Wie uns das Internet vernichtet
Wien - Alle tragen heute ihren Arbeitsplatz mit sich herum "wie ein Arbeitslager", schreibt der in Korea geborene renommierte Philosoph Byung-Chul Han (54) in seinem jüngsten Buch Im Schwarm. Ansichten des Digitalen (Matthes & Seitz 2013). Der schmale Band hat es in sich. In kühlen, klaren Sätzen macht Han das Ende aller naiven Internet-Utopien in der "Logik des Kapitals" deutlich.
Als Folge dieser Logik wird das Subjekt in ein "Projekt" umgewandelt. Dieses "entfaltet Zwänge in Form von Leistung" und "Selbstoptimierung". Es "beutet sich selbst aus, bis es zusammenbricht", und überantwortet sich zugleich so freiwillig wie schamlos einer totalen Kontrolle, die heute "inhärenter Teil der digitalen Kommunikation" ist. Charakteristisch für das digitale Spektakel ist eine "distanzlose Schau" . In deren Abstandslosigkeit entsteht eine "Gesellschaft ohne Respekt", die direkt in die "Skandalgesellschaft" führt. Respekt aber "bildet den Grundstein für Öffentlichkeit". Und er ist an Namen gebunden. Das digitale Medium mit seinem Kult der Anonymität aber, so Han, vernichtet den Namen - und damit alles, was mit ihm zusammenhängt: "Verantwortung, Vertrauen oder Versprechen".
Die Empörungswellen im Internet bündeln zwar schnell die Aufmerksamkeit, aber sie sind zu unbeständig, um politische Energien zu entwickeln. Im Skandal der Empörung gehen Dinge wie Haltung, Dialog und Diskurs unter. Deswegen versammelt der digitale Schwarm die Menschen nicht, er vereinzelt sie. Er entwickelt im Gegensatz zur analogen Masse keine Stimme, wird nur als Lärm wahrgenommen. Weil das Gemeinschaftliche in der Gesellschaft des Schwarms erodiert, endet die Solidarität. Im Lärm der Stimmen verschwinden der qualifizierte Journalismus ebenso wie die auf Empathie gebaute Politik, in der Visionen entwickelt werden könnten.
Besonders scharf kritisiert der Philosoph den "Imperativ der Transparenz". Er bringe einen Konformismuszwang hervor, der zum geistigen Stillstand führe. Das fremde Einzigartige und der andere Mensch werden durch Narzissmus überblendet. Das war's dann auch mit dem Eros: Der Transparenzzwang "bedeutet das Ende des Begehrens." Und damit das Ende der Liebe. Denn in narzisstischen Medien wie Twitter oder Facebook erschöpft sich das "Projekt" und "ertrinkt in sich selbst".
Nota.
Das klingt, als habe der koreanische Autor ein Vierteljahr in der deutschen Piratenpartei hospitiert. Aber die werden sein Buch genausowenig lesen wir irgendein anderes: zu viele Zeichen.
JE
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