Samstag, 18. Januar 2014

Ein persisches Trauma.

aus NZZ, 24. 10. 2013                                                                                                             Fath Ali Shah

Die Schande von Gulistan
Irans unliebsame Erfahrungen mit den europäischen Grossmächten vor 200 Jahren

von Andreas Rüesch 

Bis heute sieht Iran in dem vor 200 Jahren aufgezwungenen Friedensvertrag von Gulistan eine beispiellose Erniedrigung. Gulistan ist für das Land ein Mahnmal, den europäischen Grossmächten nicht zu trauen. 

Das Jahr 1813 ist für die meisten Europäer ferne Vergangenheit - am ehesten bleibt es im Zusammenhang mit dem dramatischen Zerfall von Napoleons Herrschaft über Europa in Erinnerung. Weiter östlich jedoch wirkt ein Ereignis jenes Jahres bis heute unmittelbar nach. Als Schmach von Gulistan, die sich nach westlichem Kalender am 24. Oktober zum zweihundertsten Mal jährt, ist es im nationalen Gedächtnis haften geblieben. In Gulistan, einem Dorf im heutigen Aserbeidschan, wurde damals ein Vertrag besiegelt, der einen jahrelangen Krieg zwischen Persien und dem zaristischen Russland beendete. Es war jedoch ein Frieden völlig nach fremdem Diktat: Von seinen westlichen Verbündeten im Stich gelassen, musste Persien praktisch sämtliche Forderungen der Russen akzeptieren und verlor einen Grossteil seiner Besitzungen im Südkaukasus.

Politische Manövriermasse

Mitte des 18. Jahrhunderts hatte das Perserreich noch eine Ausdehnung vom Schwarzen Meer bis nach Indien hinein besessen. Doch bald machte ihm im Norden die russische Expansionspolitik zu schaffen. 1801 annektierte Zar Paul das von Persien beanspruchte Königreich Georgien, und sein Nachfolger Alexander I. schickte eine Armee von 10 000 Mann in die Region. Auch die unter persischer Oberhoheit stehenden Khanate in den heutigen Staaten Aserbeidschan und Armenien gerieten ins Visier der russischen Truppen. Diese waren der persischen Streitmacht zahlenmässig stark unterlegen, aber den vor allem aus Reitern bestehenden persischen Kräften fehlte es an Organisation, Strategie und modernen Waffen.

So eroberten die Russen innert weniger Jahre grosse Teile des Südkaukasus. Schah Fath Ali aus dem Herrscherhaus der Kadjaren bemühte sich zu spät um eine Modernisierung seines Militärs. Mit seinen Gegenangriffen vermochte er den Krieg in die Länge zu ziehen, aber nicht, eine Wende herbeizuführen. 1810 erklärte er, mit Rückendeckung des schiitischen Klerus, den Widerstand gegen die Russen zum heiligen Krieg, was dem Konflikt eine neue Dimension gab. Aber schon zwei Jahre später machte eine vernichtende persische Niederlage bei Aslanduz am heutigen Grenzfluss Aras die Aussichtslosigkeit einer Gegenoffensive deutlich.

Viel zu spät hatte sich der Schah nach Verbündeten in diesem ungleichen Kampf umgeschaut. Und die Erfahrungen, die er dabei machte, bedeuteten erst noch eine grosse Ernüchterung. Denn auf die vermeintlichen Partner im Westen war kein Verlass, von Vertragstreue konnte nicht die Rede sein. Für die europäischen Grossmächte war das serbelnde Reich im Orient nur eine Manövriermasse in einer viel grösseren strategischen Auseinandersetzung, dem Ringen um eine Neuordnung des Abendlandes während der Zeit Napoleons. Paris und Teheran unterzeichneten 1807 einen Allianzvertrag, in dem Frankreich die territoriale Integrität Persiens garantierte, den Anspruch seines Verbündeten auf die verlorenen Gebiete im Kaukasus anerkannte und Hilfe bei der Vertreibung der russischen Okkupatoren versprach. Aber das Papier war schon wenige Monate später Makulatur, als Napoleon Frieden mit Russland schloss und die Perser düpierte.

Harte Bedingungen

Fath Ali wandte sich darauf an Grossbritannien, das die Gelegenheit zur Annäherung gerne ergriff und alsbald eine Gesandtschaft in Teheran eröffnete. 1809 schlossen die beiden Länder ein Bündnis, in dem London versprach, eine 16 000-köpfige persische Infanterie auszubilden und auszurüsten. Die Briten sagten auch Geldzahlungen zu für den Fall eines Angriffs einer europäischen Macht auf Persien. Teheran verwies im Gegenzug alle französischen Berater des Landes. Doch 1812, mit Napoleons Überfall auf das Zarenreich, wurden Grossbritannien und Russland auf einen Schlag erneut Verbündete. Die Perser hatten das Nachsehen, in ihrem Krieg gegen die Russen waren sie nun völlig isoliert.


Der britische Gesandte Gore Ouseley vermittelte darauf in Gulistan einen Frieden, wobei der Diplomat kaum Anstalten machte, die von Russland diktierten schmachvollen Bedingungen zu lindern. Der vermeintliche Verbündete Grossbritannien war für den Schah nun keine Stütze mehr, sondern machte mit Russland gemeinsame Sache. Im Vertrag von Gulistan musste Persien sämtliche Ansprüche auf Georgien aufgeben und verlor Dagestan sowie den grössten Teil des heutigen Aserbeidschan. Das Volk der Aseri ist seither geteilt durch eine internationale Grenze. Nach einem weiteren Krieg riss St. Petersburg im Vertrag von Turkmanchai 1828 noch die restlichen Gebiete nördlich der heutigen iranischen Grenze an sich.

Nachhaltige Ressentiments

Vor allem aber begann mit den beiden Verträgen eine Entwicklung, die Persien nach und nach zu einem Vasallenstaat und Spielball ausländischer Mächte machte. Persien musste dem Zarenreich eine hohe Tributzahlung leisten und den Russen das exklusive Recht zur Stationierung einer Kriegsflotte im Kaspischen Meer gewähren. Auch musste das kadjarische Herrscherhaus völlig einseitig ausgestaltete Handelsverträge akzeptieren. Diese gaben den russischen Kaufleuten freie Hand und fügten der einheimischen Wirtschaft schweren Schaden zu. Ähnliche wirtschaftliche Privilegien sicherte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts auch Grossbritannien, so dass Persien zuletzt seine politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit weitgehend einbüsste.

Die Wut der Einheimischen über die Europäer entlud sich immer wieder in Unruhen, unter anderem in einem Massaker in der russischen Botschaft und in einem Aufstand gegen die Übernahme der persischen Tabakwirtschaft durch die Briten. Das Gefühl der Ausbeutung und Demütigung bildete schliesslich den Nährboden für eine nationalistische Reformbewegung, die ab der Wende zum 20. Jahrhundert auf ein starkes Iran hinarbeitete. Die USA ersetzten später, in der Zeit des letzten Schahs, Briten und Russen als Symbol der ausländischen Machtarroganz, aber das Grundmuster blieb dasselbe. Das iranische Misstrauen gegen westliche Interessenpolitik, das heute das Denken in Teheran durchdringt, hat somit tiefe Wurzeln. Es ist keine Spezialität des gegenwärtigen islamistischen Regimes und wird dieses mit einiger Sicherheit auch überdauern.


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