Mittwoch, 6. September 2017

Patrilokale Exogamie im frühgeschichtlichen Schwaben.

aus Die Presse, Wien,

Als Migrantinnen ins Lechtal kamen
Männer blieben sesshaft, Frauen wanderten: Das lesen Archäologen aus 4000 Jahre alten Knochen.

 

Die Geschichte des Homo sapiens war immer auch eine Geschichte der Migrationen. Die man sich nur in den seltensten Fällen – auch in dem der sogenannten Völkerwanderung nicht – so vorstellen kann, dass ein ganzes Volk – was immer das auch ist – seine Heimat verlässt und mit Sack und Pack auf Wanderschaft geht, wie laut biblischem Mythos das israelitische Volk aus Ägypten durch die Wüste nach Kanaan.

Es ist auch nicht gesagt, dass beide Geschlechter gleichermaßen wandern. So sehen manche Soziologen in der heutigen Migration aus Afrika und dem Nahen Osten nach Europa das Problem, dass deutlich mehr – vor allem junge – Männer kommen als Frauen.

Das war im Gebiet des heutigen Bayern vor 4000 Jahren – als dort noch lange keine Bayern waren – ganz umgekehrt, berichten nun Archäologen um Philipp Stockhammer (Jena, München). Sie analysierten Gebeine von Ausgrabungen archaischer Friedhöfe im Lechtal kurz vor Augsburg. Ihr Ergebnis: Damals waren dort die meisten Frauen offenbar Zugereiste, während die Männer ihr Leben lang in der Gegend ihrer Geburt blieben. Man spricht von Exogamie (Eheschließung außerhalb der Gruppe) und von einem patrilokalen Muster, das offenbar über 800 Jahre vorherrschte, von 2500 bis 1700 vor Christus.

Begraben nach örtlicher Sitte

Lesen kann man das aus der mitochondrialen DNA, das ist DNA außerhalb des Zellkerns, die nur von der Mutter an ihre Kinder vererbt wird. Aus Isotopenanalysen – untersucht wurde vor allem Strontium im Zahnschmelz – kann man auch lesen, dass die Frauen erst als Erwachsene eingereist waren. Begraben wurden sie jedenfalls nach lokaler Manier, acht trugen etwa einen typischen Kopfschmuck. Das spricht dafür, dass sie in die dörflichen Strukturen integriert waren. Seltsam ist nur, dass die Forscher via DNA keine Nachkommen der zugereisten Frauen nachweisen konnten. 

Bekamen sie keine, womöglich aus kulturellen Gründen? Oder zogen die Kinder gleich wieder fort?
Offen ist auch: Waren die Frauen allein gereist, aus eigenem Antrieb? In Frauengruppen? Oder gingen die Männer auswärts auf Brautschau? Vielleicht gar auf Brautraub? Auch das verraten die Knochen nicht. Interessant ist diese Wanderung der Frauen auch, weil in Mitteleuropa damals der Übergang von der späten Jungsteinzeit (der Glockenbecherkultur) zur Bronzezeit stattfand. 
 
Verbreiteten die Frauen die neuen Technologien? Exogamie und weibliche Mobilität seien „eine Triebkraft der regionalen und supraregionalen Kommunikation und Wissensweitergabe“ gewesen, schreiben die Archäologen in Pnas (4. 9.), und Stockhammer erklärt: „Es scheint, dass das, was man für Migration von Gruppen hielt, auf einer institutionalisierten Form individueller Mobilität beruht.“


Nota. - So eine Meldung ist wirklich nur für Leute mit fachwissenschaftlichem Spezialinteresse des Lesens wert. Deswegen bringe ich sie auch nicht; sondern weil sie ein bizarres Beispiel für die Kapriolen der heute vorge- schriebenen geschlechtergerechten Sprache bietet. 

Seit die frühen Menschengemeinschaften sich in kleinen Gruppen niedergelassen hatten, gab es prinzipiell zwei Möglichkeiten. Entweder sie vermehrten sich innerhalb ihrer Gruppe - endogam. Das ist das Nächstliegende, führt aber im Laufe der Generationen zu Inzucht und zu einer Veramung des genetischen Pools. 

Oder sie suchten ihre Partner auswärts - exogam. Dann gab es wieder zwei Möglichkeiten: Die Frauen blieben zuhaus, matrilokal, und holten die Männer von außen. Oder die Männer blieben daheim, patrilokal, und suchten sich fremde Frauen; wobei es vorgekommen sein wird, dass sie sie raubten; was umgekehrt wenig wahrschein- lich ist. Welche Lösung die übliche wird, dürfte von der Vererblichkeit des Grundbesitzes abgehangen laben - matrilinear oder patrilinear.

Bis hierhin humorlose, trockene Prosa, hier war es so, dort war es so.

Aber wir leben in problembewussten und rundum korrekter Zeit.
Die Süddeutsche titelt: "Träge Männer, mobile Frauen."
Der Tagesspiegel: "Die Frauen der Bronzezeit waren Wandervögel."
Der Wiener Standard: "Mitteleuropäische [oha!] Frauen der Bronzezeit waren sehr mobil." 

Es geht aber besser: Die oberpfälzer Website Onetz schreibt: "Fortschritt dank Einwanderinnen - Bronzezeit-Damen waren entscheidende Kulturträger."
Der Deutschlandfunk: "Wissenstransfer - Frauen waren wandernde Coaches."
Science.orf: "Mit den Frauen wanderte das Wissen."

Am besten rafft es aber... Die Welt: "Erst mit den Frauen kam das Wissen in die Welt." 

Sehen Sie in Ihrer Regionalzeitung nach, da werden Sie noch andere Varianten von geschlechtergerechter Sprache finden.

Machen Sie sich die Müh und klicken Sie auf meine Links: Sie werden finden, dass es sich beim Anteil der Frauen am Techniktransfer um ein bloßes Wähnen des ausgrabenden Professors handelt, das auf keinem archäo- logischen Befund, vermutlich aber in der Hoffnung auf Drittmittel gründet.

Wobei untergeht, was an diesen Ausgrabungen die wirkliche Sensation ist: Sie haben sich die fremden Frauen offenbar nicht für die Fortpflanzung geholt! Das ist ein wirkliches Mysterium und eine Herausforderung für die Historiker.
JE


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