Samstag, 29. April 2017

Göbekli Tepe und die neolithische Revolution.

aus Der Standard, Wien, 29. April 2017                                             Göbekli Tepe, Pfeiler 43, auch bekannt als Vulture Stone

Uralte Steinreliefs weisen auf prähistorischen Kometeneinschlag hin
11.000 Jahre alte Kultstätte in der Türkei könnte kosmisches Ereignis darstellen, das die neolithische Revolution auslöste

Edinburgh – Am Ende der letzten Eiszeit vor etwa 13.400 Jahren begann sich die Erde wieder zu erwärmen. Es schien, als wäre das schlimmste überstanden, die Eismassen zogen sich langsam zurück und Laubwälder begannen, die europäische Tundrenvegetation zu ersetzen. Dann aber kam es plötzlich zu einer erneuten drastischen Abkühlung: Vor 12.700 Jahren sanken die Jahresdurchschnittstemperaturen innerhalb eines Jahrzehnts in Mitteleuropa auf etwa -3 Grad Celsius. Ein letztes Aufbäumen der ausgehenden Eiszeit? Einige Wissenschafter vermuten, dass der Auslöser dieser als Jüngere Dryas bekannte letzte Kälterückfall auf ein kosmisches Ereignis zurückzuführen ist – mit tiefgreifenden Folgen für die Geschichte der Menschheit.

Eisbohrkerne, die Klimaforscher grönländischen Gletschern entnommen hatten, weisen darauf hin, dass ein Kometentreffer der Erde damals einen rund tausendjährigen Winter beschert haben könnte. Die These ist in der Fachwelt umstritten, auffällig ist allerdings, dass das Ende dieser kurzen Kaltzeit mit dem Beginn der Landwirtschaft zusammenfällt. Einige Wissenschafter spekulieren, dass bereits vor der Jüngeren Dryas hoch entwickelte Kulturen existiert hatten, die durch die plötzliche Kaltphase einen Niedergang erlitten, aber ihre Kenntnisse an jene Menschen weitergaben, die später die ersten dokumentierten Hochkulturen hervorbrachten.

Älteste Kultanlage der Menschheit

Eine dieser frühen Kulturen dürfte Göbekli Tepe errichtet haben. Die steinzeitliche, bisher nur zu einem Bruchteil freigelegte Kultanlage liegt im Südosten der heutigen Türkei nahe Şanlıurfa und ist bekannt für ihre über 11.000 Jahre alten Steinstelen mit detailreichen Reliefdarstellungen. Damit ist Göbekli Tepe der älteste bekannte Tempel der Geschichte. Auf diesen Kunstwerken wollen nun schottische Wissenschafter Hinweise auf eben jenen Kometeneinschlag entdeckt haben, der die letzte Kaltzeit und damit womöglich die neolithische Revolution ausgelöst haben könnte. 

 Göbekli Tepe 

Wie Martin B. Sweatman von der University of Edinburgh und sein Team nun im Fachjournal "Mediterranean Archaeology and Archaeometry" berichten, weisen einige der Jahrtausende alten Relieffs auf ein solches welterschütterndes Ereignis hin. Die Wissenschafter digitalisierten die Darstellungen auf dem sogenannten Vulture Stone (Geierstein) und stellten sie Sternenkonstellationen gegenüber. Dabei traten eindeutige Übereinstimmungen zwischen den Figuren und den vor über 12.000 Jahren am Nachhimmel sichtbaren Sternbildern zutage. Besonders aussagekräftig werten die Forscher die Darstellung eines auseinander gebrochenen Kometen, dessen Einschlag nach den Reliefs offenbar auch Menschen – dargestellt in Form einer kopflosen Figur – tötete.

Einschneidendes Ereignis

Allein schon die Tatsache, dass die Mitglieder der Göbekli-Tepe-Kultur großen Aufwand betrieben, um auf den meterhohen Stelen vom Himmel regnendes Verderben darzustellten, ist für Sweatman und seine Kollegen Grund genug anzunehmen, dass etwas sehr Einschneidendes passiert sein musste, das die Menschen für Jahrhunderte beschäftigte. Die zeitliche Übereinstimmung mit den Bohrproben aus Grönland untermauert den Verdacht, dass tatsächlich ein großes Objekt die Erde traf.

Vermutlich, so die Forscher, wurden die Stelen errichtet, um das kataklysmische Ereignis für die Nachwelt zu dokumentieren. Der gesamte Tempel, der heute noch zum Großteil unerforscht unter der Erde verborgen liegt, könnte demnach auch als Himmelsobservatorium gedient haben. "Diese Stelen haben anscheinend dazu gedient, an eine verheerende Begebenheit zu erinnern – womöglich den schlimmsten Tag in der damaligen Geschichte seit dem Ende der Eiszeit", meint Sweatman. Umstrittene Deutung 


Diese Interpretation ist allerdings nicht unumstritten. Die Grabungsleiter in Göbekli Tepe vom Deutschen Archäologisches Institut (DAI), Oliver Dietrich und Jens Notroff, kritisieren in einem aktuellen Blogeintrag, dass die Darstellungen nicht zwangsläufig als stellare Konstellationen interpretiert werden müssten. Darüber hinaus zeigen demnach zahlreiche weitere freigelegte Stelen ähnlich komplexe Bilder und abstrakte Symbole. Die Archäologen vermuten außerdem, dass Göbekli Tepe ursprünglich überdacht war, was seine Verwendung als Observatorium in Frage stellen würde. (tberg)

Abstract
Mediterranean Archaeology and Archaeometry: "Decoding Gobekli Tepe with archaeoastronomy: What does the fox say?"





Donnerstag, 27. April 2017

Wie die Menschen das Pferd erfanden.

 aus DerStandard, Wien, 27. April 2017

Wie antike Zucht das Genom der Pferde veränderte
Vor über 2300 Jahren förderten die Skythen in der zentralasiatischen Steppe durch gezielte Selektion gewünschte Pferdemerkmale

Kopenhagen/Wien – Ohne das Pferd wäre die Geschichte der Menschheit mit Sicherheit anders verlaufen. Es war von Beginn an Transportmittel, Fleisch- und Milchlieferant sowie tatkräftiger Helfer bei der Feldarbeit und im Kriegsdienst. Auf dem Rücken der Reittiere ließen sich große Gebiete besser verwalten – was die Entwicklung von Großreichen förderte – und Fußsoldaten leichter besiegen, selbst wenn sich diese in der Überzahl befanden. Wann und wo das Wildpferd erstmals domestiziert wurde, lässt sich heute nur vage eingrenzen.

Forscher vermuten allerdings, dass die Zähmung des Equus ferus vor rund 5.500 Jahren durch Angehörige der kupferzeitlichen Botai-Kultur in der zentralasiatischen Steppe auf dem Gebiet des heutigen Kasachstan stattgefunden hat. Zum Leidwesen der Archäologen existieren kaum Funde aus der Anfangszeit des Hauspferdes, weshalb bisher über den Einfluss von Domestizierung und Zucht auf die Entwicklung dieser Tiere wenig bekannt war.

 skytischer Pferdeschmuck (aus Grabbeigaben)

Ein internationales Team um Ludovic Orlando von der Universität Kopenhagen hat nun versucht, diese Lücke anhand der Analyse von antiken Pferdefossilien zu schließen. Als Untersuchungsmaterial dienten den Wissenschaftern zwischen 2.300 und 2.700 Jahre alte Überreste von skythischen Pferden aus Sibirien und Kasachstan, ergänzt um ein Exemplar, das vor 4.100 Jahren in Südrussland gelebt hatte.

Meisterhafte Reiter

Die Skythen waren ein zentralasiatisches Nomadenvolk, für das das Pferd insbesondere bei kriegerischen Auseinandersetzungen eine buchstäblich tragende Rolle spielte. Die meisterhaften Reiter setzten als erste den Kompositbogen vom Pferderücken aus ein und legten offenbar auch großen Wert auf bestimmte Eigenschaften ihrer Tiere. Diese haben sie auch durch Zucht gefördert, wie die nun im Fachjournal "Science" präsentierte Studie zeigt.

Anhand der DNA aus Pferdeknochen aus skythischen Königsgräbern konnten die Wissenschafter insgesamt 121 Gene identifizieren, deren Ausprägungen gezielt selektiert wurden. Viele davon stehen mit der Entwicklung der Vorderbeine in Zusammenhang. Eine dieser Genvarianten lässt etwa darauf schließen, dass die Skythen bei ihrer Zucht darauf Wert legten, dass ihre Pferde auf kurzen Strecken besonders viel Kraft entwickelten, also gute Sprinter waren. Auch Vorlieben bei den Fellfarben lassen sich aus den Genomen herauslesen: So dürften bei den Skythen schwarze, braune, fuchsfarbene und scheckige Pferde sehr begehrt gewesen sein.

 
Überreste von 11 Hengsten, die vor 2.700 Jahren im heutigen Kasachstan geopfert und gemeinsam beigesetzt worden

Den Passgang beherrschten die skythischen Tiere allerdings offenbar nicht, dafür fehlte ihnen allerdings eine entsprechende Genmutation. Bei dieser Gangart berühren jeweils nur die Hufe einer Seite den Boden, während die Beine der jeweils anderen Seite aber in der Luft sind. Die skythischen Pferde waren somit keine natürlichen Passgänger. Laut einer Studie deutscher Forscher aus dem Jahr 2016 ist die für den Passgang wichtige Genvariante wohl auch erst deutlich später entstanden: Der bisher früheste Nachweis gelang bei Pferden aus dem 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung in England.

Genetische Diversität

Trotz dieser Zuchtbemühungen wiesen die frühen Hauspferdepopulationen im Unterschied zu den modernen Tieren eine große genetische Vielfalt auf. Inzucht war demnach offenbar noch kein Thema. Dieser Befund zeigt, dass die Skythen bei ihren Pferden natürliche Herdenstrukturen erhielten und damals noch zahlreiche Abstammungslinien von Hengsten existierten. Erst die starke Linienzucht der vergangenen 2.000 Jahre förderte die Anreicherung einiger krankheitsverursachender Mutationen, die den heutigen Pferden mitunter Probleme bereiten. (tberg, 27.4.2017)
 
Abstract
Science: "Ancient genomic changes associated with domestication of the horse."






Montag, 24. April 2017

Im Westen nichts Neues.



Die gestrige Wahl in Frankreich markiert das Ende von de Gaulles Fünfter Republik. Nicht das Ende ihrer Institionen, sondern zunächst nur das Ende ihres Parteiensystems. 

Die Fünfte Republik ist entstanden aus einer Art Staatsstreich, in dem de Gaulle die parlamentarische Verfassung der Republik von 1944 durch seine persönliche Herrschaft ablöste. Parteienschacher und ständige Regierungswechsel hatten den französischen Staat zu Entscheidungen von nationaler Tragweite - die Beendigung des Algerienkrieges - unfähig gemacht. Mit der Verfassung de Gaulles entstand eine Mehrheit ex officio: die 'Partei' des jeweiligen Präsidenten. Der vergab die Plätze an den Fleischtöpfen, die Parlamentarier mussten sich damit arrangieren. 

Allerdings braucht es dafür den Starken Mann. Die bonapartistische Versuchung ist seit zweihundert Jahren eine Konstante der französichen Politik. Nach dem Abgang de Gaulles bot die 'Mehrheit' des Präsidenten nur die Verwaltung des Status quo - und die Verteilung der Pfründe. Sie versank in einer Klüngelwirtschaft wie unter dem Parteienregime der IV. Republik.

Mitterands Sozialistische Partei war das linke Pendant zur gaullistischen Bewegung. Solange die Linke von der Kommunistischen Partei dominiert wurde, konnte kein Linker Präsident werden, und ohne Präsidenten gibt es keine linke Mehrheit. Mitterand musste die Kommunisten dezimieren und in die Ecke drängen, und denen blieb nichts übrig, als ihm zähneknirschend dabei zu helfen; seine sozialistische Rhetorik hatte sie entwaffnet.

Mitterand wurde Präsident, weil die Sozialisten gegenüber der ausgelaugten Rechten als Neue Kraft erscheinen konnte: "Changement" war das Parteiprogramm; Wechsel allerdings vor allem auf den Posten und Pöstchen: In atemberaubendem Tempo erschien Mitterands Partei als ebenso korrupt und zu wirklicher Politik unfähig wie die Rechte. 

Die sozialistische Partei wurde gestern marginalisiert wie die Kommunisten, die sich inzwischen hinter einem linken Mann der Vorsehung unkenntlich machen. Die Rechte hat ihre Volktribunin gefunden, ob sich die bürgelichen Konservativen davon erholen, ist fraglich.

Dass Macron als Favorit in die Stichwahl geht, ist für Europa und den Rest der Welt gewiss von Vorteil. Dass aber die Franzosen etwas davon haben, darf bezweifelt werden. Es ist eine Art Déjà-vu; sein Partei-Surrogat En Marche erinnert fatal an Mitterands 'neue' Sozialisten. Aber Macron hat sicher nicht die Statur eines de Gaulle oder Mitterand. Unter ihm wird die Fünfte Republik ihren Geist aushauchen.


PS. Allenthalben liest man in den Blättern, "noch nie" sei es geschehen, dass der Kandidat der pp. Gaullisten schon im ersten Wahrlgang ausgeschieden ist. Das muss einer vom andern abgeschrieben haben. Wie konnte dann Giscard d'Estaing je Präsident werden? Weil er im ersten Wahlgang mehr Stimmen bekommen hat als der Gaullist Chaban-Delmas. - Es gibt mehr alternative facts, als die Qualitätspresse uns wissen lässt.


Mittwoch, 19. April 2017

Wahrheit soll sein.


Wolfgang Dirscherl, pixelio.de

Unter der Überschrift Wahrheit und Lüge veröffentlicht die Neue Zürcher heute einen großen Essay, in dem Karl-Heinz Ott ausführlich den Gebanken entwickelt, dass die Wahl von Donald Trump zugleich Höhepunkt und Todesstunde der Postmoderne ist. Der gebildete linke Liberale, der ein paar Jahrzehnte lang eitel-leichtsinnig mit den Foucaults, Derridas und Deleuzes getändelt hat, sucht verschreckt Zuflucht beim altmodischen Habermas und seiner vernünf- tigen, ordentlichen, konsens- und diskutierfreudigen Wahrheitsliebe.

Das war vor zwei Jahrhunderten das Ergebnis der Transzendentalphilosophie: dass es Wahrheit 'nicht gibt'. Dann brach das Zeitalter des Positivismus aus und nach Wahrheit musste nicht länger gefragt werden, Erfolg und An- schlussfähigkeit waren viel belastbarer. Bis vor drei-, vier Jahrzehnten, da gings uns zwar noch gold, aber doch nicht mehr so recht vorwärts. Da kam ein vornehmer Skeptizimus auf, der spöttisch flötete: "Anything goes!" (Paul Fey- erabend  erwähnt K.-H. Ott nicht.) Es war eine Art Transzendentalphilosophie für arme Leute.

Für ganz arme. Denn den zweiten Satz der Transzententalphilosophen hatten sie nicht wiederbelebt: "Wahrheit muss sein, wenn Vernunft sein soll.

Nun sdürfte die Zeit reif sein, dass er in die Köpfe der großen Zahl der Gebildeten endlich, endlich Eingang findet - nicht trotz, sondern wegen der Paradoxie: Wahrheit gibt es nicht, aber Wahrheit muss es geben. Nämlich Wahrheit nicht als Ausgangspunkt, sondern als Fluchtpunkt der Vernunft: da, wo alles einmal hinführen soll. Denke, rede, handle so, als ob es Wahrheit gäbe, und wenn das alle tun, werden wir ihr schon näherkommen. Sie ist nicht etwas, das da ist, sondern etwas, das zu machen wäre.





Montag, 17. April 2017

Das Gute am Schlechten.


 
Die Türken in Deutschland sind nicht eine zugewanderte Minderheit wie irgendeine andere - sie sind ewas Ein- maliges: Indopakistaner und Westinder in England, Nord- und Schwarzafrikaner in Frankreich, Afroamericans in den USA - sie alle verbindet mit dem Land, in dem sie leben, und mit dem Volk, in dem sie leben, eine gemeinsame Geschichte, die beide Seiten daran hindert, einander gleichgültig zu sein. Das ist, im Guten wie im Schlechten, eine kulturelle Klammer, die das Zusammenleben immerhin in einen gemeinsamen Horizont bettet, weil es für beide Seiten ein Problem darstellt, das sie selbst betrifft. ("Ab nach Hause" können sie nicht einfach sagen.)

Nichts dergleichen gibt es zwischen Türken und Deutschen.

Das gestrige Referendum könnte das ändern.

Die einzig legitime Identität der türkischen Nation war der Kemalismus. Vor ihm gab es kein türkisches Volk, es gab eine Türkisch sprechende und arabisch schreibende Ethnie in einem muslimischen Universalreich. 'Sie selber' wurden die Türken erst durch die kemalistische Republik.

Die gibt es seit gestern nicht mehr. Erdogans knapper Sieg öffnet ein ganz neues Kapitel in der Bildungsgeschichte der türkischen Nation.

Was gibt es heute, was es zu Kemals Zeiten nicht gab? Eine millionenköpfige Diaspora im europäischen Westen. Kemal wollte den Westen nach Kleinasien holen, Erdogan erbt Millionen Anatolier im Westen. 


Und deren mit Abstand größtes Bollwerk ist Deutschland. Was immer sonst noch passieren wird unter der neo- osmanischen Autokratie - der Widerstand der freiheitlichen Opposition wird unvermeidlich seine befestigte Basis im liberalen Deutschland finden. Deutsche und Türlen werden eine gemeinsame Geschichte haben.

Dass ausgerechnet die deutschen Türken zu fast zwei Dritteln für die Autokratie gestimmt haben, gibt der Sache eine zusätzliche Pikanterie; ohne sie, allein im Inland, wo die Folgen unmittelbar spürbar werden, hat Erdogan verloren. Das wird das Zusammenleben in Deutschland nicht leichter machen, dafür werden seine Spitzel schon sorgen..








Sonntag, 16. April 2017

Das Christentum war doch nur ein jüdischer Sonderweg.

Vergoldete Kassettendecke Detail GemâÄ°lde der Dreifaltigkeit Lecceser Barock auch salentinischer
aus Süddeutsche.de,Gemälde der Dreifaltigkeit aus der Basilica di Santa Croce in Lecce (Apulien)
 
Was das Christentum vom Judentum kopierte 
Zu Zeiten Jesu wurden im Judentum mitunter mehrere Götter verehrt - der Monotheismus kam erst durch das Christentum. Judaistik-Professor Peter Schäfer über die Frühzeit zweier Weltreligionen. 

Interview von Oliver Das Gupta, Berlin 

Peter Schäfer, Jahrgang 1943, gilt weltweit als einer der besten Kenner der jüdischen Antike und des jüdischen Mittelalters. Der Wissenschaftler lehrte als Professor unter anderem in Princeton, heute leitet er als Direktor das Jüdische Museum Berlin. Schäfer veröffentlichte zahlreiche Bücher, zuletzt erschien bei C.H. Beck "Zwei Götter im Himmel: Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike". 

SZ: Glauben Sie an den lieben Gott, Herr Schäfer?

Peter Schäfer: Ich gebe mir Mühe und versuche es.

Immerhin. Die Erkenntnisse, die Sie zum Vorschein gebracht und zusammengetragen haben, erschüttern die gängige Vorstellung von altem Judentum und dem frühen Christentum. Sie behaupten, bis zu Jesu Lebzeiten habe es im Judentum Vorstellungen von zwei göttlichen Gestalten im Himmel gegeben. Bekommen Sie großen Unmut zu spüren?

Manche Leute reagieren tatsächlich wütend. Ein evangelischer Pfarrer schrieb mir unlängst sinngemäß: Alles Quatsch, alles völlig absurd, ich hätte keine Ahnung.

Es ist ja auch verwirrend, wie unterschiedlich im Judentum bis ins erste Jahrhundert nach Christus geglaubt wurde. Wie lange dauerte diese heterogene Phase?

Das zog sich über Jahrhunderte. Der Ein-Gott-Glaube war im frühen Judentum ambivalent und umstritten, die Vorstellungen waren selten eindeutig und nie einhellig. Schon in der hebräischen Bibel, dem Alten Testament der Christen, gab es ein Hin-und-Her, gab es mehrere parallel verlaufene Linien, die sich immer wieder kreuzten.

Wurde um den Glauben arg gestritten?

Davon kann man ausgehen. Auf der einen Seite standen diejenigen Gelehrten, die einen einzigen Gott durchsetzen wollten. Für andere existierte neben dem "alten Gott" noch ein jüngerer Gott, der für Krieg und Erlösung zuständig war.

Erlösung - das klingt nach Jesus von Nazareth. 

Das Christentum gerät mit Jesus von Nazareth in diese Situation hinein. Die Idee eines jungen Gottes, eines Gottessohns, haben nicht die Christen erfunden. Sondern das Christentum bedient sich bei Vorstellungen, die bereits im Judentum vorhanden waren. Das Musterbeispiel dafür ist die Figur des "Menschensohns".

Im Neuen Testament wird Jesus oft so genannt. Woher stammt dieser Titel?

Der Begriff wird erstmals im Buch Daniel genannt, das im 2. Jahrhundert vor Beginn der christlichen Zeitrechnung entstanden ist: In Daniel wird von einem göttlichen Wesen gesprochen, das auf den Wolken des Himmels erscheint und das aussieht wie ein Mensch. Er tritt hin vor den alten Gott, der weiße Haare hat. Der Menschensohn ist derjenige, der das Volk Israel erlösen wird. Der Messias wird im Judentum manchmal - nicht immer - vergöttlicht. Somit ist klar, das Christentum hat nichts neu erfunden. Das Christentum sieht im Messias eine göttliche Gestalt - aber das war im Judentum schon so angelegt.

Das klingt so, als ob sich das Frühchristentum eins zu eins bedient hätte an bestehenden Vorstellungen.

Zumindest weitgehend ist das der Fall. Es gibt einen einzigen großen Unterschied: Im Judentum wird Gottes Sohn nicht Mensch, aber ein Mensch kann in den Himmel aufsteigen und vergöttlicht werden.

Wem wurde den alten jüdischen Quellen zufolge eine solche Ehre zuteil?

Manche biblische Autoren schrieben König David eine solche Vergöttlichung zu. David wird demnach der Messias. Daraus entwickelt sich die Erwartung eines davidischen Messias.

Gab es auch Kultstätten, wo - neben dem "alten Gott" - andere vergöttlichte Figuren verehrt wurden?

Es existierten weitere Orte, bevor sich Jerusalem als zentrale Kultstätte durchsetzen konnte. Im fünften Jahrhundert vor der Zeitrechnung gab es im ägyptischen Elephantine sogar einen jüdischen Tempel, wo der männliche Gott zusammen mit Göttinen verehrt wurde. Daran scheinen sich die Jerusalemer nicht sehr gestört zu haben. Später wurden diese anderen Schreine bekämpft und zerstört, um den einen zentralen Ort für den einzigen Gott zu haben in Jerusalem. Immer wurde versucht, das enge Korsett des Monotheismus aufzubrechen. Und immer wieder wurde versucht, es zu schnüren.

Wie setzte sich der Monotheismus im Judentum durch?

Das liegt auch am Christentum - und es geschah in mehreren Phasen. Dazu muss ich ein bisschen ausholen. In einem langen Prozess hat sich das Christentum aus dem Judentum entwickelt. Mehrere Jahrhunderte war das Christentum eine jüdische Reformbewegung, der Austausch war gerade in Palästina längere Zeit fluide, der Diskurs fruchtbar. Bei den babylonischen Juden im heutigen Irak kann man früher von zwei Religionen sprechen. Da die Christen mit Gottvater und Jesus die alte jüdische Vorstellung zweier Götter im Himmel übernommen haben, fand das Judentum im Monotheismus sein Alleinstellungsmerkmal.

Wann begann der christliche Antijudaismus, der Vorgänger des Antisemitismus?

Das hat mit Kaiser Konstantin zu tun, mit dem im vierten Jahrhundert der Aufstieg des Christentums zur wichtigsten Religion im Römischen Reich begann. Danach hat es gekracht: Das Christentum wurde immer mächtiger, die ersten großen Kirchen wurden gebaut. Es gab einen enormen Pilgeransturm auf das Heilige Land, durch den die einheimische Bevölkerung immer mehr unterdrückt wurde. Im Mittelalter verschärfte sich die Situation massiv.

Ist denn die Kabbala, das mystische Judentum, monotheistisch? Wann entstand sie?

Das beginnt deutlich später, etwa um 1200. Und in der Tat, die Kabbala ist auch nicht gerade ein Musterbeispiel des Monotheismus. Denn hier wird ein Gott beschrieben, der sich in zehn göttliche Potenzen entfaltet.

Eine Zehnheit?

So ist es. Es wird noch besser: Eine dieser Potenzen, die zehnte, ist weiblich und steht an der Schwelle zur irdischen Welt. Die Weiblichkeit ist also die Vermittlerin zwischen dem Himmel und der Erde. Auch hier liegt ein Austausch mit dem Christentum auf der Hand: In der Entstehungszeit der Kabbala explodiert in Frankreich der katholische Kult um Maria, die als göttliche Mediatrix fungiert. Aber erst nach der Vertreibung der Juden aus Spanien wurde die Kabbala zu einem Massenphänomen.

Also gab es auch im Mittelalter keinen lupenreinen Monotheismus im Judentum. Wann kristallisierte sich das heutige Gottesbild im Judentum heraus?

Das passierte erst im 19. Jahrhundert, nicht zuletzt auch als Reaktion auf den Protestantismus: Es ist eine rationalistische Glaubensauffassung, das Streben nach einem Ideal.


Samstag, 15. April 2017

Der Glaube ist auf dem Rückzug.


Passend zum Osterfest hat der Wiener Standard eine Umfrage in Auftrag gegeben.

aus Der Standard, Wien, 14. April 2017

Nur jeder Vierte glaubt an die Existenz eines einzigen Gottes.
Nur neun Prozent der Österreicher und 13 Prozent der Österreicherinnen bezeichnen sich als religiös. 58 Prozent vertrauen auf Schutzengel 

von Conrad Seidl

Wien – Die Österreicher glauben an übernatürliche Wesen – aber nicht im Sinne der Kirche. Das zeigt eine aktuelle Market-Umfrage für den STANDARD. Nur 28 Prozent glauben demnach an die Existenz eines einzelnen Gottes, und nur 21 Prozent an die Dreifaltigkeit. 58 Prozent sind hingegen von der Tätigkeit von Schutzengeln überzeugt. Die Hälfte der Befragten gehen allerdings von einem Leben nach dem Tod aus, aber nur 39 Prozent an eine unsterbliche Seele. Die Samplegröße betrug 412.

Unsere Volks- und Heimatsagen sind voll von der Vorstellung, dass es ein persönliches Böses gibt, einen Teufel, der die Menschen verführt, Böses zu tun. Alles ein Mythos: Nur acht Prozent der vom Linzer Market-Institut befragten Wahlberechtigten sagen, dass der Teufel die Menschen verführt, Böses zu tun.

35 Prozent sagen, dass sie glauben, dass Gott will, dass die Menschen Gutes tun.

35 Prozent sagen, dass sie glauben, dass Gott will, dass die Menschen Gutes tun, immerhin. Religiös sind die Österreicher nach eigenem Bekunden mehrheitlich nicht mehr. 26 Prozent sagen von sich, sie wären gar nicht religiös, weitere 34 Prozent sind es "eher nicht".

"Eher schon" religiös sind 33 Prozent der Frauen und 25 Prozent der Männer; als "auf jeden Fall" religiös bezeichnen sich 13 Prozent der Frauen und neun Prozent der Männer.

Die heurige Oster-Umfrage für den STANDARD ging der Frage nach, was heutzutage in Österreich für sündhaft gehalten wird – wo also unabhängig von Strafbarkeit eine besondere moralische Verwerflichkeit angenommen wird. Stehlen steht ganz oben auf der Liste – wobei die Verwerflichkeit von religiösen Menschen deutlich stärker wahrgenommen wird als von den nicht Gläubigen.

Stehlen
63 %
Jemanden falsch beschuldigen
59 %
Den (Ehe)Partner mit jemand anderem betrügen
54 %
Egoistisch sein
37 %
Andere Menschen beleidigen
35 %
Über andere schlecht reden
34 %
Neid
34 %
Hochmut
28 %
Geiz
28 %
Zuviel erhaltenes Geld behalten
23 %
Sich von der eigenen Familie abwenden
22 %
Unwahrheit sagen, obwohl das niemandem schadet
17 %
Weniger Steuer zahlen als man eigentlich müsste
15 %
Zorn
14 %
Fluchen
9 %
Wollust
9 %
Nicht an Gott glauben
8 %
Gott nicht zu verehren
8 %
Tempolimits missachten
7 %
Faulenzen, Trägheit
7 %
Zu viel Essen und Trinken, Völlerei
7 %
Nach viel Geld und Reichtum streben
7 %
Den Tag des Herrn nicht zu heiligen
5 %
Nicht zu beten
4 %
Schwarz zu arbeiten, pfuschen
4 %
Sex unter Unverheirateten
3 %
Unerlaubt parken
3 %
Aus der Kirche austreten
2 %
Von einem Glauben zu einem anderen wechseln
2 %
Am Sonntag oder Feiertag zu arbeiten
2 %


Ganz unten in der Tabelle – und nur von jedem Fünfzigsten als verwerflich gesehen – sind Arbeit an Sonn- und Feiertagen, Glaubenswechsel oder Austritt aus der Kirche. Selbst religiöse Menschen sehen darin in überwältigender Mehrheit kein sündhaftes Verhalten. Ähnliches gilt für Sex unter Unverheirateten – das rangiert, wie die Grafik zeigt, in derselben Kategorie wie "Parksünden" und "Temposünden".

Dagegen gilt das Betrügen des Partners einer Mehrheit als Sünde. Wobei Market-Chef Werner Beutelmeyer relativiert: "Wir sehen auch hier, dass die religiöseren Menschen das Fremdgehen in einem höheren Maße als sündhaft empfinden als die nicht religiösen. Das muss man auch unter dem Aspekt sehen, dass mit der Religiosität auch der Begriff der Sünde auf dem Rückzug ist. In der Vorstellungswelt vieler Menschen ist das inzwischen gar keine Kategorie mehr."

Faulheit und Neid

Auch von den klassischen Todsünden sind etwa Faulheit und Wollust ganz weit unten auf der Skala – Neid, Geiz und Hochmut werden immerhin von mehr als jedem Vierten immer noch als sündhaft gesehen. Steuer-"Sünder" sind dagegen nur für 15 Prozent der Befragten moralisch betrachtet Sünder – hier sind es besonders die Sozialdemokraten, die unmoralisches Verhalten wahrnehmen. Was sollte die Kirche in einer Welt tun, in der derartige Wertvorstellungen herrschen? Market fragte im Auftrag des STANDARD: "Welche dieser Aufgaben soll die katholische Kirche Ihrer Meinung nach vermehrt wahrnehmen, wo soll die Kirche weniger machen?" Man würde vermuten, dass die Kirche nun verstärkt ihre Werte vermitteln sollte. Aber nur 37 Prozent der Befragten (aber mehr als die Hälfte der Religiösen) meinen, die "Vermittlung von Werten, die nicht der Mode unterworfen sind", wäre nun etwas, was die Kirche stärker angehen sollte, zwölf Prozent empfehlen gar, diese Aktivitäten zurückzuschrauben.

Beutelmeyer: "Die Befragten sagen uns ganz klar, dass sie die Kernaufgabe der Kirche, die Menschen auf ein ewiges Leben vorzubereiten, einfach nicht wichtig nehmen. Nur jeder elfte von uns Befragte würde diese Aktivität verstärken, 22 Prozent sagen sogar, dass die Kirche diese spirituellen Aktivitäten reduzieren sollte. Und obwohl die Berichterstattung über Missbrauchsfälle zurückgegangen ist, sagen uns 73 Prozent, dass sie eine vermehrte Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen wünschen."

Keine politische Einmischung

Die Kernfrage zu Ostern ist, ob die Kirche die "Verkündung der Erlösung der Menschen durch Tod und Auferstehung Christi" verstärken sollte. Auch das wird nur von zehn Prozent der Befragten befürwortet, 22 Prozent lehnen es ab. Ganz starke Ablehnung (45 Prozent) gibt es zum Vorschlag, dass sich die Kirche bei aktuellen politischen Fragen zu Wort melden sollte, und zur im Evangelium festgehaltenen Aufgabe, die Menschheit zu missionieren.

Der STANDARD ließ vorschlagen, die Kirche könne "Zuwanderer mit anderem Glauben zur römisch-katholischen Kirche bekehren" – aber das wird von 43 Prozent abgelehnt, besonders deutlich von Wählern der Grünen und Sozialdemokraten. Aber auch unter den Anhängern der ÖVP und unter den erklärt religiösen Befragten steht eine relative Mehrheit von Missionierungsgegnern einer sehr kleinen Gruppe von Befürwortern gegenüber. Beinahe die Hälfte der Befragten hat dazu keine Meinung oder denkt, dass die Kirche da so zurückhaltend agieren sollte wie bisher.

Einsatz für Asylwerber

Beutelmeyer: "Es fällt insbesondere auf, dass der Kirche weltliche Aufgaben hoch angerechnet werden, also etwa der Einsatz für Benachteiligte im Inland. Auch wenn der Einsatz für Asylwerber viel weniger geschätzt wird, bekommt dieses Thema doch viel mehr Zustimmung als das Feiern von religiösen Feiertagen oder die Erziehung junger Menschen zu einem gottgefälligen Leben."

Market fragte schließlich, woran die Menschen in Österreich (befragt wurden aus methodischen Gründen ausschließlich Wahlberechtigte, weshalb Migranten ohne Staatsbürgerschaft nicht erfasst sind) glauben:

60 Prozent meinen, dass auch Tiere eine Seele haben. 50 Prozent glauben an Kraftorte, von denen eine überirdische Kraft ausgeht. Jedoch glauben nur 18 Prozent, dass Wallfahrten gut für das Seelenheil wären.

Ein Leben nach dem Tod erwartet sich ebenfalls jeder zweite Befragte – übrigens mit steigender Tendenz zu vergleichbaren Umfragen vom Beginn des Jahrzehnts. Dass es das nicht gibt, sagen ausdrücklich 21 Prozent.

Dass Menschen eine unsterbliche Seele haben, scheint dasselbe zu sein, ist es aber nach der Einschätzung der Befragten nicht – an eine unsterbliche menschliche Seele glauben nämlich nur 39 Prozent.

Die Hölle als Ort, wo die Menschen, die Böses tun, hinkommen, ist nur für vier Prozent vorstellbar, an das Fegefeuer glauben sechs Prozent.

Außerdem wollte Market wissen, an welche überirdischen Wesen die Menschen glauben. Da hat der dreifaltige Gott der christlichen Kirchen einen schlechten Stand – nur 21 Prozent glauben an ihn. Wobei dieser Glaube in der jungen Generation kaum noch vorhanden ist. Auch ist dieses christliche Gottesbild auf dem Land stärker verbreitet als in größeren, städtischen Gemeinden. Und selbst von den nach eigener Definition religiösen Befragten ist nur etwa die Hälfte von diesem dreieinigen Gott überzeugt.

Dass es einen einzigen Gott gibt (was das Mysterium der Dreifaltigkeit einschließt), glauben 28 Prozent. Weit überragt wird dieser Glaube aber durch den Glauben an Schutzengel (58 Prozent). Und immerhin jeder fünfzigste Befragte glaubt, dass es Vampire gibt. 


Woran Österreicher glauben


Schutzengel
58 %
Einen einzigen Gott
28 %
Engel und Erzengel
27 %
Einen dreifaltigen Gott – Vater, Sohn, Heiliger Geist
21 %
Himmlische Nothelfer
20 %
Heilige, die schon im Himmel sind
15 %
Gute Feen
11 %
Gespenster
9 %
Satan
8 %
Mehrere Götter
8 %
Poltergeister
7 %
Hexen und Zauberer
7 %
Eine Vielzahl von Teufeln
4 %
Priester in direktem Kontakt zu Gott
4 %
Vampire
2 %
Zombies
0 %




Nota. - Das mag Freigeistern gefallen: Der Glaube an die christliche Lehre hat auch im katholischen Österreich rasant abgenommen. Aber nur denkfaulen Freigeistern, die ihre Freiheit vertrödeln. Denn der Aberglauben ist dabei durchaus nicht zurückgegangen

Kommen Zeiten auf uns zu, wo auch Atheisten sich zurücksehen nach damals, als wenigstens die Lehren der Kirche den Aberglauben noch in Schach hielten? Weil ohne die nicht nur der Geist, sondern auch aller Ungeist freigesetzt wird?

Ich will mal so sagen: Da sei GOtt vor.
JE