aus nzz.ch, 7. Juli 2014, 09:28
Errungenschaften der Technik
Kraft aus Dampf
von Lucien F. Trueb
Das
Prinzip der Wärmekraftmaschine – dazu gehören unter anderem die
klassische Kolben-Dampfmaschine und die Dampfturbine – war schon in der
Antike bekannt. Der griechische Mathematiker Heron von Alexandria, der
im 1. Jh. n. Chr. lebte, beschrieb in seinem Werk «Pneumatika» eine auf
dem Rückstossprinzip basierte Dampfturbine, die er Aeolipile nannte.
Es handelte sich um eine drehbar
gelagerte Kugel, in welche über die hohlen Achsen Dampf aus einem
holzbefeuerten Kessel eingeleitet wurde. Der Dampf wurde über zwei
entgegengesetzt abgewinkelte Rohre ausgestossen und brachte die Kugel
bis auf 1500 Umdrehungen pro Minute. Herons Kugel war als Spielzeug
konzipiert; moderne Nachbildungen ergaben, dass der Wirkungsgrad sehr
schlecht war.
Bergwerke entwässern
Mehr als eineinhalb Jahrtausende
vergingen, bis Wasserdampf zum Verrichten nützlicher Arbeit eingesetzt
wurde. In diesem Zusammenhang muss gleich festgehalten werden, dass
James Watt (1736-1819) nicht der Erfinder der Dampfmaschine war;
allerdings hat er sie wesentlich verbessert. Die allererste
Kolbendampfmaschine baute der Franzose Denis Papin (1647-1712) zum
Antrieb einer Pumpe. Der in seinen Zylinder geleitete Dampf kondensierte
unter der Wirkung von eingespritztem, kaltem Wasser, wobei der
atmosphärische Druck den Kolben in den Zylinder drückte.
Die britischen Pioniere der
Dampfmaschine waren Thomas Savery (1650-1715) und Thomas Newcomen
(1663-1729). Newcomens Maschine diente schon 1712 – lange vor Watts
Geburt – zum Abpumpen von Wasser in einem Bergwerk. Ihr Betrieb war
trotz dem Wirkungsgrad von weniger als 1 Prozent im Vergleich zum
Einsatz von Pferden durchaus rentabel. Auch bei den britischen
Vorreitern handelte es sich um sogenannte atmosphärische Dampfmaschinen,
bei denen das im Zylinder erzeugte, grobe Vakuum den Arbeitstakt
ausführte.
James Watt und die Pferde
An diese Entwicklungen anschliessend,
baute James Watt ab 1769 die ersten Niederdruck-Dampfmaschinen, bei
denen auch das Füllen des Zylinders ein Arbeitstakt war. Watts
wichtigste Erfindung war jedoch die doppelt wirkende Dampfmaschine, bei
welcher der Kolben abwechslungsweise von beiden Seiten her mit Dampf
angetrieben wurde. Zudem kühlte man den ausgestossenen Dampf in einem
externen Kondensator und rezyklierte das Wasser. Die optimierte
Betätigung der Dampfschieber sowie der (bereits existierende)
Fliehkraftregler brachten den Wirkungsgrad von Watts Maschinen bis auf 3
Prozent.
Um die Leistung seiner Dampfmaschinen
quantitativ angeben zu können, erfand James Watt auch die Pferdestärke
(PS). Nach langen Gesprächen mit Mühlenbauern fand er, dass ein
langfristig gesund bleibendes Pferd während eines zehnstündigen
Arbeitstags nicht mehr als 10 Prozent seines Körpergewichts bei einer
Geschwindigkeit von 4 bis 5 km/h bewegen sollte. Daraus ergibt sich die
Einheit PS, wobei eine Pferdestärke 735,5 Watt entspricht. Kurzfristig
kann ein Pferd bis zu 15 PS leisten, doch wird es dabei richtiggehend
geschunden.
Industrielle Revolution
Im Sinne höherer Leistungen und eines
besseren Wirkungsgrades führte die Entwicklung zu immer höheren Drücken
und Temperaturen. Dazu benötigte man Stähle hoher Festigkeit – Ansporn
für die Metallurgie. Eine Hochdruckdampfmaschine wurde schon 1801 zum
Antrieb eines Strassenfahrzeugs eingesetzt. Man verzichtete auf den
Kondensator, um Gewicht einzusparen: Der Dampf wurde gleich nach der
Entspannung im Zylinder ausgestossen. Ein wichtiger Fortschritt war
zudem die Compound-Maschine, bei welcher der vom Hochdruckzylinder
ausgestossene Dampf einem oder mehreren Niederdruckzylindern zugeführt
wurde und weitere Arbeit leistete.
Die Dampfmaschine revolutionierte nicht
nur den Bergbau, sondern auch die Textil- und Metallindustrie. Man
identifiziert sie mit der industriellen Revolution. Im Transportwesen
wurden mit der Dampflokomotive und dem Dampfschiff im 19. Jahrhundert
völlig neue Horizonte erschlossen. Wer Geld hatte, konnte nun
komfortabel rund um die Welt reisen. Doch ab dem 20. Jahrhundert wurde
die Kolbendampfmaschine durch die ohne Vorerwärmung startenden
Verbrennungsmotoren verdrängt.
1800 Megawatt Leistung
Bei den fossil befeuerten
beziehungsweise nuklearen Kraftwerken spielt Dampf weiterhin die
zentrale Rolle, doch dient er zum Antrieb von hocheffizienten
Dampfturbinen. Ihre massive, mit zahlreichen Kränzen von Schaufeln
bestückte Welle ist zum Sinnbild der modernen Technik geworden. Im
Hochdruckteil sind die Schaufeln sehr kurz, sie werden zur optimalen
Nutzung des bereits teilweise entspannten Dampfs immer grösser und
können eine Länge von über zwei Metern erreichen. Die zum Antrieb eines
Generators dienenden Dampfturbinen erreichen Leistungen um 1800
Megawatt.
aus nzz.ch, 25. Juli 2012, 08:58
Dampfmaschine
Mehr Kunst als Wissenschaft
von Marcel
Hänggi ⋅ «Technik ist der Kunst näher verwandt als der Wissenschaft»,
hat der amerikanische Ingenieur Cyril Stanley Smith einmal geschrieben.
Dass Technik als Anwendung aus der Wissenschaft hervorgeht, ist eher die
Ausnahme als die Regel. Häufiger geht sie der Wissenschaft voraus.
Paradebeispiel ist die Dampfmaschine. Thomas Newcomen, der vor genau 300
Jahren die erste funktionstüchtige Dampfmaschine baute, war Schmied und
damit mehr Künstler als Wissenschafter.
Andere vor ihm
hatten versucht, die Dampfkraft zu nutzen, aber erst Newcomen erreichte
die nötige Präzision der Kolben, Ventile und Dichtungen. Wohl
profitierte er von der Wissenschaft – aber nicht von deren Theorie,
sondern von praktischen Erfahrungen: Naturforscher experimentierten
schon länger mit Luftdruck und Vakuum und liessen entsprechende Geräte
bauen. Die Theorie der Thermodynamik indes folgte erst 150 Jahre nach
der ersten thermodynamischen Maschine.
Die
Dampfmaschine war eine der folgenschwersten Erfindungen der Neuzeit.
Die industrielle Revolution ausgelöst, wie das so oft behauptet wird,
hat sie zwar nicht; diese Revolution setzte zu Beginn vor allem auf
Wasser- und menschliche Arbeitskraft. Die Dampfmaschine war also «kein
Motor der Geschichte», wie der Historiker Joachim Radkau in seinem Buch
«Technik in Deutschland» schreibt. Aber die Dampfmaschine begründete das
«fossile Zeitalter» mit all seinen Implikationen bis hin zum
Klimawandel. Sie hat der Industrialisierung eine Richtung gewiesen und
das Gesicht unserer Gesellschaft, ihre Machtstrukturen, ihren Rhythmus
massgeblich geprägt.
Die ersten Dampfmaschinen
entwässerten als Pumpen Kohlebergwerke. Kohle wurde eingesetzt, um Kohle
zu gewinnen; wer mehr Kohle hatte, konnte mehr Kohle «machen». Der
Vorteil der Dampfkraft lag nicht im Preis oder in der Effizienz, sondern
in ihrem Hang zur Grösse. Pferdekraft war zwar billiger. Aber es
liessen sich schlecht 60 Pferde in einen Göpel spannen – während man
ohne weiteres eine 60-PS-Dampfmaschine bauen konnte.
Wasserkraft
wiederum war um Welten effizienter. Aber sie war ortsgebunden, solange
man den elektrischen Strom nicht nutzen konnte. Kohle dagegen wurde mit
der Eisenbahn ortsunabhängig. Die ersten Eisenbahnen wurden zum
Kohletransport gebaut: Kohle transportierte sich selber, der
Energieverbrauch entkoppelte sich räumlich von der Energiegewinnung,
Industrieballungen entstanden.
Die Dampfkraft ersetzte
die menschliche und tierische Arbeitskraft nur teilweise. Ihren
grausamen Höhepunkt erreichte die manuelle Arbeit, als die
dampfgetriebenen Textilfabriken Europas immer mehr Baumwolle aus
Sklavenplantagen nachfragten. Auch in den Fabriken selbst schufteten
Arbeiter, und zwar rund um die Uhr. Denn mit dem Gas, das bei der
Verkokung von Kohle anfiel, liessen sich die Hallen künstlich
beleuchten.
Zurück zum Anfang: Technik sei der Kunst
näher als der Wissenschaft – das gilt wohl nur für vormoderne,
wissenschaftsferne Zeiten, könnte man meinen. Keineswegs. Der eingangs
zitierte Cyril Stanley Smith münzte seine Aussage auf eine Entwicklung,
die für wissenschaftsbasierte Technik steht wie keine zweite: Er war
Atombomben-Konstrukteur im Manhattan Project.