Dumbarton Rock vom Süden aus gesehen, Hauptort des Königreichs Strathclyde vom 6. Jahrhundert bis 870, wobei sich die Festung Alt Clut auf dem limken Gipfel befand.
aus Der Standard, Wien, 19. 1. 2014"Platz für exotische Geschichte"
Der britische Historiker Norman Davies hat die Geschichte von Staaten und Reichen erkundet, die verschwunden sind
STANDARD: Ihr Buch macht einen sehr nostalgischen Eindruck. So als hätte Norman Davies den Blick eines kleinen Jungen wiederentdeckt, der mit verzauberten Augen auf alte Schlösser und märchenhafte Imperien schaut.
Davies: Ich kann diese Beobachtung gut verstehen. Aber Nostalgie war nicht der Ansporn, dieses Buch zu schreiben. Ich gebe aber zu, dass ich eine gewisse Nostalgie gegenüber den verschwundenen Königstümern hege, die ich beschreibe. So zum Beispiel beim Großfürstentum Litauen, das das größte Reich im europäischen Spätmittelalter war, oder auch bei Großbritannien, das langsam zu verschwinden droht. Oder aber auch gegenüber Galizien, das einmal zu Habsburg gehörte und heute im Südosten Polens und in der Westukraine liegt. Von dort stammt die Familie meiner Frau, deren Eltern als Österreicher geboren wurden und auch Deutsch sprachen, wie auch Polnisch. All das ist verschwunden, was mich schon ein wenig nostalgisch auf diese alten Kulturlandschaften blicken lässt.
STANDARD: Sie haben die verschwundenen Reiche nicht nur vom Schreibtisch aus entdeckt, sondern sind dorthin gereist, wo sie einst existierten.
Davies: Ja. Ich habe das Buch als eine Entdeckungsreise geschrieben. So habe ich Königreiche ausgewählt, von denen ich selbst sehr wenig wusste und die ich damit für mich und für den Leser entdecken konnte. Ich habe all diese Orte wie Galizien oder Weißrussland, das zentrale Gebiet des ehemaligen Großfürstentums Litauen, bereist. Das sollen auch für den Leser sehr überraschende Entdeckungen sein.
STANDARD: Eines der unbekanntesten Reiche, die Sie beschreiben, ist neben dem westgotischen Tolosa sicherlich Alt Clud oder Strathclyde, ein keltisches Königreich, das zwischen dem 5. und 12. Jahrhundert im südlichen Schottland existierte. Wie sind Sie darauf gekommen?
Davies: Ein Teil meiner Familie ist walisisch, aber in England habe ich in der Schule nie etwas über walisische Geschichte gelernt. Aber ich hatte einen Freund, einen echten Waliser und Mittelalterhistoriker, der sich sehr gut mit alten walisischen Schriften auskannte. Er erzählte mir, dass walisische Literatur nicht dort entstand, wo das heutige Wales liegt, sondern weiter nördlich. Dann bin ich mit meiner Frau nach Glasgow gereist, und selbst dort hatte niemand eine Ahnung von diesem Königreich. Die Leute waren erstaunt, als ich ihnen erzählte, dass der Name Glasgow aus dem Walisischen stammt und eben nicht aus dem Gälischen.
STANDARD: Ist das eine Botschaft Ihres Buches, sich auch für die vermeintlich abseitigen Dinge zu interessieren?
Davies: Es gibt etwas, das ich Mainstream-Geschichte nenne. Das ist die Geschichte, die die meisten kennen. Diese wird von der zeitgenössischen Politik diktiert, von aktuellen politischen Tendenzen, von Eliten und von all denen, die einen mächtigen Einfluss auf unser Denken haben. Als Ergebnis bekommen wir eine sehr selektive Geschichte. Dabei lässt man mehr unter den Tisch fallen, als dass man ergänzt und auffüllt. Auch Schüler lernen eine systematisierte Form der Geschichte. Ich war mir darüber schon früh bewusst. Denn ich habe über polnische Geschichte geschrieben, und das gilt in England bis heute als eher esoterisches Thema. Dieses Buch ist sicher aus der Erkenntnis heraus entstanden, dass wir mit einer eng gefassten und selektiven Geschichte leben.
STANDARD: Warum sollte man also die Geschichte des Großfürstentums Litauen kennen oder die von Alt Clud?
Davies: Wir alle kennen nur kleine Teile des großen Ganzen. Das ist wichtig zu verstehen, damit wir unseren Blick öffnen und neugieriger werden. Es ist wichtig, zu verstehen, was uns europäisch macht und woher wir kommen. Eben weil ich aus einer walisischen Familie komme, habe ich schnell gemerkt, dass wir in der Schule eine rein englische Geschichte lernten. Alle Schulbücher fingen mit Julius Cäsar an. Wir haben nichts darüber gelernt, welche Menschen in diesem Gebiet lebten. Es ist wichtig, dass man das begreift und sich aus diesem Paradigma löst. Das macht uns auch ein Stück freier.
Breviarium des Westgoten-Königs Alarich, ca. 505
STANDARD: In einem Interview sprachen Sie von einem "falschen Optimismus", den man durch diese Mainstream-Geschichte lerne.
Davies: Ja. Es ist eben eine Geschichte, die von großen Mächten geschrieben wird, die in gewisser Weise erfolgreich waren. Man bekommt also einen falschen Optimismus beigebracht. Die meisten Staaten sind keine Erfolgsgeschichten. Viele sterben und verschwinden und werden vergessen. In Europa haben wir heute 45 Staaten, und viele waren niemals große Mächte. Das typische europäische Land ist ein kleines Land, das ein Opfer der großen Mächte war. Das erfährt man aber nicht, was an unserer Manie liegt, Macht anzubeten. Peter der Große zum Beispiel: ein toller Mann, aber auch ein furchtbarer Herrscher. Der Buchmarkt in England wird zu einem großen Teil von Büchern über das Dritte Reich dominiert. Es muss auch Platz für exotische Geschichten geben.
STANDARD: Das Verschwinden eines der größten Staaten, die jemals existiert haben, haben viele von uns miterlebt. Sie kannten die Sowjetunion schon in den Achtzigern sehr gut. Hatten Sie eine Ahnung, dass es bald vorbei sein würde mit diesem Riesenreich?
Westgoten-Reich von Toulouse
Davies: Das haben wenige geahnt. 1987 habe ich einen Essay geschrieben über den Krieg von Bergkarabach, der damals zwischen Armenien und Aserbaidschan herrschte. Es war klar, dass die Sowjetmacht jede Republik, die rebellieren würde, mit aller Gewalt zur Ordnung rufen würde. Aber in diesem Fall unternahm Gorbatschow nur einige sehr halbherzige Schritte, um diese Republiken zur Räson zu rufen. Als ich bemerkte, dass Gorbatschow der erste russische Führer seit Iwan dem Schrecklichen war, der eben nicht mit Gewalt antwortete, war mir klar, dass da etwas Ungewöhnliches im Gange war. Allerdings habe ich mit einem so baldigen Untergang der Sowjetunion nicht gerechnet. Auch wenn uns allen klar war, dass die Sowjetunion große wirtschaftliche Probleme hatte. Ich bin davon ausgegangen, dass sie jede Bedrohung mit Gewalt bekämpfen würde. Schließlich hatte sie die größte Armee der Welt. Es war unvorstellbar, dass der KGB nicht wüsste, was in solchen Situationen zu tun ist.
STANDARD: Aber niemand tat etwas.
Davies: Ja. Die Sowjetunion war eben wie ein Dinosaurier, der schon hirntot war, bevor er körperlich zusammenbrach.
STANDARD: Die Krise der EU ist sicher nicht mit der der Sowjetunion vergleichbar.
Davies: Als mein Buch 2011 in England herauskam, wurde ich gefragt, ob das Euroland eines dieser Reiche sein könnte, das bald verschwinde. Ich verneine das bis heute. Die EU ist sicher in keiner guten Verfassung, sie funktioniert schlecht. Sie hat eine Krankheit. Aber das haben wir alle und kollabieren nicht im nächsten Augenblick. So ist es bei Staaten auch. Dennoch sollten die europäischen Politiker wissen, dass sie handeln müssen, um diese Krankheit zu heilen. Ansonsten könnten sie sie EU tatsächlich zerstören.
Großfürstentum (Magna Ducatia) Litauen1387
STANDARD: Sehen Sie andere europäische Staaten, die verschwinden könnten?
Davies: Aufgrund unserer kurzen Lebenszeit neigen wir dazu zu glauben, dass viele Dinge für die Ewigkeit bestimmt sind. Besonders solche abstrakten Dinge wie Staaten. Mein Buch zeigt, dass das selten vorkommt. Alle Staaten können verschwinden. Dass ein Staat wie das von mir beschrieben Ruthenien nur einen Tag existierte, ist ungewöhnlich. Die meisten haben eine Lebensdauer zwischen 200 und 400 Jahren. Dann sterben sie. Für den Tod von Staaten gibt es Gründe. Meist liegen sie in den ungünstigen Umständen ihrer Geburt. Belgien wäre aufgrund seiner komplexen ethnischen und staatsrechtlichen Situation ein Staat, der bald verschwinden könnte. Auch Großbritannien, das aus Teilen besteht, die nicht gut integriert sind. Im nächsten Jahr findet in Schottland das Unabhängigkeitsreferendum statt. Wenn das erfolgreich ist, könnte das der Beginn vom Ende Großbritanniens sein.
Interview von Ingo Petz
STANDARD: Ihr Buch macht einen sehr nostalgischen Eindruck. So als hätte Norman Davies den Blick eines kleinen Jungen wiederentdeckt, der mit verzauberten Augen auf alte Schlösser und märchenhafte Imperien schaut.
Davies: Ich kann diese Beobachtung gut verstehen. Aber Nostalgie war nicht der Ansporn, dieses Buch zu schreiben. Ich gebe aber zu, dass ich eine gewisse Nostalgie gegenüber den verschwundenen Königstümern hege, die ich beschreibe. So zum Beispiel beim Großfürstentum Litauen, das das größte Reich im europäischen Spätmittelalter war, oder auch bei Großbritannien, das langsam zu verschwinden droht. Oder aber auch gegenüber Galizien, das einmal zu Habsburg gehörte und heute im Südosten Polens und in der Westukraine liegt. Von dort stammt die Familie meiner Frau, deren Eltern als Österreicher geboren wurden und auch Deutsch sprachen, wie auch Polnisch. All das ist verschwunden, was mich schon ein wenig nostalgisch auf diese alten Kulturlandschaften blicken lässt.
STANDARD: Sie haben die verschwundenen Reiche nicht nur vom Schreibtisch aus entdeckt, sondern sind dorthin gereist, wo sie einst existierten.
Davies: Ja. Ich habe das Buch als eine Entdeckungsreise geschrieben. So habe ich Königreiche ausgewählt, von denen ich selbst sehr wenig wusste und die ich damit für mich und für den Leser entdecken konnte. Ich habe all diese Orte wie Galizien oder Weißrussland, das zentrale Gebiet des ehemaligen Großfürstentums Litauen, bereist. Das sollen auch für den Leser sehr überraschende Entdeckungen sein.
STANDARD: Eines der unbekanntesten Reiche, die Sie beschreiben, ist neben dem westgotischen Tolosa sicherlich Alt Clud oder Strathclyde, ein keltisches Königreich, das zwischen dem 5. und 12. Jahrhundert im südlichen Schottland existierte. Wie sind Sie darauf gekommen?
Davies: Ein Teil meiner Familie ist walisisch, aber in England habe ich in der Schule nie etwas über walisische Geschichte gelernt. Aber ich hatte einen Freund, einen echten Waliser und Mittelalterhistoriker, der sich sehr gut mit alten walisischen Schriften auskannte. Er erzählte mir, dass walisische Literatur nicht dort entstand, wo das heutige Wales liegt, sondern weiter nördlich. Dann bin ich mit meiner Frau nach Glasgow gereist, und selbst dort hatte niemand eine Ahnung von diesem Königreich. Die Leute waren erstaunt, als ich ihnen erzählte, dass der Name Glasgow aus dem Walisischen stammt und eben nicht aus dem Gälischen.
STANDARD: Ist das eine Botschaft Ihres Buches, sich auch für die vermeintlich abseitigen Dinge zu interessieren?
Davies: Es gibt etwas, das ich Mainstream-Geschichte nenne. Das ist die Geschichte, die die meisten kennen. Diese wird von der zeitgenössischen Politik diktiert, von aktuellen politischen Tendenzen, von Eliten und von all denen, die einen mächtigen Einfluss auf unser Denken haben. Als Ergebnis bekommen wir eine sehr selektive Geschichte. Dabei lässt man mehr unter den Tisch fallen, als dass man ergänzt und auffüllt. Auch Schüler lernen eine systematisierte Form der Geschichte. Ich war mir darüber schon früh bewusst. Denn ich habe über polnische Geschichte geschrieben, und das gilt in England bis heute als eher esoterisches Thema. Dieses Buch ist sicher aus der Erkenntnis heraus entstanden, dass wir mit einer eng gefassten und selektiven Geschichte leben.
STANDARD: Warum sollte man also die Geschichte des Großfürstentums Litauen kennen oder die von Alt Clud?
Davies: Wir alle kennen nur kleine Teile des großen Ganzen. Das ist wichtig zu verstehen, damit wir unseren Blick öffnen und neugieriger werden. Es ist wichtig, zu verstehen, was uns europäisch macht und woher wir kommen. Eben weil ich aus einer walisischen Familie komme, habe ich schnell gemerkt, dass wir in der Schule eine rein englische Geschichte lernten. Alle Schulbücher fingen mit Julius Cäsar an. Wir haben nichts darüber gelernt, welche Menschen in diesem Gebiet lebten. Es ist wichtig, dass man das begreift und sich aus diesem Paradigma löst. Das macht uns auch ein Stück freier.
Breviarium des Westgoten-Königs Alarich, ca. 505
STANDARD: In einem Interview sprachen Sie von einem "falschen Optimismus", den man durch diese Mainstream-Geschichte lerne.
Davies: Ja. Es ist eben eine Geschichte, die von großen Mächten geschrieben wird, die in gewisser Weise erfolgreich waren. Man bekommt also einen falschen Optimismus beigebracht. Die meisten Staaten sind keine Erfolgsgeschichten. Viele sterben und verschwinden und werden vergessen. In Europa haben wir heute 45 Staaten, und viele waren niemals große Mächte. Das typische europäische Land ist ein kleines Land, das ein Opfer der großen Mächte war. Das erfährt man aber nicht, was an unserer Manie liegt, Macht anzubeten. Peter der Große zum Beispiel: ein toller Mann, aber auch ein furchtbarer Herrscher. Der Buchmarkt in England wird zu einem großen Teil von Büchern über das Dritte Reich dominiert. Es muss auch Platz für exotische Geschichten geben.
STANDARD: Das Verschwinden eines der größten Staaten, die jemals existiert haben, haben viele von uns miterlebt. Sie kannten die Sowjetunion schon in den Achtzigern sehr gut. Hatten Sie eine Ahnung, dass es bald vorbei sein würde mit diesem Riesenreich?
Westgoten-Reich von Toulouse
Davies: Das haben wenige geahnt. 1987 habe ich einen Essay geschrieben über den Krieg von Bergkarabach, der damals zwischen Armenien und Aserbaidschan herrschte. Es war klar, dass die Sowjetmacht jede Republik, die rebellieren würde, mit aller Gewalt zur Ordnung rufen würde. Aber in diesem Fall unternahm Gorbatschow nur einige sehr halbherzige Schritte, um diese Republiken zur Räson zu rufen. Als ich bemerkte, dass Gorbatschow der erste russische Führer seit Iwan dem Schrecklichen war, der eben nicht mit Gewalt antwortete, war mir klar, dass da etwas Ungewöhnliches im Gange war. Allerdings habe ich mit einem so baldigen Untergang der Sowjetunion nicht gerechnet. Auch wenn uns allen klar war, dass die Sowjetunion große wirtschaftliche Probleme hatte. Ich bin davon ausgegangen, dass sie jede Bedrohung mit Gewalt bekämpfen würde. Schließlich hatte sie die größte Armee der Welt. Es war unvorstellbar, dass der KGB nicht wüsste, was in solchen Situationen zu tun ist.
STANDARD: Aber niemand tat etwas.
Davies: Ja. Die Sowjetunion war eben wie ein Dinosaurier, der schon hirntot war, bevor er körperlich zusammenbrach.
STANDARD: Die Krise der EU ist sicher nicht mit der der Sowjetunion vergleichbar.
Davies: Als mein Buch 2011 in England herauskam, wurde ich gefragt, ob das Euroland eines dieser Reiche sein könnte, das bald verschwinde. Ich verneine das bis heute. Die EU ist sicher in keiner guten Verfassung, sie funktioniert schlecht. Sie hat eine Krankheit. Aber das haben wir alle und kollabieren nicht im nächsten Augenblick. So ist es bei Staaten auch. Dennoch sollten die europäischen Politiker wissen, dass sie handeln müssen, um diese Krankheit zu heilen. Ansonsten könnten sie sie EU tatsächlich zerstören.
Großfürstentum (Magna Ducatia) Litauen1387
STANDARD: Sehen Sie andere europäische Staaten, die verschwinden könnten?
Davies: Aufgrund unserer kurzen Lebenszeit neigen wir dazu zu glauben, dass viele Dinge für die Ewigkeit bestimmt sind. Besonders solche abstrakten Dinge wie Staaten. Mein Buch zeigt, dass das selten vorkommt. Alle Staaten können verschwinden. Dass ein Staat wie das von mir beschrieben Ruthenien nur einen Tag existierte, ist ungewöhnlich. Die meisten haben eine Lebensdauer zwischen 200 und 400 Jahren. Dann sterben sie. Für den Tod von Staaten gibt es Gründe. Meist liegen sie in den ungünstigen Umständen ihrer Geburt. Belgien wäre aufgrund seiner komplexen ethnischen und staatsrechtlichen Situation ein Staat, der bald verschwinden könnte. Auch Großbritannien, das aus Teilen besteht, die nicht gut integriert sind. Im nächsten Jahr findet in Schottland das Unabhängigkeitsreferendum statt. Wenn das erfolgreich ist, könnte das der Beginn vom Ende Großbritanniens sein.
Interview von Ingo Petz
Trakai, Sitz der litauischen Großfürsten
Norman Davies, geb. 1939 in Bolton, UK, ist brit. Historiker. Er lehrte an der University of London und als Gastprof. an zahlreichen Universiäten weltweit. 1981 erschien "God's Playground. A History of Poland" (auf Deutsch, 2005).
Nota.
Es ist nicht richtig, vom Aufstieg und Untergang "der Staaten" so zu reden wie von einer historischen Konstante. Es fängt damit an, dass in dieser Metapher der Unterschied antiker und feudaler Reiche, in denen Ländereien und Dynastien miteinander "verwandt" sind, in einen Topf geworfen werden mit Staaten, die ihre Legitimität aus einem Staatsvolk ziehen und auf verwandtschaftliche Bindungen ganz verzichten können.
Das Aufkommen 'des' Staats im modernen Verständnis war verbunden mit der Entstehung der absoluten Monarchien, und die wiederum resultierten aus einem langandauernden Gleichgewichtsszustand zwischen agrarischen Feudalen und städtischer Bourgeoisie, über das "die Krone" sich als scheinbarer Souverän erheben konnte. Erst als so Der Staat entstanden war, konnte sich der Dritte Stand als das Volk an die Stelle des Souveräns setzen. Mit andern Worten, die modernen Staaten entstehen mit der Ausbildung von Völkerschaften zu einer Nation.
Dabei mussten heterogene Reiche wie das litauische zerfallen und schließlich auf ein kleines Kerngebiet schrumpfen, kleine Königtümer wie die walisischen in größeren Gebilden aufgehen und Vielvölkerstaaten wie die Donaumonarchie ganz verschwinden; nicht zu reden von ephemeren Kriegerherrschaften wie den gotischen, burgundischen oder fränkischen, die sich mangels Masse in den eroberten Ländern schlicht auflösten.
So verlockend Norman Davies' Forschungsinteresse ist - historisch ist es wenig fruchtbar.
Etwas ganz anderes wäre das Studium jahrhunderte- und jahrtausendealter entwickelter Kulturen wie der am Indus oder im südamerikanischen Nazca, die verschwunden sind, ohne überirdische Spuren zu hinterlassen, und die ohne die Grabungen der Archäologen selbst in den Erzählungen der Völker untergegangen sind; da ließe ich sicher etwas draus lernen.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen