Chiles Lebenselixier
Der Abbau von Kupfer bringt Wohlstand ins südamerikanische Land, schafft zugleich aber auch gefährliche Abhängigkeiten
Der Abbau von Kupfer bringt Wohlstand ins südamerikanische Land, schafft zugleich aber auch gefährliche Abhängigkeiten
von Tjerk Brühwiller, Calama
Chiles Norden wird von Bergbaufirmen dominiert. Sie heben hier den wertvollsten Schatz des Landes: Kupfer. Das Metall gilt als Wachstumsmotor. Dessen Zugkraft lässt allerdings allmählich nach. Das könnte die ganze Wirtschaft beeinträchtigen.
Tief unten ist ein dumpfes Grollen zu hören. Es stammt von den unzähligen Maschinen, die sich unaufhörlich in den Fels fressen. Einer Ameisenstrasse gleich schleppen sich die Trucks die Steilwände hoch. So winzig sie aus der Ferne scheinen, so gigantisch sind sie von nah: 400 t Gestein laden die haushohen Muldenkipper, die täglich rund 4000 l Diesel verbrauchen. 80 bis 90 der motorisierten Monster sind im Einsatz hier, in Chuquicamata, der Mine der Superlative. Mit 5 km Länge, 3 km Breite und mehr als 1 km Teufe ist Chuquicamata der grösste Tagebau der Welt. Fast 3 Mrd. t Erz wurden hier seit Aufnahme der industriellen Kupferproduktion 1915 abgebaut. Mit der Verstaatlichung der Aktivitäten 1971 ging die Mine in die Hände des staatlichen Bergbauunternehmens Codelco über. Der heute weltgrösste Kupferhersteller ist nach wie vor Besitzer des Werks.
Chiles Norden wird von Bergbaufirmen dominiert. Sie heben hier den wertvollsten Schatz des Landes: Kupfer. Das Metall gilt als Wachstumsmotor. Dessen Zugkraft lässt allerdings allmählich nach. Das könnte die ganze Wirtschaft beeinträchtigen.
Tief unten ist ein dumpfes Grollen zu hören. Es stammt von den unzähligen Maschinen, die sich unaufhörlich in den Fels fressen. Einer Ameisenstrasse gleich schleppen sich die Trucks die Steilwände hoch. So winzig sie aus der Ferne scheinen, so gigantisch sind sie von nah: 400 t Gestein laden die haushohen Muldenkipper, die täglich rund 4000 l Diesel verbrauchen. 80 bis 90 der motorisierten Monster sind im Einsatz hier, in Chuquicamata, der Mine der Superlative. Mit 5 km Länge, 3 km Breite und mehr als 1 km Teufe ist Chuquicamata der grösste Tagebau der Welt. Fast 3 Mrd. t Erz wurden hier seit Aufnahme der industriellen Kupferproduktion 1915 abgebaut. Mit der Verstaatlichung der Aktivitäten 1971 ging die Mine in die Hände des staatlichen Bergbauunternehmens Codelco über. Der heute weltgrösste Kupferhersteller ist nach wie vor Besitzer des Werks.
Ein Segen für die Staatskasse
Chuquicamata ist das Wahrzeichen
der chilenischen Kupferindustrie und damit auch der Wirtschaft
insgesamt, in deren Zentrum die Gewinnung dieses Metalls steht. Schon
Präsident Eduardo Frei sagte über den Kupferbergbau, dass dieser die
tragende Säule der chilenischen Wirtschaft sei; das war in den 1960er
Jahren. Chile produzierte damals 0,5 Mio. t Kupfer pro Jahr (1960),
rund 13% der Weltproduktion. Der Ausstoss hat sich seither verzehnfacht.
2012 kam ein Drittel der Weltproduktion aus Chile; 42,3 Mrd. $
brachte die Kupferausfuhr ein, mehr als die Hälfte aller Exporteinnahmen
des Landes.
Die Steigerung ist vorab auf den
grossen Zufluss ausländischer Finanzmittel nach der Redemokratisierung
1990 zurückzuführen. Mehr als ein Drittel aller ausländischen
Direktinvestitionen floss in den letzten zehn Jahren in den Bergbau. Der
Anteil der Privatunternehmen an der Kupferproduktion beträgt heute zwei
Drittel, 1990 war es noch ein Drittel gewesen. Die Nachfrage aus Asien
und der Boom des Kupferpreises ab 2004 sorgten ebenfalls dafür, die
Rolle des Kupfers als Stützpfeiler von Chiles Wirtschaft zu festigen.
Das robuste Wachstum des Landes
und der gestiegene Wohlstand basierten zum grössten Teil auf den hohen
Kupferpreisen der vergangenen Jahre, sagt Patricio Meller. Der Ingenieur
und Ökonom war unter Präsident Lagos (2000 bis 2006) in der Direktion
von Codelco, danach präsidierte er den Verwaltungsrat. Dadurch sei die
Kupferproduktion zu einem hochrentablen Geschäft geworden, wovon nicht
nur die vielen Bergbaufirmen, sondern vor allem auch der Staat
profitiere. Ein grosser Teil der Gewinne wandert über Codelco nämlich
direkt in die Staatskasse. Der Konzern generierte 2011 mehr als 12% der
öffentlichen Einnahmen. Zusammen mit den Steuern der Privatfirmen hat
das Land mehr als einen Fünftel seiner Einkünfte sowie auch die Speisung
der Staatsfonds dem Kupfer zu verdanken. «Viele Chilenen realisieren
nicht, dass sie dank dem Kupfer weniger Steuern bezahlen», sagt Meller.
Reich und seelenlos
Um die Steuerlast muss sich Hernan
Vega keine Sorgen machen. Vega, dessen richtiger Name wegen der
Kommunikationspolitik seines Arbeitgebers nicht genannt wird, ist einer
von rund 13 000 Angestellten in der Mine von Chuquicamata. An seinem
von der Wüstensonne gebräunten Handgelenk glitzert eine schmucke
Golduhr. Lässig chauffiert er den Pick-up durch das staubige Labyrinth.
Seit knapp dreissig Jahren arbeitet Vega in der Mine. Beim Blick von
einem Aussichtspunkt in die Tiefe wirkt er ein wenig sentimental: «Als
ich anfing, waren wir etwa in der Hälfte», sagt er und zeigt auf eine
Stelle im Krater. Warum er es bis heute in diesem knochenharten Job in
der trockensten Wüste der Welt ausgehalten hat, ist rasch erklärt: «Das
Geld», meint er grinsend. Er würde nirgends besser bezahlt als hier.
Seinen Lohn will Vega nicht verraten. Dass die Minenarbeiter jedoch mehr
verdienen als die meisten Chilenen, ist bekannt. Das schnelle Wachstum
des Sektors und der Mangel an Fachkräften treiben Saläre und Boni in die
Höhe. In vielen chilenischen Minen verdient ein Lastwagenfahrer heute
mehr als seine Kollegen in den USA.
55 000 Beschäftigte zählt der
gesamte Kupferbergbau im Land. Viele von ihnen leben in Calama. Die
Stadt, rund 20 km von Chuquicamata entfernt, hat sich innert wenigen
Jahren zum Zentrum der chilenischen Kupfergewinnung entwickelt; mehr als
30 Minen gibt es in der Region. Auf den Strassen Calamas wimmelt es von
grossen Pick-ups, neu gebaute Siedlungen mit grünen Gärten bieten
komfortablen Wohnraum zu horrenden Preisen. In den Shoppingcentern wird
eifrig konsumiert. Jeder Job im Bergbau schaffe drei weitere Stellen,
heisst es. Ein Blick auf regionale Erhebungen bestätigt das Bild: Die
vier Bergbauregionen in Nordchile belegen die Spitzenplätze, was die
Ausgaben in Supermärkten, die Anzahl Autos pro Einwohner, Abonnemente
für Kabelfernsehen und ähnliche Indikatoren angeht. Das jährliche
Bruttoinlandprodukt pro Kopf in der Region Antofagasta, zu der auch
Calama gehört, lag 2010 bei rund 33 000 $. Die Minenregionen belegen
aber auch andere Spitzenplätze. Mit Ausnahme der Hauptstadt Santiago
werden nirgends so viel Alkohol und Drogen konsumiert und Straftaten
begangen. Auch in Calama finden sich wie in vielen Goldgräbercamps jene,
die keinen der begehrten Arbeitsplätze fanden und durch die Maschen der
Gesellschaft fielen. Keine chilenische Stadt ist reicher als Calama -
und keine ist seelenloser. Dass fast 60% der Bevölkerung in einer
Umfrage die Stadt als unattraktiven Wohnort bezeichnen, spricht für
sich.
Zugeschüttete Geisterstadt
Bis vor einigen Jahren existierte
in Chuquicamata eine gleichnamige Stadt mit Bars, Spielplätzen, Schulen
und sogar einem Theater. Mit der Ausdehnung der Mine und den härteren
Umweltauflagen mussten die 25 000 Einwohner der Stadt umgesiedelt
werden; 2008 zog die letzte Familie weg. Heute ist der Ort am Eingang
zur Mine eine Geisterstadt. Vom einstigen Spital ist nichts mehr zu
sehen. Es liegt begraben unter den riesigen «Tortas», wie die grossen
Schutthügel in Form von geschichteten Torten genannt werden.
Gut möglich, dass irgendwann die
ganze Geisterstadt unter dem Schutt der Mine verschwindet. Das
unbrauchbare Gestein, das beim Abbau des Erzes anfällt, schafft nämlich
ein Problem, mit dem die Mine in Chuquicamata und andere ältere Gruben
zu kämpfen haben: Die Filetstücke sind abgebaut, der Kupfergehalt des
Erzes nimmt ab; lag er einst bei 1,5%, beträgt er heute noch 0,8%. Um
die Tagesproduktion von 850 t Feinkupfer zu halten, werden in der Mine
100 000 t Kupfererz und - da nur eine Flanke der Grube erzhaltig ist -
500 000 t Gestein abgebaut. Die einst potenteste Mine und das
Herzstück von Codelco hat in den letzten Jahren einen herben
Effizienzverlust erlitten. Die Produktion sank 2012 auf 356 000 t,
womit sie sich innert zehn Jahren halbiert hat.
Um die Produktion zu halten, hat
das staatliche Unternehmen einen der ambitiösesten Investitionspläne
seiner Geschichte ausgearbeitet. Bis zu 25 Mrd. $ will Codelco in den
kommenden fünf Jahren investieren, um verschiedene Projekte
voranzutreiben. Eines davon betrifft auch Chuquicamata. Tief unten im
Krater bohren sich die Maschinen in den Fels hinein zu den reichhaltigen
Erzen. 18 km der Tunnel stehen bereits. In ihnen soll ab 2020 der Abbau
unter Tag aufgenommen werden. Ein Problem hat Codelco allerdings: Die
Gewinne des Unternehmens fliessen vollumfänglich in die Staatskasse, und
über die Investitionen bestimmt der Finanzminister. Die Aufwendungen
von Codelco stehen so in direkter Konkurrenz zu Investitionen im
Gesundheits- oder Bildungswesen. Die Finanzierung sei eine der grössten
Herausforderungen, lässt das Unternehmen verlauten; man schliesse eine
Verschuldung nicht aus.
Es sind allerdings nicht nur die
sinkenden Erträge der alten Minen, die dem Bergbausektor das Leben
schwermachen. Steigende Lohnkosten sowie eine Verknappung von Energie
und Wasser stellen die Branche ebenfalls vor grosse Probleme. Alleine
Chuquicamata verbraucht pro Monat rund 250 MWh und 5 Mrd. l Wasser.
Zur Lösung des Stromproblems dürfte Chile künftig vermehrt auf
Solarenergie setzen. Eine erste grössere Anlage in der Atacamawüste
wurde im vergangenen Jahr eingeweiht. Das Wasser, das heute aus den
Kordilleren stammt, könnte künftig aus Entsalzungsanlagen an der Küste
in die Minen gepumpt werden. Dies würde die Produktionskosten allerdings
weiter in die Höhe treiben.
Kommt der Hauptgang noch?
Steigende Produktionskosten und
schrumpfende Gewinne hätten zur Folge, dass die Investoren sich nach
anderen Anlageobjekten umsehen würden, sagt Patricio Meller. Letztlich
hänge aber alles vom Kupferpreis ab; solange dieser hoch sei, werde sich
nichts ändern. Und daran glaubt Meller. Die Nachfrage werde nicht
zurückgehen, sagt er mit Blick auf Asien. China werde weiter wachsen,
und wenn Indien dem Weg Chinas folge, werde Chile noch lange von seinem
Kupfer profitieren. «Der Hauptgang kommt erst noch.» Meller geht so
weit, dass er fordert, die Wirtschaft des Landes müsse sich noch viel
stärker als bisher auf das Metall fokussieren. Man müsse Cluster um
diese Ressource bilden, die Zulieferer der Bergbauindustrie nach Chile
holen, eigene Technologien entwickeln oder bestehende weiterentwickeln,
sagt er. So lasse sich Mehrwert generieren, nicht nur im Bergbau,
sondern auch in anderen wichtigen Bereichen des Landes wie Holz,
Fischerei oder Frischobst.
Auch der Ökonom und frühere
Regierungsberater Luis Eduardo Escobar empfiehlt der Wirtschaft eine
Diversifizierung. Was die Ausrichtung auf Rohstoffe und besonders auf
Kupfer angeht, ist er allerdings weitaus skeptischer. «Chile reitet auf
einer Welle, die langsam den Strand erreicht», mahnt er. Die
Abhängigkeit der Wirtschaft und namentlich des Staatshaushalts vom
Kupfer erachtet Escobar als höchst gefährlich. Wenn sich Indien nicht im
selben Tempo wie China entwickeln sollte oder neue, günstigere
Produzenten wie zum Beispiel Peru hinzukämen, würden die Kupferpreise
mittelfristig sinken - mit ernsthaften Folgen für Chile. Sinke die
Notierung auf ein langfristig tieferes Niveau, gehe die Rechnung Chiles
nicht mehr auf.
Wie stark die chilenische
Wirtschaft mit dem Kupferpreis steht und fällt, zeigt die derzeitige
Entwicklung. Nach Jahren mit einem Wirtschaftswachstum von 5% und mehr
muss Chile 2013 mit einem Wachstum von 4% bis 4,5% rechnen. Hauptgrund
sind die nachlassende Nachfrage Chinas und die dadurch tieferen
Kupferpreise. Und so wird man von Calama bis Santiago weiter bangen
Blickes nach Asien schauen - dorthin, wo der wahre Stützpfeiler der
chilenischen Wirtschaft steht.
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