Tumult im Tempel
Reza Aslan zeichnet den historischen Jesus als Aufrührer
Reza Aslan zeichnet den historischen Jesus als Aufrührer
von Bernhard Lang · «Und
Jesus ging in den Tempel hinein und trieb alle hinaus, die im Tempel
verkauften und kauften, und die Tische der Geldwechsler und die Stände
der Taubenverkäufer stiess er um und sagte zu ihnen: Mein Haus soll ein
Haus des Gebets heissen, ihr aber macht es zu einer Räuberhöhle.» Diese
Szene von der «Reinigung» des Jerusalemer Tempels, hier nach dem
Matthäusevangelium zitiert, ist oft von Künstlern dargestellt worden.
Sie geben Jesus - nach der erweiterten, ausgemalten Fassung des
Johannesevangeliums - oft eine Peitsche aus Stricken in die erhobene
Hand. Auch zeigen sie Jesus in Begleitung seiner Apostel - so zum
Beispiel in einem Gemälde von El Greco in der National Gallery in
London. Die Apostel, links in El Grecos Bild als debattierende Gruppe
dargestellt, erinnern sich - dem Johannesevangelium gemäss - jenes
Psalmenverses, den Luther so eindrucksvoll wiedergibt: «Der Eifer für
dein Haus hat mich gefressen.»
Reza Aslan: Zelot. Jesus von Nazareth und seine Zeit.
Aus dem Englischen von Henning Dedekind, Karin Schuler, Norbert Juraschitz und Thomas Pfeiffer. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013. 384 S., Fr. 34.90.
Aus dem Englischen von Henning Dedekind, Karin Schuler, Norbert Juraschitz und Thomas Pfeiffer. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013. 384 S., Fr. 34.90.
Die modernen Ausleger sind sich
keineswegs darüber einig, was von der Szene zu halten ist. Manchen gilt
das Ganze als fromme Erfindung, herausgesponnen aus einem Vers des
Propheten Sacharja: «Im Haus des Herrn der Heerscharen wird kein Händler
mehr sein an jenem Tag.» Doch zumeist hält man es heute mit Martin
Hengel, der die Szene für historisch verbürgt erachtete. Doch bewertete
der evangelische Theologe das Geschehen nicht als sehr dramatisch: Jesus
habe einige Tische umgestossen und Taubenkäfige geöffnet, während seine
Jünger die Warenanlieferung auf dem Vorhof des Tempels behinderten. Es
sei zu einem kleinen Tumult mit anschliessendem Wortgefecht gekommen,
doch weder die römische Tempelwache noch die jüdische Tempelpolizei habe
eingegriffen. Jesus sei also glimpflich davongekommen. Erst danach habe
man sich mit dem Unruhestifter befasst und beschlossen, ihn aus dem Weg
zu schaffen.
In seinem Buch «Zelot - Jesus von
Nazareth und seine Zeit» neigt Reza Aslan noch mehr als Martin Hengel
zur Ausschmückung, um eine anschauliche Darstellung zu erzielen: Von
seinen Jüngern und einer begeisterten Menschenmenge begleitet und
unterstützt, habe Jesus den öffentlichen Tempelvorplatz betreten, Tische
umgestossen, die für Opfer bestimmten Tauben freigelassen, die Händler,
«die billiges Essen und Souvenirs verkaufen», vom Platz gewiesen und so
ein Chaos erzeugt. Menschen hätten sich um die auf dem Boden
verstreuten Münzen und Handelswaren gebalgt, verängstigte Opfertiere
seien aus dem Tempelhof in die vom Volk verstopften Gassen der Stadt
gestürmt, während schwerbewaffnete Tempelpolizei den Hof nach dem
Chaosstifter durchkämmt habe. - Man merkt, Reza Aslan ist nicht nur
Religionswissenschafter, sondern auch Professor für «creative writing».
Doch hat es Aslan nicht in erster
Linie auf die Unterhaltung seiner Leserschaft mit der Schilderung
dramatischer Szenen abgesehen. Er will in historischer Absicht
informieren: Jesus habe nicht von einem künftigen Gottesreich
geschwärmt, sondern sich für ein jüdisches Reich eingesetzt, das in
seiner eigenen Lebensspanne hätte entstehen und allen die Möglichkeit
bieten sollen, nach Gottes Willen zu leben. Eine solche Botschaft habe
die römische Besatzung Jerusalems aufhorchen lassen - und die jüdische
Priesterschaft, die mit den Römern kollaboriert habe. Jesus sei so als
Aufrührer ans Kreuz geschlagen worden.
Neue und unerwartete Thesen trägt
der iranisch-amerikanische Autor nicht vor. Was er schreibt, hält sich
innerhalb des Spielraums, in dem sich auch in Europa die Diskussion über
den historischen Jesus bewegt. Man verzeiht ihm gern einige
Ausschmückungen, etwa das Fast Food, das der antike Vorläufer von
McDonald's im Tempelvorhof feilgeboten habe. Weniger gern verzeiht man
der deutschen Übersetzung des englischen Originals den mitunter etwas
holprigen Stil und einige Übersetzungsfehler. Ist Jesus tatsächlich mit
13 Jahren zu Johannes dem Täufer gekommen? Der Gedanke liesse sich
ausbauen: Ein Kind kommt zum Täufer in die Wüste, wird von ihm
grossgezogen und ausgebildet. Doch nein, Aslan hat das nie geschrieben;
statt «13 Jahre» steht im englischen Original «30 Jahre».
Das Buch hat in den Vereinigten
Staaten viel Aufsehen erregt. Der Grund liegt einmal im Wort «Zelot»,
denn darunter verstehen manche einen bewaffneten Gotteskrieger, der
bereit ist, um religiöser Ziele willen Terrorakte zu begehen. In diesem
Sinn sprach Yasir Arafat einst von Jesus als dem palästinensischen
Fedayin, der das Schwert gegen die Besatzungsmacht geführt habe. Von
einer solchen Deutung ist Aslan weit entfernt. Der Zelot ist für ihn
einfach der «Eiferer» aus Psalm 69, den seine Liebe zum Jerusalemer
Tempel überwältigt (oder auffrisst), ohne dass er dadurch zum Jihadisten
wird.
Der zweite Grund für den Hype um
Aslans Buch ist das Bekenntnis des Autors zum Islam. Kann ein Muslim
überhaupt kompetent über Jesus schreiben? Können das christliche
Theologen nicht besser? Nach der Lektüre von Reza Aslans «Zelot» kann
man Letzteres wohl nicht mehr behaupten. Das manchmal etwas
eigenwillige, aber durchaus aufschlussreiche Buch hat es verdient, auch
in Europa gelesen und beachtet zu werden. Jesusforschung ist heute kein
christliches Monopol mehr.
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