Die halbe Weltmacht
David Shambaugh sieht China noch weit entfernt vom Grossmachtstatus
von Jürgen Kahl
China gilt als die unbedingte Weltmacht der Zukunft. In der Gegenwart entspricht Pekings Einfluss auf das Weltgeschehen allerdings noch längst nicht demjenigen einer Supermacht.
Als David Shambaugh an seinem jüngsten Buch über China schrieb, waren die Massstäbe, an denen der amerikanische Politikwissenschafter die aufsteigende Grossmacht misst, noch halbwegs intakt. Spätestens seit den Enthüllungen über die abgründigen Ausspähpraktiken des militärischen Geheimdienstes NSA muten manche seiner Urteile jedoch ironisch zwiespältig an, etwa, dass China heute der weltweit aggressivste «Cyber-Staat» sei. Dass der amerikanischen Regierung im Kampf gegen den Terror anscheinend jedes Mittel recht ist, macht das chinesische Regime nicht sympathischer. Aber es stärkt auch nicht die Glaubwürdigkeit des Überlegenheitsanspruchs, den der Autor für die liberale Rechtsstaatlichkeit der westlichen Vormacht implizit geltend macht.
Kompakte Gesamtschau
Dennoch fällt «China Goes Global»
nicht in die Kategorie des wohlfeilen China-Bashing. Shambaugh, der den
zweiten Aufbruch der Volksrepublik seit Beginn der achtziger Jahre
aufgeschlossen kritisch begleitet, hat in seinem jüngsten Buch versucht,
den globalen Fussabdruck, also das tatsächliche Gewicht Chinas im
internationalen Gefüge, nach allen Seiten seines wirtschaftlichen,
diplomatischen, militärischen und kulturellen Einflusses zu vermessen.
Von besonderem Interesse ist, dass die kompakte Gesamtschau auch einen
Einblick vermittelt, wie kontrovers und widersprüchlich selbst in den
aussenpolitischen Think-Tanks in China das internationale
Rollenverständnis des Weltmacht-Aspiranten diskutiert wird.
David Shambaugh:
China Goes Global.
The Partial Power.
Oxford University Press, New York 2013. 409 S., Fr. 45.00
Das Ergebnis, zu dem Shambaugh kommt, nimmt der Untertitel des Buchs vorweg. Die Kennzeichnung Chinas als «partial power» begründet er mit drei Kernaussagen. Die erste bezeichnet die These, wonach das Land dem Status einer Weltmacht greifbar nahe gerückt sei, als irreführende Spekulation.
Durch einen beispiellosen Kraftakt
sei China in kurzer Zeit zu einem gewichtigen globalen Akteur geworden.
Von der Fähigkeit, das internationale Geschehen über das regionale
Umfeld hinaus zu bestimmen, sei es angesichts seines begrenzten
diplomatischen und militärischen Einflusses aber noch weit entfernt.
Ökonomisch verfüge die zweitgrösste Volkswirtschaft zwar über eine
enorme Hebelkraft, die in Schlüsselbereichen wie Auslandinvestitionen
oder der Internationalisierung der Unternehmen jedoch noch schwach
ausfalle.
Was sich aus der Analyse der
chinesischen Aussenbeziehungen ergibt, fasst Shambaugh mit dem Begriff
«lonely power» zusammen. Er beschreibt das Profil einer Grossmacht, die
dank ihrer omnipräsenten Diplomatie beachtliche Terraingewinne verbuchen
kann, aber kaum politische Freunde gewonnen hat. Das periodische Auf
und Ab im Verhältnis zu den USA ist von wechselseitig tiefem
strategischem Misstrauen geprägt. Auch die von wiederkehrenden
Irritationen überschatteten Beziehungen zu Europa bleiben
störungsanfällig.
Selbst in Afrika, wo China dank
seiner grosszügigen Entwicklungshilfe in Umfragen am besten abschneidet,
haben die Begehrlichkeiten nach Rohstoffen unterschwellig eine
Abwehrhaltung gegen die neokoloniale Ausbeutung erzeugt. Einer
strategischen Partnerschaft am nächsten kommt die chinesisch-russische
Tandembeziehung, die bei kritischen Abstimmungen im Uno-Sicherheitsrat
wie im Fall Syrien als «Koalition der Unwilligen» auftrete. Aber auch
diese Verbindung wecke Zweifel, ob die Gemeinsamkeiten über die
geostrategisch opportune Frontstellung gegenüber den USA hinausreichten.
Wenig politisches Engagement
Als dritte Auffälligkeit weist
Shambaugh auf die Diskrepanz zwischen dem diplomatischen Aktionismus und
der starken Zurückhaltung Chinas bei der Bewältigung globaler Probleme
hin. Ein aussenpolitisches Verhaltensmuster, das er als zögerlich,
risikoscheu und in sehr engem Sinne vom Eigennutz bestimmt
charakterisiert und im innerchinesischen Diskurs gespiegelt findet.
Die grösste Gefahr gehe von einem
China aus, das vom Rest der Welt überschätzt wird und sich selbst
überschätzt. Die Antwort auf die Frage, was daraus für die westliche
Chinapolitik folge, fällt bemerkenswert wortkarg aus. Das mag daran
liegen, dass Shambaugh sonst einräumen müsste, dass es China weltweit
mit Grossmächten zu tun hat, die allesamt selbst nur noch als «partial
powers» in Erscheinung treten.
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