Das «Thurgauer Konzil» und die Papst-Mitra 
Vor 600 Jahren begann in Konstanz der grösste Kongress des Mittelalters - mit starken Bezügen zur heutigen Schweiz
von Jörg Krummenacher, Kreuzlingen
Vor 600 Jahren begann in Konstanz der grösste Kongress des Mittelalters - mit starken Bezügen zur heutigen Schweiz
von Jörg Krummenacher, Kreuzlingen
Von 1414 bis 1418 fand der grösste Kongress des Mittelalters statt: das Konstanzer Konzil. Die Schweizer Orte am Bodensee waren intensiv beteiligt. Jetzt feiern sie grenzüberschreitend auch beim Jubiläum mit - und steuern die Papst-Mitra bei.
Vier Jahre dauerte das Konzil, und bis 2018 soll nun auf vielfältige Weise der damaligen Ereignisse gedacht werden. Im Zentrum steht und stand die deutsche Stadt Konstanz am westlichen Ausfluss des Bodensees, die mit dem Schweizer Ort Kreuzlingen zusammengewachsen ist. Der Thurgau bildete während Jahrhunderten das natürliche Hinterland der Bischofsstadt Konstanz. König Sigismund, Sohn von Karl IV., hatte das Konzil nach Konstanz einberufen, um die Kirchenspaltung zu beenden. Es gab zu jener Zeit drei sich konkurrenzierende Päpste: Johannes XXIII., der amtierende Papst aus Pisa, Benedikt XIII. aus Avignon und Gregor XII. aus Rom. In Konstanz trafen sich die Mächtigen, um zu beraten und zu entscheiden. Schliesslich traten die bisherigen drei Päpste zurück oder flohen, wie im Falle von Johannes XXIII., über heutiges schweizerisches Gebiet. Ein neuer Papst, Martin V., wurde gewählt - die einzige Papstwahl der Geschichte nördlich der Alpen.
Papstwahl im «Kaufhaus» 
Während der Konzilsjahre war 
Konstanz mit seinen 6000 Einwohnern das Zentrum Europas. Die Stadt 
beherbergte 72  000 Gäste. Um sie zu versorgen, sollen 73 Geldwechsler, 
230 Bäcker, 70 Wirte, 225 Schneider, 310 Barbiere und 700 Dirnen 
zugezogen sein. Die Wahl des neuen Papstes fand im oberen Saal des 
«Kaufhauses» statt, eines imposanten Marktgebäudes direkt am See. Es 
existiert bis heute als Restaurant und Tagungsstätte.
«Ohne den Thurgau kein Konzil», 
sagt Dominik Gügel, Direktor des Napoleonmuseums Arenenberg und 
mitverantwortlich für die Thurgauer Jubiläumsaktivitäten. Denn die 
Kulturlandschaft des Thurgauer Hinterlands versorgte die Konzilsgäste 
mit Fleisch, Getreide, weiteren Lebensmitteln und den notwendigen Dingen
 des täglichen Lebens wie Wasser, Brennholz oder Heu. Gügel spricht 
deshalb lieber vom «Thurgauer Kongress», zumal die hiesigen Dörfer, 
Landsitze und Klöster einen Grossteil der Konzilsgäste beherbergt 
hätten. Erst nachdem die Kundschafter des Königs und von Papst Johannes 
XXIII. durch die Thurgauer Landschaft geritten seien, Unterkünfte und 
Landwirtschaft inspiziert hätten, habe man sich für Konstanz als 
Konzilsort entschieden.
Entsprechend umfangreich beteiligt
 sich der Thurgau in den kommenden Jahren  an  den  
Jubiläumsaktivitäten, die sich bis 2018 hinziehen. Die Kantonsregierung 
hat dazu einen Beitrag von 220  000 Franken aus dem Lotteriefonds 
gesprochen. Geplant ist etwa der Nachbau eines Konzilgartens, einer 
Gartenanlage, wie sie im Spätmittelalter auf Landsitzen üblich war. Auf 
den «Wegen zum Konzil» sollen die historischen Orte mit Bezug zum Konzil
 präsentiert werden. Und reizvoll dürfte es sein, auf dem Velo die 
Strecke zwischen Kreuzlingen und Schaffhausen dem Rhein entlang 
abzufahren - just auf jenen Pfaden, auf denen Papst Johannes XXIII. im 
Jahr 1415 floh, nachdem er seine Chance auf eine Wiederwahl schwinden 
gesehen hatte. Er wurde aufgegriffen und in einem Burgturm in Gottlieben
 inhaftiert. Bei seiner Anreise war es hingegen noch freundlicher zu und
 her gegangen. Wichtigstes Symbol des Konzils, zumindest aus Thurgauer 
Sicht, ist nämlich die Papst-Mitra, die Johannes dem Abt des Klosters 
Kreuzlingen vermachte, wo er mitsamt seinem 400-köpfigen Gefolge 
übernachten konnte.
Mitra ausgeliehen 
Das Recht, eine Bischofsmütze 
tragen zu dürfen, war als Dank für die Gastfreundschaft gedacht. Die 
Mitra, die heute zu den Beständen des Historischen Museums Thurgau 
gehört, ist frisch restauriert worden und gilt als eines der kostbarsten
 Erinnerungsstücke der Konzilszeit. Im April wird sie an die 
Baden-Württembergische Landesausstellung ausgeliehen, die sich dem 
Konzil widmet.
Begegnungen über die Grenze setzen
 in diesen Tagen, wo die Auseinandersetzung rund um die Einwanderung die
 Schlagzeilen beherrscht, nicht nur mit Blick auf das Mittelalter einen 
wohltuenden Kontrapunkt.


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