aus Die Presse, Wien, 13. 12. 2013
In der Steinzeit waren Tische vielfältig gedeckt
Forscher
rekonstruieren immer detaillierter, wie die Menschen sich vor der
Erfindung der Agrikultur ernährten. Das war regional ganz verschieden,
in England etwa nahmen sie, was Flusstäler boten.
Der „schwerste Fehler in der Geschichte der Menschheit“ sei vor etwa 10.000 Jahren passiert,
schrieb Multitalent Jared Diamond 1987. Er meinte die Neolithische
Revolution, in der die ersten Ahnen sesshaft wurden und die Agrikultur
entwickelten. Von dieser bzw. ihrem Kern – der Domestizierung von
Gräsern zu Getreide und damit der Umstellung der Ernährung auf
Kohlenhydrate, Stärke vor allem – leben wir heute alle. Aber den
Pionieren bekam die neue Kost nicht gut: Die Lebenserwartung sank, die
Körper wurden kleiner – in Anatolien haben sie heute noch nicht die
frühere Größe erreicht –, und es kamen neue Krankheiten, gut sichtbare
etwa am Gebiss und die Leibesfülle betreffend, verstecktere im
Stoffwechsel und am Herzen.
Zudem wurden die Menschen abhängig von den Ernten, also vom Wetter.
Kam Dürre, konnten sie nicht einfach weiterziehen wie ihre Ahnen, die
Jäger und Sammler. Diese waren frei, sie waren gesund, und die Sehnsucht
nach beidem hat sich seit einigen Jahren amalgamiert: Wenigstens bei
Tisch wollen manche Büromenschen leben wie Jäger und Sammler, sie
köcheln sich eine Steinzeit- oder auch Paläodiät. Deren Wurzeln reichen
noch weiter zurück als Diamonds Fluch über den Segen der Landwirtschaft:
1975 postulierte Walter Voegtlin in „The Stone Age Diet“, das dem
Menschen angemessene Essen sei Fleisch. In den 1980er-Jahren wurde es
populär, inzwischen ist es unüberschaubar und reicht vom Ratgeber („Ein
Mammut auf den Teller!“) bis zu avanciertesten Steinzeitrezepten,
„Spargelpfanne mit Garnelen“ und Ähnlichem etwa aus dem
„Urgeschmack-Kochbuch für Gourmets“.
„Stone Age Diet?“ „Paleofantasy!“
Schmecks! Tierisches Protein war drin, das von Würmern und Insekten
in Früchten, so viel darf man unterstellen, Schimpansen mampfen es heute
noch mit Genuss. Alles andere ist „Paleofantasy“ (Marlene Zuk,
University of Minnesota), nur eins steht fest: Es gab keine Paläodiät,
es gab regional höchst unterschiedliche Paläodiäten. Und die sind schwer
zu rekonstruieren, etwa deshalb, weil sich zwar Tierknochen eher gut
erhalten haben, von Pflanzen aber kaum Reste blieben. Man muss schon
genau hinschauen, etwa in die Asche von Herden, die vor 25.000 Jahren in
Dolní Věstonice im heutigen Tschechien brannten. Alexander Pryor
(Cambridge) hat es getan, er fand viele Spuren von – Paläodiätisten
werden es nicht gern hören – stärkehaltigen Pflanzen (Antiquity, 87,
S.971).
Und Tony Brown (University of Southampton) führt nun eine
breite Palette vor (PLoS One, 10.12.). Er hat nachgesehen, wo sich die
Jäger und Sammler in England gern aufhielten, die Hinterlassenschaften
zeigen es: Steinwerkzeuge, diese häufen sich in breiten Flusstälern.
Dann rekonstruierte Brown, was es dort zu jagen und sammeln gab; die
Flüsse spendeten reich – etwa Fett: Aale und Biber –, sie lockten auch
jagdbares Wild an.
Und in den Flüssen spross es reich –
Wasserkresse, Wasserlilien –, auf dem Schwemmland auch. Die Liste ist
lang, sie deckt die großen Gruppen ab – Proteine, Kohlenhydrate, Fette,
Mineralien –, und sie deckt die etwa 50 Mikronährstoffe ab, die der
Mensch braucht, Vitamin C etwa ist in Fischleber und vielen Beeren. „Man
kann spekulieren, dass die Flusstäler als ,gesunde‘ Plätze gern
aufgesucht wurden“, spekuliert Brown.
Aber irgendwann zogen sie
doch weiter, sie fanden andere Nahrung, sie stellten sich um. Nicht nur
sie, auch die Bakterien in ihren Därmen taten es (Nature, 11.12.): Peter
Turnbaugh (Harvard) hat Freiwillige fünf Tage lang auf höchst
einseitige Diäten gesetzt, entweder nur Gemüse oder nur Fleisch, selbst
ein Vegetarier tat bei Letzterem mit. In kürzester Zeit stellten sich
die Bakterien auf die neue Kost um.
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