Freitag, 3. Oktober 2014

Arabische Aufklärung?

aus nzz.ch, 25.9.2014, 05:30 Uhr

Juan Cole: The New Arabs
Jenseits des Konfessionalismus
Der Generationenwechsel führt dazu, dass in der arabischen Welt die Religion an Dominanz verlieren wird. Diese These vertritt der Historiker Juan Cole.

von Kersten Knipp

Die arabische Welt durchläuft einen fundamentalen Kulturwandel: Nicht einmal die Hälfte aller 
Araber unter 35 Jahren geht einmal die Woche in die Moschee, nur wenig mehr als die Hälfte betet noch. An die Stelle der Korans sind andere Bezugsgrössen überwiegend säkularen Charakters getreten: Hip-Hop, Videoclips, das Internet sowie internationale Fernsehprogramme. Der Staat hat das Informationsmonopol verloren, und auch die religiösen Instanzen kontrollieren das Weltbild der Jungen immer weniger. Auch in Sachen Bildung taten die jungen Araber grosse Sprünge: Bereits im Jahr 2000 konnten rund 80 Prozent der damals 15- bis 25-Jährigen lesen und schreiben; immer mehr Araber besuchen eine Universität, immer mehr studieren auch im (westlichen) Ausland oder arbeiten dort. Womöglich habe ein heute 70-jähriger Araber in seinem gesamten Leben nicht das lernen können, was sie heute in zwei Jahren lernten, umreisst eine junge Ägypterin die Bildungserfahrung ihrer Generation.

Wandel unumkehrbar

Der amerikanische Nahost-Historiker Juan Cole liefert in seinem Buch über die Hintergründe der seit 2011 andauernden Umwälzungen in der arabischen Welt eine beeindruckende Menge von Zahlen und Statistiken zu deren sozialen, ökonomischen und kulturellen Voraussetzungen. Sie belegen vor allem eines: Der Wandel in der Region ist unumkehrbar. Zu gross waren Chancen- und Arbeitslosigkeit, Vettern- und Günstlingswirtschaft, als dass die jungen Araber, die den Wandel von Libyen bis zum Jemen vorantrieben, bereit wären, zum Status quo ante zurückzukehren. Und der Umstand, dass sich die ökonomischen Verhältnisse seitdem noch verschlechtert haben, verstärke ihre Entschlossenheit nur, meint Cole. Eine Fortsetzung der Proteste sei darum zu erwarten.

Intellektuelle Zeitenwende

Einen substanziellen Wandel dürfe man allerdings nicht vorschnell erwarten. Denn die bisherigen Veränderungen seien nur ein erster Schritt. Der zweite Schritt werde ungleich schwieriger. Denn nun geht es nicht mehr darum, Despoten zu stürzen, sondern es gilt, eine intellektuelle Zeitenwende einzuleiten und das zentrale Ordnungsprinzip vieler Gesellschaften im Nahen Osten zu erneuern. Worum es geht, zeigt sich derzeit besonders drastisch im Irak: Premier Nuri al-Maliki war weder willens noch fähig, den uralten Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten aufzuheben. 

Stattdessen spielte er die konfessionelle Karte, mit den bekannten Folgen: Die ausgeschlossenen Sunniten radikalisieren sich, am Ende beherrscht ein tödlicher Extremismus das Land. Millionen Menschen werden, ob sie wollen oder nicht, auf ihre religiöse Identität reduziert und sind dadurch gezwungen, sich selbst konfessionell zu definieren. Diesen Teufelskreis muss die junge Generation durchbrechen. Dass sie das intellektuelle Rüstzeug dazu hat, weist Cole mit einiger Plausibilität nach. Doch kommt sie ohne ihren wichtigsten Verbündeten nicht aus: die Zeit. Die aber bemisst sich in Jahrzehnten.

Juan Cole: The New Arabs. How the Millennial Generation Is Changing the Middle East.
Simon & Schuster, New York 2014. 386 S., Fr. 37.90.


Nota.

Das ist nicht überzeugend. Was uns der Autor sagt, ist, dass sich unter der ernüchterten arabischen Jugend religiöser Indifferentismus breitmacht, der zu einer schleichenden Säkularisierung führt. Das sagen Al Qaida und der Islamische Staat auch. Dem müsse und könne man erfolgreich durch Terror begegnen, fügen sie hinzu. Dass sie die Mehrheit für sich gewinnen, haben sie sich offenbar gar nicht zum Ziel gesetzt. Eine bewaffnete Minderheit, die dem Rest ihr Gesetz aufzwingt, tut's auch. Tut's nicht auf lange Zeit, wird Juan Cole entgegnen. Doch was dem einen kurzweilig scheint, kommt dem andern wie die Ewigkeit vor.
JE



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

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