Staatslastige Wirtschaft in Serbien
Die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union verstärken den Reformdruck
Die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union verstärken den Reformdruck
von Thomas Fuster, Wien
Serbien tritt mit der EU in
Beitrittsverhandlungen. Damit erhöht sich der äussere Druck,
verlustreiche Staatsfirmen nicht länger künstlich am Leben zu erhalten.
Gegen Privatisierungen mobilisiert sich aber Widerstand.
Die Erwartung ist gross. Der
serbische Regierungschef Ivica Dacic will gar von einer neuen
politischen Ära sprechen. Den Anlass für seine rhetorische
Überschwänglichkeit liefern die an diesem Dienstag in Brüssel
beginnenden Beitrittsverhandlungen mit der EU. Von den Verhandlungen
erhofft sich Belgrad nicht nur eine Stärkung des internationalen
Vertrauens in den Balkanstaat, der in den vergangenen Jahrzehnten vorab
auf Negativschlagzeilen abonniert schien.
Dank engerer Anbindung an die
EU sollen auch dringend benötigte Investitionen ins Land gelockt werden.
Stolpersteine auf dem zweifellos noch sehr langen Weg bis zur möglichen
EU-Mitgliedschaft gibt es aber viele. Dazu gehören zum Ersten
politische Hürden wie das diffizile Verhältnis zu Kosovo; zum Zweiten
steigt Serbien auch wirtschaftlich nicht aus einer Position der Stärke
in die Verhandlungen.
Gefährliche Schuldendynamik
Hätte es noch eines Belegs bedurft
für die desolate Wirtschaftslage Serbiens, so lieferte ihn Ende
vergangener Woche die Rating-Agentur Fitch. Die Agentur senkte ihr
langfristiges Rating von «BB-» auf «B+», womit Investitionen in Serbien
noch tiefer ins Loch spekulativer Anlagen fallen. Sorgen bereitet vor
allem die sich stetig verschlechternde Lage der Staatsfinanzen. So
dürfte das konsolidierte Defizit dieses Jahr bereits im vierten Jahr in
Folge steigen, und zwar auf alarmierende 7,1% des Bruttoinlandprodukts
(BIP), nach bereits hohen 6,5% des BIP im Vorjahr. Trotz
Steuererhöhungen und moderaten Einsparungen bei öffentlichen Löhnen
dreht sich die Schuldenspirale immer schneller. Der derzeit bei 63% des
BIP liegende Schuldenstand dürfte bis 2015 nach Einschätzung von Fitch
auf bereits 70% des BIP klettern.
Für die Schieflage massgeblich
verantwortlich ist die Vielzahl defizitärer Staatsunternehmen. Deren
Zahl wird auf über 600 veranschlagt. Zahllose Regierungen haben schon
einen Umbau dieser Firmen, die traditionell schlecht geführt, personell
überbelegt und somit höchst ineffizient sind, angekündigt. Geschehen ist
aber wenig: Jahr für Jahr werden die Unternehmen, die in Bereichen wie
Energie, Transport und Kommunikation den Markt verzerren, mit
Staatsgarantien, Überbrückungskrediten und ad hoc verteilten
Subventionen künstlich am Leben erhalten. Das ist durchaus lukrativ für
die jeweils an den Futtertrögen stehenden Parteien, welche die Führung
der Staatsfirmen unter sich aufteilen. Wenn daher die meisten
Privatisierungsversuche bisher aus angeblichem Desinteresse der
Investoren scheiterten, waren deswegen viele Politiker wohl kaum
unglücklich.
Mit den Regeln der EU sind die
hohen Staatshilfen aber nicht länger kompatibel. Den Beleg liefert das
benachbarte Kroatien, wo die am Tropf des Staates hängenden
Schiffswerften im Zug der Beitrittsverhandlungen ebenfalls umgebaut und
privatisiert werden mussten. Die Zeichen der Zeit erkannt hat der
serbische Wirtschaftsminister Sasa Radulovic. Der politische
Quereinsteiger ohne Parteibuch macht sich stark für eine zügige
Veräusserung oder Schliessung von 179 Staatsfirmen, die besonders tief
verschuldet und besonders belastend sind für den Staat. Radulovic, der
als ehemaliger Konkursverwalter einige Erfahrungen hat mit insolventen
Firmen, scheint es für einmal durchaus ernst zu sein mit Reformen. Er
fordert neben einer Forcierung von Privatisierungen auch eine
Flexibilisierung des allzu rigiden Arbeitsmarktes und der
Konkursgesetze.
Gut organisierter Widerstand
Unklar ist, ob Politiker wie
Radulovic durch die Beitrittsverhandlungen genug Rückenwind erhalten, um
die Entstaatlichung auch gegen gut organisierte Partikularinteressen
von Parteien, Gewerkschaften und Pensionären durchsetzen zu können.
Bereits fordern die Gewerkschaften den Rücktritt des Ministers und
kündigen Streiks an, sollten die geplanten Privatisierungen, die 2014
mit dem Verlust von mehreren zehntausend Stellen verbunden wären,
umgesetzt werden. Das Szenario vorgezogener Neuwahlen wird daher
zusehends wahrscheinlicher. Für Serbiens ökonomische Erneuerung könnte
dies durchaus positiv sein. So werden der wirtschaftspolitisch relativ
liberalen Fortschrittspartei, die Radulovic nahesteht, Zugewinne
vorausgesagt, während Dacics Sozialisten, die auf Besitzstandswahrung
programmiert scheinen, mit dem Rauswurf aus der Regierung rechnen
müssen.
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