Die Schande von Gulistan
Irans unliebsame Erfahrungen mit den europäischen Grossmächten vor 200 Jahren
Irans unliebsame Erfahrungen mit den europäischen Grossmächten vor 200 Jahren
von Andreas Rüesch
Bis heute sieht Iran in dem vor 200 Jahren aufgezwungenen Friedensvertrag von Gulistan eine beispiellose Erniedrigung. Gulistan ist für das Land ein Mahnmal, den europäischen Grossmächten nicht zu trauen.
Das Jahr 1813 ist für die meisten Europäer ferne Vergangenheit - am ehesten bleibt es im Zusammenhang mit dem dramatischen Zerfall von Napoleons Herrschaft über Europa in Erinnerung. Weiter östlich jedoch wirkt ein Ereignis jenes Jahres bis heute unmittelbar nach. Als Schmach von Gulistan, die sich nach westlichem Kalender am 24. Oktober zum zweihundertsten Mal jährt, ist es im nationalen Gedächtnis haften geblieben. In Gulistan, einem Dorf im heutigen Aserbeidschan, wurde damals ein Vertrag besiegelt, der einen jahrelangen Krieg zwischen Persien und dem zaristischen Russland beendete. Es war jedoch ein Frieden völlig nach fremdem Diktat: Von seinen westlichen Verbündeten im Stich gelassen, musste Persien praktisch sämtliche Forderungen der Russen akzeptieren und verlor einen Grossteil seiner Besitzungen im Südkaukasus.
Bis heute sieht Iran in dem vor 200 Jahren aufgezwungenen Friedensvertrag von Gulistan eine beispiellose Erniedrigung. Gulistan ist für das Land ein Mahnmal, den europäischen Grossmächten nicht zu trauen.
Das Jahr 1813 ist für die meisten Europäer ferne Vergangenheit - am ehesten bleibt es im Zusammenhang mit dem dramatischen Zerfall von Napoleons Herrschaft über Europa in Erinnerung. Weiter östlich jedoch wirkt ein Ereignis jenes Jahres bis heute unmittelbar nach. Als Schmach von Gulistan, die sich nach westlichem Kalender am 24. Oktober zum zweihundertsten Mal jährt, ist es im nationalen Gedächtnis haften geblieben. In Gulistan, einem Dorf im heutigen Aserbeidschan, wurde damals ein Vertrag besiegelt, der einen jahrelangen Krieg zwischen Persien und dem zaristischen Russland beendete. Es war jedoch ein Frieden völlig nach fremdem Diktat: Von seinen westlichen Verbündeten im Stich gelassen, musste Persien praktisch sämtliche Forderungen der Russen akzeptieren und verlor einen Grossteil seiner Besitzungen im Südkaukasus.
Politische Manövriermasse
Mitte des 18. Jahrhunderts hatte
das Perserreich noch eine Ausdehnung vom Schwarzen Meer bis nach Indien
hinein besessen. Doch bald machte ihm im Norden die russische
Expansionspolitik zu schaffen. 1801 annektierte Zar Paul das von Persien
beanspruchte Königreich Georgien, und sein Nachfolger Alexander I.
schickte eine Armee von 10 000 Mann in die Region. Auch die unter
persischer Oberhoheit stehenden Khanate in den heutigen Staaten
Aserbeidschan und Armenien gerieten ins Visier der russischen Truppen.
Diese waren der persischen Streitmacht zahlenmässig stark unterlegen,
aber den vor allem aus Reitern bestehenden persischen Kräften fehlte es
an Organisation, Strategie und modernen Waffen.
So eroberten die Russen innert
weniger Jahre grosse Teile des Südkaukasus. Schah Fath Ali aus dem
Herrscherhaus der Kadjaren bemühte sich zu spät um eine Modernisierung
seines Militärs. Mit seinen Gegenangriffen vermochte er den Krieg in die
Länge zu ziehen, aber nicht, eine Wende herbeizuführen. 1810 erklärte
er, mit Rückendeckung des schiitischen Klerus, den Widerstand gegen die
Russen zum heiligen Krieg, was dem Konflikt eine neue Dimension gab.
Aber schon zwei Jahre später machte eine vernichtende persische
Niederlage bei Aslanduz am heutigen Grenzfluss Aras die
Aussichtslosigkeit einer Gegenoffensive deutlich.
Viel zu spät hatte sich der Schah
nach Verbündeten in diesem ungleichen Kampf umgeschaut. Und die
Erfahrungen, die er dabei machte, bedeuteten erst noch eine grosse
Ernüchterung. Denn auf die vermeintlichen Partner im Westen war kein
Verlass, von Vertragstreue konnte nicht die Rede sein. Für die
europäischen Grossmächte war das serbelnde Reich im Orient nur eine
Manövriermasse in einer viel grösseren strategischen Auseinandersetzung,
dem Ringen um eine Neuordnung des Abendlandes während der Zeit
Napoleons. Paris und Teheran unterzeichneten 1807 einen Allianzvertrag,
in dem Frankreich die territoriale Integrität Persiens garantierte, den
Anspruch seines Verbündeten auf die verlorenen Gebiete im Kaukasus
anerkannte und Hilfe bei der Vertreibung der russischen Okkupatoren
versprach. Aber das Papier war schon wenige Monate später Makulatur, als
Napoleon Frieden mit Russland schloss und die Perser düpierte.
Harte Bedingungen
Fath Ali wandte sich darauf an
Grossbritannien, das die Gelegenheit zur Annäherung gerne ergriff und
alsbald eine Gesandtschaft in Teheran eröffnete. 1809 schlossen die
beiden Länder ein Bündnis, in dem London versprach, eine 16 000-köpfige
persische Infanterie auszubilden und auszurüsten. Die Briten sagten
auch Geldzahlungen zu für den Fall eines Angriffs einer europäischen
Macht auf Persien. Teheran verwies im Gegenzug alle französischen
Berater des Landes. Doch 1812, mit Napoleons Überfall auf das
Zarenreich, wurden Grossbritannien und Russland auf einen Schlag erneut
Verbündete. Die Perser hatten das Nachsehen, in ihrem Krieg gegen die
Russen waren sie nun völlig isoliert.
Der britische Gesandte Gore
Ouseley vermittelte darauf in Gulistan einen Frieden, wobei der Diplomat
kaum Anstalten machte, die von Russland diktierten schmachvollen
Bedingungen zu lindern. Der vermeintliche Verbündete Grossbritannien war
für den Schah nun keine Stütze mehr, sondern machte mit Russland
gemeinsame Sache. Im Vertrag von Gulistan musste Persien sämtliche
Ansprüche auf Georgien aufgeben und verlor Dagestan sowie den grössten
Teil des heutigen Aserbeidschan. Das Volk der Aseri ist seither geteilt
durch eine internationale Grenze. Nach einem weiteren Krieg riss St.
Petersburg im Vertrag von Turkmanchai 1828 noch die restlichen Gebiete
nördlich der heutigen iranischen Grenze an sich.
Nachhaltige Ressentiments
Vor allem aber begann mit den
beiden Verträgen eine Entwicklung, die Persien nach und nach zu einem
Vasallenstaat und Spielball ausländischer Mächte machte. Persien musste
dem Zarenreich eine hohe Tributzahlung leisten und den Russen das
exklusive Recht zur Stationierung einer Kriegsflotte im Kaspischen Meer
gewähren. Auch musste das kadjarische Herrscherhaus völlig einseitig
ausgestaltete Handelsverträge akzeptieren. Diese gaben den russischen
Kaufleuten freie Hand und fügten der einheimischen Wirtschaft schweren
Schaden zu. Ähnliche wirtschaftliche Privilegien sicherte sich im Laufe
des 19. Jahrhunderts auch Grossbritannien, so dass Persien zuletzt
seine politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit weitgehend
einbüsste.
Die Wut der Einheimischen über die
Europäer entlud sich immer wieder in Unruhen, unter anderem in einem
Massaker in der russischen Botschaft und in einem Aufstand gegen die
Übernahme der persischen Tabakwirtschaft durch die Briten. Das Gefühl
der Ausbeutung und Demütigung bildete schliesslich den Nährboden für
eine nationalistische Reformbewegung, die ab der Wende zum 20.
Jahrhundert auf ein starkes Iran hinarbeitete. Die USA ersetzten später,
in der Zeit des letzten Schahs, Briten und Russen als Symbol der
ausländischen Machtarroganz, aber das Grundmuster blieb dasselbe. Das
iranische Misstrauen gegen westliche Interessenpolitik, das heute das
Denken in Teheran durchdringt, hat somit tiefe Wurzeln. Es ist keine
Spezialität des gegenwärtigen islamistischen Regimes und wird dieses mit
einiger Sicherheit auch überdauern.
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