Buddhismus im Aufwind
Wiedergeburt ist eine späte Erfindung
Der britische Lehrer und Autor Stephen Batchelor versucht, den Buddhismus zu reformieren – auch für Ungläubige.
von Daniel Herbstreit
Katholikentag? Islam-Debatte? Was ist eigentlich mit dem Buddhismus? Auf den ersten Blick scheint er viel besser in die moderne Welt zu passen als etwa das Christentum oder der Islam. Fürs Meditieren muss man nicht an einen allmächtigen Gott glauben, und oberste buddhistische Repräsentanten wie der Dalai Lama arbeiten mit Naturwissenschaftlern zusammen, statt sich hinter antiquierten Dogmen zu verschanzen. Doch dabei übersieht man leicht, dass auch die buddhistische Überlieferung voller Wahrheitsansprüche steckt, die heute kein vernünftiger Mensch mehr hinnehmen will, zum Beispiel die Lehren von Karma und Wiedergeburt. Und nicht nur in Asien, auch in Europa sind viele buddhistische Organisationen ähnlich konservativ und dogmatisch verkrustet wie der Vatikan.
Man muss sich das vor Augen halten, wenn man das Außergewöhnliche von Stephen Batchelor verstehen will. Seit den 90er Jahren treibt der Brite das Projekt eines nichtreligiösen Buddhismus so eloquent und entschieden voran wie kein Zweiter – als einer der prominentesten Lehrer für Achtsamkeits- und Zen-Meditation weltweit, vor allem aber als Autor. „Buddhismus für Ungläubige“ heißt sein erfolgreichstes Buch, in dem er seine säkulare Interpretation des Dharma, also der buddhistischen Lehre, für ein breites Publikum zusammenfasste. Dabei gelang Batchelor, was sich auf christlicher Seite zurzeit offenbar niemand so recht zutraut: ein praktikabler, zugleich intellektuell überzeugender Kompromiss zwischen Religion und Atheismus.
In buddhistischen Kreisen ist Batchelors Haltung naturgemäß umstritten. Respekt genießt er aber auch bei denjenigen, die nicht seiner Meinung sind. Wer ihm persönlich begegnet, erlebt einen englischen Gentleman, dem jede rebellische oder großsprecherische Attitüde vollkommen abgeht. „Der Buddhismus hat sich in den letzten tausend Jahren kaum geändert“, sagt er, „ich denke, eine Art Reformation ist überfällig."
Den historischen Buddha muss man sich als klugen Therapeuten denken
Tatsächlich klingt vieles, was Batchelor sagt und schreibt, sehr protestantisch. Er will die ursprüngliche Lehre Buddhas freilegen, damit seine Leser in direkten Kontakt mit ihr treten können, ohne Vermittlung durch Mönche oder Lamas. „Das ist purer Protestantismus“, sagt er selbst. Und nennt evangelische Theologen wie Paul Tillich und Dietrich Bonhoeffer als Inspirationsquellen für seine Arbeit.
Gautama, den historischen Buddha, muss man sich Batchelor zufolge wie einen klugen Therapeuten vorstellen, der versucht habe, Leiden zu verringern und zu ethischer Selbstverantwortung anzuleiten. Fragen nach dem Ursprung der Welt und dem Schicksal des Menschen nach dem Tod sei Gautama konsequent ausgewichen. Seine Lehre sollte ganz dem diesseitigen Leben dienen. Erst in den Jahrhunderten nach Gautamas Tod, so Batchelor, seien Glaubensinhalte wie Karma und Wiedergeburt übernommen worden.
Nun fällt Batchelors Arbeit in eine Zeit, in der die Achtsamkeitsbewegung weltweite Erfolge feiert. In allen größeren deutschen Städten werden Kurse für buddhistische Meditationstechniken angeboten, losgelöst von ihrem religiösen Kontext und meist unter dem Namen MBSR, der englischen Abkürzung für „Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“. Krankenkassen bezuschussen die Kurse, die Auswirkungen auf Wohlbefinden und Gesundheit werden wissenschaftlich untersucht. Große Unternehmen wie Google schulen ihre Mitarbeiter schon seit Jahren in Meditation.
Batchelor berücksichtigt auch die politische Dimension
Manchen Buddhisten ist dieser Boom nicht geheuer. Sie fürchten den Ausverkauf und Missbrauch ihrer Ideale, um Menschen noch leistungsfähiger zu machen für den kapitalistischen Wettbewerb. Batchelor teilt diese Sorge nicht. „Nur weil sich Achtsamkeit, wie alles in unserer Welt, zur Ware machen und verkaufen lässt, entwertet das doch nicht die Sache an sich.“ Er setzt darauf, dass Kursteilnehmer einen inneren Freiraum gewinnen, um sich existenziellen Fragen zu stellen. Seine Bücher versteht er auch als Versuch, diesen nicht-religiös Meditierenden Orientierung zu bieten.
Vor allem gelingt es ihm, seine Interpretation des Dharma in passende literarische Formen zu gießen, bei seinen stark autobiografischen Bekenntnissen eines ungläubigen Buddhisten genauso wie in seinem neuesten Buch, „After Buddhism. Rethinking the Dharma for a Secular Age“. Darin nähert sich Batchelor dem historischen Buddha über einige Figuren aus dessen Umfeld – , nächstes Jahr erscheint der Band auf Deutsch.
Ein neuer Aspekt in „After Buddhism“ ist, dass Batchelor versucht, auch die politische Dimension einer säkularen Lehre zu berücksichtigen. „Der Buddhismus hat nie eine eigenständige politische Ideologie entwickelt“, erklärt er im Gespräch. „Aber es lassen sich Rückschlüsse auf die Haltung des historischen Buddha ziehen.“ Dieser sei Republikaner gewesen, obwohl damals in Indien die Monarchie auf dem Vormarsch war. Die Gemeinschaft seiner Anhänger habe er egalitär gestaltet, ohne Unterschiede zwischen Männern und Frauen, Laien und Ordinierten.
Batchelor will zurück zu den Quellen
War Buddha also eine Art Proto-Demokrat? Batchelor lehnt die Bezeichnung ab, sie sei zu pauschal. „Klar ist aber, dass Gautama den Begriff ,Guru’ nie verwendet hat. Für die Zeit nach seinem Tod hat er sogar angeordnet, keinen neuen Führer zu bestimmen. Der Dharma allein sollte die Rolle des Lehrers übernehmen.“ Seine Anhänger hielten sich nicht daran. Nach Gautamas Tod übernahmen die erfahrensten Mönche der Gemeinschaft die Führung, etablierten Hierarchien, formulierten Dogmen. „Der Buddhismus, der daraus entstand, ist in vielerlei Hinsicht ein Verrat an den Vorstellungen des Buddha“, meint Batchelor. Mit seinem Projekt eines säkularen Dharma will er zurück zu den Quellen und noch mal von vorne beginnen.
Stephen Batchelor: After Buddhism. Rethinking the Dharma for a Secular Age, Yale University Press, Yale. 400 Seiten, 19, 45 €.