aus NZZ, 3. 1. 2013
Das Imperium der Armee bleibt eine Black Box
Das ägyptische Militär steuert unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit weite Teile der Volkswirtschaft
von Astrid Frefel, Kairo
Auch mit der neuen Verfassung bleibt das Wirtschaftsimperium der ägyptischen Armee unangetastet. Probleme schafft aber nicht die Marktmacht der Generäle, sondern ihr Land-Monopol und eine unklare Bewilligungs-Praxis für Investitionen.
Auch mit der neuen Verfassung bleibt das Wirtschaftsimperium der ägyptischen Armee unangetastet. Probleme schafft aber nicht die Marktmacht der Generäle, sondern ihr Land-Monopol und eine unklare Bewilligungs-Praxis für Investitionen.
In der Oase Siwa, nahe der Grenze
zu Libyen, knüpfen und weben zwei Dutzend verschleierte Frauen Teppiche.
Ein ranghoher Militärangehöriger führt durch die Produktionsstätte.
«Die Armee schafft mit dieser Fabrik zahlreiche Arbeitsplätze in der
entlegenen Region», betont er während der Besichtigung. Am Dorfrand
steht eine Abfüllanlage für Mineralwasser; auch diese gehört der Armee.
An der Gitex in Dubai, der wichtigsten Elektronikmesse der Golfregion,
stellte der ägyptische Kommunikationsminister im Oktober 2013 «Pluto»
vor, ein Tablet, hergestellt in Kooperation von Intel und der zum
ägyptischen Militär gehörenden Arab Organization for Industrialization
(AOI). Seit einigen Wochen wird «Pluto» auch in den Supermärkten in
Ägypten angeboten. Verantwortlich für den Vertrieb des Tablets ist eine
Firma der kuwaitischen Kharafi-Gruppe.
Breites Betätigungsfeld
Von Handwerk bis Hightech reichen
die Aktivitäten des ägyptischen Militärs im zivilen Sektor. Es gibt kaum
eine Branche, in der es nicht aktiv ist. Spekulationen über einen
Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) von bis zu 40% werden deshalb vor
allem von ausländischen Analytikern und Kommentatoren angestellt,
während die Ägypter selbst das Gewicht eher herunterspielen.
Militärische Privilegien sind in
der zivilen Regierung tief verwurzelt und finden breite Akzeptanz in der
Bevölkerung. Der ägyptische Ökonom Ahmed al-Naggar vom Kairoer
Ahram-Forschungszentrum nennt die Zahl 1,8% des BIP, Ex-Handelsminister
Mohammed Rashid sprach oft von 10% Wirtschaftsleistung der Armee. Nicht
mehr als 5% des BIP - nach seiner persönlichen Einschätzung - erwähnte
kürzlich Armee-Sprecher Ahmed Ali.
Tatsächlich kennt niemand den
genauen Wert. Das Wirtschaftsimperium des Militärs ist eine Black Box.
Über Zahlen und Statistiken schweigen sich die Generäle aus. Es gibt
auch keine publizierten Diagramme über Struktur, Organisation und
Verantwortlichkeiten. Aus Bruchstücken von Informationen lässt sich nur
ein unvollständiges Puzzle zusammensetzen. Das wird sich auch mit der
neuen Verfassung nicht ändern. Die Armee behält darin ihre
Sonderstellung und ist zudem niemandem Rechenschaft schuldig.
Historisch gewachsen
Der Vorstoss der Armee in den
privaten Sektor ist seit gut 20 Jahren stärker ausgeprägt (siehe
Zusatztext). Das Imperium umfasst Dutzende Firmen mit Zehntausenden von
Angestellten. Die Unternehmen müssen ihre Geschäftsbücher nicht
offenlegen; die Arbeitsgesetze gelten bei ihnen nicht. Über ihren
Geschäftszweck machen sogar Verantwortliche der Armee unterschiedliche
Angaben: Während der stellvertretende Verteidigungsminister Mahmoud Nasr
erklärte, es gehe darum, Gewinn zu generieren, betonte Ali, der Zweck
der Firmen seien eher Entwicklungsprojekte als Profite.
Natürlich gelte das wirtschaftliche Engagement des Militärs in jedem Fall der Eigenversorgung der über 400 000 Armee-Angehörigen. Betriebe würden zudem in Regionen angesiedelt, wo der grösste Bedarf herrsche. Dies zeige sich am Beispiel der Fabrik zum Trocknen von Zwiebeln im Wadi Gedid - einem entlegenen Tal im Süden des Landes, wo das Militär auch die Infrastruktur ausgebaut habe.
Natürlich gelte das wirtschaftliche Engagement des Militärs in jedem Fall der Eigenversorgung der über 400 000 Armee-Angehörigen. Betriebe würden zudem in Regionen angesiedelt, wo der grösste Bedarf herrsche. Dies zeige sich am Beispiel der Fabrik zum Trocknen von Zwiebeln im Wadi Gedid - einem entlegenen Tal im Süden des Landes, wo das Militär auch die Infrastruktur ausgebaut habe.
«Wir leben in einem relativ armen
Land. Die Armee muss einen Weg finden, sich selbst zu unterhalten. Darum
engagiert sie sich in einer Reihe von ökonomischen Aktivitäten»,
erklärt Ahmed Ghoneim, Wirtschaftsprofessor an der Kairoer Universität.
Dass Ägypten eine starke Armee brauche, sei angesichts der Geschichte
und der regionalen Gegebenheiten unumstritten, fügt er an. Zudem greife
die Regierung immer dann auf die Armee zurück, wenn es ihr nicht
gelinge, Krisen zu meistern. Bei der «Brotkrise» im Jahr 2008 mussten
die Bäckereien der Armee einspringen, um die Versorgung der Bevölkerung
sicherzustellen. Nach der Revolution im Jahr 2011 deponierte die Armee
zur Stabilisierung des Staates 1 Mrd. $ bei der Zentralbank. Und auch
bei Infrastrukturprojekten, zum Beispiel bei Strassen, stützt sich die
Regierung auf die Armee, wenn es schnell gehen muss.
Weite Verzweigung
Eine Strategie für das Engagement
im zivilen Bereich lässt sich nicht erkennen. Die Streuung ist breit:
Von der Produktion von Lebensmitteln über Dünger, Erdöl und Erdgas bis
zu erneuerbaren Energien, Auto-Montage und Unterhaltungselektronik. Kaum
eine Branche fehlt in diesem intransparenten Sammelsurium. Auch die
Formen der Aktivitäten sind ganz verschieden. Einmal sind es eigene
Betriebe, andernorts engagiert sich das Militär mit Anteilen an privaten
Firmen, Joint Ventures oder tätigt Kooperationen mit internationalen
Konglomeraten. Das Entscheidungskriterium sei immer der komparative
Vorteil, befindet der Wirtschaftsprofessor: Die Armee mache immer das,
was sie glaube, besser als andere ausführen zu können. Für die in- und
ausländischen Partner in der Privatwirtschaft dürfte die Sicherheit der
Produktionsstätten meist ein wichtiger Faktor für die Zusammenarbeit mit
dem Militär sein.
Den Vorwurf der
Wettbewerbsverzerrung, weil die Armee etwa Zugriff auf billige
Arbeitskräfte oder Kapital hat, lässt der Experte nicht gelten. In
Ägypten gebe es keinen Wettbewerb, der diesen Namen verdiene. Die Märkte
seien stark verzerrt. Manchmal könne die Armee sogar ein Gegengewicht
zu marktbeherrschenden Anbietern schaffen. Beispiele, dass die Armee den
Privatsektor verdrängt habe, gebe es nicht, sagt der Spezialist für
Industriepolitik überzeugt. Auch Farah Halime, Wirtschaftsjournalistin
und Gründerin des Blogs «Rebellen-Ökonomie», kommt zum Schluss, dass die
Armee in keinem der wichtigen Sektoren der ägyptischen Industrie, wie
etwa Erdöl und Erdgas, Stahl oder Zement, eine signifikante Rolle
spielt.
Armee als Land-Monopolist
Der Einfluss der Armee hat andere
Dimensionen. Dutzende hochrangige Offiziere übernehmen nach ihrem
Ausscheiden aus dem Militär jeweils Spitzenfunktionen in
Staatsbetrieben. Das sei schon immer so gewesen, aber nach dem Sturz der
Muslimbrüder-Regierung im Sommer des vergangenen Jahres habe sich
dieser Trend noch verstärkt. Das sei schlecht für die Entwicklung des
zivilen Lebens, und man könne auch nicht von einer Übergangszeit
sprechen, denn diese Praxis existiere seit der Nasser-Zeit in den
fünfziger Jahren, merkt Ghoneim an. Der Wirtschaftsprofessor findet aber
einen anderen Aspekt des Armee-Einflusses entscheidender für das
Investitionsklima. Das Militär hat praktisch ein Land-Monopol und muss
für viele Investitionen die Lizenzen und Bewilligungen erteilen, die
dann im Lichte der «nationalen Sicherheit» geprüft und oftmals ohne
Angabe von Gründen abgelehnt werden. Das Argument der Sicherheit des
Landes werde oftmals übertrieben und willkürlich angewendet, kritisiert
Ghoneim. Zudem kontrolliert die Armee den Informationsfluss und
verbietet aus diesem Grund immer wieder den Verkauf von Produkten. So
waren lange etwa GPS-Geräte im Land verboten. Das sei eine alte
Denkschule und sende negative Signale. Die Folge sei grosse Unsicherheit
in Wirtschaftskreisen, und dies sei Gift für das Investitionsklima in
Ägypten, erklärt der Experte für Industriepolitik.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen