Sonntag, 12. Januar 2014

Der Sonnenkaiser.

aus NZZ, 8. 1. 2014

Kalkül und Bekenntnis
Konstantin der Grosse - alte und neue Interpretationen der Religionspolitik des römischen Kaisers

von Stefan Rebenich · Schon wieder Bücher über Konstantin! - so könnte man seufzen. Als sei über den spätantiken Herrscher, den die Nachwelt als den Grossen bezeichnet, und über die von ihm im Jahr 313 initiierte «Wende» nicht schon längst alles gesagt. Doch es sind Neuerscheinungen anzuzeigen, deren Lektüre lohnt. Sie bestätigen: Die sogenannte Konstantinische Wende gibt nach wie vor Anlass zu aufschlussreichen Kontroversen in der Geschichtswissenschaft.

Beginnen wir mit dem «Egoisten im Purpurmantel». Jacob Burckhardts «Die Zeit Constantin's des Grossen» liegt - endlich - als kritische Edition vor. Mit diesem Werk begann Burckhardt seine Reihe herausragender kulturgeschichtlicher Darstellungen; es folgten die «Griechische Culturgeschichte» und die «Cultur der Renaissance in Italien». Der Basler Historiker schilderte Konstantin in der Tradition der Aufklärung als konsequenten Machtpolitiker, der sich nur aus politischem Kalkül dem Christentum geöffnet habe.

Macht und Glaube

Ein Team um den Frankfurter Althistoriker Hartmut Leppin hat den Klassiker im Rahmen der kritischen Burckhardt-Gesamtausgabe als Band mit der Nummer eins vorbildlich herausgegeben, eingeleitet und kommentiert. Als Lesetext wird die erste Auflage geboten, die zu Weihnachten 1852 bei der Schweighauserschen Verlagsbuchhandlung in Basel erschien. Die zahlreichen Ergänzungen und Korrekturen in Burckhardts Handexemplar und in der zweiten, vom Autor selbst verbesserten und vermehrten Auflage von 1880, die den meisten Nachdrucken zugrunde liegt, werden exakt in einem umfangreichen textkritischen Apparat dokumentiert. Die Wiedergabe der verschiedenen Textstufen hat ein kompliziertes Nachweissystem erfordert, das dem Benutzer einiges an Ausdauer abverlangt. Vielleicht hätte es sich empfohlen, hier die Möglichkeiten einer digitalen Edition zu nutzen, um die Textentwicklung eingängiger darstellen zu können.

Jacob Burckhardt: Die Zeit Constantin's des Grossen. Herausgegeben von Hartmut Leppin, Manuela Kessler und Mikkel Mangold unter Mitarbeit von Ernst Ziegler. Jacob Burckhardt Werke, Band 1. Schwabe und C. H. Beck, Basel und München 2013. 641 S., Fr. 198.90.
 
Klaus Rosen: Konstantin der Grosse. Kaiser zwischen Machtpolitik und Religion. Klett-Cotta, Stuttgart 2013. 500 S., Fr. 39.90.
 
Konstantin: Oratio ad sanctorum coetum. Rede an die Versammlung der Heiligen. Griechisch-deutsch. Eingeleitet und übersetzt von Klaus Martin Girardet. Herder, Freiburg i. Br. 2013. 300 S., Fr. 57.-.
 
Martin Wallraff: Sonnenkönig der Spätantike. Die Religionspolitik Konstantins des Grossen. Herder, Freiburg i. Br. 2013. 224 S., Fr. 37.90.
  
Das Bild, das Burckhardt von Konstantin entwarf, beeinflusste trotz aller Kritik die Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts. Richtungweisend waren nicht nur Burckhardts kulturgeschichtlicher Zugriff auf die Spätantike und seine Abwendung von einer christlichen Überhöhung des Herrschers, sondern auch seine positive Darstellung des Vorgängers Diokletian: Der Christenverfolger wurde zu Konstantins Wegbereiter, Konstantin setzte dessen Reformpolitik konsequent fort.

Gewiss, man distanzierte sich von Burckhardts apodiktischer Aussage, es sei «eine ganz überflüssige Mühe», in das religiöse Bewusstsein Konstantins «einzudringen». Burckhardt begründete: «In einem genialen Menschen, dem der Ehrgeiz und die Herrschsucht keine ruhige Stunde gönnen, kann von Christentum und Heidentum, bewusster Religiosität und Irreligiosität gar nicht die Rede sein; ein solcher ist ganz wesentlich unreligiös.» Generationen von Historikern haben sich in der Folge an der Frage abgearbeitet, wie es Konstantin mit dem Christentum gehalten habe. Die einen erkannten, auf der Linie Burckhardts, in dem Kaiser einen rationalen Taktiker, der die kulturelle und politische Bedeutung des aufsteigenden Christentums wahrnahm und sich zunutze machte. Andere betonten die persönliche Hinwendung des Herrschers zum Christengott und sein «christliches Sendungsbewusstsein». 


Die religionspolitische Zweckrationalität des Pragmatikers Konstantin akzentuiert Klaus Rosen in seiner Biografie. Der emeritierte Bonner Althistoriker verfügt souverän über die breite Überlieferung und die moderne Literatur. Sein Buch ist eine quellennahe und zuverlässige, wenn auch nicht immer spannende Einführung in die Geschichte des vierten nachchristlichen Jahrhunderts. Rosen zeichnet das Porträt eines Kaisers, der «zwischen Machtpolitik und Religion» agiert habe und der «von brennendem Verlangen nach Herrschaft getrieben» worden sei. Zur Sicherung der Herrschaft bedurfte es allerdings eines religionspolitischen Konsenses, den herzustellen sich Konstantin im Laufe seines Lebens stetig bemühte, wenn auch mit wechselndem Erfolg. Die öffentliche Hinwendung Konstantins zum Christentum will Rosen spät datieren: Erst nachdem er den «Endkampf» gegen seinen Rivalen Licinius im Jahr 324 für sich entschieden gehabt habe, habe Konstantin den Versuch gewagt, seine Vision eines christlichen Imperium Romanum Wirklichkeit werden zu lassen. Zunächst habe er jedoch auf den traditionellen Polytheismus der Mehrheit der Reichsbevölkerung Rücksicht nehmen müssen.

Rosen wendet sich damit gegen Interpretationen, die die entscheidende Zäsur in der konstantinischen Religionspolitik bereits zwölf Jahre früher, nach dem Sieg des Kaisers über seinen innenpolitischen Gegner Maxentius an der Milvischen Brücke im Jahr 312, erblicken wollen. Klaus Martin Girardet hat diese Position in den letzten Jahren mit Nachdruck vertreten. Aus seiner Feder stammt jetzt eine mustergültige zweisprachige Ausgabe von Konstantins programmatischer «Rede an die Versammlung der Heiligen», die vor hundert Jahren zum letzten Mal ins Deutsche übertragen wurde. Girardet will den in der Forschung höchst kontrovers diskutierten Text nicht irgendeinem Ghostwriter zuschreiben, sondern dem Kaiser selbst, der seine radikale Kritik an den nichtchristlichen Religionen und sein Bekenntnis zur universalen Sendung Jesu Christi am Karfreitag des Jahres 314 in Trier vorgetragen haben soll. Der frühere Saarbrücker Althistoriker weiss, dass es sich hierbei um einen «hypothetischen Annäherungsversuch» an die nur in griechischer Sprache erhaltene Oratio handelt. Aber die Quelle ist ein bedeutendes zeitgenössisches Dokument, das den spätantiken Kaiser als christlichen Prediger zeigt.

Neue Akzente setzt der Basler Kirchenhistoriker Martin Wallraff, der im Gegensatz zu seinen althistorischen Kollegen der christlichen Überlieferung grundsätzlich misstraut. Scharf kritisiert er diejenigen Gelehrten, die auch im 21. Jahrhundert eine christliche Lesart der dreissigjährigen kaiserlichen Regierungszeit fortschreiben. Wallraff sieht in dem christlichen Konstantin ein rezeptionsgeschichtliches Missverständnis, das allein der einseitigen Quellenlage und deren «teleologischer» Interpretation geschuldet sei. Von einer Konstantinischen Wende will der Theologe nichts wissen, und die Dichotomie «christlich - heidnisch» hält er für obsolet.

Wallraffs Konstantin war weder der Vater des christlichen Abendlandes noch der letzte Heide auf dem Kaiserthron. Er habe sich zwar von den blutigen Opfern eines kruden Polytheismus abgewandt, sich dann aber nicht etwa dem dreieinigen Gott, sondern eher einem abstrakten Monotheismus zugewandt, der damals in der Bildungselite populär gewesen sei und der das Christentum ebenso einbezogen habe wie eine «intellektuell abstrakte Gestirnverehrung» und den «römisch-loyalen Staatskult». Dieser Konstantin habe sich glänzend auf die Polysemie der religiösen Sprache verstanden, die christlich interpretierbar gewesen sei, zugleich aber die Altgläubigen nicht vor den Kopf gestossen habe. Der Herrscher habe über drei Jahrzehnte hinweg «solare Motive» genutzt, um «gesellschaftliche Stakeholder ganz unterschiedlicher Provenienz mit ins Boot» zu holen. Das Christentum hingegen habe in der kaiserlichen Selbstdarstellung einen relativ bescheidenen Platz eingenommen. Aus dem «christianissimus imperator» wird in diesem Buch ein «roi soleil».

Der Multikulti-Kaiser

Indem sich Wallraff die Warnung Arnold Eschs zu eigen macht, den Überlieferungszufall nicht auszublenden, distanziert er sich von der christlichen und auch der explizit antichristlichen Tradition, die er als retrograde Konstruktionen einstuft, und skizziert das Porträt eines toleranten Herrschers, das wir aber in den Quellen nicht mehr fassen können. Besässen wir noch diese Überlieferung, die sich nicht allein auf den christlichen Monarchen fokussiert hatte, so lautet die Prämisse des Kirchenhistorikers, dann kämen wir nicht auf die Idee, Konstantin als den ersten christlichen Kaiser zu apostrophieren. Wallraff zeichnet mit quellenkritischer Rigorosität das Bild eines Herrschers, der in einer religiös pluralen, tendenziell monotheistischen Gesellschaft erfolgreich regierte, weil er die Vielfalt religiöser Bezüge und Praktiken akzeptierte. Kurzum: Im Zeichen der Sonne praktizierte Konstantin der Grosse religiöse Multikulturalität. Die Spätantike wird so zu einer Epoche komplexer religiöser Interaktionen, deren Aktualität mit Händen greifbar ist.

Wie stellt Martin Wallraff am Ende seiner Studien treffend fest: Jede Zeit bringt einen anderen und neuen Konstantin zum Vorschein. - Und das ist auch gut so.

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