Für Michail Chodorkowski schliesst sich der Kreis Der Niedergang des einst reichsten Magnaten Russlands illustriert den Rückfall des Kremls in alte Denkweisen
Aus sowjetischen Resten baute Chodorkowski einen grossen Erdölkonzern auf. Dessen Nachfolger hat seinen Einfluss noch ausgedehnt, dient aber wieder dem russischen Staat.
Aus sowjetischen Resten baute Chodorkowski einen grossen Erdölkonzern auf. Dessen Nachfolger hat seinen Einfluss noch ausgedehnt, dient aber wieder dem russischen Staat.
Benjamin Triebe, Moskau
Zehn Jahre sind eine lange Zeit,
aber keine Garantie für Fortschritt. Als der 50-jährige Michail
Chodorkowski am Freitag nach zehn Jahren Gefangenschaft das Straflager
in Karelien im Nordwesten Russlands verliess, nahm sein Leben zweifellos
eine entscheidende Wende. Doch seine russische Umwelt ähnelt in manchem
wieder jener, in der einst seine Karriere begann: Chodorkowski, der
sich geschickt aus der Konkursmasse eines zerfallenen Staates bediente,
zum reichsten Mann des Landes aufstieg und dessen zweitgrössten
Erdölkonzern aufbaute - dieser Mann kehrt nun in eine Gegenwart zurück,
in der jener Konzern wieder dem Staat gehört und zum weltweiten
Branchenführer avanciert ist. Das war nicht unbedingt zu erwarten, als
Chodorkowski während seines Studiums in den achtziger Jahren in den
Handel mit Matrjoschka-Holzpuppen einstieg.
Zwielichtige Privatisierungen
Laut Medienberichten waren es
nicht nur Matrjoschka-Puppen, sondern auch Brandy und Jeans, mit deren
Vertrieb sich der 1963 in Moskau geborene Chodorkowski während seines
Chemie- und Volkswirtschaftsstudiums ein beträchtliches Zubrot
verdiente. Noch vor der Wende baute er ein «Zentrum für
wissenschaftlich-technische Kreativität der Jugend» auf, das sich
allerdings auf Finanzgeschäfte spezialisierte. Später wandelte er es zu
einer der ersten russischen Privatbanken und gründete darauf seine
Industriebeteiligungen, die er in den Neunzigern während
undurchsichtiger Privatisierungen erwarb. Ende 1995 kaufte Chodorkowski
so die Mehrheit am Erdölkonzern Yukos - weit unter Wert, wie ihm
vorgeworfen wird.
Der Magnat modernisierte Yukos,
steigerte mit neuen Technologien die Produktion und machte den Riesen
profitabler. Es waren wohl nicht nur Chodorkowskis politische Ambitionen
und seine Kritik am schon damals amtierenden Präsidenten Wladimir
Putin, die ihn 2003 in das Fadenkreuz des Kremls brachten. Michail
Chodorkowski hatte mit Yukos viel vor: Zu jener Zeit hielten sich
Gerüchte, er wolle ins Ausland expandieren und ausländische Aktionäre
ins Boot holen. Auch plante er den Kauf des Erdölkonzerns Sibneft vom
Magnaten Roman Abramowitsch; zusammen wären beide Firmen zur globalen
Nummer vier der Branche aufgestiegen.
Der Traum währte kurz: Nach
Chodorkowskis Verhaftung 2003 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft erst
die Hälfte aller Yukos-Aktien und fror dann das Konzernvermögen ein.
Bei der Zwangsversteigerung Ende 2004 erhielt eine unbekannte
Finanzgruppe den Zuschlag für die wichtigste Yukos-Tochter. Wie sich
herausstellte, gehörte sie dem staatlichen Erdölkonzern Rosneft, der
damit von einem kleinen Licht zur grossen Flamme avancierte. Bei der
späteren vollständigen Zerschlagung profitierte wiederum Rosneft. 2008
gab Chodorkowski an, nicht mehr ins Erdölgeschäft zurückkehren zu
wollen. Ein Jahr später wurde ihm wegen Geldwäscherei und Diebstahls der
zweite Prozess gemacht.
Zum Nutzen des Kremls
Zuerst als
Verwaltungsratspräsident und inzwischen als CEO werden Rosnefts
Geschicke von Igor Setschin gelenkt, einem ehemaligen
Vizeregierungschef, höchstwahrscheinlich mit KGB-Vergangenheit. Setschin
forciert Rosnefts Expansion im Inland ohne Rücksicht auf
Minderheitsinteressen. Ironischerweise sucht auch er die Zusammenarbeit
mit internationalen Partnern; der britische Energiekonzern BP ist
inzwischen mit knapp 20 Prozent zweitgrösster Aktionär. Aber Setschin
tut das mit Einverständnis und zum Nutzen des Kremls. Russlands
Erdölproduktion erreichte im November mit 10,6 Millionen Fass pro Tag
ein postsowjetisches Rekordhoch, Rosneft fördert laut Bloomberg 5
Prozent des globalen Angebots.
ebd.
Ein Pyrrhussieg für Putin
Staatskapitalismus als schwere Last
Staatskapitalismus als schwere Last
von Peter A. Fischer · Kurz vor Weihnachten zeigt sich der «ewige» Kremlherr Wladimir Putin barmherzig und befreit seinen Intimfeind Michail Chodorkowski medienwirksam aus zehnjähriger Lagerhaft - rund ein halbes Jahr bevor dieser seine ganze Strafe abgesessen hätte. Putin erweist damit «seinem» enorm teuren Prestigeprojekt Olympischer Winterspiele in Sotschi einen Dienst und bewahrt dieses vor weiteren störenden politischen Protesten und Absenzen. Der Kremlherr kann zudem triumphieren, weil Chodorkowski offenbar ein Gnadengesuch eingereicht hat. Dies hatte Russlands einst mächtigster Erdöl-Tycoon bisher abgelehnt, weil es formell mit einem Schuldeingeständnis verbunden ist. Ein dritter Prozess und das Bitten seiner betagten Mutter dürften als Druckmittel gedient haben. Nun ist auch davon auszugehen, dass sich Chodorkowski vor seiner Freilassung zu Wohlverhalten, sprich politischer Zurückhaltung, verpflichtet hat. Putin bleibt damit in diesem Duell seiner Vertreter russischer Machtapparate mit Wurzeln im sowjetischen Geheimdienst KGB (der sogenannten «Silowiki») und «westlicher» gewordener Oligarchen um Chodorkowski bis auf weiteres der eindeutige Sieger.
Der Fall Chodorkowskis war allerdings nie nur derjenige eines Mannes, der sich politisch verspekuliert und seine Macht überschätzt hatte. Die mit Chodorkowskis Inhaftierung verbundene faktische Verstaatlichung von Yukos, dem damals modernsten Erdölkonzern Russlands, war vielmehr ein Fanal, mit dem Putin und seine «Silowiki» den zuvor herrschenden Waffenstillstand kündeten, unter dem die Politik die Wirtschaft und deren Oligarchen in Ruhe liess, solange sich diese nicht politisch einmischten. Chodorkowski hatte sich nicht nur daran nicht gehalten, sondern vor seiner Festnahme auch mit einem amerikanischen Erdölkonzern über den Verkauf einer namhaften Beteiligung an seinem Erdölkonzern verhandelt. Putin signalisierte mit der Verbannung Chodorkowskis, dass er dies auf keinen Fall zulassen und die Kontrolle über Russlands erfolgreiche Rohstoffkonzerne seiner Politik und seinen Günstlingen vorbehalten wollte. Es war der Beginn der Hinwendung Russlands zu einem korrupten Staatskapitalismus Putinscher Prägung. Seither sind unzählige kleine «Yukos-Fälle» geschehen, in denen Firmen von der Verwaltung und den «Silowiki» zumindest teilweise unter Kontrolle gebracht wurden. Die Internationalisierung der Wirtschaft wurde zurückgebunden und der Primat der Politik rücksichtslos durchgesetzt.
Russlands Wirtschaft leidet unter den Ineffizienzen dieses Staatskapitalismus. Es fehlt an Innovation und Diversifikation weg von der Rohstoffabhängigkeit. Zahlreiche clevere Unternehmer und talentierte Wissenschafter haben dem Land resigniert den Rücken zugekehrt. Im Vergleich mit anderen Schwellenländern ist Russland ins Hintertreffen geraten und schöpft sein - grosses - Potenzial bei weitem nicht aus. Daran wird auch die Freilassung Chodorkowskis kaum etwas ändern. Die Fehlentwicklung von Russlands Kapitalismus ist Putins Pyrrhussieg.
Nota.
In Boris Jelzins wildem Osten konnte man es wahrscheinlich auf anständige Art nicht zu was bringen. Und nicht auf legale Art etwas vom ehemaligen Volkseigentum erwerben. Es kann eigentlich nicht sein, dass Chodorkowski auf saubere Art zum reichsten Mann Russlands geworden ist. Es kann aber sein, dass er es ohne eigne Bosheit geworden ist.
Es kann auch sein, dass er ehrlichen Herzens zu einer liberalen und demokratischen Gesinnung gefunden hat. Man kann da nur Vermutungen anstellen.
JE
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