Weimarer Repubik: Kein Vertrauen in den StaatDer britische Historiker Frederick Taylor beschreibt in "Inflation" die Zustände in der Weimarer Republik.
November 1923. Eine Engländerin geht in Deutschland einkaufen: Ein Bügeleisen kostet 150 Milliarden Mark, wie sie nach Hause berichtet. Ihre Schneiderin, der sie 24 Milliarden Mark für ein paar Reparaturen schuldet, bezahlt sie mit Schmalz – für 12 Milliarden Mark das Pfund. Vor 90 Jahren musste jede Hausfrau in Deutschland mit solchen Milliardensummen rechnen. Der britische Historiker Frederick Taylor beschreibt in seinem neuen Buch "Inflation", wie in der Weimarer Republik mit dem Geld das Vertrauen in den Staat verloren ging.
Das Buch könnte eine Aufzählung wirtschaftlicher Fakten und die nüchterne Beschreibung von Geldmengenpolitik sein. Ist es aber nicht. Taylor schildert detailreich, wie das Deutsche Reich sich durch den Ersten Weltkrieg kämpft und dabei auch finanziell ausblutet. Denn damit beginnt das ganze Drama. Als im November 1918 die Waffen schweigen, sind Millionen Soldaten tot oder verstümmelt. Millionen Kinder sind Waisen geworden und Millionen Frauen Witwen. Sie muss der Staat versorgen. Ein bankrotter Staat, der 154 Milliarden Mark Kriegsschulden angehäuft hatte.
Mit der sich immer schneller drehenden Notenpresse und mit acht Anleihen, die die Bürger beim Staat zeichneten, war der Krieg finanziert worden. Fünf Prozent Zinsen wurden den gutgläubigen Patrioten für ihren finanziellen Einsatz versprochen. Daraus wurde bekanntlich nichts. Die Menschen verloren nach dem Krieg ihr Geld – und damit jegliches Vertrauen in den neuen deutschen Staat. Der Autor sieht darin einen der entscheidenden Gründe für den Untergang Weimars und den Aufstieg Hitlers.
Doch zunächst hatte die Inflation auch Gewinner: den Staat und die Industriellen. Denn die Schulden wurden immer weniger und der Export boomte – dank der billigen Mark, die deutsche Produkte im Ausland unschlagbar billig machte und gleichzeitig kostbare Devisen einbrachte. Geschäftsleute wie Hugo Stinnes häuften in kürzester Zeit einen sagenhaften Reichtum an, indem sie sich mit ausländischer Währung als Sicherheit günstig Papiergeld liehen, das bei Rückzahlung viel weniger wert war.
Die Verlierer aber waren die Menschen, die mit einem festen Einkommen rechnen mussten: Beamte, Rentner, Arbeiter. Schon gleich nach dem Krieg hatte sich die Regierung das Wohlwollen der Massen mit Beschäftigungsprogrammen und Lohnsteigerungen erkauft, die in keinem Verhältnis zur jeweiligen Produktivität standen. Wechselkurse von 60 Mark für einen Dollar machten diese Politik schon 1919/20 problemlos möglich. Die Unternehmer konnten in diesem Spiel sorgenfrei mitmischen und sich gleich doppelt freuen: über glänzende Exportbilanzen und brave Arbeiter, die keine Revolution mehr wollen.
Doch die Zeiten blieben unruhig. Mit der Ermordung Walter Rathenaus durch extreme Nationalisten gab es kaum noch etwas, das eine Panik aufhalten konnte. Die Kreditwürdigkeit des Reichs im Ausland stürzte jäh ab, internationale Investitionen blieben aus. Die "Inflationsmentalität" der Deutschen, wie Taylor es nennt, besorgte den Rest. Denn in Erwartung steigender Preise wurden Preisskalen üblich. Sie hatten den Effekt, dass der Käufer bei Lieferung einen viel höheren Preis zu zahlen hatte als bei der Bestellung. So war es dann auch mit den günstigen Exportpreisen vorbei.
Immer wieder flicht Taylor in seine Schilderung der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Szenen aus dem Alltagsleben ein: Der Berliner Maximilian Bern, ein alter Autor, hebt im Sommer 1923 die gesamten Ersparnisse ab, die ihm den Ruhestand hatten finanzieren sollen. Für die mehr als 100 000 Mark kann er sich gerade noch einen U-Bahn-Fahrschein leisten. Er fährt nach Hause, schließt sich in seiner Wohnung ein – und verhungert.
Ein Land im Abwärtstaumel
Die Regierung scheute vor einschneidenden Maßnahmen zurück und gab munter weiter Geld aus. Als französische und belgische Soldaten das Ruhrgebiet besetzten, um Reparationslieferungen durchzusetzen, versetzten sie der deutschen Wirtschaft den tödlichen Schlag. Die Arbeiter, die im passiven Widerstand waren und nicht arbeiteten, bekamen fürs Nichtstun Geld aus Berlin. Hinzu kamen die Lohnzahlungen für Zehntausende Bahnmitarbeiter, die von der Besatzungsmacht entlassen worden waren, und die Kosten für die Verdienstausfälle der Unternehmer. Alles bezahlt mit Geld, das massenhaft gedruckt wurde.
Ein Land im Abwärtstaumel, den erst der entschlossene Schlussstrich stoppte: die Einführung der Rentenmark. Ein radikaler Schnitt zum Wechselkurs von einer Billion zu eins. Von 154 Milliarden Mark Schulden blieben genau 15,4 Pfennig.
Für Frederick Taylor ist die Geschichte damit aber nicht zu Ende. Er schlägt den Bogen über 90 Jahre, einen weiteren Weltkrieg mit Geldentwertung bis hin zur gegenwärtigen Eurokrise und fragt: "Was passiert, wenn wir das Vertrauen in unser Geld verlieren?" Die Hyperinflation der 20er Jahre sei lange Zeit vor allem ein deutsches Trauma gewesen, schreibt er am Ende. Doch was, fragt er, wenn die Deutschen den richtigen Instinkt bewiesen?
Frederick Taylor: Inflation. Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines deutschen Traumas. Siedler, München 2013. 400 Seiten, 24,99 Euro.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen