Besitz macht ökonomisch unvernünftig
Die Angehörigen der Hadza in Tansania handeln wirtschaftlich "rationaler", obwohl sie am Marktgeschehen gar nicht teilnehmen
von Adrian Lobe
Wien - Was wir besitzen, werten wir auf. Das gilt auch für ganz banale Objekte. Dahinter steckt ein psychologischer Mechanismus, der sogenannte Besitztumseffekt (im Original: Endowment-Effekt), der vom US-Wirtschaftswissenschafter Richard Thaler 1980 erstmals beschrieben und von Ökonomen um Daniel Kahneman, Wirtschaftsnobelpreisträger 2002, experimentell bestätigt wurde.
Kahneman und Kollegen ließen Probanden eine Tasse für einen Preis zwischen 0,25 und 9,25 US-Dollar kaufen. Die Käufer waren bereit, dafür im Schnitt drei Dollar zu bezahlen. Die anderen Teilnehmer bekamen die gleiche Tasse geschenkt und verlangten beim Weiterverkauf sieben Dollar - viel mehr, als die anderen zahlen wollten.
Besitz macht Gegenstände wertvoller
Die Erklärung der Ökonomen: Selbst der kurzzeitige Besitz eines Gegenstands lässt ihn subjektiv wertvoller erscheinen. Der Grund dürfte darin liegen, dass Verluste höher gewichtet werden als Gewinne. Doch handelt es sich beim Besitztumseffekt um eine anthropologische Konstante? Ist er allen Menschen angeboren und damit ein universelles Phänomen?
Forscher um Nicholas Christakis (Harvard University) sind diesen Fragen nachgegangen. Dazu reisten sie zu einem der letzten Jäger-und-Sammler-Völker dieser Erde, den Hadza im Norden Tansanias, die in kleinen Gruppen von 30 Personen völlig abgeschieden von der Umgebung leben.
Wovon Kommunisten nur träumen können, ist bei den Hadza eine soziale Norm. Die Männer jagen wilde Tiere, die Frauen sammeln Früchte, das Essen wird geteilt. Und das schlägt auch auf den Besitztumseffekt durch, wie die Ökonomen in einer Studie zeigen konnten, die als Pre-Print publiziert wurde und demnächst im Fachblatt "American Economic Review" erscheinen wird.
Die Forscher schenkten 91 Hadza einmal Kekse, ein anderes Mal ein Feuerzeug. Nachdem sie das Geschenk erhalten hatten, konnten sie es gegen Kekse mit anderem Geschmack oder ein anderes Feuerzeug eintauschen. In westlichen Kulturkreisen wurde dieses Experiment schon mehrmals durchgeführt. Das Ergebnis hier: Die Probanden hielten das, was sie bekommen hatten, für wertvoller - und tauschten kaum.
Ökonomisch "klügeres" handeln
Ganz anders bei den Hadza: Gut die Hälfte der Versuchsteilnehmer war bereit, ihr Geschenk zu tauschen. Das ist auch der Anteil, den man bei rational handelnden Individuen bei gleichwertigen Gütern erwarten würde. Das besitzlose Volk ohne marktwirtschaftliche Erfahrungen agierte ökonomisch "klüger" als die Menschen in der westlichen Konsumgesellschaft.
Die Wissenschafter schließen daraus, dass der Besitztumseffekt kein universelles Phänomen ist, sondern von der Kultur geprägt wird, in der man lebt. In einer Gesellschaft, die keinen Besitz kennt, gibt es logischerweise auch keinen Besitztumseffekt.
Abstract: American Economic Review: Evolutionary Origins of the Endowment Effect: Evidence from Hunter-Gatherers
Nota
Dass die Hazda 'keinen Besitz kennen', wird kaum stimmen, vermutlich kennen sie sogar Eigentum. Allerdings wohl nicht bei den gewöhnlichen Gebrauchsgegenständen: Jäger-und-Sammler leben typischerweise nomadisch, da lässt sich nicht viel anhäufen, wie sollte es transportiert werden? Mit den Jagdwaffen, die das wichtigste, wenn nicht einzige Produktionsmittel der Jäger-und-Sammler sind, verhält es sich aber typischerweise anders. Da kommt es auf die durch Erfahrung bewährte Qualität an, die wird geschätzt und nicht blindlings getauscht. Sollte das bei den Hazda anders sein?
JE