern mit bis zu 22%
Jahreszins honoriert. Nahrungsmittelimporte aus den USA müssen bar und
zum Voraus bezahlt werden. Langfristig verschulden kann sich Kuba
lediglich bei befreundeten Staaten, allen voran Venezuela, Brasilien und
China.
Reduktion der Auslandsschuld
Auch die fehlenden
Währungsreserven Kubas - sie standen Ende 2011 bei erschreckend tiefen
6% des Bruttoinlandprodukts (BIP) - müssen künftigen Investoren zu
denken geben. Im Vergleich mit rund 30 Transitionsländern schnitt nur
gerade Tadschikistan schlechter ab. Im Durchschnitt halten diese Länder
20% des BIP als Reserve in ihren Zentralbanken. Zur Verbesserung der
Kreditwürdigkeit arbeitet die Regierung von Raúl Castro still, aber
zielgerichtet auf eine Reduktion der Auslandsschuld hin. Man schätzt,
dass diese in den letzten 18 Monaten von 43 Mrd. $ auf 25 Mrd. $
gesunken ist, was noch 36% des BIP ausmacht.
Dies ist in erster Linie Moskau zu
verdanken. Von 32 Mrd. $ Schulden aus der Zeit der alten Sowjetunion
bleiben nach einem grosszügigen, weitgehend symbolischen Abschreiber
noch 3,2 Mrd. $ übrig. Russland rechnet mit neuen Chancen für seine
Exportwirtschaft und einem generellen Sympathiebonus, nachdem es den im
Kalten Krieg willkommenen Alliierten später hat fallen lassen und damit
den lebenslangen Zorn Fidel Castros auf sich gezogen hat.
Erstes Ergebnis sind
Garantieversprechen für einen Leasing-Vertrag über 550 Mio. $ zur
langfristigen Flottenerneuerung der staatlichen kubanischen
Fluggesellschaft Cubana. Miteinander ins Reine kamen kürzlich auch Kuba
und Mexiko. Der Schuldenerlass betraf Kredite aus den neunziger Jahren
des letzten Jahrhunderts. 70% von 478 Mio. $ wurden erlassen. Damit
werden die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn in der Karibik nach
12 Jahren Herrschaft konservativer Präsidenten in Mexiko aufgetaut und
die Türen für mexikanische Investitionen geöffnet.
Venezuela als Strohhalm
Seit einem Jahrzehnt liefert
Venezuela täglich mindestens 98 000 Fass Erdöl zu Vorzugskonditionen an
Kuba, was etwa der Hälfte des nationalen Konsums entspricht. Im
Gegenzug stehen 45 000 Kubaner in Venezuela im Einsatz, in der Mehrzahl
als Ärzte, Lehrer und Militärpersonal. Wie die Leistungen Kubas und
Venezuelas gegeneinander aufgerechnet werden, ist auf beiden Seiten
Staatsgeheimnis. Experten haben errechnet, dass die langfristigen
Schulden Kubas gegenüber Venezuela aus dem subventionierten
Erdölgeschäft inzwischen 25 Mrd. $ betragen.
Raúl Castro und seine engsten
Berater sind sich der Gefahr bewusst, die eine zu grosse Abhängigkeit
von Venezuela bedeutet. Sie setzen auf Diversifizierung des
Aussenhandels und - dank einer unaufgeregten konservativen Aussenpolitik
- auf eine Normalisierung der politischen Beziehungen mit potenziellen
Investoren, darunter auch mit der EU. Der Tod des venezolanischen
Präsidenten Chávez und die Ungewissheit vor der Wahl seines Nachfolgers
Maduro versetzte letztes Jahr viele Kubaner vorübergehend in Panik. Was
wird aus Kubas Wirtschaft, sollte die auf ideologischer Affinität
begründete Allianz zwischen den beiden Ländern zerbrechen oder aufgrund
wirtschaftlicher Schwierigkeiten die Bruderhilfe aus Caracas ausbleiben?
Immerhin ist Venezuela mit Abstand der bedeutendste Handelspartner und
ein wichtiger Investor für Grossprojekte. Ein schlechtes Omen ist die
wirtschaftliche Schieflage Venezuelas. Sie hat die Kubaner gezwungen,
bereits abgesprochene Grossinvestitionen zur Entwicklung des eigenen
Erdölsektors und zur Verarbeitung von Nickel auf Eis zu legen.
ebd.
ebd.
DIE SÜSSEN FRÜCHTE DES FREIEN MARKTES
bau. · «Himmlisch» sei das Leben in La Cuevita, jubelt der charmante junge Parfümerieverkäufer auf dem grössten Graumarkt von Havanna. Die Mütze der nordamerikanischen Hip-Hopper schräg auf dem Kopf, preist er seine Ware an. In kleinen Fläschchen verkauft er Düfte, die Kubas Frauen und Männer begehren. Sein Angebot ist in druckreifen Lettern auf einem Pappkarton zu lesen: Givenchy, Antonio Bandera, Lacoste. Besonders gut läuft «Xexo en la playa» (Sex am Strand).
Alles ist für weniger als einen Dollar zu haben, und alle Produkte sind Imitate. Doch wen kümmert's, die Kunden wissen es, und der findige Duftmischer macht keinen Hehl daraus.
Seit Wirtschaften auf eigene Rechnung in Kuba wieder zugelassen ist, haben Hunderte Händler das ärmliche Viertel am Stadtrand von Havanna im Sturm erobert. Wer an der improvisierten Einkaufsmeile ein Häuschen besitzt, hat das grosse Los gezogen. Er vermietet den Vorgarten, den Hauseingang und die gute Stube an andere Händler. Die meisten können eine staatliche Lizenz als «cuentapropista», als Kleinunternehmer, vorweisen, führen eine rudimentäre Buchhaltung und bezahlen Steuern. Andere wiederum sind fliegende Händler. Sie verschluckt der Boden, sobald Inspektoren oder Polizisten auftauchen.
Der Erfolg ist überwältigend: Zehntausende Kauflustige besuchen jedes Wochenende das informelle Einkaufsparadies, wo vom Kochtopf bis zum Hochzeitskleid alles zu haben ist. Die Stimmung ist ausgelassen. Sogar Marktschreier - eine in Vergessenheit geratene kubanische Tradition - treten wieder auf den Plan. Doch das bunte Treiben, das Kuba seit dem Verbot des privaten Kleingewerbes im Gefolge der Revolution nicht mehr gesehen hat, ist den Behörden ein Dorn im Auge. Plötzlich ist den staatlichen Devisenläden unerwünschte Konkurrenz erwachsen, und es zirkulieren Waren aus Quellen, die der Kontrolle des Staates entglitten sind.
Die Herkunft der verkauften Waren ist nicht über alle Zweifel erhaben. Einiges ist gestohlen oder gelangte durch die Hintertüre der Staatsbetriebe in den freien Markt. Vieles haben unternehmerisch denkende Kubaner in Ballen und Koffern legal aus dem Ausland herbeigeschafft. Seit jedermann das Land frei verlassen darf, hat sich ein reger Einkaufstourismus vor allem für gebrauchte Kleider und Schuhe aus Panama, Ecuador und den USA entwickelt. Damit will die Regierung jetzt Schluss machen. Seit Jahresbeginn ist der Detailverkauf dieser Artikel verboten. Die Behörden schliessen damit ein Schlupfloch in der Gesetzgebung, das findige Kubaner bisher ausnützten. Man besorgte sich eine Lizenz als Schneiderin oder Couturier und widmete sich anschliessend dem Verkauf importierter Fertigwaren.
In La Cuevita ist man auf den Ernstfall vorbereitet. Sie werde ihren Verkaufsstand schliessen und wie früher die Waren wieder unter der Hand von Haus zu Haus verkaufen, sagt eine Geschäftsfrau mittleren Alters. Deren Nachbarin dagegen will ihre Kunden über die populäre Internetplattform «Revolico» erreichen. Dass sie damit Erfolg haben kann, ist anzunehmen. Pro Tag werden dort regelmässig über 3000 Angebote geschaltet und eifrig studiert.
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