Das schwierige Erbe Nelson Mandelas
Die Kluft zwischen Arm und Reich in Südafrika ist auch 20 Jahre nach dem Ende des Apartheidregimes tief
von Claudia Bröll, Kapstadt
Südafrika verdankt Nelson Mandela auch den wirtschaftlichen Aufstieg nach dem Ende des Regimes der Rassentrennung. Unter seinen Nachfolgern haben sich aber viele Hoffnungen der schwarzen Bevölkerung auf ein besseres Leben nicht erfüllt.
«Wir normalen Südafrikaner müssen tagtäglich eine Realität schaffen, in der alle die Hoffnung auf ein glorreiches Leben haben.» Mit Sätzen wie diesen bereitete Nelson Mandela 1994 seine Landsleute auf eine neue Ära vor, als er als erster demokratisch gewählter Staatspräsident Südafrikas sein Amt antrat. Der am Donnerstagabend verstorbene Nationalheld war für Millionen Menschen nicht nur ein Verfechter der Gerechtigkeit gewesen, sondern auch ein Hoffnungsträger für wirtschaftliches Wohlergehen.
Die Kluft zwischen Arm und Reich in Südafrika ist auch 20 Jahre nach dem Ende des Apartheidregimes tief
von Claudia Bröll, Kapstadt
Südafrika verdankt Nelson Mandela auch den wirtschaftlichen Aufstieg nach dem Ende des Regimes der Rassentrennung. Unter seinen Nachfolgern haben sich aber viele Hoffnungen der schwarzen Bevölkerung auf ein besseres Leben nicht erfüllt.
«Wir normalen Südafrikaner müssen tagtäglich eine Realität schaffen, in der alle die Hoffnung auf ein glorreiches Leben haben.» Mit Sätzen wie diesen bereitete Nelson Mandela 1994 seine Landsleute auf eine neue Ära vor, als er als erster demokratisch gewählter Staatspräsident Südafrikas sein Amt antrat. Der am Donnerstagabend verstorbene Nationalheld war für Millionen Menschen nicht nur ein Verfechter der Gerechtigkeit gewesen, sondern auch ein Hoffnungsträger für wirtschaftliches Wohlergehen.
Hausgemachte Probleme
Mit der Wahl Mandelas war
Südafrika nach langer Isolierung in die Weltwirtschaft zurückgekehrt.
Etliche Unternehmen hatten die «Regenbogennation» zu einem ihrer
Lieblingsstandorte auserkoren. Eine ausgeklügelte Politik der Förderung
von Schwarzen sollte den einst Unterdrückten den Weg zu Geld und
Einfluss im Wirtschaftsleben ebnen. Seit diesen Anfängen wurden aber
viele Chancen verspielt. Fast 20 Jahre später steckt die grösste
afrikanische Volkswirtschaft in Nöten: Das Wachstum stagniert, die
Arbeitslosigkeit verharrt bei mehr als 25%, die Landeswährung Rand ist
so schwach wie seit Jahren nicht mehr, und der Zorn in der Bevölkerung
über eine sich masslos bereichernde politische Elite wächst. Die
derzeitige Führung des Landes habe es nicht geschafft, auf dem von
Mandela gebauten Fundament aufzubauen und vor allem der jungen
Generation die Aussichten auf ein besseres Leben zu eröffnen, bilanziert
der Ökonom Iraj Abedian, der einst die Regierung Mandelas in
wirtschaftspolitischen Fragen beraten hat.
Nach dem Jahr 1994 erlebte das
Land eine 15 Jahre lange Aufschwungsphase, die in Wachstumsraten von bis
zu 6% gipfelte. Die aufstrebende Nation profitierte von der Öffnung
neuer Exportmärkte und dem Rohstoffhunger in Asien. Zugute kam ihr ein
pragmatischer Kurs in der Wirtschaftspolitik, den viele von der
Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC), einem Verbündeten
der Sowjetunion in Widerstandszeiten, nicht für möglich gehalten
hatten. Mandela sei es um das übergeordnete Ziel gegangen, sagt Abedian:
die schwarze Bevölkerung von der Unterdrückung zu befreien und ein
friedliches Miteinander von Schwarzen und Weissen zu ermöglichen. Die
Wirtschaftspolitik sei dafür lediglich ein Mittel zum Zweck gewesen. So
schlug der ANC einen marktwirtschaftlich orientierten Kurs ein,
stabilisierte die Staatsfinanzen, umgarnte ausländische Investoren und
unterstützte zukunftsträchtige Branchen wie die Autoindustrie mit
Subventionen. Seit 2009 jedoch hat sich das Blatt gewendet, nicht nur
wegen der globalen Wirtschaftskrise. Auch die hausgemachten Probleme
nahmen zu. Ausländische Investoren beklagen schlechtere
Standortbedingungen und immer grössere Unsicherheiten, vor allem wenn
sie direkt mit der Regierung zu tun haben. Vor kurzem hat eine
einseitige Kündigung bilateraler Investitionsschutzabkommen europäische
Wirtschaftspartner - darunter auch die Schweiz - verärgert.
Südafrika gehört seit 2010 zwar
offiziell dem Brics-Klub der wachstumsstarken Schwellenländer der Welt
an. Die Reserve Bank jedoch korrigierte vor kurzem die Wachstumsprognose
nach unten auf nur noch 2% in diesem Jahr - keine berauschende Zahl für
ein Brics-Mitglied. In der verarbeitenden Industrie sinkt die
Produktion. Wegen eines sieben Wochen langen Streiks rollten in den
Autofabriken im September 70% weniger Fahrzeuge von den Bändern als im
Jahr zuvor. Dem Bergbau, einer Schlüsselbranche, machen ebenfalls
Arbeitskämpfe zu schaffen - zusätzlich zu sinkenden Rohstoffpreisen und
immer höheren Förderkosten. Auch das Vertrauen der Konsumenten ist so
niedrig wie seit neun Jahren nicht mehr. Zusätzlich halten sich die
Banken mit der Vergabe ungesicherter Kredite zurück, die früher die
Kauffreude angestachelt haben.
Eine baldige Wende zeichnet sich
nicht ab. Die Möglichkeiten, kurzfristig über die Geldpolitik oder die
Fiskalpolitik gegenzusteuern, sind begrenzt. Die Zentralbank liess die
Leitzinsen in ihrer jüngsten Sitzung bei 5% und damit auf dem
niedrigsten Niveau seit 35 Jahren. Weitere Senkungen würden die
Inflation antreiben und die Landeswährung Rand schwächen, argumentierte
Notenbankpräsidentin Gill Marcus. Auch Finanzminister Pravin Gordhan hat
kaum Spielraum. Rating-Agenturen beäugen das wachsende Defizit im
Staatshaushalt mit Sorge. In Südafrika ist die Zahl der Empfänger
staatlicher Hilfen dreimal so hoch wie die Zahl der Steuerzahler.
Staatspräsident Jacob Zuma brüstet
sich dennoch mit dem bisher Erreichten. Die Wirtschaft sei seit 1994 um
83% gewachsen, 3,5 Mio. Menschen seien in Beschäftigung gekommen, und
soziale Hilfen erreichten 16 Mio. statt zuvor nur 2,5 Mio.
Südafrika sei ein viel besserer Ort als vor 1994, vor allem in den
vergangenen fünf Jahren habe sich die Lage verbessert.
Die Regierung hat tatsächlich hohe
Summen in neue Sozialbauten im ganzen Land gesteckt. Viele Bürger haben
nun Anschluss an das Stromnetz und fliessendes Wasser. Trotzdem leben
Millionen immer noch in Wellblechhütten, mehr als 2 Mio. Haushalte
verfügen über keine eigene Toilette. Das staatliche Bildungswesen ist in
einer so maroden Verfassung, dass trotz Fachkräftemangel mehr als jeder
zweite junge Südafrikaner keine Arbeit findet. In einer Studie des
Weltwirtschaftsforums über die Qualität der Ausbildung landete Südafrika
nur auf Rang 140 - vor Haiti, Libyen, Burundi und Jemen. Anders als es
sich die Menschen von Mandela erhofft hatten, profitierten vom «neuen
Südafrika» vor allem grosse Teile der ohnehin schon wohlhabenden weissen
Bevölkerung und eine neue schwarze Elite. Zwischen Arm und Reich klafft
damit eine tiefere Kluft als während der Zeit der Rassentrennung.
Streiks und Proteste
Kaum ein Tag vergeht, an dem die
Menschen in den Armenvierteln nicht aus Protest gegen schlechte
staatliche Leistungen auf die Strasse gehen. Im vergangenen Jahr
eskalierte ein Streik auf dem Gelände einer Platinmine so sehr, dass
Minenarbeiter von schwarzen Polizisten erschossen wurden. Arbeitskämpfe
haben Südafrika im vergangenen Jahr 0,5 Prozentpunkte des
Wirtschaftswachstums gekostet und eine Herabstufung der Bonitätsnote von
allen Rating-Agenturen eingebracht. Im Andenken an Mandela zeigt das
südafrikanische Fernsehen Filmaufnahmen von den Aufständen gegen das
Apartheidregime in den 1980er Jahren. Was sich heute auf den Strassen
und auf dem Gelände der Minen abspielt, sieht jedoch oft bedrückend
ähnlich aus. In die Trauer um Mandela mischt sich daher auch die
Sehnsucht nach einer Führungspersönlichkeit seines Formats. Die sonst
zurückhaltende Zentralbankchefin fand unlängst klare Worte: «Wir
stecken in einer Krise, die koordinierte und weitreichende politische
Reaktionen erfordert.»
Nelson Mandela prophezeite im Jahr
1991 am World Economic Forum in Davos: «Die Menschen werden sich nicht
mit höflichen, aber inhaltsleeren Antworten zufriedengeben. Sie werden
sich nicht mit dem Versprechen zufriedengeben, dass sich morgen etwas
ändert, wenn heute nicht erkennbar ist, wie es dazu kommen soll.» Knapp
zwanzig Jahre später würden sich viele in Südafrika wünschen, ihr
Nationalheld könnte mit solchen Sätzen noch einmal zu Wort kommen.
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