Die Türkei auf schiefer Bahn
Die innenpolitischen Unruhen verschärfen die aussenwirtschaftliche Verletzlichkeit
Die innenpolitischen Unruhen verschärfen die aussenwirtschaftliche Verletzlichkeit
von Thomas Fuster, Wien
Die türkische Wirtschaft glänzt zwar mit hohem Wachstum. Die Expansion erfolgt aber auf sehr ungleichgewichtige Weise. Durch die Unruhen der vergangenen Tage sind die aussenwirtschaftlichen Risiken weiter gestiegen.
Die türkische Regierung hat 2013 aufgrund des unzimperlichen Vorgehens gegen friedliche Demonstranten viel politischen Goodwill verspielt. Mit Blick auf das Wirtschaftswachstum kann sich das Land am Bosporus aber sehen lassen. Mit einer für 2013 auf 4% geschätzten Expansion hat man nach der willkommenen Abkühlung im Vorjahr (2,2%) auf einen Wachstumspfad zurückgefunden, der beeindruckend anmutet. Für Ministerpräsident Erdogan ist dies mit Blick auf die Lokalwahlen im März und die Präsidentschaftswahl im Sommer von besonderer Wichtigkeit. Angesichts der notfallmässigen Regierungsumbildung am Mittwochabend wegen der laufenden Korruptionsermittlungen gegen regierungsnahe Personen wird der zusehends autoritär agierende Regierungschef alles daransetzen, das Wahlvolk mit brummender Wirtschaft bei Laune zu halten.
Im Klub der «fragilen fünf»
Doch der Glanz des Wachstums - im dritten Quartal betrug das Plus 4,4% - ist kein Grund für Selbstzufriedenheit. So zeigt ein Blick auf die wichtigsten Antriebskräfte eine sehr ungleichgewichtige Entwicklung. Seit Jahren verdankt das Land sein Wachstum primär der Konsumnachfrage. Das war auch im dritten Quartal nicht anders: So stieg der Konsum der Privathaushalte um über 5%.
Beunruhigend stimmt dabei, dass dieser Konsum immer öfter mittels Krediten finanziert wird, während die Sparquote auf rekordtiefem Niveau verharrt. Die Aussenwirtschaft leistet keinerlei positiven Beitrag zum Wachstum. So sanken die Exporte im dritten Quartal um 2,2%, während die Importe um 6% zulegten - eine Bewegung, die teils auch mit der hohen Abhängigkeit von Energieimporten zu erklären ist.
Folge dieses Ungleichgewichts ist eine tiefrote Leistungsbilanz. Das entsprechende Defizit dürfte in diesem Jahr einmal mehr bei über 7% des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu stehen kommen. Um diesen Fehlbetrag finanzieren zu können, ist die Türkei auf Gedeih und Verderb auf einen hohen Zufluss von ausländischem Kapital angewiesen. Nicht von ungefähr sorgen die Mutmassungen rund um das Wann und Wie einer etwas weniger grosszügigen amerikanischen Geldpolitik für besonders hohe Nervosität in der Türkei. Die Währung des Landes wird von Ökonomen denn auch dem Klub der «fragilen fünf» zugeordnet. Dazu gehören neben der Türkei auch Brasilien, Indonesien, Indien und Südafrika - Länder, die alle mit hohen externen Ungleichgewichten und einer starken Abhängigkeit von Kapitalzuflüssen kämpfen.
Mit entsprechend hoher Volatilität und Verletzlichkeit gegenüber raschen Stimmungsschwankungen muss auch 2014 gerechnet werden. Die in homöopathischer Dosierung bereits in Angriff genommene Drosselung der Anleihenkäufe durch das Fed dürfte die türkische Lira, die dieses Jahr gegenüber dem Euro schon um 17% an Wert eingebüsst hat, weiter unter Druck setzen. Dies umso mehr, als das Leistungsbilanzdefizit zu über 80% durch kurzfristige Portfolioinvestitionen finanziert wird und nicht durch Direktinvestitionen, die naturgemäss weit langfristiger und somit auch stabiler sind. Setzt man die kurzfristigen ausländischen Verbindlichkeiten der Türkei in Relation zu den nicht allzu üppig geäufneten Devisenreserven, zeigt sich, dass diese Quote (von Moody's Investors Service als Indikator der Verletzlichkeit bezeichnet) in kaum einem Investment-Grade-Land ähnlich hoch ausfällt wie in der Türkei.
Zu lockere Geldpolitik
Was wäre zu tun? Zur Stützung der kränkelnden Lira und zur Dämpfung der Importnachfrage erschiene eine Anhebung der Zinsen naheliegend. Dies auch deshalb, weil die Inflation dieses Jahr erneut deutlich über den von der Zentralbank mittelfristig angepeilten Zielwert von 5% zu liegen kommt; per November lag der Preisanstieg bei 7,3%. Höhere Zinsen könnten zudem helfen, die Bevölkerung mehr zum Sparen zu motivieren und die ungestüm wachsende Kreditnachfrage zu dämpfen. So lag das Kreditwachstum per November im Vorjahresvergleich bei 30% und somit auf einem doppelt so hohen Niveau wie die von der Notenbank angestrebte Rate von maximal 15%. Zwar hat die Bankenaufsichtsbehörde jüngst diverse Massnahmen zur Abkühlung der Kreditwirtschaft angekündigt; diese Massnahmen wären aber weit wirksamer, wenn sie auch geldpolitisch flankiert würden.
Doch die Notenbank, gefangen in einer sehr unorthodoxen Geldpolitik, macht keine Anstalten, den Schlüsselsatz zu erhöhen. Sie fährt einen Kurs, der mit Blick auf Wachstum und Inflation als sehr locker zu taxieren ist. Dass dies nicht nur ökonomische Gründe hat, ist anzunehmen. So übt Erdogan unverhohlen Druck auf die Zentralbank aus und fordert möglichst tiefe Zinsen. Dahinter stehen zum einen die anstehenden Wahlen und das Interesse an hohem Wachstum. Zum andern ist dem strenggläubigen Regierungschef das Zinswesen äusserst suspekt. Je länger die Zentralbank den Wünschen Erdogans nachkommt und dem Wachstum mehr Gewicht beimisst als der Preisstabilität, desto grösser wird der Verdacht, dass Erdogan in der von ihm straff geführten Türkei längst auch schon die Geldpolitik kontrolliert - trotz formeller Unabhängigkeit der Währungshüter.
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