Sonntag, 5. Januar 2014

Die ägyptische Restauration.

 
aus NZZ, 3. 1. 2013 

Das Imperium der Armee bleibt eine Black Box
Das ägyptische Militär steuert unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit weite Teile der Volkswirtschaft


von Astrid Frefel, Kairo 

Auch mit der neuen Verfassung bleibt das Wirtschaftsimperium der ägyptischen Armee unangetastet. Probleme schafft aber nicht die Marktmacht der Generäle, sondern ihr Land-Monopol und eine unklare Bewilligungs-Praxis für Investitionen.

In der Oase Siwa, nahe der Grenze zu Libyen, knüpfen und weben zwei Dutzend verschleierte Frauen Teppiche. Ein ranghoher Militärangehöriger führt durch die Produktionsstätte. «Die Armee schafft mit dieser Fabrik zahlreiche Arbeitsplätze in der entlegenen Region», betont er während der Besichtigung. Am Dorfrand steht eine Abfüllanlage für Mineralwasser; auch diese gehört der Armee. An der Gitex in Dubai, der wichtigsten Elektronikmesse der Golfregion, stellte der ägyptische Kommunikationsminister im Oktober 2013 «Pluto» vor, ein Tablet, hergestellt in Kooperation von Intel und der zum ägyptischen Militär gehörenden Arab Organization for Industrialization (AOI). Seit einigen Wochen wird «Pluto» auch in den Supermärkten in Ägypten angeboten. Verantwortlich für den Vertrieb des Tablets ist eine Firma der kuwaitischen Kharafi-Gruppe.

Breites Betätigungsfeld

Von Handwerk bis Hightech reichen die Aktivitäten des ägyptischen Militärs im zivilen Sektor. Es gibt kaum eine Branche, in der es nicht aktiv ist. Spekulationen über einen Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) von bis zu 40% werden deshalb vor allem von ausländischen Analytikern und Kommentatoren angestellt, während die Ägypter selbst das Gewicht eher herunterspielen.

Militärische Privilegien sind in der zivilen Regierung tief verwurzelt und finden breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Der ägyptische Ökonom Ahmed al-Naggar vom Kairoer Ahram-Forschungszentrum nennt die Zahl 1,8% des BIP, Ex-Handelsminister Mohammed Rashid sprach oft von 10% Wirtschaftsleistung der Armee. Nicht mehr als 5% des BIP - nach seiner persönlichen Einschätzung - erwähnte kürzlich Armee-Sprecher Ahmed Ali.

Tatsächlich kennt niemand den genauen Wert. Das Wirtschaftsimperium des Militärs ist eine Black Box. Über Zahlen und Statistiken schweigen sich die Generäle aus. Es gibt auch keine publizierten Diagramme über Struktur, Organisation und Verantwortlichkeiten. Aus Bruchstücken von Informationen lässt sich nur ein unvollständiges Puzzle zusammensetzen. Das wird sich auch mit der neuen Verfassung nicht ändern. Die Armee behält darin ihre Sonderstellung und ist zudem niemandem Rechenschaft schuldig.

Historisch gewachsen

Der Vorstoss der Armee in den privaten Sektor ist seit gut 20 Jahren stärker ausgeprägt (siehe Zusatztext). Das Imperium umfasst Dutzende Firmen mit Zehntausenden von Angestellten. Die Unternehmen müssen ihre Geschäftsbücher nicht offenlegen; die Arbeitsgesetze gelten bei ihnen nicht. Über ihren Geschäftszweck machen sogar Verantwortliche der Armee unterschiedliche Angaben: Während der stellvertretende Verteidigungsminister Mahmoud Nasr erklärte, es gehe darum, Gewinn zu generieren, betonte Ali, der Zweck der Firmen seien eher Entwicklungsprojekte als Profite.

Natürlich gelte das wirtschaftliche Engagement des Militärs in jedem Fall der Eigenversorgung der über 400 000 Armee-Angehörigen. Betriebe würden zudem in Regionen angesiedelt, wo der grösste Bedarf herrsche. Dies zeige sich am Beispiel der Fabrik zum Trocknen von Zwiebeln im Wadi Gedid - einem entlegenen Tal im Süden des Landes, wo das Militär auch die Infrastruktur ausgebaut habe.

«Wir leben in einem relativ armen Land. Die Armee muss einen Weg finden, sich selbst zu unterhalten. Darum engagiert sie sich in einer Reihe von ökonomischen Aktivitäten», erklärt Ahmed Ghoneim, Wirtschaftsprofessor an der Kairoer Universität. Dass Ägypten eine starke Armee brauche, sei angesichts der Geschichte und der regionalen Gegebenheiten unumstritten, fügt er an. Zudem greife die Regierung immer dann auf die Armee zurück, wenn es ihr nicht gelinge, Krisen zu meistern. Bei der «Brotkrise» im Jahr 2008 mussten die Bäckereien der Armee einspringen, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Nach der Revolution im Jahr 2011 deponierte die Armee zur Stabilisierung des Staates 1 Mrd. $ bei der Zentralbank. Und auch bei Infrastrukturprojekten, zum Beispiel bei Strassen, stützt sich die Regierung auf die Armee, wenn es schnell gehen muss.

Weite Verzweigung

Eine Strategie für das Engagement im zivilen Bereich lässt sich nicht erkennen. Die Streuung ist breit: Von der Produktion von Lebensmitteln über Dünger, Erdöl und Erdgas bis zu erneuerbaren Energien, Auto-Montage und Unterhaltungselektronik. Kaum eine Branche fehlt in diesem intransparenten Sammelsurium. Auch die Formen der Aktivitäten sind ganz verschieden. Einmal sind es eigene Betriebe, andernorts engagiert sich das Militär mit Anteilen an privaten Firmen, Joint Ventures oder tätigt Kooperationen mit internationalen Konglomeraten. Das Entscheidungskriterium sei immer der komparative Vorteil, befindet der Wirtschaftsprofessor: Die Armee mache immer das, was sie glaube, besser als andere ausführen zu können. Für die in- und ausländischen Partner in der Privatwirtschaft dürfte die Sicherheit der Produktionsstätten meist ein wichtiger Faktor für die Zusammenarbeit mit dem Militär sein.

Den Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung, weil die Armee etwa Zugriff auf billige Arbeitskräfte oder Kapital hat, lässt der Experte nicht gelten. In Ägypten gebe es keinen Wettbewerb, der diesen Namen verdiene. Die Märkte seien stark verzerrt. Manchmal könne die Armee sogar ein Gegengewicht zu marktbeherrschenden Anbietern schaffen. Beispiele, dass die Armee den Privatsektor verdrängt habe, gebe es nicht, sagt der Spezialist für Industriepolitik überzeugt. Auch Farah Halime, Wirtschaftsjournalistin und Gründerin des Blogs «Rebellen-Ökonomie», kommt zum Schluss, dass die Armee in keinem der wichtigen Sektoren der ägyptischen Industrie, wie etwa Erdöl und Erdgas, Stahl oder Zement, eine signifikante Rolle spielt.

Armee als Land-Monopolist

Der Einfluss der Armee hat andere Dimensionen. Dutzende hochrangige Offiziere übernehmen nach ihrem Ausscheiden aus dem Militär jeweils Spitzenfunktionen in Staatsbetrieben. Das sei schon immer so gewesen, aber nach dem Sturz der Muslimbrüder-Regierung im Sommer des vergangenen Jahres habe sich dieser Trend noch verstärkt. Das sei schlecht für die Entwicklung des zivilen Lebens, und man könne auch nicht von einer Übergangszeit sprechen, denn diese Praxis existiere seit der Nasser-Zeit in den fünfziger Jahren, merkt Ghoneim an. Der Wirtschaftsprofessor findet aber einen anderen Aspekt des Armee-Einflusses entscheidender für das Investitionsklima. Das Militär hat praktisch ein Land-Monopol und muss für viele Investitionen die Lizenzen und Bewilligungen erteilen, die dann im Lichte der «nationalen Sicherheit» geprüft und oftmals ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden. Das Argument der Sicherheit des Landes werde oftmals übertrieben und willkürlich angewendet, kritisiert Ghoneim. Zudem kontrolliert die Armee den Informationsfluss und verbietet aus diesem Grund immer wieder den Verkauf von Produkten. So waren lange etwa GPS-Geräte im Land verboten. Das sei eine alte Denkschule und sende negative Signale. Die Folge sei grosse Unsicherheit in Wirtschaftskreisen, und dies sei Gift für das Investitionsklima in Ägypten, erklärt der Experte für Industriepolitik.

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