Mittwoch, 5. Februar 2014

War Jesus ein Aufrührer?

aus NZZ, 5. 2. 2014                                                                                                                 Jacob Jordaens, um 1650

Tumult im Tempel
Reza Aslan zeichnet den historischen Jesus als Aufrührer

von Bernhard Lang · «Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb alle hinaus, die im Tempel verkauften und kauften, und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenverkäufer stiess er um und sagte zu ihnen: Mein Haus soll ein Haus des Gebets heissen, ihr aber macht es zu einer Räuberhöhle.» Diese Szene von der «Reinigung» des Jerusalemer Tempels, hier nach dem Matthäusevangelium zitiert, ist oft von Künstlern dargestellt worden. Sie geben Jesus - nach der erweiterten, ausgemalten Fassung des Johannesevangeliums - oft eine Peitsche aus Stricken in die erhobene Hand. Auch zeigen sie Jesus in Begleitung seiner Apostel - so zum Beispiel in einem Gemälde von El Greco in der National Gallery in London. Die Apostel, links in El Grecos Bild als debattierende Gruppe dargestellt, erinnern sich - dem Johannesevangelium gemäss - jenes Psalmenverses, den Luther so eindrucksvoll wiedergibt: «Der Eifer für dein Haus hat mich gefressen.»

Reza Aslan: Zelot. Jesus von Nazareth und seine Zeit.
Aus dem Englischen von Henning Dedekind, Karin Schuler, Norbert Juraschitz und Thomas Pfeiffer. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013. 384 S., Fr. 34.90.

Die modernen Ausleger sind sich keineswegs darüber einig, was von der Szene zu halten ist. Manchen gilt das Ganze als fromme Erfindung, herausgesponnen aus einem Vers des Propheten Sacharja: «Im Haus des Herrn der Heerscharen wird kein Händler mehr sein an jenem Tag.» Doch zumeist hält man es heute mit Martin Hengel, der die Szene für historisch verbürgt erachtete. Doch bewertete der evangelische Theologe das Geschehen nicht als sehr dramatisch: Jesus habe einige Tische umgestossen und Taubenkäfige geöffnet, während seine Jünger die Warenanlieferung auf dem Vorhof des Tempels behinderten. Es sei zu einem kleinen Tumult mit anschliessendem Wortgefecht gekommen, doch weder die römische Tempelwache noch die jüdische Tempelpolizei habe eingegriffen. Jesus sei also glimpflich davongekommen. Erst danach habe man sich mit dem Unruhestifter befasst und beschlossen, ihn aus dem Weg zu schaffen.

In seinem Buch «Zelot - Jesus von Nazareth und seine Zeit» neigt Reza Aslan noch mehr als Martin Hengel zur Ausschmückung, um eine anschauliche Darstellung zu erzielen: Von seinen Jüngern und einer begeisterten Menschenmenge begleitet und unterstützt, habe Jesus den öffentlichen Tempelvorplatz betreten, Tische umgestossen, die für Opfer bestimmten Tauben freigelassen, die Händler, «die billiges Essen und Souvenirs verkaufen», vom Platz gewiesen und so ein Chaos erzeugt. Menschen hätten sich um die auf dem Boden verstreuten Münzen und Handelswaren gebalgt, verängstigte Opfertiere seien aus dem Tempelhof in die vom Volk verstopften Gassen der Stadt gestürmt, während schwerbewaffnete Tempelpolizei den Hof nach dem Chaosstifter durchkämmt habe. - Man merkt, Reza Aslan ist nicht nur Religionswissenschafter, sondern auch Professor für «creative writing».

Doch hat es Aslan nicht in erster Linie auf die Unterhaltung seiner Leserschaft mit der Schilderung dramatischer Szenen abgesehen. Er will in historischer Absicht informieren: Jesus habe nicht von einem künftigen Gottesreich geschwärmt, sondern sich für ein jüdisches Reich eingesetzt, das in seiner eigenen Lebensspanne hätte entstehen und allen die Möglichkeit bieten sollen, nach Gottes Willen zu leben. Eine solche Botschaft habe die römische Besatzung Jerusalems aufhorchen lassen - und die jüdische Priesterschaft, die mit den Römern kollaboriert habe. Jesus sei so als Aufrührer ans Kreuz geschlagen worden.

Neue und unerwartete Thesen trägt der iranisch-amerikanische Autor nicht vor. Was er schreibt, hält sich innerhalb des Spielraums, in dem sich auch in Europa die Diskussion über den historischen Jesus bewegt. Man verzeiht ihm gern einige Ausschmückungen, etwa das Fast Food, das der antike Vorläufer von McDonald's im Tempelvorhof feilgeboten habe. Weniger gern verzeiht man der deutschen Übersetzung des englischen Originals den mitunter etwas holprigen Stil und einige Übersetzungsfehler. Ist Jesus tatsächlich mit 13 Jahren zu Johannes dem Täufer gekommen? Der Gedanke liesse sich ausbauen: Ein Kind kommt zum Täufer in die Wüste, wird von ihm grossgezogen und ausgebildet. Doch nein, Aslan hat das nie geschrieben; statt «13 Jahre» steht im englischen Original «30 Jahre».

Das Buch hat in den Vereinigten Staaten viel Aufsehen erregt. Der Grund liegt einmal im Wort «Zelot», denn darunter verstehen manche einen bewaffneten Gotteskrieger, der bereit ist, um religiöser Ziele willen Terrorakte zu begehen. In diesem Sinn sprach Yasir Arafat einst von Jesus als dem palästinensischen Fedayin, der das Schwert gegen die Besatzungsmacht geführt habe. Von einer solchen Deutung ist Aslan weit entfernt. Der Zelot ist für ihn einfach der «Eiferer» aus Psalm 69, den seine Liebe zum Jerusalemer Tempel überwältigt (oder auffrisst), ohne dass er dadurch zum Jihadisten wird.

Der zweite Grund für den Hype um Aslans Buch ist das Bekenntnis des Autors zum Islam. Kann ein Muslim überhaupt kompetent über Jesus schreiben? Können das christliche Theologen nicht besser? Nach der Lektüre von Reza Aslans «Zelot» kann man Letzteres wohl nicht mehr behaupten. Das manchmal etwas eigenwillige, aber durchaus aufschlussreiche Buch hat es verdient, auch in Europa gelesen und beachtet zu werden. Jesusforschung ist heute kein christliches Monopol mehr.


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