Historisch hat „links“ mit Caritas und Sorge für die Bedürftigen nichts zu tun. Der Ausdruck stammt aus der Sitzordnung der französischen Abgeordnetenkammer unter der bourbonischen Restauration. Rechts saßen die Vertreter der dynastischen Legitimität, links saßen die, die (noch) der Revolution anhingen. Und so blieb es. Links und rechts definierten sich durch Nähe oder Ferne zur Revolution.
Zur demokratischen zunächst. Dann, mit der Pariser Juniinsurrektion 1848, zur sozialen, „roten“. Hatte sich nicht im Proletariat ein besonderer Stand herangebildet, der schon keiner mehr war, der in sich die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft darstellte, und dessen partikulare Interessen daher in eins fielen mit dem Freiheitsinteresse „des“ Menschen? Seither datiert das besondere Verhältnis der Linken zur Arbeiterschaft. Aber nicht, weil sie bedürftig, sondern sofern sie revolutionär war. Sofern!
Die (flüchtige) Aktualität der Revolution
Die
Aktualität der Revolution war nach der Pariser Kommune die stille, nach
dem Oktober 1917 die ausdrückliche Prämisse aller Politik.
Das 20. Jahrhundert kündigte sich an als „Epoche der Weltrevolution“.
Daraus ist dann nichts gewor den. Die Arbeiterbewegung beschied
sich nach ihrem revolutionären Fehlstart in Russland mit dem ihr
Nächstliegenden, der Versorgung der dringendsten Not und der
Befriedigung unmittelbarer Bedürfnisse.
„Hineinwachsen“
in die Marktwirtschaft, durch die regulierten Kanäle von Gewerkschafts-
und Parteiapparaten und eines aufnahmefähigen Öffentlichen Diensts –
das war der wirkliche Ausgleich der Klassengegensätze, war der real
existierende “Sozialismus”.
Mit
dem Untergang der Sowjetunion ist das Ende der Weltrevolution dann
gewissermaßen auch amtlich geworden. Ob die Degeneration der
Arbeitermacht zum feudalbürokratischen Vergeudungs- und
Verknappungssystem der Breschnew und Honecker unvermeidlich war, ist
eine Frage für sich. Auf jeden Fall ist der Linken mit der Revolution
auch ihr logischer Grund verloren gegangen.
Gemeinsam
mit der revolutionären Prämisse entfällt zugleich das privilegierte
Verhältnis der Linken zur Arbeiterschaft. Ohne Revolution keine „Bildung
des Proletariats zur Klasse“, und ohne diese kein Klassenkampf. Die
Interessen der Arbeiter sind ständische Interessen und so gut oder
schlecht wie die andern. Bleibt übrig das Intimverhältnis der “Linken” –
ab hier mit Gänsefüßchen – zum Öffentlichen Dienst…
Das ideelle Erbe
Wie steht es aber um ihr ideelles Erbe? Hat sie da nichts, woran sie sich klammern kann?
Da ist zunächst der Fortschritt.
Den unendlichen Fortschritt unseres Erkennens leugnet keiner. Auch
keine ‘Rechte’. Der Fortschritt der Technik ist schon zweifelhafter.
Dass man nicht alles soll, was man kann, meint man nicht mehr nur
‘rechts’. Und vollends strittig ist der Fortschritt in unsern
Lebensformen. Das aufklärerische Vertrauen in die grenzenlose
Perfektibilität des Menschen scheitert nicht daran, dass jene aufgehört
hätten, sich zu verändern, sondern daran, dass Vollkommenheit kein
bestimmbarer Begriff ist, sondern eine “Idee”. ‘Es gibt’ sie nur als
Problem, nicht als Lösung.
Dann die Gerechtigkeit.
Gerecht findet es der Erfolgreiche, wenn er die Früchte seines Erfolges
selbst verteilt, wie ihm gut dünkt. Der Erfolglose findet es gerecht,
wenn er an den Erfolgen der Glücklichen teilhaben kann. Gerechtigkeit
ist kein Begriff, sondern eine Idee, und die gibt es nur als Problem und
nicht als Lösung.
Und die Freiheit? Die
ist gar zum wundesten Punkt der abgestandenen “Linken” geworden. Jeder
Fortschritt in Richtung auf Gerechtigkeit in unsern Lebensformen wurde
bezahlt mit einer Ausweitung der Eingriffe des Staates in die
persönlichen Angelegenheiten seiner Bürger. Und natürlich mit der
Ausweitung der Öffentlichen Dienste. Das ist keine Lösung, sondern das
Problem! Was von der Linken selig übrig bleibt und nicht abtreten will,
ist nicht die Interessenvertretung der Arbeiterschaft, sondern der
Bürokratien.
Das Veralten der Bürokratien
Zum
Wesen der Industriegesellschaft gehört die Aufteilung der Menschen in
Ausdenker – Unternehmer und Ingenieure – und Ausführer: alle andern, die
mangels eigener Produktionsmittel ihre Arbeitskraft an einen
Ausdenker verkaufen, der über deren Verwendung verfügt. Dazwischen
schiebt sich im Lauf von fast zwei Jahrhunderten die wuchernde Schicht
der Vermittler nicht erst in der Öffentlichkeit und ihren Behörden,
sondern schon in den Fertigungshallen. Anfangs waren sie
produktionstechnisch nötig. Später wurden sie – als Masse – politisch
nützlich. Ohne sie hätte die industrielle Zivilisation jedenfalls keinen
Bestand gehabt.
Aber wir stehen am Ende der Industrie- gesellschaft. Ob für das, was danach kommt, ‘Wissensgesellschaft’ ein intelligentes Wort ist, sei dahingestellt.
In dem Maße aber, wie die ausführenden Tätigkeiten auf elektronisch gesteuerte Maschinen übergehen, bleibt für das lebendige Arbeitsvermögen nur noch das spezifisch Menschliche zurück: die schiere Intelligenz, das Ausdenken selber. Nun aber für alle. Denn das Arbeitsmittel dafür heißt PC und Internet, und die stehen (pp) Jedem offen.
In dem Maße aber, wie die ausführenden Tätigkeiten auf elektronisch gesteuerte Maschinen übergehen, bleibt für das lebendige Arbeitsvermögen nur noch das spezifisch Menschliche zurück: die schiere Intelligenz, das Ausdenken selber. Nun aber für alle. Denn das Arbeitsmittel dafür heißt PC und Internet, und die stehen (pp) Jedem offen.
Das Management wird lean,
die Wege werden kurz, die Hierarchien werden flach. Die Sonderstellung
der Vermittler hat sich verüberflüssigt. Natürlich wissen sie das, dafür
haben sie ein Gespür, wenn schon für sonst nichts. Mit Klauen und
Nägeln krallen sie sich an ihre Besitzstände. Wo immer je etwas
unternommen werden will, schieben sie ihre Bedenken ein und pochen auf
ihre Regularien. An die Stelle des historischen Gegensatzes von Links
und Rechts ist der Widerspruch zwischen den unternehmenden Ausdenkern
und der würgenden Bürokratie getreten.