Donnerstag, 10. September 2015

Wo sowieso alles geteilt wird, braucht man kein Wort für Danke.


aus Die Presse, Wien, 5. 9. 2015, 04.09.2015 | 18:36

Kulturanthropologie 
Maniq haben kein Wort für Danke
In Jäger- und Sammlergesellschaften gibt es kein Eigentum. Weil sie mit ihnen teilten, durften Wiener Forscher mit den südthailändischen Maniq leben.

von Mariele Schulze-Berndt

Für Sozialromantiker mag die Gesellschaft der Maniq der Idealtyp der Menschheit sein: Egalität, Mobilität und ein sorgsamer Umgang mit den natürlichen Ressourcen prägen ihr Zusammenleben. Die Maniq sind ein Jäger und Sammlervolk, dessen rund 350 Angehörige im Süden Thailands leben. Sie ziehen in Gruppen von etwa 25 bis 35 Personen durch den tiefen Regenwald. Nur wenige Wochen bleiben sie an einem Ort, um die dort vorhandenen landwirtschaftlichen und ökologischen Ressourcen nicht überzustrapazieren. Sie bauen aus Bambus und Bananenblättern ihre Windschirme und Schlafplätze, arbeiten nur drei Stunden am Tag und manchmal erlauben sie Forschern, mit ihnen zu leben und ihre Gewohnheiten und Regeln kennenzulernen.

Khaled Hakami vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien und Helmut Lukas, Kultur- und Sozialanthropologe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), haben gleich mehrere Forschungsaufenthalte mit den Maniq verbracht. „Wir durften nur mit ihnen zusammenleben, weil wir von Anfang an alles geteilt haben“, berichtet Hakami.

Jäger- und Sammlergesellschaften sind einander strukturell sehr ähnlich. Wie bei den Aborigines, den Pygmäen oder den Inuit gilt bei den Maniq das Egalitätsprinzip: Es beinhaltet, dass de vorhandenen Güter allen gemeinsam gehören. Eigentum hat in den Maniq-Gruppen keine Bedeutung. „Sie haben nicht einmal ein Wort für Danke, weil Teilen so selbstverständlich ist“, so Hakami. Dies bedeute auch, dass es in der Gemeinschaft keine Hierarchien, sondern direkte Nivellierungsmechanismen gibt. „Wer sich aufspielt, wird ausgelacht“, hat er erfahren. Aus der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen ergebe sich keine Machtposition. Die Begriffe arm und reich gebe es in der Sprache der Maniq nicht einmal.

Der stellvertretende Institutsvorstand für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien, Peter Schweitzer, hat über 20 Jahre lang in Alaska gelebt und über Inuit geforscht. Er warnt vor falscher Romantisierung. Bei vielen nicht sesshaften Jägern und Sammlern, die keine Reichtümer akkumuliert hätten, handle es sich nicht um eine „warmherzige oder neutestamentarische Ideologie des Teilens“, sagt er. „Die Regel lautet: Wenn jemand etwas hat und ich will das, muss er es mir geben. Es ist ein Teilen durch Aufforderung.“ Das mag auch erklären, warum durch Ölvorkommen reich gewordene Inuit oft ihre Gruppen verlassen, um sich der Verpflichtung zum Teilen zu entziehen.

Kontroversen wie diese werden ab Montag auf der wissenschaftlichen Tagung CHAGS 11 (The Eleventh Conference on Hunting and Gathering Societies) in Wien diskutiert. Laut Schweitzer könnte auch zur Sprache kommen, inwieweit Aspekte der frühgeschichtlichen Lebensweisen in modernen Gesellschaft auftauchen. Andererseits gibt es auch neue Formen des Jagens und Sammelns, dazu gehört Dumpstern, das Sammeln brauchbarer Lebensmittel im Müll, oder dass sich in Skandinaviens Norden manche Büroangestellte als Neuwildbeuter sehen, die sich zu einem Teil von wild gesammelten Pflanzen und selbst erlegten Tieren ernähren.

Schon in den Zwanzigerjahren bereiste der Ethnologe Paul Schebesta Thailand und lernte auch die Maniq kennen. Er gehörte zu den Steyler Missionaren um Wilhelm Schmidt, die einerseits die umstrittene Kulturkreistheorie entwickelten, andererseits in der Feldforschung sehr erfolgreich waren. An deren historische Mittlerrolle knüpfen Hakami, Schweitzer und Lukas mit der Tagung an. Kultur- und Sozialanthropologen, Vor- und Frühgeschichtler, Ethnologen, biologische Anthropologen, Linguisten, Geografen und Politologen werden dabei sein. Renommierte Wissenschaftler ebenso wie indigene Teilnehmer, die am Anfang ihrer wissenschaftlichen Arbeit stehen.

Das Erbe der Jäger und Sammler sei, so Schweitzer, nicht nur ihre wirtschaftliche Tätigkeit, sondern auch eine bestimmte Art, mit der Welt umzugehen. Dadurch wurden sie zum Vorbild für sozialromantische Bewegungen und hätten auch heute noch etwas zu sagen. In Wien soll auch das Sekretariat der neu gegründeten International Society for Hunter and Gatherer Research angesiedelt werden. „Mit unserer Erfahrung und unserem Netzwerk können wir eine längerfristige Mittlerrolle spielen“, so Schweitzer.

Die Maniq sind eine ethnische Gruppe im Süden Thailands. Ihre nur rund 350 klein gewachsenen, dunkelhäutigen und kraushaarigen Angehörigen leben als Jäger und Sammler. Sie ziehen in kleinen Gruppen durch den Regenwald und bleiben nur wenige Wochen an einem Ort.



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