Mittwoch, 30. November 2016

Donald Trump verdanken wir der Digitalisierung.

 aus Der Standard, Wien, 28. November 2016, 08:00

"Smarte Software übernimmt Routinejobs"
Die Wahl Donald Trumps ist Symptom eines bröckelnden sozialen Zusammenhalts: Für Martin Ford liegt ein Grund dafür in neuen Technologien

Interview
 
STANDARD: Sie prophezeien, dass Automatisierung und Robotik eine Welt ohne Arbeitsplätze schaffen werden. Vorhersagen haben oft das Problem, dass sie einzelne Trends herausgreifen und daraus eine Zukunft entwerfen, die dann entsprechend dramatisch aussieht. Ist Ihre Vorhersage da anders?
 
Ford: Niemand kennt die Zukunft. Wir können nichts anderes tun, als Trends zu identifizieren, die wichtig sein werden. Massenarbeitslosigkeit mag ein Worst-Case-Szenario sein. Vielleicht kommt es nicht so weit, vielleicht sind die Auswirkungen weniger extrem. Aber wir sehen jetzt schon, dass die Ungleichheit größer wird. Es könnte auch sein, dass es weiterhin viele Jobs gibt, die Gehälter aber immer weiter sinken. Das wäre das am wenigsten dramatische Szenario, dennoch wäre es ein großes Problem.
 
STANDARD: Manche Forscher sagen, die Robotik steht heute dort, wo Computer in den 1960ern waren ...
 
Ford: ... ich würde sagen in den 1970ern, als die ersten PCs auf den Markt kamen. Ich denke oft an den Film Wall Street aus den 80ern, in dem Michael Douglas mit einem riesigen Mobiltelefon am Strand entlanggeht. So sieht Technologie in einem frühen Entwicklungsstadium aus. Man braucht sich nur anzusehen, wie sich die Handys bis heute entwickelt haben.
 
STANDARD: In den 70ern war aber nicht klar, wie und in welchem Ausmaß Computer 30 Jahre später eingesetzt werden. Wie kann man das in der Robotik vorhersehen? 

Ford: Es gibt gewisse Dinge, die wir sehr wohl wissen. Maschinen bekommen kognitive Fähigkeiten. Sie lernen, fällen Entscheidungen. Wir wissen, dass sie immer anspruchsvollere Arbeit erledigen. Das wird vieles ändern.

STANDARD: Sie schreiben, dass nicht nur körperliche, sondern in großem Umfang auch Kopfarbeit ersetzt wird. Haben Sie Beispiele für gefährdete Jobs, die hohe Problemlösekompetenz erfordern?
 
Ford: Wer vor seinem Computer sitzt und an den immer gleichen Analysen arbeitet, wird ersetzt werden. Auch Universitätsabgänger werden betroffen sein. Die Systeme zur Erstellung von journalistischen Inhalten werden besser werden. Langfristig wird nicht mehr der Radiologe Röntgenbilder betrachten, der Job wird vollständig von Computern übernommen, die unglaublich gut im Erkennen von Mustern sind. Die Anzahl von Jobs im Finanzsektor großer US-Unternehmen ist zuletzt um 40 Prozent zurückgegangen. Smarte Software übernimmt immer mehr Routinejobs in diesem Bereich.
 
STANDARD: Die Politiker erklären, dass für die wegfallenden Arbeitsplätze neue geschaffen werden. Sehen Sie das nicht so?
 
Ford: Die Anzahl der Jobs, die wegfallen, ist potenziell viel größer. Neue Jobs, die geschaffen werden, passen vielleicht nicht zu den Fähigkeiten und zur Ausbildung von vielen Menschen. Jemand, der jetzt ein Taxi fährt oder Hamburger brät, hat dann vielleicht keine Chance mehr.
 
STANDARD: Bildung bewahrt vor Jobverlust, lautet hier das Credo.
 
Ford: Bildung ist noch immer wichtig, aber meine Befürchtung ist, dass sie nicht ausreichen wird. Wenn die Technologie fähiger wird, können viele Menschen nicht mehr mithalten.
 
STANDARD: Menschen sind soziale Wesen und wollen sich vielleicht nicht ständig mit Robotern umgeben. Im Tourismus und anderen Dienstleistungsbereichen ist weitgehende Automatisierung nicht vorstellbar – oder doch?

Ford:
Hier wird sich besonders viel ändern. In den fortschrittlichsten Märkten arbeitet ein Großteil der Menschen im Dienstleistungsbereich. Viele Jobs werden durch die Automatisierung betroffen sein: im Fastfood-Bereich, im Handel, in Hotels, Tour Guides etwa.

 
STANDARD: Werden Dienstleistungen, die von realen Menschen ausgeführt werden, in den Luxusbereich abwandern?
 
Ford: Ja. Manche Menschen werden weiterhin darauf Wert legen. Man kann einen Tourguide anheuern, um eine Stadt anzusehen. Doch es kann sein, dass man einen schlechten Guide erwischt. Das Service am Smartphone ist aber jedenfalls akkurat, verlinkt weitere Informationen, und man kann es für einen Dollar downloaden. Viele Leute werden das wählen.
 
STANDARD: Sie sagen, wenn aufgrund der Automatisierung der Wohlstand nicht mehr alle erreicht, gefährde das den sozialen Zusammenhalt. Sehen Sie die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten bereits als erstes Zeichen dafür?
 
Ford: Sicher. Er ist ein Symptom der Tatsache, dass sich viele Menschen zurückgelassen fühlen, weil sie keinen Anteil mehr am Wachstum haben. Und das haben sie tatsächlich nicht. Diese Menschen haben recht, sie werden zurückgelassen. Sie zeigen wie Trump auf die Globalisierung und Immigranten als Hauptprobleme. Sie sprechen noch nicht über Technologie, weil sie sie als Ursache noch nicht erkannt haben. Ich glaube aber, dass Technologie wahrscheinlich einer der größten Faktoren ist, der die Menschen in diese Lage gebracht hat.
 
STANDARD: Die öffentliche Wahrnehmung könnte sich mit der Zeit also auch gegen die Technologie wenden?
 
Ford: Natürlich. Wenn Leute ihre Zukunft bedroht sehen, könnte es eine Gegenbewegung geben. Es wäre aber ein großer Fehler, den Einsatz von Technologie einschränken zu wollen. Das würde den Fortschritt beenden.
 
STANDARD: Sie schlagen für die Zukunft ein allgemeines Grundeinkommen vor. Warum wäre das der richtige Schritt?
 
Ford: Im Moment ist es nicht machbar. Bestimmt nicht in den USA, aber auch in Europa hat das gescheiterte Referendum in der Schweiz gezeigt, dass man noch nicht so weit ist. In Finnland laufen Pilotprojekte, und man experimentiert damit. Ich glaube, das ist genau das, was wir tun sollten. Wenn Bildung nicht mehr hilft, bleiben nicht viele Optionen. Die Menschen müssen überleben, und die Wirtschaft braucht Konsumenten.
 
STANDARD: Woher soll das Geld dafür kommen?
 
Ford: Ein Teil davon muss eine Form der Besteuerung sein, die jene Leute trifft, die von der Entwicklung extrem profitieren und sehr viel Kapital anhäufen. Vielleicht progressivere Steuern oder solche, die sich stärker an Kapital als an Arbeit orientieren. Auch Maschinensteuern sind eine Möglichkeit. Alle Varianten führen in dieselbe Richtung. Roboter und Technologie sind eine Form von Kapital. Nur wenige Menschen besitzen dieses Kapital und profitieren davon.
 
STANDARD: Aber auch mit Grundeinkommen wird es wenige Reiche und wenige Unternehmen geben, die den Markt bestimmen.
 
Ford: Das Problem der Ungleichheit ist Teil des Kapitalismus. Wir können nur moderierend eingreifen. Das Grundeinkommen wäre ein Werkzeug dafür.
 
STANDARD: Gerade in den USA stellt für viele Menschen ein Grundeinkommen den Kapitalismus selbst infrage. Wie begegnen Sie ihnen?
 
Ford: Menschen nehmen das so wahr, aber dem ist nicht so. Wenn man sich das historisch anschaut, waren jene Ökonomen, die ein Basiseinkommen vorgeschlagen haben, große Befürworter des Kapitalismus – etwa Friedrich Hayek. Das Grundeinkommen kann man als marktorientierten Ansatz für ein soziales Sicherheitsnetz sehen. Man gibt Menschen Geld, sodass sie es dem Markt wieder zuführen können. Es steht im Gegensatz zu einem Modell, in dem die Regierung Teile der Wirtschaft verstaatlicht, um mehr Jobs zu schaffen. Das Grundeinkommen ist eine Art, den Kapitalismus zu adaptieren und ihn zu verbessern.
 
STANDARD: Global gesehen könnte ein Grundeinkommen zum Migrationsgrund werden, was die Finanzierung erschwert. Wie soll das Konzept auf internationaler Ebene funktionieren?
 
Ford: Ein Grundeinkommen ist nicht kompatibel mit offenen Grenzen. Man braucht also eine bessere Immigrationspolitik. Ich verstehe die humanitären Gründe, Flüchtlinge aufzunehmen. Viele Leute haben aber keine Ausbildung und können sich kaum in die Wirtschaft fügen. Das ist ein Problem. Die Debatte ist leider aber derart mit Rassismus versetzt, dass eine rationale Diskussion schwierig ist. Man braucht Lösungen für die Herkunftsländer. Auch hier werden die neuen Technologien Einfluss haben. Bisher wurden Staaten wohlhabend, indem sie Fabriken gebaut haben, in denen viele Menschen mit geringer Ausbildung Arbeit fanden. Wir werden solche Fabriken nicht mehr brauchen. Diese Zukunft verschwindet gerade. Wie werden diese Länder es also schaffen, zu Wohlstand zu kommen?


Martin Ford startete seine Karriere mit einer Softwarefirma im Silicon Valley. Sein 2015 erschienenes Buch "Rise of the Robots: Technology and the Threat of a Jobless Future" stieß auf großes Medienecho. Vergangene Woche war er auf Einladung des Verkehrsministeriums bei Veranstaltungen in Wien zu Gast.


Nota. - Globalisierung und Digitalisieruung sind die zwei Seiten derselben Medaille. Es ist aber nicht die Globalisierungsseite, von der Menschen sich zu Recht bedroht fühlen, sondern die Digitalisie- rungsseite. Demagogen und alle, die zu faul und feige sind, den Stier bei den Hörnern zu packen, lamentieren über die Globalisierung und finden bei jedem Datschenbesitzer und Gartenzwerg ein offenes Ohr.

Die gegenwärtige Bundesregierung versucht hartnäckig, dagegen zu steuern. Das wird ihr dauerhaft nur gelingen, wenn sie die Rattenfänger mit den wahren Problemen der Digitalen Revolution konfron- tiert, denn da müssen sie passen. Dass Angela Merkel das Thema in den vergangenen Wochen immer wieder angesprochen hat, lässt hoffen. Doch ein Politiker sollte Fragen nur dann öffentlich stellen, wenn ihm auch schon Antworten vorschweben.
JE 


 

Dienstag, 29. November 2016

Wer ist hier die schweigende Mehrheit?


 
Die FAZ berichtet heute über eine repräsentative Umfrage von „TNS Infratest Politikforschung“ im Auftrag der Körber-Stiftung, die am Mittwochmorgen auf dem „Berliner Forum Außenpolitik“ vorgestellt wurde:

"Über drei Viertel der Deutschen lehnen es ab, neue Zäune zu errichten und die Grenzen zu schließen, um Flüchtlingen den Weg ins eigene Land zu verwehren....

Auch wenn sie die Flüchtlingskrise als wichtigstes Thema der deutschen Außenpolitik identifizieren, rechnet eine deutliche Mehrheit nicht mit einer nationalen Lösung. 73 Prozent erwarten, dass die Herausforderung sich nur auf europäischer Ebene bewältigen lässt und die EU-Mitgliedsstaaten nicht umhinkommen werden, die Ursachen von Flucht und Vertreibung stärker zu bekämpfen. 91 Prozent der Deutschen fordern genau das, auch dann, wenn deshalb zusätzliche Kosten in Kauf genommen werden müssen.

Unmut zeigt sich über das bisherige Engagement zahlreicher Nachbarstaaten. Knapp drei von vier Deutschen geben an, sie fühlten sich von den übrigen EU-Mitgliedsstaaten im Stich gelassen – und fordern Gegenmaßnah- men, sollten diese sich künftig nicht im ausreichenden Maße an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen."

Der Wahlkampf hat schon begonnen; die Mehrheit wird eine Stimme finden.


 



Sonntag, 27. November 2016

Neue Ostpolitik, oder Das Undenkbare denken.

 MIRAGE IV: Mirage IV

In der FAZ schreibt heute ihr Mitherausgeber Berthold Kohler unter der Überschrift Das ganz und gar Undenkbare über die Folgen der Wahl Donald Trumps für das westliche Sicherheitssystem.

"Wenn Trump bei seiner Linie bleibt, dann wird Amerika die Verteidigung Europas in einem Maße den Europä- ern überlassen, das sie seit 1945 nicht mehr kennen. Das wäre so widernatürlich nicht, für viele Europäer aber dennoch eine Zumutung, weil damit unangenehme Folgen verbunden wären, denen man unter dem oft verteufel- ten, aber bequemen amerikanischen Schutzschirm ausweichen konnte: höhere Ausgaben für die Verteidigung, die Wiederbelebung der Wehrpflicht, das Ziehen roter Linien – und das für deutsche Hirne ganz und gar Un- denkbare, die Frage einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit, welche die Zweifel an Amerikas Garantien ausgleichen könnte. Die französischen und britischen Arsenale sind dafür in ihrem gegenwärtigen Zustand zu schwach. Moskau aber rüstet auf.

Spätestens an diesem Punkt („Bloß kein nukleares Wettrüsten!“) setzen sogar noch Leute, die Trump für den schlimmsten Fehlgriff der amerikanischen Geschichte halten, darauf, dass er auf weise Berater hören werde, dass er sich vom amerikanischen Politiksystem bremsen lasse oder dass die gute Fee ihm nachts politischen Verstand eingebe. Deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitiker, die ihrer Verantwortung gerecht werden wollen, müssen sich und ihre Länder freilich auf den Fall vorbereiten, dass nichts davon eintritt."

Das ist zwar gruselig, aber wer wird ihm zu widersprechen wagen?

Mittwoch, 23. November 2016

"Deutschland muss sich jetzt fragen: Was wollen wir für die Welt?"


linkedin
aus nzz.ch, 23.11.2016, 20:36 Uhr

Wahl von Donald Trump
Kissinger will für Deutschland grössere Rolle in der Welt
Nach dem Wahlsieg von Donald Trump zum nächsten amerikanischen Präsidenten legt Ex-Aussenminister Henry Kissinger Deutschland eine gewichtigere Rolle in der Welt ans Herz

Deutschland müsse seine Rolle finden, das werde ein Prozess der Selbsterziehung sein, sagte der Amerikaner. «Deutschland muss sich jetzt fragen: Was wollen wir für die Welt? Wie Amerika übrigens auch.» Kissinger empfahl Europa, den Dialog mit Trump zu suchen. Der 1923 in Fürth geborene Kissinger war zwischen 1973 und 1977 Aussenminister unter dem damaligen Präsidenten Richard Nixon.
 
Kissinger hatte Trump nach dessen Sieg getroffen und mit ihm über Fragen der Weltpolitik gesprochen. Der Politikveteran warnte davor, den designierten Präsidenten allzu wörtlich zu nehmen, etwa bei dessen Ankündigungen zu Syrien: «Wahlkampf ist nicht Regieren.»
 
 
Nota. -  Man wird es, indem man etwas tut, dem andere folgen. Das muss man aber wollen, sonst wird nichts draus. Die Bundesregierung, die wir heute haben, muss Deutschlands Rolle so definieren, dass die Bundesre- gierung, die wir in einem Jahr haben werden, nicht mehr lange zaudern muss.
JE
 
 
 

Schlimme Jungs: Störenfriede sind männlich.

Peter Pan, Kensington Gardens
aus nzz.ch,  

Dieter Thomäs Philosophie des Störenfrieds 
Was böse Jungs alles können 
Als «puer robustus», als kräftiger und keineswegs braver Junge, betritt der Störenfried die Bühne der Kulturgeschichte. Dieter Thomä verfolgt ihn auf abenteuerlichen philosophischen Streifzügen. 

von Michael Stallknecht

Montag, 21. November 2016

Klare Fronten (Parteiendämmerung).


Azincourt

Seit Adenauers Tagen waren die politischen Fronten in Deutschland nie wieder so klar gezogen wie heute. Das maßgebende Zentrum ist das Merkellager und umfasst zuerst einmal fast die ganze CDU. Deutschland als Füh- rungsmacht in Europa und darum Führungeskraft des freien Westens: das kam so unverhofft und ist so radikal anders als alles, was es in diesem Land je gegeben hat, dass es noch für geraume Zeit als programmatische Selbstdefinition völlig ausreicht.

Die Grünen und die Sozialdemokratie wird es zerreißen. Die bei denen zwei und zwei zusammenzählen können, müssen sich von denen trennen, die lieber mit der "Linken" einen Bremsblock bilden und sich über Deutschland und seine Zukunft nicht den Kopf zerbrechen wollen. 


Der CSU fällt die Aufgabe zu, den Sumpf der AfD trockenzulegen. Es könnte sich aber auch erweisen, dass sie außer ihrer Macht in Bayern den Gartenzwergen gar nichts entgegenzusetzen hat. Dann würde sie zwischen den Fronten zerrieben, aber dann wäre es auch nicht schade um sie. 

Man muss einräumen, dass das unter Strauß und selbst noch unter Stoiber unvorstellbar gewesen wäre. 

Aber da war auch unvorstellbar, dass ein Trump amerikanischer Präsident wird. Dass Frau Merkel die Bürde, die plötzlich auf sie fällt, eine Nummer zu schwer ist, glaube ich ihr gern. Aber sie hat sich einmal in die große Politik hineinziehen lassen und da hat sie jetzt nicht mehr die Wahl.



Samstag, 19. November 2016

Wer denn sonst?

aus Süddeutsche.de, 

Angela Merkel  

Die Anführerin der freien Welt - und ihr Programm 
 
Von Thorsten Denkler, Berlin 
 
Am Sonntagabend wird eine Nachricht um die Welt gehen. Manche Menschen werden dann vielleicht aufatmen. Für 19 Uhr hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Pressestatement angekündigt, ohne ein spezielles Thema zu nennen. Sie wird wohl erklären, ob sie zur Bundestagswahl 2017 wieder antritt, sich für eine vierte Amtszeit bewirbt.
 
Nach der Wahl von Donald Trump in Weiße Haus ist das keine Frage mehr, die Deutschland alleine berührt oder auch nur Europa. Merkel ist zur vielleicht wichtigsten Führungspersönlichkeit der freien, liberalen Welt geworden. Timothy Garton, Kommentator der britischen Tageszeitung Guardian, schrieb kürzlich, der Begriff "Anführer der freien Welt" sei eigentlich dem Präsidenten der Vereinigten Staaten vorbehalten. Er sei nach Trumps Erfolg hingegen "versucht zu sagen, dass der Anführer der freien Welt Angela Merkel ist".
 
Die New York Times beginnt eine Analyse über Merkels Rolle im Trump-Zeitalter mit den Sätzen: "Und dann war es nur noch eine. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel wurde nach der Wahl von Donald Trump zur letzten, mächtigen Verteidigerin Europas und der transatlantischen Allianz."
 
 In den Niederlanden schreibt das eher konservative NRC Handelsblad: "Mehr Trump heißt mehr Merkel." Und in einem weiteren Text: "Deutschland und Merkel entwickeln sich zu den Fahnenträgern der westlichen Werte." Selbst die linke taz aus Deutschland erkennt, Merkel werde "plötzlich zur wichtigsten Staatschefin der freien, demokratischen und liberal aufgestellten Welt".
 
Ein deutsches Bollwerk gegen all das, wofür Trump steht
 
Merkel wird diese Rolle nicht mögen. Sie wird damit auf ein Podest gehoben, auf dem sie nicht stehen möchte. Merkel glaubt an Zusammenarbeit, an Kompromisse, an Dialog. Nicht an das Modell eines einsamen Anführers, der die Geschicke der Welt lenkt.

In diese Rolle hat sie sich allerdings auch selbst gebracht. Am Tag nach der US-Wahl stellte sie sich vor die Presse und diktierte dem gewählten Präsidenten Trump Bedingungen für eine gute Zusammenarbeit. Deutschland und Amerika seien durch Werte wie Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen verbunden. "Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an."


Merkels Sätze gingen um die Welt. Im liberalen Teil der USA muss es geklungen haben, als baue Merkel gerade mit schwerem Gerät ein Bollwerk gegen den Hass, gegen Frauen- und Fremdenfeindlichkeit; gegen all das, wofür Trump steht. Kein anderer europäischer Staatschef hat den Anspruch so deutlich formuliert, nicht bereit zu sein, elementare Grundwerte im Kampf gegen den Populismus von rechts zu opfern.

Das zeigt sich auch in dem Entwurf eines Leitantrages für den CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember in Essen. Bevor sich Merkel an diesem Sonntag erklärt, kommt in Berlin im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale, der Bundesvorstand zu einer zweitägigen Klausur zusammen. Dort soll über den Entwurf beraten werden. Der Antrag wird wohl die Grundlage für das Wahlprogramm der CDU sein. Und damit der Generalplan dafür, wie die CDU unter Merkel die Wähler der rechtspopulistischen bis -extremen AfD für sich gewinnen will.

CDU will "finanzielle Spielräume" nutzen

Der bisher unveröffentlichte Entwurf, der SZ.de vorliegt, verspricht, auf vermeintlich "einfache" Lösungen zu verzichten. "Populismus, Abschottung nach außen, Protektionismus und die Spaltung der eigenen Gesellschaft sind keine Antworten auf die drängenden Probleme von Gegenwart und Zukunft." Die Versprechen einfacher Lösungen "gefährden den inneren und äußeren Frieden". Die CDU sei eine Wertepartei. Sie stehe für eine "freie, offene, solidarische und pluralistische Gesellschaft".


Ganz ausdrücklich bekennt sich die CDU zur "Achtung der Würde jedes einzelnen Menschen" und zu den daraus folgenden Grund- und Menschenrechten. Sie bejaht den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, bekennt sich zur sozialen Marktwirtschaft, zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union, zum transatlantischen Bündnis, zur Nato und zum Existenzrecht Israels.
... 

In der Flüchtlingspolitik weicht die CDU nicht von ihrer bisherigen Linie ab. Die sei "erfolgreich" gewesen. Die Zahl der nach Deutschland Flüchtenden sei stark reduziert worden, aus vielerlei Gründen. Eine Obergrenze wird nicht erwähnt. Die CDU wolle sich jetzt stattdessen "verstärkt der Beschleunigung von Verfahren und der Rückführung abgelehnter Asylbewerber" zuwenden. 

Merkel setzt mit dem Entwurf darauf, dass Standhaftigkeit belohnt wird. Dass sie so bessere Chancen im Wahlkampf hat als mit einer Kehrtwende. Bleibt noch die Frage, ob sie selbst diese Standhaftigkeit hat. Oder ob sie am Sonntag bei ihrem Auftritt den Platz für einen anderen Kanzlerkandidaten freimacht. Letzteres ist unwahrscheinlich und wäre sehr überraschend. Nach einer Umfrage für das Magazin Stern wünschen sich 59 Prozent der Deutschen, dass Merkel wieder antritt. Und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte am Samstag auf einer Parteiveranstaltung in Leipzig: "Wir erwarten, dass Merkel am Sonntag das sagt, was jeder weiß: Dass sie die CDU in den nächsten Wahlkampf führt." Da kann sie doch eigentlich nicht Nein sagen, oder?


Nota. - Das muss man sich erstmal klarmachen: In der Flüchtlingskrise ging es darum, wer Europa zusammenhält. Es kommt nur einer in Frage, aber will der auch, was er müsste?

Das ist ein schweres Paket. Es ist ja noch nicht wieder vergessen: Deutschland hat einen Weltkrieg verloren, den es selbst begonnen hat.

Jetzt weht in Amerika ein isolationistisches Lüftchen, und die Rolle der Führungsmacht der westlichen Welt ist vakant. Und wer außer uns käme da in 'Frage?
JE


Freitag, 18. November 2016

Sind die Flüchtlinge eher eine Bereicherung oder eine Belastung?

aus nzz.ch, 15.11.2016, 16:47 Uhr

Was die Flüchtlinge mitbringen 
Der syrische Arzt bleibt die Ausnahme. Dies bestätigt eine repräsentative Umfrage unter Flüchtlingen. Immerhin ist das Gros bildungshungrig und möchte einen Abschluss nachholen – aber zunächst einmal arbeiten. 

von Christoph Eisenring, Berlin 


Flüchtlinge nehmen Kosten und Risiken auf sich, um in ein sicheres Land zu kommen. 7000 € gaben sie im Schnitt für ihre Flucht nach Deutschland aus. Dabei waren sie 40 Tage unterwegs, wobei jeder Vierte Opfer eines Schiffbruchs wurde. Sie flüchteten vor Kriegen und Konflikten (70%), aber auch vor Verfolgung (44%) und Diskriminierung (38%). Weshalb verschlug es sie gerade nach Deutschland? Drei von vier Flüchtlingen nennen als Grund, dass in dem Land die Menschenrechte geachtet würden. Gerätselt hat man in Deutschland bisher darüber, welche Qualifikationen die Flüchtlinge mitbringen. Nun ergibt eine Umfrage des Bundesamtes für Flüchtlinge und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erstmals ein repräsentatives Bild. Befragt wurden 2300 volljährige Flüchtlinge, die zwischen 2013 und Anfang 2016 nach Deutschland gekommen sind.



Flüchtlinge sind sich der Defizite bewusst

Ins Auge sticht die grosse Kluft zwischen dem Bildungsniveau der Flüchtlinge und demjenigen der Einheimischen. Mindestens zehn Jahre Schulbildung werden in Westeuropa als Standard angesehen, und 88% der deutschen Bevölkerung überspringen diese Hürde. Unter den Flüchtlingen dagegen gilt das nur für 58%. Darin zeigt sich eine starke Zweiteilung der Bildungserfahrungen: Während ein Drittel der Flüchtlinge eine weiterführende Schule abgeschlossen hat, ging ein Zehntel gar nicht oder nur einige Jahre in die Grundschule. Diese Dichotomie zeigt sich auch im Erwachsenenalter, haben doch 70% der Flüchtlinge keinen Berufs- oder Studienabschluss. Immerhin besitzen aber drei Viertel Berufserfahrung – im Schnitt sechs Jahre.

Die Flüchtlinge sind sich ihrer Defizite durchaus bewusst und zeigen sich in der Umfrage bildungshungrig. Die Hälfte möchte noch einen Schulabschluss, zwei Drittel wollen ein berufliches Diplom nachholen. Allerdings sind gute Vorsätze noch nicht mit Abschlüssen gleichzusetzen. Laut der Umfrage wollen viele Flüchtlinge nämlich zunächst einmal arbeiten und erst später in Bildung investieren.

Nach drei Jahren hat jeder Fünfte einen Job

So erklärt sich denn auch, dass derzeit 58% der arbeitssuchenden Flüchtlinge von den Arbeitsämtern nur für Hilfsjobs als geeignet erachtet werden, 14% für fachliche Tätigkeiten und 4% für Experten-Jobs. Co-Autor Herbert Brücker vom federführenden IAB sieht den deutschen Arbeitsmarkt immerhin als ziemlich aufnahmefähig an –gerade auch für wenig Qualifizierte. Von den 1,6 Mio. Stellen, die in den letzten drei Jahren in Deutschland geschaffen worden seien, seien 40% Jobs, die niedrige Qualifikationen erforderten.

Die Umfrage macht deutlich, was für ein Marathonlauf die Integration am Arbeitsmarkt sein wird. Von den 2013 als Flüchtlinge gekommenen Menschen ist derzeit jeder Dritte erwerbstätig. Bei den Personen, die 2014 flüchteten, sind es 22% und bei denjenigen, die im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, lediglich 14%. Gemäss Brücker entspricht dies ungefähr den historischen Erfahrungen. Es dürfte damit etwa 15 Jahre dauern, bis 70% der Flüchtlinge erwerbstätig sind.

Nähe zu den Deutschen

Ob die Integration in Deutschland gelingt, hängt auch davon ab, ob die Geflüchteten die Werte der Einheimischen teilen. Und hier sagen die Studienautoren, dass die Haltungen der Flüchtlinge näher bei jenen im Gastland liegen als bei jenen ihrer Landsleute. So sagen zum Beispiel je 92% der Flüchtlinge und der Deutschen, dass Frauen die gleichen Rechte haben sollten wie Männer. Dies unterstützen aber nur 67% der Bevölkerung in den Krisenstaaten.

Einen starken Führer wünschen sich 21% der Flüchtlinge und – eher überraschend – auch 22% der Deutschen. Bei den Landsleuten der Flüchtlinge sind es aber sogar 46%. Es gibt indes auch kleine Unterschiede zu den Deutschen: Immerhin 13% der Flüchtlinge sprechen sich dafür aus, dass ein Religionsführer die Auslegung der Gesetze bestimmt, während es bei den Deutschen «nur» 8% sind. Aber auch hier ist der Unterschied zur Bevölkerung der Herkunftsstaaten gross, wo dies 55% wollen.

Für diese Resultate gibt es verschiedene Erklärungen. Wer einige Jahre in Deutschland gelebt hat, hat sich möglicherweise schon an die Mehrheitsgesellschaft angepasst. Zum Teil dürften die Interviewten auch die Antworten gegeben haben, die sie als erwünscht ansahen. Auf eine gewisse Verzerrung deutet jedenfalls, dass Fragen zu Werten von 10% bis 15% der Flüchtlinge nicht beantwortet wurden. Wichtigster Grund ist aber wohl, dass sich Flüchtlinge von ihren Landsleuten systematisch unterscheiden. Flüchtlinge – zumindest diejenigen, die in einer ersten Welle kommen – gehören oft eher zu den gebildeteren, den risikofreudigeren und den weniger angepassten Bewohnern ihres Landes.


Nota. - Als im vorige Novemder die Flüchtlinge nach Deutschland kamen, war zuerst die Begeisterung, endlich einmal selber helfen zu können, groß, und die Deutschen staunten über sich selbst, fast noch mehr als ihre Nach- barn. Dass Stolz dabei war, kann man niemand verübeln. 

Übel war jedoch, dass von stets derselben interessierten Seite das Thema so okkupiert wurde, als handle es sich um den endlichen Triumph aller politisch korrekten Menschen guten Willens über die sittlich Beklagenswerten. Eine national- und weltpolitisch existenzielle Frage wurde auf Stammtischniveau heruntergebrochen, und dort schallte es prompt zurück: Die fressen uns die Haare vom Kopf! Die ruinieren unsere Sicherungssysteme!

Und auf einmal sahen sich die Gutmenschen in die Rolle von Schadensbegrenzern zurückgedrängt: Ohne Zuwanderung wird Deutschland vergreisen, die werden im Gegenteil unsere Rentenkassen wieder auffüllen! Und so ging das Krämergezänk weiter: Bis es soweit ist, sind wir längst pleite! 

Ja, und da kam das fromme Märchen von den syrischen Ärzten auf, da hatten die Gutmenschen in ihrem Suppenteller mal wieder vierzehn Tag Oberwasser, bis zur nächsten Retoure der identitären Gartenzwerge...

Kleinlich und klebrig, und die Chance eines vollkommen ernsten Streits über Deutschland und seine künftige Rolle in der Welt war vertan.

Das ist nun auch schon wieder eine Weile her, wenn es noch einen interessiert, kann man ihm inzwischen ruhig und sachlich kommen: Weder noch. Und kann man sagen: Darum ist es auch nie gegangen, sondern darum, ob Deutschland seine Aufgabe als Führungsmacht in der Mitte Europas erfüllt oder sich lieber als größte Kleingartenkolonie aller Zeiten unauffällig macht. 
JE 


 

Donnerstag, 17. November 2016

Warum haben die Europäer den Weltmarkt geschaffen und nicht die Asiaten?

Zhen He's Flotte
aus Der Standard, Wien, 16. November 2016, 13:47

Historiker: 
"Europas Wettbewerbsvorteil war die Gewalt" 
Die Händler der indischen Stadt Surat waren den Europäern lange Zeit überlegen, sagt der Historiker Sanjay Subrahmanyam. 

ein Interview von Eric Frey

STANDARD: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam? 

Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen. 

STANDARD: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht? 

Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute. 

STANDARD: Wie global war dieser Handel? 

Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika. 

STANDARD: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten? 

Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete. 

STANDARD: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten. 

Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht. 

STANDARD: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen. 

Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter. 

STANDARD: Wie erklärt sich dieser Unterschied? 

Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. 

STANDARD: Surat wurde 1759 von der East India Company erobert. Wurde der Niedergang eher durch interne indische Konflikte oder durch externe Kräfte verursacht? 

Subrahmanyam: Es war eine Kombination von Gründen. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zum Hinterland durch politische Instabilität gebrochen. Das ließ die Märkte schrumpfen. Und dann kam der Aufstieg des Hafens von Bombay durch die Briten. 

STANDARD: In Europa, etwa in den Niederlanden, waren die Händler eine starke politische Kraft. Wie war das in Indien? 

Subrahmanyam: Die Händler spielten in der regionalen Politik eine Rolle, aber nicht in der imperialen Politik. Das hängt auch mit der Größe eines Staates zusammen. Ein wichtiger Händler in Amsterdam war auch politisch einflussreich. Ein Händler in Surat oder in Kanton war weit weg vom politischen Zentrum. Selbst in einem Land wie Frankreich oder im Habsburgerreich war der Einfluss von Händlern beschränkt. Und Indien und China sind so groß wie ganz Europa. Es ist eines der Momente in der Geschichte, in denen Größe ein Nachteil war. Kleine Staaten mit starkem Händlereinfluss waren im Vorteil. 

STANDARD: Welche Rolle spielt diese Geschichtsperiode in der heutigen indischen Politik? 

Subrahmanyam: Eine umstrittene. Die Regierungspartei BJP verfolgt einen Hindu-Nationalismus und schätzt die muslimische Herrschaft nicht. Heute wird die Mogulära daher meist als dunkle Zeit der Unterdrückung beschrieben. Das sehe ich gar nicht so. 

STANDARD: Und andere politische Kräfte, wie die Kongress-Partei? 

Subrahmanyam: Ihr Bild vom Mogulreich ist auch seltsam. Sie betont deren Stärke und Macht und interessierte sich nicht für autonome Städte. Alles Positive wird dem Staat zugeschrieben. Mich interessiert hingegen nicht die staatliche Macht, sondern die Lebendigkeit sozialer Kräfte in einer Hafenstadt wie Surat. Dafür war der Staat nicht verantwortlich. 

STANDARD: Steckt darin eine Botschaft für das heutige Indien? 

 Subrahmanyam: Ja. In Indien fehlt das Verständnis für die unternehmerische Tradition. Man glaubt, man habe den Markt erst vor kurzem entdeckt. Das ist ein falscher Mythos, den die Inder über sich erfunden haben. Der Markt hat früher eine wichtige Rolle gespielt. Ich zitiere gerne aus einem Brief eines florentinischen Händlers aus der Strozzi-Familie, der im frühen 16. Jahrhundert nach Indien kam, die Händler vergleicht und sagt: Sie lachen über uns. Diese Menschen können besser kopfrechnen als wir mit einem Abakus. Ihre Handelstechniken sind viel besser als unsere. Wir Florentiner glauben, wir sind die Klügsten, aber hier schauen wir nicht so klug aus. Aber wenn man heute indische Intellektuelle fragt, ob es etwa im 16. Jahrhundert eine große Handelskultur gab, dann streiten sie das ab. 

STANDARD: Kann man sagen, Kapitalismus wurde in Indien erfunden? 

Subrahmanyam: Nicht ganz. Das Gleiche gilt für die Handelsstädte in China oder für Kairo. Das ist kein indisches Phänomen. 

STANDARD: Und warum haben dann die Europäer den Weltmarkt erobert? 

Subrahmanyam: Weil die Europäer es nicht beim Handel belassen haben. Sie haben ihn mit Gewalt kombiniert. Der größte Wettbewerbsvorteil der Europäer lag in der Produktion von Gewalt. Das war ihr großer Export. In den Dokumenten der Niederländer kann man nachlesen: Wir haben versucht, mit dem Iran zu handeln, aber die Inder sind uns überlegen. Was tut man dann? Man gebraucht Gewalt. Das war erfolgreich, aber auch sehr zerstörerisch.

STANDARD: Kann Indien an diese Tradition wieder anschließen? 

Subrahmanyam: Ja, aber das geschieht derzeit nicht. Die Inder denken zu sehr in Großmachtkategorien, sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem Erfolg der Europäer. So baut man eine große Kriegsflotte, ebenso wie die Chinesen. Es wäre besser, sich auf die lange Tradition großer Händler und Unternehmer zu besinnen.  

Sanjay Subrahmanyam (55) ist Professor für Geschichte an der UCLA in Los Angeles. Er begann als Wirtschaftshistoriker in Neu-Delhi und ist heute einer der führenden Forscher über außereuropäische Sozialgeschichte in der frühen Neuzeit. Er hat den Begriff "connected history" geprägt. Subrahmanyam war kürzlich als Vortragender der JESHO-Lectures Series des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien -  


Nota. - Sag doch frei heraus, was du denktst: Europas Wettbewerbsvorteil war der schlechte Charaakter der Europäer. Der Asiate ist eben friedlicher als der Weiße Mann, da musste er ja unterliegen.

So ist's korrekt. Heute; in meiner Kindheit war noch weniger von asiatischer Weisheit, aber mehr von asiatischer Grausamkeit die Rede; doch da waren wir noch nicht korrekt.

Wieso haben die Europäer den Weltmarkt erfunden und beherrscht - allen voran die Briten? Weil sie das Kapital erfunden haben. Dazu hat das bloße Anhäufen unermesslicher Reichtümer nicht gereicht - die gab es in Asien auch, vielleicht noch unermesslicher, und die waren nicht durch Gebete angesammelt. Außer den Reichtümern brauchte es noch eine Masse von Menschen, die alles Eigentum verloren hatten und ihre bloße Arbeitskraft vermieten mussten, um zu überleben. Eine große Masse von Menschen, die von dem Boden vertrieben waren, von dem sie seit Jahrhunderten gelebt hatten.

Eine solche eigentumslose Masse gab es nur in Europa, und nur, weil es dort die Feudalherren gegeben hatte - die einerseits das Anhäufen großer Reichtümer in den Händen städtischer Bürger erlaubt und sich andererseits durch Borgen in die Geldwirtschaft hatten hineinziehen lassen; und wegen ihres Geldbedarfs ihre erbuntertänigen Bauern von ihren Äckern vertrieben...

Das war eine grausame Sache, aber dass es an den schlechten Genen der weißhäutigen Rasse läge, möchte ich nicht glauben, das käme mir nicht korrekt vor.
JE 


  STANDARD: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam? Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen. STANDARD: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht? Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute. STANDARD: Wie global war dieser Handel? Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika. STANDARD: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten? Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete. STANDARD: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten. Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht. STANDARD: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen. Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter. STANDARD: Wie erklärt sich dieser Unterschied? Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. STANDARD: Surat wurde 1759 von der East India Company erobert. Wurde der Niedergang eher durch interne indische Konflikte oder durch externe Kräfte verursacht? Subrahmanyam: Es war eine Kombination von Gründen. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zum Hinterland durch politische Instabilität gebrochen. Das ließ die Märkte schrumpfen. Und dann kam der Aufstieg des Hafens von Bombay durch die Briten. STANDARD: In Europa, etwa in den Niederlanden, waren die Händler eine starke politische Kraft. Wie war das in Indien? Subrahmanyam: Die Händler spielten in der regionalen Politik eine Rolle, aber nicht in der imperialen Politik. Das hängt auch mit der Größe eines Staates zusammen. Ein wichtiger Händler in Amsterdam war auch politisch einflussreich. Ein Händler in Surat oder in Kanton war weit weg vom politischen Zentrum. Selbst in einem Land wie Frankreich oder im Habsburgerreich war der Einfluss von Händlern beschränkt. Und Indien und China sind so groß wie ganz Europa. Es ist eines der Momente in der Geschichte, in denen Größe ein Nachteil war. Kleine Staaten mit starkem Händlereinfluss waren im Vorteil. STANDARD: Welche Rolle spielt diese Geschichtsperiode in der heutigen indischen Politik? Subrahmanyam: Eine umstrittene. Die Regierungspartei BJP verfolgt einen Hindu-Nationalismus und schätzt die muslimische Herrschaft nicht. Heute wird die Mogulära daher meist als dunkle Zeit der Unterdrückung beschrieben. Das sehe ich gar nicht so. STANDARD: Und andere politische Kräfte, wie die Kongress-Partei? Subrahmanyam: Ihr Bild vom Mogulreich ist auch seltsam. Sie betont deren Stärke und Macht und interessierte sich nicht für autonome Städte. Alles Positive wird dem Staat zugeschrieben. Mich interessiert hingegen nicht die staatliche Macht, sondern die Lebendigkeit sozialer Kräfte in einer Hafenstadt wie Surat. Dafür war der Staat nicht verantwortlich. STANDARD: Steckt darin eine Botschaft für das heutige Indien? Subrahmanyam: Ja. In Indien fehlt das Verständnis für die unternehmerische Tradition. Man glaubt, man habe den Markt erst vor kurzem entdeckt. Das ist ein falscher Mythos, den die Inder über sich erfunden haben. Der Markt hat früher eine wichtige Rolle gespielt. Ich zitiere gerne aus einem Brief eines florentinischen Händlers aus der Strozzi-Familie, der im frühen 16. Jahrhundert nach Indien kam, die Händler vergleicht und sagt: Sie lachen über uns. Diese Menschen können besser kopfrechnen als wir mit einem Abakus. Ihre Handelstechniken sind viel besser als unsere. Wir Florentiner glauben, wir sind die Klügsten, aber hier schauen wir nicht so klug aus. Aber wenn man heute indische Intellektuelle fragt, ob es etwa im 16. Jahrhundert eine große Handelskultur gab, dann streiten sie das ab. STANDARD: Kann man sagen, Kapitalismus wurde in Indien erfunden? Subrahmanyam: Nicht ganz. Das Gleiche gilt für die Handelsstädte in China oder für Kairo. Das ist kein indisches Phänomen. STANDARD: Und warum haben dann die Europäer den Weltmarkt erobert? Subrahmanyam: Weil die Europäer es nicht beim Handel belassen haben. Sie haben ihn mit Gewalt kombiniert. Der größte Wettbewerbsvorteil der Europäer lag in der Produktion von Gewalt. Das war ihr großer Export. In den Dokumenten der Niederländer kann man nachlesen: Wir haben versucht, mit dem Iran zu handeln, aber die Inder sind uns überlegen. Was tut man dann? Man gebraucht Gewalt. Das war erfolgreich, aber auch sehr zerstörerisch. STANDARD: Kann Indien an diese Tradition wieder anschließen? Subrahmanyam: Ja, aber das geschieht derzeit nicht. Die Inder denken zu sehr in Großmachtkategorien, sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem Erfolg der Europäer. So baut man eine große Kriegsflotte, ebenso wie die Chinesen. Es wäre besser, sich auf die lange Tradition großer Händler und Unternehmer zu besinnen. (Eric Frey, 16.11.2016) Sanjay Subrahmanyam (55) ist Professor für Geschichte an der UCLA in Los Angeles. Er begann als Wirtschaftshistoriker in Neu-Delhi und ist heute einer der führenden Forscher über außereuropäische Sozialgeschichte in der frühen Neuzeit. Er hat den Begriff "connected history" geprägt. Subrahmanyam war kürzlich als Vortragender der JESHO-Lectures Series des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. - derstandard.at/2000047623895-629/Indischer-Historiker-Europas-Wettbewerbsvorteil-war-die-GewaltSTANDARD: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam? Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen. STANDARD: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht? Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute. STANDARD: Wie global war dieser Handel? Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika. STANDARD: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten? Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete. STANDARD: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten. Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht. STANDARD: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen. Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter. STANDARD: Wie erklärt sich dieser Unterschied? Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. STANDARD: Surat wurde 1759 von der East India Company erobert. Wurde der Niedergang eher durch interne indische Konflikte oder durch externe Kräfte verursacht? Subrahmanyam: Es war eine Kombination von Gründen. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zum Hinterland durch politische Instabilität gebrochen. Das ließ die Märkte schrumpfen. Und dann kam der Aufstieg des Hafens von Bombay durch die Briten. STANDARD: In Europa, etwa in den Niederlanden, waren die Händler eine starke politische Kraft. Wie war das in Indien? Subrahmanyam: Die Händler spielten in der regionalen Politik eine Rolle, aber nicht in der imperialen Politik. Das hängt auch mit der Größe eines Staates zusammen. Ein wichtiger Händler in Amsterdam war auch politisch einflussreich. Ein Händler in Surat oder in Kanton war weit weg vom politischen Zentrum. Selbst in einem Land wie Frankreich oder im Habsburgerreich war der Einfluss von Händlern beschränkt. Und Indien und China sind so groß wie ganz Europa. Es ist eines der Momente in der Geschichte, in denen Größe ein Nachteil war. Kleine Staaten mit starkem Händlereinfluss waren im Vorteil. STANDARD: Welche Rolle spielt diese Geschichtsperiode in der heutigen indischen Politik? Subrahmanyam: Eine umstrittene. Die Regierungspartei BJP verfolgt einen Hindu-Nationalismus und schätzt die muslimische Herrschaft nicht. Heute wird die Mogulära daher meist als dunkle Zeit der Unterdrückung beschrieben. Das sehe ich gar nicht so. STANDARD: Und andere politische Kräfte, wie die Kongress-Partei? Subrahmanyam: Ihr Bild vom Mogulreich ist auch seltsam. Sie betont deren Stärke und Macht und interessierte sich nicht für autonome Städte. Alles Positive wird dem Staat zugeschrieben. Mich interessiert hingegen nicht die staatliche Macht, sondern die Lebendigkeit sozialer Kräfte in einer Hafenstadt wie Surat. Dafür war der Staat nicht verantwortlich. STANDARD: Steckt darin eine Botschaft für das heutige Indien? Subrahmanyam: Ja. In Indien fehlt das Verständnis für die unternehmerische Tradition. Man glaubt, man habe den Markt erst vor kurzem entdeckt. Das ist ein falscher Mythos, den die Inder über sich erfunden haben. Der Markt hat früher eine wichtige Rolle gespielt. Ich zitiere gerne aus einem Brief eines florentinischen Händlers aus der Strozzi-Familie, der im frühen 16. Jahrhundert nach Indien kam, die Händler vergleicht und sagt: Sie lachen über uns. Diese Menschen können besser kopfrechnen als wir mit einem Abakus. Ihre Handelstechniken sind viel besser als unsere. Wir Florentiner glauben, wir sind die Klügsten, aber hier schauen wir nicht so klug aus. Aber wenn man heute indische Intellektuelle fragt, ob es etwa im 16. Jahrhundert eine große Handelskultur gab, dann streiten sie das ab. STANDARD: Kann man sagen, Kapitalismus wurde in Indien erfunden? Subrahmanyam: Nicht ganz. Das Gleiche gilt für die Handelsstädte in China oder für Kairo. Das ist kein indisches Phänomen. STANDARD: Und warum haben dann die Europäer den Weltmarkt erobert? Subrahmanyam: Weil die Europäer es nicht beim Handel belassen haben. Sie haben ihn mit Gewalt kombiniert. Der größte Wettbewerbsvorteil der Europäer lag in der Produktion von Gewalt. Das war ihr großer Export. In den Dokumenten der Niederländer kann man nachlesen: Wir haben versucht, mit dem Iran zu handeln, aber die Inder sind uns überlegen. Was tut man dann? Man gebraucht Gewalt. Das war erfolgreich, aber auch sehr zerstörerisch. STANDARD: Kann Indien an diese Tradition wieder anschließen? Subrahmanyam: Ja, aber das geschieht derzeit nicht. Die Inder denken zu sehr in Großmachtkategorien, sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem Erfolg der Europäer. So baut man eine große Kriegsflotte, ebenso wie die Chinesen. Es wäre besser, sich auf die lange Tradition großer Händler und Unternehmer zu besinnen. (Eric Frey, 16.11.2016) - derstandard.at/2000047623895-629/Indischer-Historiker-Europas-Wettbewerbsvorteil-war-die-GewaltSTANDARD: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam? Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen. STANDARD: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht? Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute. STANDARD: Wie global war dieser Handel? Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika. STANDARD: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten? Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete. STANDARD: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten. Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht. STANDARD: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen. Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter. STANDARD: Wie erklärt sich dieser Unterschied? Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. STANDARD: Surat wurde 1759 von der East India Company erobert. Wurde der Niedergang eher durch interne indische Konflikte oder durch externe Kräfte verursacht? Subrahmanyam: Es war eine Kombination von Gründen. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zum Hinterland durch politische Instabilität gebrochen. Das ließ die Märkte schrumpfen. Und dann kam der Aufstieg des Hafens von Bombay durch die Briten. STANDARD: In Europa, etwa in den Niederlanden, waren die Händler eine starke politische Kraft. Wie war das in Indien? Subrahmanyam: Die Händler spielten in der regionalen Politik eine Rolle, aber nicht in der imperialen Politik. Das hängt auch mit der Größe eines Staates zusammen. Ein wichtiger Händler in Amsterdam war auch politisch einflussreich. Ein Händler in Surat oder in Kanton war weit weg vom politischen Zentrum. Selbst in einem Land wie Frankreich oder im Habsburgerreich war der Einfluss von Händlern beschränkt. Und Indien und China sind so groß wie ganz Europa. Es ist eines der Momente in der Geschichte, in denen Größe ein Nachteil war. Kleine Staaten mit starkem Händlereinfluss waren im Vorteil. STANDARD: Welche Rolle spielt diese Geschichtsperiode in der heutigen indischen Politik? Subrahmanyam: Eine umstrittene. Die Regierungspartei BJP verfolgt einen Hindu-Nationalismus und schätzt die muslimische Herrschaft nicht. Heute wird die Mogulära daher meist als dunkle Zeit der Unterdrückung beschrieben. Das sehe ich gar nicht so. STANDARD: Und andere politische Kräfte, wie die Kongress-Partei? Subrahmanyam: Ihr Bild vom Mogulreich ist auch seltsam. Sie betont deren Stärke und Macht und interessierte sich nicht für autonome Städte. Alles Positive wird dem Staat zugeschrieben. Mich interessiert hingegen nicht die staatliche Macht, sondern die Lebendigkeit sozialer Kräfte in einer Hafenstadt wie Surat. Dafür war der Staat nicht verantwortlich. STANDARD: Steckt darin eine Botschaft für das heutige Indien? Subrahmanyam: Ja. In Indien fehlt das Verständnis für die unternehmerische Tradition. Man glaubt, man habe den Markt erst vor kurzem entdeckt. Das ist ein falscher Mythos, den die Inder über sich erfunden haben. Der Markt hat früher eine wichtige Rolle gespielt. Ich zitiere gerne aus einem Brief eines florentinischen Händlers aus der Strozzi-Familie, der im frühen 16. Jahrhundert nach Indien kam, die Händler vergleicht und sagt: Sie lachen über uns. Diese Menschen können besser kopfrechnen als wir mit einem Abakus. Ihre Handelstechniken sind viel besser als unsere. Wir Florentiner glauben, wir sind die Klügsten, aber hier schauen wir nicht so klug aus. Aber wenn man heute indische Intellektuelle fragt, ob es etwa im 16. Jahrhundert eine große Handelskultur gab, dann streiten sie das ab. STANDARD: Kann man sagen, Kapitalismus wurde in Indien erfunden? Subrahmanyam: Nicht ganz. Das Gleiche gilt für die Handelsstädte in China oder für Kairo. Das ist kein indisches Phänomen. STANDARD: Und warum haben dann die Europäer den Weltmarkt erobert? Subrahmanyam: Weil die Europäer es nicht beim Handel belassen haben. Sie haben ihn mit Gewalt kombiniert. Der größte Wettbewerbsvorteil der Europäer lag in der Produktion von Gewalt. Das war ihr großer Export. In den Dokumenten der Niederländer kann man nachlesen: Wir haben versucht, mit dem Iran zu handeln, aber die Inder sind uns überlegen. Was tut man dann? Man gebraucht Gewalt. Das war erfolgreich, aber auch sehr zerstörerisch. STANDARD: Kann Indien an diese Tradition wieder anschließen? Subrahmanyam: Ja, aber das geschieht derzeit nicht. Die Inder denken zu sehr in Großmachtkategorien, sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem Erfolg der Europäer. So baut man eine große Kriegsflotte, ebenso wie die Chinesen. Es wäre besser, sich auf die lange Tradition großer Händler und Unternehmer zu besinnen. (Eric Frey, 16.11.2016) - derstandard.at/2000047623895-629/Indischer-Historiker-Europas-Wettbewerbsvorteil-war-die-GewaltSTANDARD: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam? Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen. STANDARD: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht? Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute. STANDARD: Wie global war dieser Handel? Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika. STANDARD: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten? Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete. STANDARD: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten. Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht. STANDARD: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen. Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter. STANDARD: Wie erklärt sich dieser Unterschied? Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. STANDARD: Surat wurde 1759 von der East India Company erobert. Wurde der Niedergang eher durch interne indische Konflikte oder durch externe Kräfte verursacht? Subrahmanyam: Es war eine Kombination von Gründen. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zum Hinterland durch politische Instabilität gebrochen. Das ließ die Märkte schrumpfen. Und dann kam der Aufstieg des Hafens von Bombay durch die Briten. STANDARD: In Europa, etwa in den Niederlanden, waren die Händler eine starke politische Kraft. Wie war das in Indien? Subrahmanyam: Die Händler spielten in der regionalen Politik eine Rolle, aber nicht in der imperialen Politik. Das hängt auch mit der Größe eines Staates zusammen. Ein wichtiger Händler in Amsterdam war auch politisch einflussreich. Ein Händler in Surat oder in Kanton war weit weg vom politischen Zentrum. Selbst in einem Land wie Frankreich oder im Habsburgerreich war der Einfluss von Händlern beschränkt. Und Indien und China sind so groß wie ganz Europa. Es ist eines der Momente in der Geschichte, in denen Größe ein Nachteil war. Kleine Staaten mit starkem Händlereinfluss waren im Vorteil. STANDARD: Welche Rolle spielt diese Geschichtsperiode in der heutigen indischen Politik? Subrahmanyam: Eine umstrittene. Die Regierungspartei BJP verfolgt einen Hindu-Nationalismus und schätzt die muslimische Herrschaft nicht. Heute wird die Mogulära daher meist als dunkle Zeit der Unterdrückung beschrieben. Das sehe ich gar nicht so. STANDARD: Und andere politische Kräfte, wie die Kongress-Partei? Subrahmanyam: Ihr Bild vom Mogulreich ist auch seltsam. Sie betont deren Stärke und Macht und interessierte sich nicht für autonome Städte. Alles Positive wird dem Staat zugeschrieben. Mich interessiert hingegen nicht die staatliche Macht, sondern die Lebendigkeit sozialer Kräfte in einer Hafenstadt wie Surat. Dafür war der Staat nicht verantwortlich. STANDARD: Steckt darin eine Botschaft für das heutige Indien? Subrahmanyam: Ja. In Indien fehlt das Verständnis für die unternehmerische Tradition. Man glaubt, man habe den Markt erst vor kurzem entdeckt. Das ist ein falscher Mythos, den die Inder über sich erfunden haben. Der Markt hat früher eine wichtige Rolle gespielt. Ich zitiere gerne aus einem Brief eines florentinischen Händlers aus der Strozzi-Familie, der im frühen 16. Jahrhundert nach Indien kam, die Händler vergleicht und sagt: Sie lachen über uns. Diese Menschen können besser kopfrechnen als wir mit einem Abakus. Ihre Handelstechniken sind viel besser als unsere. Wir Florentiner glauben, wir sind die Klügsten, aber hier schauen wir nicht so klug aus. Aber wenn man heute indische Intellektuelle fragt, ob es etwa im 16. Jahrhundert eine große Handelskultur gab, dann streiten sie das ab. STANDARD: Kann man sagen, Kapitalismus wurde in Indien erfunden? Subrahmanyam: Nicht ganz. Das Gleiche gilt für die Handelsstädte in China oder für Kairo. Das ist kein indisches Phänomen. STANDARD: Und warum haben dann die Europäer den Weltmarkt erobert? Subrahmanyam: Weil die Europäer es nicht beim Handel belassen haben. Sie haben ihn mit Gewalt kombiniert. Der größte Wettbewerbsvorteil der Europäer lag in der Produktion von Gewalt. Das war ihr großer Export. In den Dokumenten der Niederländer kann man nachlesen: Wir haben versucht, mit dem Iran zu handeln, aber die Inder sind uns überlegen. Was tut man dann? Man gebraucht Gewalt. Das war erfolgreich, aber auch sehr zerstörerisch. STANDARD: Kann Indien an diese Tradition wieder anschließen? Subrahmanyam: Ja, aber das geschieht derzeit nicht. Die Inder denken zu sehr in Großmachtkategorien, sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem Erfolg der Europäer. So baut man eine große Kriegsflotte, ebenso wie die Chinesen. Es wäre besser, sich auf die lange Tradition großer Händler und Unternehmer zu besinnen. (Eric Frey, 16.11.2016) Sanjay Subrahmanyam (55) ist Professor für Geschichte an der UCLA in Los Angeles. Er begann als Wirtschaftshistoriker in Neu-Delhi und ist heute einer der führenden Forscher über außereuropäische Sozialgeschichte in der frühen Neuzeit. Er hat den Begriff "connected history" geprägt. Subrahmanyam war kürzlich als Vortragender der JESHO-Lectures Series des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. - derstandard.at/2000047623895-629/Indischer-Historiker-Europas-Wettbewerbsvorteil-war-die-GewaltDie Händler der indischen Stadt Surat waren den Europäern lange Zeit überlegen, sagt der Historiker Sanjay Subrahmanyam. STANDARD: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam? Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen. STANDARD: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht? Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute. STANDARD: Wie global war dieser Handel? Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika. STANDARD: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten? Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete. STANDARD: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten. Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht. STANDARD: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen. Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter. STANDARD: Wie erklärt sich dieser Unterschied? Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. STANDARD: Surat wurde 1759 von der East India Company erobert. Wurde der Niedergang eher durch interne indische Konflikte oder durch externe Kräfte verursacht? Subrahmanyam: Es war eine Kombination von Gründen. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zum Hinterland durch politische Instabilität gebrochen. Das ließ die Märkte schrumpfen. Und dann kam der Aufstieg des Hafens von Bombay durch die Briten. STANDARD: In Europa, etwa in den Niederlanden, waren die Händler eine starke politische Kraft. Wie war das in Indien? Subrahmanyam: Die Händler spielten in der regionalen Politik eine Rolle, aber nicht in der imperialen Politik. Das hängt auch mit der Größe eines Staates zusammen. Ein wichtiger Händler in Amsterdam war auch politisch einflussreich. Ein Händler in Surat oder in Kanton war weit weg vom politischen Zentrum. Selbst in einem Land wie Frankreich oder im Habsburgerreich war der Einfluss von Händlern beschränkt. Und Indien und China sind so groß wie ganz Europa. Es ist eines der Momente in der Geschichte, in denen Größe ein Nachteil war. Kleine Staaten mit starkem Händlereinfluss waren im Vorteil. STANDARD: Welche Rolle spielt diese Geschichtsperiode in der heutigen indischen Politik? Subrahmanyam: Eine umstrittene. Die Regierungspartei BJP verfolgt einen Hindu-Nationalismus und schätzt die muslimische Herrschaft nicht. Heute wird die Mogulära daher meist als dunkle Zeit der Unterdrückung beschrieben. Das sehe ich gar nicht so. STANDARD: Und andere politische Kräfte, wie die Kongress-Partei? Subrahmanyam: Ihr Bild vom Mogulreich ist auch seltsam. Sie betont deren Stärke und Macht und interessierte sich nicht für autonome Städte. Alles Positive wird dem Staat zugeschrieben. Mich interessiert hingegen nicht die staatliche Macht, sondern die Lebendigkeit sozialer Kräfte in einer Hafenstadt wie Surat. Dafür war der Staat nicht verantwortlich. STANDARD: Steckt darin eine Botschaft für das heutige Indien? Subrahmanyam: Ja. In Indien fehlt das Verständnis für die unternehmerische Tradition. Man glaubt, man habe den Markt erst vor kurzem entdeckt. Das ist ein falscher Mythos, den die Inder über sich erfunden haben. Der Markt hat früher eine wichtige Rolle gespielt. Ich zitiere gerne aus einem Brief eines florentinischen Händlers aus der Strozzi-Familie, der im frühen 16. Jahrhundert nach Indien kam, die Händler vergleicht und sagt: Sie lachen über uns. Diese Menschen können besser kopfrechnen als wir mit einem Abakus. Ihre Handelstechniken sind viel besser als unsere. Wir Florentiner glauben, wir sind die Klügsten, aber hier schauen wir nicht so klug aus. Aber wenn man heute indische Intellektuelle fragt, ob es etwa im 16. Jahrhundert eine große Handelskultur gab, dann streiten sie das ab. STANDARD: Kann man sagen, Kapitalismus wurde in Indien erfunden? Subrahmanyam: Nicht ganz. Das Gleiche gilt für die Handelsstädte in China oder für Kairo. Das ist kein indisches Phänomen. STANDARD: Und warum haben dann die Europäer den Weltmarkt erobert? Subrahmanyam: Weil die Europäer es nicht beim Handel belassen haben. Sie haben ihn mit Gewalt kombiniert. Der größte Wettbewerbsvorteil der Europäer lag in der Produktion von Gewalt. Das war ihr großer Export. In den Dokumenten der Niederländer kann man nachlesen: Wir haben versucht, mit dem Iran zu handeln, aber die Inder sind uns überlegen. Was tut man dann? Man gebraucht Gewalt. Das war erfolgreich, aber auch sehr zerstörerisch. STANDARD: Kann Indien an diese Tradition wieder anschließen? Subrahmanyam: Ja, aber das geschieht derzeit nicht. Die Inder denken zu sehr in Großmachtkategorien, sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem Erfolg der Europäer. So baut man eine große Kriegsflotte, ebenso wie die Chinesen. Es wäre besser, sich auf die lange Tradition großer Händler und Unternehmer zu besinnen. (Eric Frey, 16.11.2016) Sanjay Subrahmanyam (55) ist Professor für Geschichte an der UCLA in Los Angeles. Er begann als Wirtschaftshistoriker in Neu-Delhi und ist heute einer der führenden Forscher über außereuropäische Sozialgeschichte in der frühen Neuzeit. Er hat den Begriff "connected history" geprägt. Subrahmanyam war kürzlich als Vortragender der JESHO-Lectures Series des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien - derstandard.at/2000047623895-629/Indischer-Historiker-Europas-Wettbewerbsvorteil-war-die-GewaltHistoriker: "Europas Wettbewerbsvorteil war die Gewalt" 16. November 2016, 13:47 13 Postings Die Händler der indischen Stadt Surat waren den Europäern lange Zeit überlegen, sagt der Historiker Sanjay Subrahmanyam. STANDARD: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam? Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen. STANDARD: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht? Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute. STANDARD: Wie global war dieser Handel? Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika. STANDARD: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten? Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete. STANDARD: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten. Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht. STANDARD: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen. Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter. STANDARD: Wie erklärt sich dieser Unterschied? Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. STANDARD: Surat wurde 1759 von der East India Company erobert. Wurde der Niedergang eher durch interne indische Konflikte oder durch externe Kräfte verursacht? Subrahmanyam: Es war eine Kombination von Gründen. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zum Hinterland durch politische Instabilität gebrochen. Das ließ die Märkte schrumpfen. Und dann kam der Aufstieg des Hafens von Bombay durch die Briten. STANDARD: In Europa, etwa in den Niederlanden, waren die Händler eine starke politische Kraft. Wie war das in Indien? Subrahmanyam: Die Händler spielten in der regionalen Politik eine Rolle, aber nicht in der imperialen Politik. Das hängt auch mit der Größe eines Staates zusammen. Ein wichtiger Händler in Amsterdam war auch politisch einflussreich. Ein Händler in Surat oder in Kanton war weit weg vom politischen Zentrum. Selbst in einem Land wie Frankreich oder im Habsburgerreich war der Einfluss von Händlern beschränkt. Und Indien und China sind so groß wie ganz Europa. Es ist eines der Momente in der Geschichte, in denen Größe ein Nachteil war. Kleine Staaten mit starkem Händlereinfluss waren im Vorteil. STANDARD: Welche Rolle spielt diese Geschichtsperiode in der heutigen indischen Politik? Subrahmanyam: Eine umstrittene. Die Regierungspartei BJP verfolgt einen Hindu-Nationalismus und schätzt die muslimische Herrschaft nicht. Heute wird die Mogulära daher meist als dunkle Zeit der Unterdrückung beschrieben. Das sehe ich gar nicht so. STANDARD: Und andere politische Kräfte, wie die Kongress-Partei? Subrahmanyam: Ihr Bild vom Mogulreich ist auch seltsam. Sie betont deren Stärke und Macht und interessierte sich nicht für autonome Städte. Alles Positive wird dem Staat zugeschrieben. Mich interessiert hingegen nicht die staatliche Macht, sondern die Lebendigkeit sozialer Kräfte in einer Hafenstadt wie Surat. Dafür war der Staat nicht verantwortlich. STANDARD: Steckt darin eine Botschaft für das heutige Indien? Subrahmanyam: Ja. In Indien fehlt das Verständnis für die unternehmerische Tradition. Man glaubt, man habe den Markt erst vor kurzem entdeckt. Das ist ein falscher Mythos, den die Inder über sich erfunden haben. Der Markt hat früher eine wichtige Rolle gespielt. Ich zitiere gerne aus einem Brief eines florentinischen Händlers aus der Strozzi-Familie, der im frühen 16. Jahrhundert nach Indien kam, die Händler vergleicht und sagt: Sie lachen über uns. Diese Menschen können besser kopfrechnen als wir mit einem Abakus. Ihre Handelstechniken sind viel besser als unsere. Wir Florentiner glauben, wir sind die Klügsten, aber hier schauen wir nicht so klug aus. Aber wenn man heute indische Intellektuelle fragt, ob es etwa im 16. Jahrhundert eine große Handelskultur gab, dann streiten sie das ab. STANDARD: Kann man sagen, Kapitalismus wurde in Indien erfunden? Subrahmanyam: Nicht ganz. Das Gleiche gilt für die Handelsstädte in China oder für Kairo. Das ist kein indisches Phänomen. STANDARD: Und warum haben dann die Europäer den Weltmarkt erobert? Subrahmanyam: Weil die Europäer es nicht beim Handel belassen haben. Sie haben ihn mit Gewalt kombiniert. Der größte Wettbewerbsvorteil der Europäer lag in der Produktion von Gewalt. Das war ihr großer Export. In den Dokumenten der Niederländer kann man nachlesen: Wir haben versucht, mit dem Iran zu handeln, aber die Inder sind uns überlegen. Was tut man dann? Man gebraucht Gewalt. Das war erfolgreich, aber auch sehr zerstörerisch. STANDARD: Kann Indien an diese Tradition wieder anschließen? Subrahmanyam: Ja, aber das geschieht derzeit nicht. Die Inder denken zu sehr in Großmachtkategorien, sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem Erfolg der Europäer. So baut man eine große Kriegsflotte, ebenso wie die Chinesen. Es wäre besser, sich auf die lange Tradition großer Händler und Unternehmer zu besinnen. (Eric Frey, 16.11.2016) Sanjay Subrahmanyam (55) ist Professor für Geschichte an der UCLA in Los Angeles. Er begann als Wirtschaftshistoriker in Neu-Delhi und ist heute einer der führenden Forscher über außereuropäische Sozialgeschichte in der frühen Neuzeit. Er hat den Begriff "connected history" geprägt. Subrahmanyam war kürzlich als Vortragender der JESHO-Lectures Series des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. - derstandard.at/2000047623895-629/Indischer-Historiker-Europas-Wettbewerbsvorteil-war-die-Gewalt
Historiker: "Europas Wettbewerbsvorteil war die Gewalt" 16. November 2016, 13:47 13 Postings Die Händler der indischen Stadt Surat waren den Europäern lange Zeit überlegen, sagt der Historiker Sanjay Subrahmanyam. STANDARD: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam? Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen. STANDARD: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht? Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute. STANDARD: Wie global war dieser Handel? Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika. STANDARD: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten? Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete. STANDARD: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten. Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht. STANDARD: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen. Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter. STANDARD: Wie erklärt sich dieser Unterschied? Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. STANDARD: Surat wurde 1759 von der East India Company erobert. Wurde der Niedergang eher durch interne indische Konflikte oder durch externe Kräfte verursacht? Subrahmanyam: Es war eine Kombination von Gründen. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zum Hinterland durch politische Instabilität gebrochen. Das ließ die Märkte schrumpfen. Und dann kam der Aufstieg des Hafens von Bombay durch die Briten. STANDARD: In Europa, etwa in den Niederlanden, waren die Händler eine starke politische Kraft. Wie war das in Indien? Subrahmanyam: Die Händler spielten in der regionalen Politik eine Rolle, aber nicht in der imperialen Politik. Das hängt auch mit der Größe eines Staates zusammen. Ein wichtiger Händler in Amsterdam war auch politisch einflussreich. Ein Händler in Surat oder in Kanton war weit weg vom politischen Zentrum. Selbst in einem Land wie Frankreich oder im Habsburgerreich war der Einfluss von Händlern beschränkt. Und Indien und China sind so groß wie ganz Europa. Es ist eines der Momente in der Geschichte, in denen Größe ein Nachteil war. Kleine Staaten mit starkem Händlereinfluss waren im Vorteil. STANDARD: Welche Rolle spielt diese Geschichtsperiode in der heutigen indischen Politik? Subrahmanyam: Eine umstrittene. Die Regierungspartei BJP verfolgt einen Hindu-Nationalismus und schätzt die muslimische Herrschaft nicht. Heute wird die Mogulära daher meist als dunkle Zeit der Unterdrückung beschrieben. Das sehe ich gar nicht so. STANDARD: Und andere politische Kräfte, wie die Kongress-Partei? Subrahmanyam: Ihr Bild vom Mogulreich ist auch seltsam. Sie betont deren Stärke und Macht und interessierte sich nicht für autonome Städte. Alles Positive wird dem Staat zugeschrieben. Mich interessiert hingegen nicht die staatliche Macht, sondern die Lebendigkeit sozialer Kräfte in einer Hafenstadt wie Surat. Dafür war der Staat nicht verantwortlich. STANDARD: Steckt darin eine Botschaft für das heutige Indien? Subrahmanyam: Ja. In Indien fehlt das Verständnis für die unternehmerische Tradition. Man glaubt, man habe den Markt erst vor kurzem entdeckt. Das ist ein falscher Mythos, den die Inder über sich erfunden haben. Der Markt hat früher eine wichtige Rolle gespielt. Ich zitiere gerne aus einem Brief eines florentinischen Händlers aus der Strozzi-Familie, der im frühen 16. Jahrhundert nach Indien kam, die Händler vergleicht und sagt: Sie lachen über uns. Diese Menschen können besser kopfrechnen als wir mit einem Abakus. Ihre Handelstechniken sind viel besser als unsere. Wir Florentiner glauben, wir sind die Klügsten, aber hier schauen wir nicht so klug aus. Aber wenn man heute indische Intellektuelle fragt, ob es etwa im 16. Jahrhundert eine große Handelskultur gab, dann streiten sie das ab. STANDARD: Kann man sagen, Kapitalismus wurde in Indien erfunden? Subrahmanyam: Nicht ganz. Das Gleiche gilt für die Handelsstädte in China oder für Kairo. Das ist kein indisches Phänomen. STANDARD: Und warum haben dann die Europäer den Weltmarkt erobert? Subrahmanyam: Weil die Europäer es nicht beim Handel belassen haben. Sie haben ihn mit Gewalt kombiniert. Der größte Wettbewerbsvorteil der Europäer lag in der Produktion von Gewalt. Das war ihr großer Export. In den Dokumenten der Niederländer kann man nachlesen: Wir haben versucht, mit dem Iran zu handeln, aber die Inder sind uns überlegen. Was tut man dann? Man gebraucht Gewalt. Das war erfolgreich, aber auch sehr zerstörerisch. STANDARD: Kann Indien an diese Tradition wieder anschließen? Subrahmanyam: Ja, aber das geschieht derzeit nicht. Die Inder denken zu sehr in Großmachtkategorien, sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem Erfolg der Europäer. So baut man eine große Kriegsflotte, ebenso wie die Chinesen. Es wäre besser, sich auf die lange Tradition großer Händler und Unternehmer zu besinnen. (Eric Frey, 16.11.2016) Sanjay Subrahmanyam (55) ist Professor für Geschichte an der UCLA in Los Angeles. Er begann als Wirtschaftshistoriker in Neu-Delhi und ist heute einer der führenden Forscher über außereuropäische Sozialgeschichte in der frühen Neuzeit. Er hat den Begriff "connected history" geprägt. Subrahmanyam war kürzlich als Vortragender der JESHO-Lectures Series des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. - derstandard.at/2000047623895-629/Indischer-Historiker-Europas-Wettbewerbsvorteil-war-die-Gewalt
Historiker: "Europas Wettbewerbsvorteil war die Gewalt" 16. November 2016, 13:47 13 Postings Die Händler der indischen Stadt Surat waren den Europäern lange Zeit überlegen, sagt der Historiker Sanjay Subrahmanyam. STANDARD: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam? Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen. STANDARD: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht? Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute. STANDARD: Wie global war dieser Handel? Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika. STANDARD: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten? Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete. STANDARD: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten. Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht. STANDARD: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen. Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter. STANDARD: Wie erklärt sich dieser Unterschied? Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. STANDARD: Surat wurde 1759 von der East India Company erobert. Wurde der Niedergang eher durch interne indische Konflikte oder durch externe Kräfte verursacht? Subrahmanyam: Es war eine Kombination von Gründen. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zum Hinterland durch politische Instabilität gebrochen. Das ließ die Märkte schrumpfen. Und dann kam der Aufstieg des Hafens von Bombay durch die Briten. STANDARD: In Europa, etwa in den Niederlanden, waren die Händler eine starke politische Kraft. Wie war das in Indien? Subrahmanyam: Die Händler spielten in der regionalen Politik eine Rolle, aber nicht in der imperialen Politik. Das hängt auch mit der Größe eines Staates zusammen. Ein wichtiger Händler in Amsterdam war auch politisch einflussreich. Ein Händler in Surat oder in Kanton war weit weg vom politischen Zentrum. Selbst in einem Land wie Frankreich oder im Habsburgerreich war der Einfluss von Händlern beschränkt. Und Indien und China sind so groß wie ganz Europa. Es ist eines der Momente in der Geschichte, in denen Größe ein Nachteil war. Kleine Staaten mit starkem Händlereinfluss waren im Vorteil. STANDARD: Welche Rolle spielt diese Geschichtsperiode in der heutigen indischen Politik? Subrahmanyam: Eine umstrittene. Die Regierungspartei BJP verfolgt einen Hindu-Nationalismus und schätzt die muslimische Herrschaft nicht. Heute wird die Mogulära daher meist als dunkle Zeit der Unterdrückung beschrieben. Das sehe ich gar nicht so. STANDARD: Und andere politische Kräfte, wie die Kongress-Partei? Subrahmanyam: Ihr Bild vom Mogulreich ist auch seltsam. Sie betont deren Stärke und Macht und interessierte sich nicht für autonome Städte. Alles Positive wird dem Staat zugeschrieben. Mich interessiert hingegen nicht die staatliche Macht, sondern die Lebendigkeit sozialer Kräfte in einer Hafenstadt wie Surat. Dafür war der Staat nicht verantwortlich. STANDARD: Steckt darin eine Botschaft für das heutige Indien? Subrahmanyam: Ja. In Indien fehlt das Verständnis für die unternehmerische Tradition. Man glaubt, man habe den Markt erst vor kurzem entdeckt. Das ist ein falscher Mythos, den die Inder über sich erfunden haben. Der Markt hat früher eine wichtige Rolle gespielt. Ich zitiere gerne aus einem Brief eines florentinischen Händlers aus der Strozzi-Familie, der im frühen 16. Jahrhundert nach Indien kam, die Händler vergleicht und sagt: Sie lachen über uns. Diese Menschen können besser kopfrechnen als wir mit einem Abakus. Ihre Handelstechniken sind viel besser als unsere. Wir Florentiner glauben, wir sind die Klügsten, aber hier schauen wir nicht so klug aus. Aber wenn man heute indische Intellektuelle fragt, ob es etwa im 16. Jahrhundert eine große Handelskultur gab, dann streiten sie das ab. STANDARD: Kann man sagen, Kapitalismus wurde in Indien erfunden? Subrahmanyam: Nicht ganz. Das Gleiche gilt für die Handelsstädte in China oder für Kairo. Das ist kein indisches Phänomen. STANDARD: Und warum haben dann die Europäer den Weltmarkt erobert? Subrahmanyam: Weil die Europäer es nicht beim Handel belassen haben. Sie haben ihn mit Gewalt kombiniert. Der größte Wettbewerbsvorteil der Europäer lag in der Produktion von Gewalt. Das war ihr großer Export. In den Dokumenten der Niederländer kann man nachlesen: Wir haben versucht, mit dem Iran zu handeln, aber die Inder sind uns überlegen. Was tut man dann? Man gebraucht Gewalt. Das war erfolgreich, aber auch sehr zerstörerisch. STANDARD: Kann Indien an diese Tradition wieder anschließen? Subrahmanyam: Ja, aber das geschieht derzeit nicht. Die Inder denken zu sehr in Großmachtkategorien, sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem Erfolg der Europäer. So baut man eine große Kriegsflotte, ebenso wie die Chinesen. Es wäre besser, sich auf die lange Tradition großer Händler und Unternehmer zu besinnen. (Eric Frey, 16.11.2016) Sanjay Subrahmanyam (55) ist Professor für Geschichte an der UCLA in Los Angeles. Er begann als Wirtschaftshistoriker in Neu-Delhi und ist heute einer der führenden Forscher über außereuropäische Sozialgeschichte in der frühen Neuzeit. Er hat den Begriff "connected history" geprägt. Subrahmanyam war kürzlich als Vortragender der JESHO-Lectures Series des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. - derstandard.at/2000047623895-629/Indischer-Historiker-Europas-Wettbewerbsvorteil-war-die-Gewalt
Historiker: "Europas Wettbewerbsvorteil war die Gewalt" 16. November 2016, 13:47 13 Postings Die Händler der indischen Stadt Surat waren den Europäern lange Zeit überlegen, sagt der Historiker Sanjay Subrahmanyam. STANDARD: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam? Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen. STANDARD: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht? Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute. STANDARD: Wie global war dieser Handel? Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika. STANDARD: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten? Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete. STANDARD: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten. Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht. STANDARD: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen. Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter. STANDARD: Wie erklärt sich dieser Unterschied? Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. STANDARD: Surat wurde 1759 von der East India Company erobert. Wurde der Niedergang eher durch interne indische Konflikte oder durch externe Kräfte verursacht? Subrahmanyam: Es war eine Kombination von Gründen. Im 18. Jahrhundert wurde die Verbindung zum Hinterland durch politische Instabilität gebrochen. Das ließ die Märkte schrumpfen. Und dann kam der Aufstieg des Hafens von Bombay durch die Briten. STANDARD: In Europa, etwa in den Niederlanden, waren die Händler eine starke politische Kraft. Wie war das in Indien? Subrahmanyam: Die Händler spielten in der regionalen Politik eine Rolle, aber nicht in der imperialen Politik. Das hängt auch mit der Größe eines Staates zusammen. Ein wichtiger Händler in Amsterdam war auch politisch einflussreich. Ein Händler in Surat oder in Kanton war weit weg vom politischen Zentrum. Selbst in einem Land wie Frankreich oder im Habsburgerreich war der Einfluss von Händlern beschränkt. Und Indien und China sind so groß wie ganz Europa. Es ist eines der Momente in der Geschichte, in denen Größe ein Nachteil war. Kleine Staaten mit starkem Händlereinfluss waren im Vorteil. STANDARD: Welche Rolle spielt diese Geschichtsperiode in der heutigen indischen Politik? Subrahmanyam: Eine umstrittene. Die Regierungspartei BJP verfolgt einen Hindu-Nationalismus und schätzt die muslimische Herrschaft nicht. Heute wird die Mogulära daher meist als dunkle Zeit der Unterdrückung beschrieben. Das sehe ich gar nicht so. STANDARD: Und andere politische Kräfte, wie die Kongress-Partei? Subrahmanyam: Ihr Bild vom Mogulreich ist auch seltsam. Sie betont deren Stärke und Macht und interessierte sich nicht für autonome Städte. Alles Positive wird dem Staat zugeschrieben. Mich interessiert hingegen nicht die staatliche Macht, sondern die Lebendigkeit sozialer Kräfte in einer Hafenstadt wie Surat. Dafür war der Staat nicht verantwortlich. STANDARD: Steckt darin eine Botschaft für das heutige Indien? Subrahmanyam: Ja. In Indien fehlt das Verständnis für die unternehmerische Tradition. Man glaubt, man habe den Markt erst vor kurzem entdeckt. Das ist ein falscher Mythos, den die Inder über sich erfunden haben. Der Markt hat früher eine wichtige Rolle gespielt. Ich zitiere gerne aus einem Brief eines florentinischen Händlers aus der Strozzi-Familie, der im frühen 16. Jahrhundert nach Indien kam, die Händler vergleicht und sagt: Sie lachen über uns. Diese Menschen können besser kopfrechnen als wir mit einem Abakus. Ihre Handelstechniken sind viel besser als unsere. Wir Florentiner glauben, wir sind die Klügsten, aber hier schauen wir nicht so klug aus. Aber wenn man heute indische Intellektuelle fragt, ob es etwa im 16. Jahrhundert eine große Handelskultur gab, dann streiten sie das ab. STANDARD: Kann man sagen, Kapitalismus wurde in Indien erfunden? Subrahmanyam: Nicht ganz. Das Gleiche gilt für die Handelsstädte in China oder für Kairo. Das ist kein indisches Phänomen. STANDARD: Und warum haben dann die Europäer den Weltmarkt erobert? Subrahmanyam: Weil die Europäer es nicht beim Handel belassen haben. Sie haben ihn mit Gewalt kombiniert. Der größte Wettbewerbsvorteil der Europäer lag in der Produktion von Gewalt. Das war ihr großer Export. In den Dokumenten der Niederländer kann man nachlesen: Wir haben versucht, mit dem Iran zu handeln, aber die Inder sind uns überlegen. Was tut man dann? Man gebraucht Gewalt. Das war erfolgreich, aber auch sehr zerstörerisch. STANDARD: Kann Indien an diese Tradition wieder anschließen? Subrahmanyam: Ja, aber das geschieht derzeit nicht. Die Inder denken zu sehr in Großmachtkategorien, sie ziehen die falschen Schlüsse aus dem Erfolg der Europäer. So baut man eine große Kriegsflotte, ebenso wie die Chinesen. Es wäre besser, sich auf die lange Tradition großer Händler und Unternehmer zu besinnen. (Eric Frey, 16.11.2016) Sanjay Subrahmanyam (55) ist Professor für Geschichte an der UCLA in Los Angeles. Er begann als Wirtschaftshistoriker in Neu-Delhi und ist heute einer der führenden Forscher über außereuropäische Sozialgeschichte in der frühen Neuzeit. Er hat den Begriff "connected history" geprägt. Subrahmanyam war kürzlich als Vortragender der JESHO-Lectures Series des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. - derstandard.at/2000047623895-629/Indischer-Historiker-Europas-Wettbewerbsvorteil-war-die-Gewalt