Mittwoch, 19. Februar 2014

Vor sechshundert Jahren begann das Konstanzer Konzil.

aus NZZ, 19. 2. 20. 2. 2014                                                                                     aus der Konzilschronik

Das «Thurgauer Konzil» und die Papst-Mitra
Vor 600 Jahren begann in Konstanz der grösste Kongress des Mittelalters - mit starken Bezügen zur heutigen Schweiz
 


von Jörg Krummenacher, Kreuzlingen

Von 1414 bis 1418 fand der grösste Kongress des Mittelalters statt: das Konstanzer Konzil. Die Schweizer Orte am Bodensee waren intensiv beteiligt. Jetzt feiern sie grenzüberschreitend auch beim Jubiläum mit - und steuern die Papst-Mitra bei.

Vier Jahre dauerte das Konzil, und bis 2018 soll nun auf vielfältige Weise der damaligen Ereignisse gedacht werden. Im Zentrum steht und stand die deutsche Stadt Konstanz am westlichen Ausfluss des Bodensees, die mit dem Schweizer Ort Kreuzlingen zusammengewachsen ist. Der Thurgau bildete während Jahrhunderten das natürliche Hinterland der Bischofsstadt Konstanz. König Sigismund, Sohn von Karl IV., hatte das Konzil nach Konstanz einberufen, um die Kirchenspaltung zu beenden. Es gab zu jener Zeit drei sich konkurrenzierende Päpste: Johannes XXIII., der amtierende Papst aus Pisa, Benedikt XIII. aus Avignon und Gregor XII. aus Rom. In Konstanz trafen sich die Mächtigen, um zu beraten und zu entscheiden. Schliesslich traten die bisherigen drei Päpste zurück oder flohen, wie im Falle von Johannes XXIII., über heutiges schweizerisches Gebiet. Ein neuer Papst, Martin V., wurde gewählt - die einzige Papstwahl der Geschichte nördlich der Alpen.

Papstwahl im «Kaufhaus»

Während der Konzilsjahre war Konstanz mit seinen 6000 Einwohnern das Zentrum Europas. Die Stadt beherbergte 72 000 Gäste. Um sie zu versorgen, sollen 73 Geldwechsler, 230 Bäcker, 70 Wirte, 225 Schneider, 310 Barbiere und 700 Dirnen zugezogen sein. Die Wahl des neuen Papstes fand im oberen Saal des «Kaufhauses» statt, eines imposanten Marktgebäudes direkt am See. Es existiert bis heute als Restaurant und Tagungsstätte.

«Ohne den Thurgau kein Konzil», sagt Dominik Gügel, Direktor des Napoleonmuseums Arenenberg und mitverantwortlich für die Thurgauer Jubiläumsaktivitäten. Denn die Kulturlandschaft des Thurgauer Hinterlands versorgte die Konzilsgäste mit Fleisch, Getreide, weiteren Lebensmitteln und den notwendigen Dingen des täglichen Lebens wie Wasser, Brennholz oder Heu. Gügel spricht deshalb lieber vom «Thurgauer Kongress», zumal die hiesigen Dörfer, Landsitze und Klöster einen Grossteil der Konzilsgäste beherbergt hätten. Erst nachdem die Kundschafter des Königs und von Papst Johannes XXIII. durch die Thurgauer Landschaft geritten seien, Unterkünfte und Landwirtschaft inspiziert hätten, habe man sich für Konstanz als Konzilsort entschieden.

Entsprechend umfangreich beteiligt sich der Thurgau in den kommenden Jahren an den Jubiläumsaktivitäten, die sich bis 2018 hinziehen. Die Kantonsregierung hat dazu einen Beitrag von 220 000 Franken aus dem Lotteriefonds gesprochen. Geplant ist etwa der Nachbau eines Konzilgartens, einer Gartenanlage, wie sie im Spätmittelalter auf Landsitzen üblich war. Auf den «Wegen zum Konzil» sollen die historischen Orte mit Bezug zum Konzil präsentiert werden. Und reizvoll dürfte es sein, auf dem Velo die Strecke zwischen Kreuzlingen und Schaffhausen dem Rhein entlang abzufahren - just auf jenen Pfaden, auf denen Papst Johannes XXIII. im Jahr 1415 floh, nachdem er seine Chance auf eine Wiederwahl schwinden gesehen hatte. Er wurde aufgegriffen und in einem Burgturm in Gottlieben inhaftiert. Bei seiner Anreise war es hingegen noch freundlicher zu und her gegangen. Wichtigstes Symbol des Konzils, zumindest aus Thurgauer Sicht, ist nämlich die Papst-Mitra, die Johannes dem Abt des Klosters Kreuzlingen vermachte, wo er mitsamt seinem 400-köpfigen Gefolge übernachten konnte.

Mitra ausgeliehen

Das Recht, eine Bischofsmütze tragen zu dürfen, war als Dank für die Gastfreundschaft gedacht. Die Mitra, die heute zu den Beständen des Historischen Museums Thurgau gehört, ist frisch restauriert worden und gilt als eines der kostbarsten Erinnerungsstücke der Konzilszeit. Im April wird sie an die Baden-Württembergische Landesausstellung ausgeliehen, die sich dem Konzil widmet.


Die Feststimmung zum Konzilsjubiläum soll nicht nur Behörden und Würdenträger erfassen. «Wir spüren ein grosses Interesse der Bevölkerung», freut sich Dominik Gügel. Beispiel dafür ist die Sigismund-Tafel, die am 24. Mai grenzüberschreitend 1000 Bürgerinnen und Bürger an einen 275 Meter langen Tisch bringen soll.

Begegnungen über die Grenze setzen in diesen Tagen, wo die Auseinandersetzung rund um die Einwanderung die Schlagzeilen beherrscht, nicht nur mit Blick auf das Mittelalter einen wohltuenden Kontrapunkt.


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