Freitag, 6. Dezember 2013

Markt und Staat in Ostasien.

Aus NZZ, 4. 12. 2013

Rollen für Markt wie auch Staat
Suche nach den Gründen für die frappanten Entwicklungsunterschiede in Asien

Landreform für die Bauern, staatlich gelenkter Aufbau der Industrie und ein Finanzsektor im Dienste der Landwirte und Industriefirmen: Das sind laut Joe Studwell die Kernelemente asiatischer Erfolgsgeschichten.

hus. · Weshalb haben die reichsten Länder wie die Schweiz einen 50- bis 100-mal so hohen Wohlstand wie die ärmsten Nationen? Solche Fragen bleiben faszinierend. Seit Jahrhunderten fahnden die Gelehrten nach den Haupttreibern wirtschaftlicher Entwicklung, doch manche Antworten bleiben kontrovers. Geografie, Kultur, Institutionen, freie Märkte, Wettbewerb und Bildung sind oft genannte Stichworte in dieser Debatte. Die Reduktion auf einzelne Faktoren dürfte der Realität allerdings kaum je gerecht werden.

Schnelle und Lahme

Der in England wohnhafte Publizist und Asienexperte Joe Studwell hat dieses Jahr eine lesenswerte Analyse zu den frappanten Entwicklungsunterschieden in Asien vorgelegt. Das Buch lebt von den Vergleichen dreier Erfolgsgeschichten (Japan, Korea und Taiwan) mit einigen relativen Misserfolgen (Indonesien, Malaysia, Philippinen, Thailand), während China dazwischen liegt und wegen seiner Grösse eine Sonderbehandlung erhält. 

1950 war der Wohlstand in Korea und Taiwan etwa gleich hoch wie in Thailand und Indonesien, doch heute sind Korea und Taiwan zwei- bis fünfmal so reich wie die Vergleichsstaaten. Laut Studwell haben die Erfolgsländer vor allem drei Dinge besser gemacht als die andern: eine konsequente Landreform für die Bauern, einen staatlich relativ geschickt gelenkten Industrieaufbau sowie die «Erziehung» des Finanzsektors, damit dieser günstige Kreditmittel in Landwirtschaft und Industrie lenkt. Die Erfolgsländer verteilten laut Studwell konsequenter Land von Grossgrundbesitzern auf kleinere Bauern um (die potenziellen Kosten der Enteignungen sind nur am Rande erwähnt). In Japan geschah dies schon im 19. Jahrhundert, in Korea und Taiwan nach dem Zweiten Weltkrieg.
 

Joe Studwell: How Asia Works. Profile Books, London 2013. 322 S.

Solche Landreformen, verbunden mit staatlicher Unterstützung im Zusammenhang mit Krediten, Marketing und Training, steigerten laut dem Autor die Produktion innert 10 bis 15 Jahren typischerweise um 50% bis 75% und lieferten damit auch die Basis für den späteren Industrieaufbau. Der «Preis» dafür, die höhere Arbeitsintensität, war in dieser Lesart weniger ein Preis als eher ein weiterer Vorteil, da der Schritt von der extensiven Grosslandwirtschaft zur intensiven Bearbeitung überschüssige Arbeitskräfte absorbiert habe. Auf viel beackertem Terrain bewegt sich der Autor in seiner Besprechung der Industriepolitik. Besonders seit dem Aufstieg Japans hat die Rolle von Staat und Markt beim Industrieaufbau viele Kontroversen ausgelöst, und das Buch liefert genug Futter, um Staatsgläubige wie auch Marktanhänger zu ärgern. Die Kernbotschaft lautet, dass die staatliche Lenkung beim Industrieaufbau in jenen Ländern Erfolg brachte, die staatliche Unterstützung (Marktabschottung, direkte Subventionen, verbilligte Kredite) mit Marktdisziplin (Exportvorgaben sowie Wettbewerb im Inland) verbanden.

Aktivistische Industriepolitik

Dass der Staat beim Aufbau von Industrien Geburtshilfe leistet, ist keine asiatische Erfindung. Die Briten hatten es schon ab dem 16. Jahrhundert vorgemacht, die USA machten es später nach, dann übernahm Preussen bzw. Deutschland solche Ideen, was später Japan inspirierte, das seinerseits ein Vorbild für Korea und China abgab.

Eine aktivistische Industriepolitik ist nicht gratis. Eine Folge davon sind überhöhte Preise für inländische Konsumenten und tiefe Realrenditen für inländische Sparer. Hinzu kommt das Risiko staatlicher Korruption. Zum Preisschild zählt auch die Gefahr, dass ein Land nach erfolgtem Industrieaufbau das Umschalten auf eine liberalere Politik verpasst - was nach Ansicht des Autors namentlich für Japan gilt. Es gibt fraglos Marktversagen, doch die Wirtschaftsgeschichte ist wohl noch reicher an Beispielen mit Staatsversagen.



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