Dienstag, 21. Januar 2014

Wirtschaften im realexistierenden Serbien.

aus NZZ, 21. 1. 2014


Staatslastige Wirtschaft in Serbien
Die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union verstärken den Reformdruck

von Thomas Fuster, Wien

Serbien tritt mit der EU in Beitrittsverhandlungen. Damit erhöht sich der äussere Druck, verlustreiche Staatsfirmen nicht länger künstlich am Leben zu erhalten. Gegen Privatisierungen mobilisiert sich aber Widerstand.



Die Erwartung ist gross. Der serbische Regierungschef Ivica Dacic will gar von einer neuen politischen Ära sprechen. Den Anlass für seine rhetorische Überschwänglichkeit liefern die an diesem Dienstag in Brüssel beginnenden Beitrittsverhandlungen mit der EU. Von den Verhandlungen erhofft sich Belgrad nicht nur eine Stärkung des internationalen Vertrauens in den Balkanstaat, der in den vergangenen Jahrzehnten vorab auf Negativschlagzeilen abonniert schien. 

Dank engerer Anbindung an die EU sollen auch dringend benötigte Investitionen ins Land gelockt werden. Stolpersteine auf dem zweifellos noch sehr langen Weg bis zur möglichen EU-Mitgliedschaft gibt es aber viele. Dazu gehören zum Ersten politische Hürden wie das diffizile Verhältnis zu Kosovo; zum Zweiten steigt Serbien auch wirtschaftlich nicht aus einer Position der Stärke in die Verhandlungen.


Gefährliche Schuldendynamik


Hätte es noch eines Belegs bedurft für die desolate Wirtschaftslage Serbiens, so lieferte ihn Ende vergangener Woche die Rating-Agentur Fitch. Die Agentur senkte ihr langfristiges Rating von «BB-» auf «B+», womit Investitionen in Serbien noch tiefer ins Loch spekulativer Anlagen fallen. Sorgen bereitet vor allem die sich stetig verschlechternde Lage der Staatsfinanzen. So dürfte das konsolidierte Defizit dieses Jahr bereits im vierten Jahr in Folge steigen, und zwar auf alarmierende 7,1% des Bruttoinlandprodukts (BIP), nach bereits hohen 6,5% des BIP im Vorjahr. Trotz Steuererhöhungen und moderaten Einsparungen bei öffentlichen Löhnen dreht sich die Schuldenspirale immer schneller. Der derzeit bei 63% des BIP liegende Schuldenstand dürfte bis 2015 nach Einschätzung von Fitch auf bereits 70% des BIP klettern.


Für die Schieflage massgeblich verantwortlich ist die Vielzahl defizitärer Staatsunternehmen. Deren Zahl wird auf über 600 veranschlagt. Zahllose Regierungen haben schon einen Umbau dieser Firmen, die traditionell schlecht geführt, personell überbelegt und somit höchst ineffizient sind, angekündigt. Geschehen ist aber wenig: Jahr für Jahr werden die Unternehmen, die in Bereichen wie Energie, Transport und Kommunikation den Markt verzerren, mit Staatsgarantien, Überbrückungskrediten und ad hoc verteilten Subventionen künstlich am Leben erhalten. Das ist durchaus lukrativ für die jeweils an den Futtertrögen stehenden Parteien, welche die Führung der Staatsfirmen unter sich aufteilen. Wenn daher die meisten Privatisierungsversuche bisher aus angeblichem Desinteresse der Investoren scheiterten, waren deswegen viele Politiker wohl kaum unglücklich.


Mit den Regeln der EU sind die hohen Staatshilfen aber nicht länger kompatibel. Den Beleg liefert das benachbarte Kroatien, wo die am Tropf des Staates hängenden Schiffswerften im Zug der Beitrittsverhandlungen ebenfalls umgebaut und privatisiert werden mussten. Die Zeichen der Zeit erkannt hat der serbische Wirtschaftsminister Sasa Radulovic. Der politische Quereinsteiger ohne Parteibuch macht sich stark für eine zügige Veräusserung oder Schliessung von 179 Staatsfirmen, die besonders tief verschuldet und besonders belastend sind für den Staat. Radulovic, der als ehemaliger Konkursverwalter einige Erfahrungen hat mit insolventen Firmen, scheint es für einmal durchaus ernst zu sein mit Reformen. Er fordert neben einer Forcierung von Privatisierungen auch eine Flexibilisierung des allzu rigiden Arbeitsmarktes und der Konkursgesetze.


Gut organisierter Widerstand


Unklar ist, ob Politiker wie Radulovic durch die Beitrittsverhandlungen genug Rückenwind erhalten, um die Entstaatlichung auch gegen gut organisierte Partikularinteressen von Parteien, Gewerkschaften und Pensionären durchsetzen zu können. Bereits fordern die Gewerkschaften den Rücktritt des Ministers und kündigen Streiks an, sollten die geplanten Privatisierungen, die 2014 mit dem Verlust von mehreren zehntausend Stellen verbunden wären, umgesetzt werden. Das Szenario vorgezogener Neuwahlen wird daher zusehends wahrscheinlicher. Für Serbiens ökonomische Erneuerung könnte dies durchaus positiv sein. So werden der wirtschaftspolitisch relativ liberalen Fortschrittspartei, die Radulovic nahesteht, Zugewinne vorausgesagt, während Dacics Sozialisten, die auf Besitzstandswahrung programmiert scheinen, mit dem Rauswurf aus der Regierung rechnen müssen.


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