Freitag, 12. Dezember 2014

Entstanden die Religionen aus dem Überfluss?

aus Die Presse, 12. 12. 2014

Geburt der Religionen aus der Fülle?
Große Glaubenssysteme, die den Menschen Moral und Askese nahelegten, entstanden, als Gesellschaften eine Schwelle des Reichtums überschritten.

Von Jürgen Langenbach

Die uns vertrauten großen Religionen entstammen dem irdischen Mangel, der ein besseres Jenseits imaginiert, so sah es der Philosoph Ludwig Feuerbach. Vor Kurzem wurde er partiell bestätigt, von Carlos Botero, einem Umweltkundler an der North Carolina State University: Der verglich weltweit 389 Gesellschaften und fand heraus, dass jene mit moralisierenden Göttern – die strenge Handlungsvorschriften erlassen und über die Einhaltung wachen – bevorzugt dort entstanden, wo es Landwirtschaft gab und deren Erträge von den Launen der Natur bedroht waren.


Dort muss kooperiert werden, das braucht Regeln, deren Einhaltung wird durch überirdische Autoritäten gesichert. Als zusätzliche Bestätigung seines Befundes führte Botero an, dass in all den Regionen, in denen die Menschen stärker kooperieren müssen, das auch Vögel tun, schon ältere Junge helfen dann bei der Brutpflege (Pnas, 10. 11.). Ob das die Hypothese stärkt, sei dahingestellt, Vögel brauchen zum Kooperieren keine Götter. Und ob die ganze Hypothese stimmt, ist auch nicht ganz klar, Nicola Baumard (Paris) sieht nun als Geburtshelfer der großen Religionen gerade nicht die (drohende) Not, sondern ihr Gegenteil: die Fülle.

Karl Jaspers' „Achsenzeit“

Baumard knüpft an den Philosophen Karl Jaspers bzw. dessen Konzept der „Achsenzeit“: Die brachte von 800 v. Chr. bis 200 v. Chr. in vielen Regionen der Erde so große Fortschritte, dass sie eine „Achse der Weltgeschichte“ gewesen sei, in der sich „der Mensch, wie wir ihn heute sehen“, entwickelte. Und in ihr entstanden große Religionen, die über die Nöte des Alltags hinaussahen, ihre Mitglieder zu Moral und Zurückhaltung beim Materiellen bis hin zur Askese anhielten, Fasten etwa, auch zu Mitgefühl und Barmherzigkeit: In China stand dafür Konfuzius, in Indien Buddha, in den griechischen Stadtstaaten waren es viele Philosophenschulen, etwa die der Stoa.

Woher kam diese Parallelentwicklung? Viele brachten sie mit dem Wachstum der Gesellschaften und der dazu erforderlichen politischen Komplexität in Verbindung, Baumand vermutet nun einen anderen Hintergrund: Diese Religionen entstanden, als ein Schwellenwert beim Reichtum überschritten war, Baumand drückt ihn in Kalorien aus – 20.000 Kilokalorien pro Kopf und Tag –, dabei geht es nicht (nur) ums Essen, da ist alles eingerechnet, etwa auch ein Dach über dem Kopf (Current Biology, 11. 12.).

Dafür spricht, dass sich nur reiche Gesellschaften die Freistellung von Priestern etc. leisten können, dagegen spricht, dass Reiche per se nicht unbedingt zu Askese neigen, den Einwand erhebt Baumand selbst. Dagegen spricht allerdings auch ein eingebautes Vorurteil: Baumand geht davon aus, dass reich ist, wer viel hat: Jäger und Sammler haben nicht viel, deshalb, so Baumand, haben sie auch keine großen Religionen. Aber Jäger und Sammler sehen es umgekehrt: Sie brauchen nicht viel.



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