Kalkül und Bekenntnis
Konstantin der Grosse - alte und neue Interpretationen der Religionspolitik des römischen Kaisers
Konstantin der Grosse - alte und neue Interpretationen der Religionspolitik des römischen Kaisers
von Stefan Rebenich ·
Schon wieder Bücher über Konstantin! - so könnte man seufzen. Als sei
über den spätantiken Herrscher, den die Nachwelt als den Grossen
bezeichnet, und über die von ihm im Jahr 313 initiierte «Wende» nicht
schon längst alles gesagt. Doch es sind Neuerscheinungen anzuzeigen,
deren Lektüre lohnt. Sie bestätigen: Die sogenannte Konstantinische
Wende gibt nach wie vor Anlass zu aufschlussreichen Kontroversen in der
Geschichtswissenschaft.
Beginnen wir mit dem «Egoisten im
Purpurmantel». Jacob Burckhardts «Die Zeit Constantin's des Grossen»
liegt - endlich - als kritische Edition vor. Mit diesem Werk begann
Burckhardt seine Reihe herausragender kulturgeschichtlicher
Darstellungen; es folgten die «Griechische Culturgeschichte» und die
«Cultur der Renaissance in Italien». Der Basler Historiker schilderte
Konstantin in der Tradition der Aufklärung als konsequenten
Machtpolitiker, der sich nur aus politischem Kalkül dem Christentum
geöffnet habe.
Macht und Glaube
Ein Team um den Frankfurter
Althistoriker Hartmut Leppin hat den Klassiker im Rahmen der kritischen
Burckhardt-Gesamtausgabe als Band mit der Nummer eins vorbildlich
herausgegeben, eingeleitet und kommentiert. Als Lesetext wird die erste
Auflage geboten, die zu Weihnachten 1852 bei der Schweighauserschen
Verlagsbuchhandlung in Basel erschien. Die zahlreichen Ergänzungen und
Korrekturen in Burckhardts Handexemplar und in der zweiten, vom Autor
selbst verbesserten und vermehrten Auflage von 1880, die den meisten
Nachdrucken zugrunde liegt, werden exakt in einem umfangreichen
textkritischen Apparat dokumentiert. Die Wiedergabe der verschiedenen
Textstufen hat ein kompliziertes Nachweissystem erfordert, das dem
Benutzer einiges an Ausdauer abverlangt. Vielleicht hätte es sich
empfohlen, hier die Möglichkeiten einer digitalen Edition zu nutzen, um
die Textentwicklung eingängiger darstellen zu können.
Jacob Burckhardt: Die Zeit Constantin's des Grossen. Herausgegeben von Hartmut Leppin, Manuela Kessler und Mikkel Mangold unter Mitarbeit von Ernst Ziegler. Jacob Burckhardt Werke, Band 1. Schwabe und C. H. Beck, Basel und München 2013. 641 S., Fr. 198.90.
Klaus Rosen: Konstantin der Grosse. Kaiser zwischen Machtpolitik und Religion. Klett-Cotta, Stuttgart 2013. 500 S., Fr. 39.90.
Konstantin: Oratio ad sanctorum coetum. Rede an die Versammlung der Heiligen. Griechisch-deutsch. Eingeleitet und übersetzt von Klaus Martin Girardet. Herder, Freiburg i. Br. 2013. 300 S., Fr. 57.-.
Martin Wallraff: Sonnenkönig der Spätantike. Die Religionspolitik Konstantins des Grossen. Herder, Freiburg i. Br. 2013. 224 S., Fr. 37.90.
Gewiss, man distanzierte sich von
Burckhardts apodiktischer Aussage, es sei «eine ganz überflüssige Mühe»,
in das religiöse Bewusstsein Konstantins «einzudringen». Burckhardt
begründete: «In einem genialen Menschen, dem der Ehrgeiz und die
Herrschsucht keine ruhige Stunde gönnen, kann von Christentum und
Heidentum, bewusster Religiosität und Irreligiosität gar nicht die Rede
sein; ein solcher ist ganz wesentlich unreligiös.» Generationen von
Historikern haben sich in der Folge an der Frage abgearbeitet, wie es
Konstantin mit dem Christentum gehalten habe. Die einen erkannten, auf
der Linie Burckhardts, in dem Kaiser einen rationalen Taktiker, der die
kulturelle und politische Bedeutung des aufsteigenden Christentums
wahrnahm und sich zunutze machte. Andere betonten die persönliche
Hinwendung des Herrschers zum Christengott und sein «christliches
Sendungsbewusstsein».
Die religionspolitische
Zweckrationalität des Pragmatikers Konstantin akzentuiert Klaus Rosen in
seiner Biografie. Der emeritierte Bonner Althistoriker verfügt souverän
über die breite Überlieferung und die moderne Literatur. Sein Buch ist
eine quellennahe und zuverlässige, wenn auch nicht immer spannende
Einführung in die Geschichte des vierten nachchristlichen Jahrhunderts.
Rosen zeichnet das Porträt eines Kaisers, der «zwischen Machtpolitik und
Religion» agiert habe und der «von brennendem Verlangen nach Herrschaft
getrieben» worden sei. Zur Sicherung der Herrschaft bedurfte es
allerdings eines religionspolitischen Konsenses, den herzustellen sich
Konstantin im Laufe seines Lebens stetig bemühte, wenn auch mit
wechselndem Erfolg. Die öffentliche Hinwendung Konstantins zum
Christentum will Rosen spät datieren: Erst nachdem er den «Endkampf»
gegen seinen Rivalen Licinius im Jahr 324 für sich entschieden gehabt
habe, habe Konstantin den Versuch gewagt, seine Vision eines
christlichen Imperium Romanum Wirklichkeit werden zu lassen. Zunächst
habe er jedoch auf den traditionellen Polytheismus der Mehrheit der
Reichsbevölkerung Rücksicht nehmen müssen.
Rosen wendet sich damit gegen
Interpretationen, die die entscheidende Zäsur in der konstantinischen
Religionspolitik bereits zwölf Jahre früher, nach dem Sieg des Kaisers
über seinen innenpolitischen Gegner Maxentius an der Milvischen Brücke
im Jahr 312, erblicken wollen. Klaus Martin Girardet hat diese Position
in den letzten Jahren mit Nachdruck vertreten. Aus seiner Feder stammt
jetzt eine mustergültige zweisprachige Ausgabe von Konstantins
programmatischer «Rede an die Versammlung der Heiligen», die vor hundert
Jahren zum letzten Mal ins Deutsche übertragen wurde. Girardet will den
in der Forschung höchst kontrovers diskutierten Text nicht irgendeinem
Ghostwriter zuschreiben, sondern dem Kaiser selbst, der seine radikale
Kritik an den nichtchristlichen Religionen und sein Bekenntnis zur
universalen Sendung Jesu Christi am Karfreitag des Jahres 314 in Trier
vorgetragen haben soll. Der frühere Saarbrücker Althistoriker weiss,
dass es sich hierbei um einen «hypothetischen Annäherungsversuch» an die
nur in griechischer Sprache erhaltene Oratio handelt. Aber die Quelle
ist ein bedeutendes zeitgenössisches Dokument, das den spätantiken
Kaiser als christlichen Prediger zeigt.
Neue Akzente setzt der Basler
Kirchenhistoriker Martin Wallraff, der im Gegensatz zu seinen
althistorischen Kollegen der christlichen Überlieferung grundsätzlich
misstraut. Scharf kritisiert er diejenigen Gelehrten, die auch im 21.
Jahrhundert eine christliche Lesart der dreissigjährigen kaiserlichen
Regierungszeit fortschreiben. Wallraff sieht in dem christlichen
Konstantin ein rezeptionsgeschichtliches Missverständnis, das allein der
einseitigen Quellenlage und deren «teleologischer» Interpretation
geschuldet sei. Von einer Konstantinischen Wende will der Theologe
nichts wissen, und die Dichotomie «christlich - heidnisch» hält er für
obsolet.
Wallraffs Konstantin war weder der
Vater des christlichen Abendlandes noch der letzte Heide auf dem
Kaiserthron. Er habe sich zwar von den blutigen Opfern eines kruden
Polytheismus abgewandt, sich dann aber nicht etwa dem dreieinigen Gott,
sondern eher einem abstrakten Monotheismus zugewandt, der damals in der
Bildungselite populär gewesen sei und der das Christentum ebenso
einbezogen habe wie eine «intellektuell abstrakte Gestirnverehrung» und
den «römisch-loyalen Staatskult». Dieser Konstantin habe sich glänzend
auf die Polysemie der religiösen Sprache verstanden, die christlich
interpretierbar gewesen sei, zugleich aber die Altgläubigen nicht vor
den Kopf gestossen habe. Der Herrscher habe über drei Jahrzehnte hinweg
«solare Motive» genutzt, um «gesellschaftliche Stakeholder ganz
unterschiedlicher Provenienz mit ins Boot» zu holen. Das Christentum
hingegen habe in der kaiserlichen Selbstdarstellung einen relativ
bescheidenen Platz eingenommen. Aus dem «christianissimus imperator»
wird in diesem Buch ein «roi soleil».
Der Multikulti-Kaiser
Indem sich Wallraff die Warnung
Arnold Eschs zu eigen macht, den Überlieferungszufall nicht
auszublenden, distanziert er sich von der christlichen und auch der
explizit antichristlichen Tradition, die er als retrograde
Konstruktionen einstuft, und skizziert das Porträt eines toleranten
Herrschers, das wir aber in den Quellen nicht mehr fassen können.
Besässen wir noch diese Überlieferung, die sich nicht allein auf den
christlichen Monarchen fokussiert hatte, so lautet die Prämisse des
Kirchenhistorikers, dann kämen wir nicht auf die Idee, Konstantin als
den ersten christlichen Kaiser zu apostrophieren. Wallraff zeichnet mit
quellenkritischer Rigorosität das Bild eines Herrschers, der in einer
religiös pluralen, tendenziell monotheistischen Gesellschaft erfolgreich
regierte, weil er die Vielfalt religiöser Bezüge und Praktiken
akzeptierte. Kurzum: Im Zeichen der Sonne praktizierte Konstantin der
Grosse religiöse Multikulturalität. Die Spätantike wird so zu einer
Epoche komplexer religiöser Interaktionen, deren Aktualität mit Händen
greifbar ist.
Wie stellt Martin Wallraff am Ende
seiner Studien treffend fest: Jede Zeit bringt einen anderen und neuen
Konstantin zum Vorschein. - Und das ist auch gut so.
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