Freitag, 30. Oktober 2015
Die große emanzipatorische Leistung der bürgerlichen Gesellschaft...
...war die Unterscheidung des Lebens in einen öffentlichen und einen privaten Bereich. Das 'autonome Subjekt' ist seit seinem Debüt in der Geschichte verdoppelt zum Staatsbürger einerseits und zum Privatmann andererseits. Als Staatsbürger stellt er sich die Frage, was er Anderen schuldet; als Privatmann beunruhigt ihn, was er sich selber schuldig ist.
Wie in so vielen Bereichen, war auch in diesem die Arbeiterbewegung die Kraft, die die bürgerliche Logik bis zu ihrem Ende führte: Religion ist Privatsache war eins ihrer Schlagworte. Will sagen, wer in Sachen der Moral eine höhere Autorität will gelten lassen als das eigne Gewissen, muss das mit sich selbst ausmachen; für Andere ist es ohne Belang.
Und andersrum: Das Private ist privat und nicht politisch. Im politischen Bereich muss ich mich mit den Andern – mit allen andern – arrangieren, abstimmen, verständigen, einigen. Im Privaten nicht. Da bin ich Mensch, da darf ich's sein, und wem es nicht passt, der darf mir aus dem Weg gehen. – In der Öffentlichkeit muss und kann er das nicht.
Donnerstag, 29. Oktober 2015
Denkt ihr, ihr wart erwünscht?
Dienstag, 27. Oktober 2015
Deutschland kleinhalten.
Der Standard in Wien bringt heute ein Interview mit dem Florentiner Migrationsforscher Rainer Bauböck zum aktuellen Flüchtlingsproblem. Es schließt wie folgt:
STANDARD: Warum ist die Haltung in Deutschland mehrheitlich positiv? Ist das die Gesellschaft, oder ist die Kanzlerin Angela Merkel die wahre Triebfeder?
Bauböck: Ich war überrascht von der Haltung Angela Merkels. Im Nachhinein kann man diese sicher leicht erklären: Sie ist in einer Position der innenpolitischen Stärke und hat mit keiner starken rechtspopulistischen Opposition zu kämpfen. In Europa ist Deutschland, auch aufgrund der Absetzbewegung in Großbritannien und der wirtschaftlichen wie innenpolitischen Schwächen Frankreichs, in eine Führungsrolle gedrängt worden, und Merkel ist die erste Kanzlerin, die versucht, diese Rolle auszufüllen.
Nun wissen zwar alle politischen Eliten in den europäischen Hauptstädten, dass es keine Lösung für das Flüchtlingsproblem auf nationalstaatlicher Ebene geben kann. Trotzdem gibt es die Widerstände gegen die Aufteilung der Flüchtlinge in der EU. Merkel hätte in dieser Situation aber keine europäische Lösung durchsetzen können, wenn sich Deutschland gleichzeitig abgeschottet hätte – denn das hätte dasselbe Verhalten aller anderen Staaten legitimiert. Daher hat sie etwas gewagt, was staatsmännisch bemerkenswert ist, und das unselige Dublin-Abkommen, das das Problem unlösbar macht, vorübergehend de facto außer Kraft gesetzt. Deutschland kann diese Haltung nun benutzen, um moralischen Druck auf die übrigen Staaten auszuüben und der Kommission den Rücken zu stärken. Das Zeitfenster dafür ist allerdings sehr eng und scheint sich bereits zu schließen.
Interviewer: András Szigetvari
RAINER BAUBÖCK ist Professor am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Er forscht auf dem Gebiet Staatsbürgerschaft und MigrationInterviewer: András Szigetvari
aus Süddeutsche.de, 27. 10. 2015
...Eindeutige Ausnahme ist die Bundesrepublik. Hier liegt die Differenz zwischen Links und Rechts bei nur 18 Prozentpunkten. Denn nicht nur Linke, Grüne oder Sozialdemokraten (90 Prozent), auch sieben von zehn Christdemokraten, Christsozialen und Wählern der AfD befürworten im September die Aufnahme der Flüchtlinge. Die Zustimmung nur bei CDU/CSU-Anhängern liegt im Oktober gar bei 86 Prozent. Ifop-Direktor Jérôme Fourquet deutet dies als persönlichen Erfolg der Kanzlerin.
"Der starke Einsatz von Angela Merkel für die Migranten hat unbestreitbar seine Auswirkungen auf die Meinung der Wähler von CDU/CSU", glaubt der französische Demoskop, der staunend einen Vergleich mit seinem Heimatland zieht: Mit 72 Prozent sei die Zustimmung unter den detuschen Wählern rechts der Mitte weit mehr als doppelt so hoch wie bei Frankreichs konservativen Republikanern (29 Prozent).
Fourquet entdeckt sogar noch einen zweiten "Merkel-Effekt". Bei der Ifop-Nachfrage im Oktober sank die Hilfsbereitschaft der deutschen Linken um sechs Punkte (auf 84 Prozent), rechts von der Mitte blieb die Lage stabil: 73(vorher 72) Prozent waren für Offenheit. "Ihre Wählerbasis hält der Kanzlerin weiterhin die Treue", resümiert Fourquet.
Freitag, 23. Oktober 2015
Jetzt werden die Parteiengrenzen neu gezogen.
Die Sozialdemokratie ist – ach, schon lange her – aus der Arbeiterbewegung und dem Klassenkampf entstanden. Das hat sie nicht erst mit dem Godesberger Programm hinter sich gelassen, sondern spätestens im August 1914, und dann hat sie nicht einmal Hitler zu verhindern gewusst.
Die CDU war seit Gründung der Bundesrepublik die energischste Vorreiterin ihrer "Westbindung" und hat sich diesen Rang nicht von Herbert Wehner und nicht von Helmut Schmidt ablaufen lassen. Aber das war im Jahr-tausend des Kalten Kriegs.
Aus dessen Endzeit stammen die Grünen, Partei der Leitenden Beamten mit dem Traum vom eigenen Biogarten. Und den wollen sie sich nicht zerstören lassen. Boris Palmer hat sich schon tief in die Kurve gelegt, sie machen Wahlkampf da unten, da wird sich sein Ministerpräsident auch nicht lange lumpen lassen. Und bei den Linken ist Frau Wagenknecht auch schon in Stellung gegangen.
Das hatten wir eigentlich seit der Wiederbewaffnung in den Fünfzigern nicht mehr: eine große Frage von nationaler Tragweite, die zum einen über unsere Stellung in der Welt entscheidet, und zweitens keinen Einzelnen kalt lässt: Wie immer die Antwort ausfällt, wird sie in jedem Fall die Privatbequemlichkeit eines jeden berühren. Es wäre nur in der Ordnung, wenn wir uns bei der Gelegenheit unsere vorsintflutlichen Parteien samt ihrer geölten Maschinen vom Halse schaffen würden. Der Anlass ist groß genug.
Donnerstag, 22. Oktober 2015
KZs sind derzeit außer Betrieb.
Was Akif Pirinçci wirklich gesagt hat, war abgefeimt genug: Wer sich gegen die Flüchtlingspolitik der Bundes-regierung stelle, werde behandelt wie die Juden von den Nazis; doch die KZs seien "ja leider außer Betrieb", fügte er sarkastisch hinzu. Das ist eine abgefeimte Meinung, aber die darf er nicht nur haben, sondern sogar äußern, verboten ist das nicht, denn die KZs sind bei uns seit 1945 tatsächlich außer Betrieb.
Welches Blatt hat nicht getitelt: "Die KZs sind leider außer Betrieb"? Die FAZ nicht, die stellt die Sache richtig - die sie in derselben Ausgabe freilich so entstellt berichtet hatte wie alle andern.
Wie alle andern, das macht mich krank. Wie kann ich mich von denen fernhalten, wie kann ich die von mir fernhalten, wenn ich zu dem Thema sage, was ich zu sagen für nötig halte?
Es ist ab er ein zu ernstes Thema, um nichts dazu zu sagen.
Samstag, 17. Oktober 2015
Die andere Seite der Globalisierung.
"Die Flüchtlingskrise ist so was wie die andere Seite der Globalisierung", sagte sie. "Globalisierung im Sinne von Export haben wir immer verstanden. Jetzt kommt aber plötzlich der Syrien-Krieg zu uns. Auch damit müssen wir lernen umzugehen" - so zitiert die heutige FAZ Bundekanzlerin Merkel.
Es ist wahr, mit Visionen hat sich Frau Merkel bisher nicht hervorgetan, und es fragt sich auch, ob das Kanzleramt dafür der richtige Ort wäre. Dass sie aber an er richtigen Stelle und gerade noch im rechten Moment die richtige Einsicht gehabt hat, wird ihr womöglich einen Platz in den Geschichtsbüchern eintragen.
Freitag, 16. Oktober 2015
Wenn wir richtig Glück haben...
Wenn wir auch weiterhin richtig großes Glück haben, dann beschert uns die Flüchtlingskrise mit ihrer nationalen Aufgabe eine völlige Umkrempelung des aus der Nachkriegszeit – eigentlich aus Jalta – ererbten Parteiensystems. Die Christenunion fällt auseinander, die Sozialdemokratie schrumpft sich gesund (das heißt: sehr klein), und es finden sich zusammen auf der einen Seite die, die aus der inneren Not der ewigen Zerrissenheit der Deutschen eine abend-ländische Tugend machen, die die Weite des Horizonts mit der Festigkeit der bitter gezogenen Lehren verbindet; und auf der andern Seite der selbstgefällige Haufen der gefühlt Zukurzgekommenen, denen auf der Welt nichts wichtiger ist als ihr bisschen Seelenfrieden, das sie sich nicht einmal verdient haben..
Ach, das wäre auch eine nationale Aufgabe.
Donnerstag, 15. Oktober 2015
Die Sozialdemokraten und ihre nationale Frage.
Aus leider allzu triftigem Grund weist die heutige FAZ darauf hin, dass Angela Merkels Politik in der Flüchtlings-frage die Sozialdemokratie in eine viel tiefere Zerreißprobe* treiben wird als ihren eigenen KanzlerInnenwahlverein.
"SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi warf Merkel vor, keine ausreichende Antwort auf die Herausforderungen der Krise zu haben. 'Angela Merkel steht nicht dafür, dass sie ausgereifte Gesellschaftskonzepte auf den Tisch legt, sondern dafür, kurzfristig zu agieren und auf Sicht zu fahren'" – womit sie, sei hinzugefügt, sich von der SPD nicht unterscheidet.
"Mit Blick auf die CSU-Position und die Willkommensgeste der Kanzlerin sagte Fahimi, die Union erzeuge 'eine politische Bipolarität, wie sie extremer kaum sein könnte', sie sei innerlich zerrissen. Die Stimmung im Land werde umschlagen, wenn die Kommunen den Alltag nicht mehr bewältigen könnten, so Fahimi weiter. 'Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Wohnverhältnisse vor Ort schwieriger werden, dass das Schwimmbad oder die Turn-halle für Flüchtlinge genutzt werden, die Schulen aber nicht saniert werden können oder zu wenig Lehrer für unsere Kinder da sind, weil die Kommunen das Geld für die Unterbringung oder Integrationskurse brauchen', warnte Fahimi."
Erkennen Sie, in welches Dilemma die SPD schliddert? Seit dem Abgang Schröders wieder ganz zurückgeführt auf Lippendienst am Gutmenschentum, Bedürftigenkümmerei und politisch korrekter Minderheitenpflege, aber nie, wenn's hart auf hart geht - ist sie urplötzlich von der eisernen Kanzlerin überrollt und weiß nicht einmal mehr, was sie sagen soll. Und in ihrer Verlegenheit plaudert Frau Fahimi aus, was ach so viele von diesen Gerechten im Herzen schon immer dachten: Klar wolln wir helfen, jederzeit; es darf uns bloß nix kosten.
Natürlich werden die Wohnverhältnisse "vor Ort" schwieriger werden, natürlich werden die Kommunen Geld, das (unter anderm) für Infrastrukturarbeiten vorgesehen war, für die Flüchtlingshilfe umlenken müssen. Ja wie soll es denn anders gehen? Da sind sie auf dem falschen Fuß erwischt: Ihre Wohltaten waren ja immer für die eigne Klien-tel gedacht; dass der nun selber Unbequemlichkeiten aufgebürdet werden sollen, war nicht vorgesehen. Da dauert's nicht mehr lange, dann hören wir auch von dieser Seite: Unsere Menschen sind noch nicht so weit!
Denn die energische und an dieser Stelle einzig angemessene Antwort steht ihnen ja nicht zu Gebot: dass es sich um eine nationale Aufgabe handelt. Dass wir als Nation herausgefordert sind, zum ersten Mal wieder, und wir können von Glück reden, dass uns das an einer Stelle passiert, wo wir sogar noch Bella figura machen.
Dass der erzkonservative Kardinal Woelki aus Nächstenliebe mitmachen will, ist sein christlicher Job und völlig in Ordnung. Aber die allein würde wahrlich nicht ausreichen, um die Politik einer Bundesregierung zu begründen. Deren Grund ist vielmehr ein historischer: Europa muss sich vereinigen, sonst wird es in der Welt untergehen. In Europa ist aber der Punkt erreicht, wo nur noch ein Land einen unmittelbaren Vorteil davon hat, die Vereinigung voranzutreiben, und das ist naturgemäß das stärkste; während alle andern gern noch das eine oder andere Sonder-recht mit hinüberretten wollen, und die treten auf die Bremse. Es ist nicht so, dass Großdeutschland die eigenen Interessen gegen die Interessen rivalisierender Prätendenten durchsetzen müsste. Es ist so, dass niemand in Europa die Führung übernehmen wird, wenn Deutschland es nicht tut. Aber so unfertig, wie Europa noch ist, hält es nicht lange. Mit andern Worten, wenn Deutschland vor seiner Führungsaufgabe kneift, zerfällt Europa.
Es ist eine nationale Aufgabe, und da muss man unsern Menschen auch schon mal was zumuten. Dem Wutbürger ist sowieso alles zuviel. In Dresden krakeelen sie schon auf der Straße um ihre ungestörte Ruhe auf der Datsche im stillen Winkel, wenn ihnen das einer nehmen will, werden sie rabiat. Das ist der DunkelDeutsche Rest, sie wünschen sich Deutschland warm und eng wie einen Kuhstall.
Ob sich die Sozialdemokraten wirklich nicht entscheiden können, auf welcher Seite sie mitmachen?
*) Magdeburgs sozialdemokratischer Oberbürgermeister Lutz ist heute wegen der parteioffiziellen Flüchtlingspolitik aus der SPD ausgetreten, und die eben erst bestallte Frau Wagenknecht pustet auch schon in dies Horn.
Montag, 12. Oktober 2015
Die eigentliche Teilung Deutschlands geschah 1968.
...Wer sagt den Kindern der dritten Generation, wie sie sich benehmen sollen? Wie sie sich in der Türkei benehmen müßten , wissen ihre Eltern auch nur aus Erzählungen; wie sie sich in Deutschland benehmen sollen, können sie ihnen überhaupt nicht sagen. Das müßten schon die Deutschen selber tun.
Und das ist der springende Punkt. Die Deutschen, die, aller "geistig-moralischen Wende" unerachtet, seit '68 den öffentlichen Ton angeben, können den Satz wie man sich in Deutschland benimmt ja gar nicht aussprechen, ohne zu stottern! Schon wenn sie "Deutschland" sagen sollen, müssen sie husten. Da konnte man im Sommer 1990 auf dem bröckelnden Hausputz in Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzelberg die kecke Losung "Nie wieder Deutschland!" finden. Doch so anarchistisch radikal, wie es klang, war es nicht gemeint. Es sollte nur heißen: In unsern Nischen war's doch recht bequem. ...
...
Also wir sind jetzt wieder eine Nation - wie alle anderen. Nicht trotz Auschwitz sind wir es, sondern wegen Auschwitz sind wir es mehr als die anderen. Nicht, weil wir uns, qua Sippenhaft, mit allen Deutschen schuldig fühlen müßten. Sondern schlicht und einfach, weil wir dazugehören: Mit Auschwitz verbindet mich so viel und so wenig, oder so wenig, aber auch so viel wie mit Goethe, Beethoven und Kant; und mit den Juden Marx und Luxemburg. Alles in allem ist es viel. So viel, ach, wie kaum eine andere Nation zusammenhält. Die deutsche Teilung bot die Gelegenheit, sich nach Auschwitz aus der Nation heraus zu stehlen. Da folgte aus dem völkerrechtlichen Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik einerseits die sogenannte "Wiedergutmachung", andererseits eine postume innere Emigration der (damals) heimatlosen Linken; recht eigentlich eine Komfortversion davon, denn sie fand coram publico statt. Dann kam das Jahr '68 und die Abrechnung mit der Generation der Väter. "Wo warst Du eigentlich damals?" hieß es in vielen Wohn zimmern, und in noch mehr anderen blieb es ungesagt in der Luft hängen, was die Sache nur schlimmer machte.
Das war wohlbemerkt nicht bloß ein - wiewohl allgemeines - Familienproblem. Die (wenigen) Kinder aus den Familien der Opfer hatten es nicht besser: Wohin wir blickten, zum Nachbarn, zum Straßenbahnschaffner, auf unsre Lehrer oder auch die nette Verkäuferin im Spielzeugladen - wir waren von Erwachsenen umgeben, die alle in unfaßlicher Weise Schuld hatten. Und das Schlimmste: die meisten nicht einmal aus Verblendung, sondern aus gewöhnlicher Feigheit. Also die sollten uns zeigen, wie es in der Welt ist? So war die Grundstimmung einer ganzen Generation, und im Jahr '68 kochte sie über. Nicht in Frankreich oder USA, sondern in Deutschland fand in jenem Jahr eine Kulturrevolution statt.
Freilich auch nur im Westen. Die eigentliche Teilung Deutschlands geschah 1968. Die DDR nahm sich aus dem nationalen Erbe, was ihr paßte. Sie hatten Weimar; sollten sich die andern mit Auschwitz plagen! Ein alter Nazi mit neuem Parteibuch war nie ein Nazi gewesen. Es gab nichts zu bewältigen. So brauchte denn die NVA auf Stech-schritt und Präsentiermarsch nicht zu verzichten. Und der bequemere Teil der Linken im Westen mußte nicht lange heimatlos bleiben. Sie waren gleich zweimal zuhause. Den Kühlschrank im Westen und das beruhigte Gewissen drüben im Friedenslager: damit "von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgeht". Nur in dieser Verneinung durfte Deutschland noch vorkommen. Im übrigen aber waren "die Nation historisch überlebt" und die Deutschen nur noch Bevölkerung... Und gegen die Zweifler in jenem Landesteil, wo Zeitungen schreiben konnten, was sie dachten, schwangen die Gerechten ihre Moralkeule: Auschwitz als Erpressung. ...
aus: Deutsche Frage und abendländische Leitkultur, Januar 1999
Sonntag, 11. Oktober 2015
Stephen Hawking über Künstliche Intelligenz.
Am 9. 10. d. J. berichtete die FAZ über ein online-Interview mit Stephen Hawking auf Reddit.
Hawking skizziert zwei mögliche Szenarien: „Wenn Maschinen all das herstellen, was wir brauchen, wird das Ergebnis davon abhängen, wie diese Dinge verteilt sind“, schreibt er als Antwort auf eine Frage eines Nutzers nach technologisch bedingter Arbeitslosigkeit. „Jeder kann ein Leben voll luxuriösen Müßiggangs führen, wenn der von den Maschinen produzierte Wohlstand geteilt wird, oder aber die meisten Menschen könnten erbärmlich arm werden, wenn die Besitzer der Maschinen erfolgreich gegen eine Verteilung des Wohlstands vorgehen“, so der Physiker.
...[Er] zeigt sich eher pessimistisch und rechnet dem zweiten Szenario, der zunehmenden Ungleichverteilung von Mitteln, die besseren Chancen zu.
Samstag, 10. Oktober 2015
Das Dunkel Deutsche Reservat.
Gottlob sind nicht alle von ddrüben so. Es gibt auch anständige Ostler. Einige meiner besten Freunde waren von dort.
Allerdings sind sie heut nicht mehr meine Freunde.
Freitag, 9. Oktober 2015
Ad Winkler: Wer ist hier konservativ?
Der Historiker Heinrich August Winkler übernimmt derzeit für die FAZ das Geschäft, ihrem Publikum zu erklären, was ein moderner Konservatismus ist. Das ist nicht so erfrischend, wie man es sich wünschen würde.
Historiker bin ich auch, wenigstens vom Studium her. Konservativ bin ich auch, nämlich vom Temperament. Aber ich bin nicht kleinkariert. Und darum habe ich, als es vernünftige Gründe dafür gab, gemeint, wir lebten in der Epoche der Weltrevolution. Die Epoche hat sich 1990 geändert, die vernünftigen Gründe sind entfallen. Jetzt bin ich unbeeinträchtigt konservativ, Historiker bin ich auch noch, und kleinkariert bin ich im Alter schon gar nicht mehr. Ich sage nicht, was gestern richtig war, kann heute nicht falsch sein; ich sage nicht, wenn es heute falsch ist, war es schon damals nicht richtig; ich sage, was damals richtig war, war damals nicht falsch, aber heute ist es das.
Der sachliche Irrtum betraf die Gegebenheit der Bedingungen, das, was richtig ist, zu tun. Er betraf nicht die Frage, was zu tun richtig wäre, denn das hat sich nicht geändert.
Konservativ hieß zu Zeiten Bismarcks, von den Vorrechten der verlumpten ostelbischen Junker retten, was zu retten war. Heute – ach, eigentlich schon damals nannte man das reaktionär.
Was konservativ bedeutet – das ist allerdings eine Frage für Historiker. Was immer dieser oder jener als den Sinn unserer Geschichte erkennen will, ist strittig und soll es, wenn irgend möglich, immer bleiben. Mit andern Worten, es ist problematisch. Aber die Geschichte selbst ist – auch – positiv. Sie hat über die Jahrtausende einen Haufen Reich-tümer angesammelt, über die wir, ob wir wollen oder nicht, verfügen – nämlich selbst, indem wir diesen oder jenen verwerfen. Konservativ ist nun einer, der das, was er nach kritischer Sichtung nicht aus wichtigem Grund aussortie-ren muss, nicht auf sich beruhen lässt, sondern als sein Erbe und seine Vorgabe annimmt.
Dass die Mühen und Anschaffungen unsere Vorgänger nichts wert gewesen sein könnten, kann nur glauben, wer wähnt, die Geschichte habe gerade auf ihn gewartet, damit er's mit ihr ganz von vorn anfange. Reformer, Weltver-besserer und Fortschrittler aller Couleur sind von dieser frivolen Hybris getrieben. Zum echten Revolutionär kann dagegen auch ein Konservativer werden; wenn er nämlich bemerkt, dass die Geschichte, wenn sie weiter blind verläuft, von den Reichtümern, für deren Anschatzung unsere Vorfahren geschwitzt und geblutet haben, das Beste dem Bedünken zufälliger Tagesgrößen preisgeben wird. Denn dann muss das Steuer energisch herumgerissen werden – und zur Not das Unterste zu oberst gekehrt.
Keinesfalls konservativ ist einer, der vom Temperament her nur immer auf der Bremse steht. Der ist bloß klein-kariert und hätte zu Bismarcks Zeiten die Vorrechte der verlumpten ostelbischen Junker verteidigt; siehe oben.
Donnerstag, 8. Oktober 2015
National.
dieter klössing
Heute lebt die dritte Generation von Deutschen, die das Wort 'national' aus schlechtem und allzu gewichtigen Grund nicht mehr aussprechen durften.
Dies ist ein Epochenwechsel: Wir stehen jetzt vor einer nationalen Aufgabe, vor der wir uns nicht drücken können. Wer in Europa müsste sich noch aufgefordert fühlen, wenn wir kneifen wollten?
Die Frage, ob wir das schaffen, stellt sich doch gar nicht. Es bleibt uns ja nichts anderes übrig. Wenn wir uns in der Sache nicht bewähren, steht es uns gar nicht zu, in Europa oder sonstwo eine führende Rolle zu spielen.
Die Bremser und Bedenkenträger, so laut sie unken, sind antinationale Blindschleichen. Sie wollen Deutschland kleinhalten.
Mittwoch, 7. Oktober 2015
Wessen Boot ist voll?
Unter der Überschrift Deutschlands moralische Selbstüberschätzung brachte die FAZ unlängst einen Beitrag des Histo-rikers Heinrich August Winkler zum Flüchtlingsthema.
Er ist für einen Historiker ungewöhnlich kleingeistig. Ein Journalist, der gelesen, ein Politiker, der gewählt werden will, kann und muss es sich wohl erlauben, das Ding zum Gegenstand deutscher Nabelschau zu machen. Da sagen die einen: Was wird das Ausland denken! Und andre sagen, wir müssen aufhören, immer daran zu denken, was das Ausland denkt.
Das ist doch nicht der Horizont des Historikers. Der Historiker muss die Anzeichen bemerkt haben, dass uns eine neue Epoche von Völkerwanderungen bevorsteht, und dann stellt sich das Problem ganz anders. Es ist keine Frage mehr, was wir Deutschen anders oder nicht anders machen sollen als die andern (Europäer), sondern die Frage ist, was Europa nicht anders zu tun übrigbleiben wird. Er könnte – das ist ja die erste und die ernsteste der Fragen – erörtern, ob die Zeichen vielleicht fehlgedeutet werden.
Aber damit sollte er warten, bis die Fachleute sich festzulegen wagen; denn es wäre nicht mehr eine Sache von Gutmenschen, politisch Korrekten und Bigotten, und es wäre nicht mehr die Zeit, zu unterscheiden zwischen willkommenen Kriegs- und Tyranneiflüchtlingen und unwillkommenen Elendsflüchtlingen. Sondern man müsste erwägen, was Europa tun muss, um sich zu wappnen. Und wer ist am ehesten gefordert und auch am ehesten berechtigt, auf diese Erwägung zu drängen, als der, der nach menschlichem Ermessen selbst den größten Beitrag wird leisten müssen, weil er es kann?
Dann werden alle, die meinen, Europa müsse die Schotten dicht machen und alle Fremden, Gerechte wie Unge-rechte, ins Meer zurücktreiben, genau das sagen müssen, und nicht irgendeinen Brei. Dem wird die FAZ ihre Spal-ten dann aber hoffentlich nicht öffnen. Nicht weil es unkorrekt wäre, sondern schlichter unrealistischer Schwach-sinn ist: Das geht nicht. Wenn Europa das versuchte: Daran würde es zerbrechen. Zu Recht übrigens.
Dienstag, 6. Oktober 2015
Die ursprüngliche Landnahme.
Wenn es nach mir ginge, würde der Ausdruck Neolithische Revolution künftig ersetzt durch Die ursprüngliche Land-nahme. – Das ist zunächst eine Analogie zur Ursprünglichen Akkumulation des Kapitals, die ja nur eine sogenannte war, gewiss. Aber in der Wortspielerei steckt mehr.
Die neolithische Revolution – gab es in der Jungsteinzeit nicht mancherlei Revolutionen? Aber hier geht es um die – bezeichnet, je wo man die Betonung legt, die Sesshaftwerdung unserer Vorfahren oder den Übergang zum Ackerbau; was faktisch dasselbe ist, aber, je nach Formulierung, nicht dasselbe bedeutet. Und so muss man immer sagen: und.
Landnahme stammt seinerseits aus der Geschichte der Feudalität. Sie bezeichnet einerseits die Oberhoheit der Feuda-len über den Ackerboden, die Grundherrschaft, und andererseits die – erst dadurch möglich gewordene – Urbarma-chung des wilden wüsten Europas jenseits des untergegangenen Römischen Reichs.
Die ursprüngliche Landnahme ist der Akt der Sesshaftwerdung selbst, gewiss. Aber wozu wird einer sesshaft? – Anders-rum: Keiner sät im Frühjahr, wenn er weiß, dass er im Herbst nicht mehr da sein wird, um zu ernten. Der Zweck der Sesshaftwerdung ist nicht die Sesshaftigkeit, sondern der Ackerbau. Der Boden wird angeeignet als Arbeitsmittel.
Aha: Da haben wir im Begriff der Landnahme schon sowohl das Eigentum als das Arbeitsmittel. Und historisch, wenn auch nicht nach dem Begriff, sind sie ersteinmal dasselbe. Und seit diesem Gründungsakt ist die Triebkraft der Geschichte (Genauer gesagt, gibt erst seither Geschichte) die Frage: Wem gehört der Boden? Und dies im selben Maß im Innern der urwüchsigen Gemeinschaften wie nach außen. Weder Krieg noch Klassenkampf hat es vorher geben können.
Seit das Leben der Gattung Homo sapiens auf der Arbeit beruht, haben Armut und Reichtum aufgehört, vom bloßen Zufall abzuhängen. Den Unterschied machte aus: das Arbeitsmittel. Der Streit, wem wieviel von den Arbeitsmitteln gehört, wird zur Triebkraft der Geschichte nicht nur zwischen, sondern innerhalb der Völker.
In allen Gesellschaften vor der bürgerlichen war das ausschlaggebende Arbeitsmittel der Grund und Boden.* In der bürgerlichen Gesellschaft löst es sich davon ab: Das Arbeitsmittel verselbständigt sich. Der springende Punkt: Es verselbständigt sich auch gegenüber dem Arbeiter. Erst in Form der industriellen Maschine kann das Arbeitsvermögen von seinen sachlichen Bedingungen getrennt werden. Erst als industrielles Kapital wird das Arbeitsmittel wirklich (nur) Mittel.
Weil die neolithische Revolution die Bedingung und der Prototyp der (sogenannten) Ursprünglichen Akkumulation des Kapitals war, ist es sinnvoll, sie die Ursprüngliche Landnahme zu nennen.
*) Noch Dr. Quesnay hielt nur den Boden selber für fruchtbar; nicht die Arbeit.
Montag, 5. Oktober 2015
Ist der Islam das Werk Mohammeds?
aus Die Welt, 28.09.15
"Mohammed kannte als Kind keine Liebe"
In seinem neuen Buch beschreibt der Deutsch-Ägypter Hamed Abdel-Samad den Propheten als paranoid und mörderisch. Der Islamische Staat sei das legitime Kind des Religionsstifters
Die Welt: Sie sagen, Sie würden den islamischen Propheten Mohammed gern endgültig begraben. Was meinen Sie damit?
Hamed Abdel-Samad: Mohammed starb zwar vor 1400 Jahren, aber wirklich begraben wurde er nie. Er gehört nach wie vor zu den mächtigsten Menschen im 21. Jahrhundert. Er herrscht noch immer und ist Vorbild für 1,4 Milliarden Muslime, friedliche wie gewaltbereite. Alle beziehen ihre Legitimation aus seinen Texten und überlieferten Taten. Seine Regeln werden sogar von Nichtmuslimen befolgt: Er darf nicht kritisiert oder gezeichnet werden. Und wir machen mit. Ich sehe das nicht ein. Mohammed und das, was er getan hat, wurde nie kritisch untersucht. Niemand traut sich, ihn als Menschen in seiner Zeit zu betrachten mit all seinen Schwächen, Krankheiten, Zweifeln und Selbstzweifeln. Es wird Zeit, mit ihm abzurechnen und ihn in seiner Zeit zu begraben. Er hat diese Verehrung nicht verdient, und er hat auch diese Macht im 21. Jahrhundert nicht verdient.
Sie gehen hart mit dem Propheten ins Gericht, nennen ihn einen "krankhaften Tyrannen", einen "Narzissten", "Paranoiker" und sogar "Massenmörder". Das wird vielen auch moderaten Muslimen nicht gefallen ...
Ich gehe von einer multiplen Krankheit aus, die aus seiner persönlichen Geschichte resultiert und die die Muslime absorbiert haben. Narzissmus und Paranoia haben ihren Ursprung sehr oft in Minderwertigkeitsgefühlen, Zurückweisungen, Ablehnung. Mohammed ist als Kind oft zurückgewiesen worden. Den Vater kannte er nicht, die Mutter gab ihn weg und starb, als er sechs Jahre alt war. Er hatte keine Leitbilder, kannte keine Liebe, keine Zärtlichkeit, keine Anerkennung. So bildete sich eine Persönlichkeit, die unter Kontrollzwang, Verlustängsten und Paranoia litt. Das erklärt auch, dass Mohammed so viele Frauen geheiratet und sie wie Puppen gesammelt hat. Sein Geltungsbedürfnis war auch ursächlich dafür, eine göttliche Offenbarung zu empfangen. Er hat bestimmt nicht gelogen oder abgeschrieben. Er hatte wirklich eine Eingebung, die er aber nur hat empfangen können, weil er in einer so labilen Verfassung war. Er hat aus der Not eine Tugend gemacht.
Aber danach war sein Erfolg, das Offenbarte unter die Leute zu bringen, zunächst bescheiden.
Genau, er war am Anfang nicht erfolgreich, obwohl die ersten Koranpassagen sanft und friedvoll gewesen sind. Zusammenleben, Toleranz, Rücksichtnahme – niemand war davon beeindruckt. Dann änderte er seine Strategie – und auch die Sprache ändert sich. Mohammed schließt Kriegsbündnisse, im Schatten des Schwertes kam der Erfolg. Erst als Kriegsbeute in Aussicht stand, wurde der Islam auch zu einem ökonomischen Projekt, das immer mehr Anhänger fand. Viele Kriegsfürsten, die Mohammed früher bekämpft hatten, hielten nun zu ihm, weil sie auf das siegreiche Pferd setzen wollten.
Das ist Ihr persönliches Bild des Propheten. Sie nutzen und interpretieren aber die gleichen Quellen, die Sie eigentlich kritisieren. Wie passt das zusammen?
Alles ist in den Quellen enthalten, einiges wurde vertuscht, anderes mystifiziert, wieder anderes hinzugefügt. Ich versuche nur, die Spreu vom Weizen zu trennen. Es gibt Geschichten, die man nicht erfinden kann oder deren Erfindung keinen Sinn macht. Daraus leite ich ab, was Mohammed beschäftigt, besorgt, geängstigt haben mag. Es entsteht also ein sehr menschliches Bild des Propheten.
Viele werden Sie der Blasphemie zeihen ...
Das ist in Ordnung. Die Fundamentalisten und Konservativen rufen das. Aber ich nenne es Vernunft. Historisch-kritische Lesart. Andere trauen sich nicht, sie rechtfertigen lieber und reden schön. Sie sagen: "Ja, Mohammed hat vielleicht 900 Juden an einem Tag getötet. Damals war das ganz normal." Wirklich? Welcher Stamm hat damals 900 Menschen an einem Tag getötet? Keiner, denn es war gängige Praxis, Gefangene gegen Lösegeld freizulassen. Hat Mohammed etwa seine Töchter verheiratet, als sie sechs Jahre alt waren? Kaum. Ich glaube vieles nicht. Ich versuche, aus vielen Puzzleteilen ein Gesamtbild zu erstellen.
Im Moment ist es aber doch so, dass jeder sich seinen eigenen Reim auf den Propheten macht, sich herauszieht, was für ihn nützlich ist. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) habe nichts mit dem wahren Islam zu tun, hört man immer wieder. Aber stimmt das denn?
Diese Behauptung ist nicht nur irreführend, sondern gefährlich. Das würde ja bedeuten, dass wir den Islam so lassen können, wie er ist. Der IS macht nichts, was Mohammed in seiner Zeit nicht auch getan hat. Er zieht aus den historischen Texten für jede seiner Taten eine religiöse Legitimation. Ob Enthauptungen, Versklavung, Vergewaltigung, Ehe mit Minderjährigen, die Vertreibung von Juden und Christen – für alles lassen sich entweder im Koran oder in den Hadithen (Überlieferungen der Taten und Aussagen Mohammeds) Belege finden.
Aber wie steht es mit Massenmord an Glaubensbrüdern? Wo findet sich das in den tradierten Texten?
Nirgends, aber der IS betrachtet seine muslimischen Opfer nicht als Glaubensbrüder, sondern als Apostaten, die vom wahren Glauben abgefallen sind.
Dann lässt sich alles in den Propheten hineininterpretieren und alles rechtfertigen.
Ich könnte sagen, dass die Terroristen vom IS Mohammed missverstanden haben und fehlinterpretieren, wenn aus den authentischen Quellen und Texten herauszulesen wäre, dass Mohammed ein Mönch gewesen ist, der unter einer Palme seine Botschaft verkündet hat, dann friedlich gestorben ist, und die Menschen nach seinem Tode eine Religion begründet haben, die dann missbraucht wurde. So war es aber nicht. Mohammed war Kriegsherr, er hat das Gleiche getan, was die IS-Terroristen heute tun. Es ist die Geisteshaltung Mohammeds, der den Menschen misstraute, die sich bis heute erhalten hat. Die Geisteshaltung eines größenwahnsinnigen Narzissten, der einen inneren Kreis von Gefolgsleuten definiert und alle, die außerhalb dieses Kreises stehen, als Feinde betrachtet, die ausgelöscht gehören. Der IS ist das legitime Kind von Mohammed, in Wort und Tat. Niemand versteht Mohammed so gut wie der IS. Genau wie die Religionspolizei in Saudi-Arabien, die Fanatiker in Indonesien, Boko Haram in Nigeria, al-Schabab in Somalia und die Hamas im Gazastreifen. Sie stammen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten, berufen sich aber alle auf die gleichen multiplen Krankheiten des Propheten und damit auch seiner Religion.
Sie wollen die Menschen aus der Reserve locken, das ist Ihnen ja mit Ihren bisherigen Büchern auch schon gelungen. Diesmal aber gehen Sie den Propheten direkt an. Haben Sie nicht die Befürchtung, alle zu verprellen, also auch jene aufgeklärten Muslime, die vielleicht empfänglich für Ihren Denkansatz wären?
Ich mache ganz andere Erfahrungen. Die wesentlichen Thesen des Buches habe ich in mehreren Internetvorlesungen auf Video aufgenommen und bei YouTube eingestellt. Allein in den vergangenen drei Monaten haben 1,1 Millionen Menschen in der arabischen Welt das angesehen. Beschimpfungen und Bedrohungen bin ich gewohnt. Aber ich war überrascht, wie viel Zuspruch ich bekam. Es gibt einen Diskurs, und das ist ein Zeichen dafür, dass die Muslime in der arabischen Welt bereit sind für eine offene Auseinandersetzung über ihre Religion und ihren Propheten. In der Diaspora, die sich den Luxus gönnt, ein romantisiertes Bild vom Islam aufrechtzuerhalten, ist der Diskussionsbedarf nicht groß. Im Westen ist man immer noch der Meinung, eine schützende Hand über die Muslime halten zu müssen.
Sie wollen also eine Erweckung, eine Reformation, die mit einem Tabubruch einhergeht?
Es gibt das Phänomen der Aufklärung durch Verstörung. Ich möchte, dass die Islam- und Mohammed-Kritik zu einer Normalität wird. Niemals würde man einem Christen solche Fragen stellen, der ein Buch "Jesus – eine Abrechnung" vorlegt. Niemand käme auf die Idee, den Autor zu fragen, ob er nicht fürchte, zwei Milliarden Christen vor den Kopf zu stoßen. Die Tatsache, dass mir diese Fragen gestellt werden, ist die beste Legitimation für das Buch. Ich will erreichen, dass kein Autor oder Zeichner um sein Leben fürchten muss, nur weil er eine Figur kritisiert, die vor 1400 Jahren gestorben ist.
Sind die Christen gegenüber den Muslimen im Vorteil?
Ja, weil Jesus dazu einlädt, Gutes zu tun, und man mit Fug und Recht behaupten kann, dass die Kreuzritter die Lehre Jesu missbraucht haben, weil Jesus niemals einen Feldzug geführt und niemals irgendjemanden enthauptet hat. Drei Kernaussagen des Christentums sind: 1. "Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat." 2. "Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein." 3. "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" Daraus kann man ohne Probleme eine humanistische Lehre entwickeln. Die religiösen Regeln wurden von Menschen geschrieben, sie haben nicht diese Immunität wie im Islam.
Kann der Reformprozess damit beginnen, dass die Muslime über sich selbst lachen können müssen?
Ja, aber das geht nur, indem man die Menschen herausfordert. Im Moment bestimmen die Fundamentalisten die Regeln. Sie sagen, man darf über Mohammed so nicht schreiben. Und wir nehmen das an. Ich bin ein freier Mensch, und ich habe dafür teuer bezahlt. Ich nehme die Freiheit ernst. Und ich bin darin kompromisslos. Viele hassen mich dafür. Aber es gibt auch viele, denen ich eine Stimme gebe. Ich suche nicht nach Verbündeten, ich war immer allein. Und ich rege mich auch nicht auf über die Fundamentalisten, die mich töten wollen. Ich rege mich über die vermeintlich liberalen Muslime und Deutschen auf, die mir sagen, du gehst zu weit. Ich lebe unter Polizeischutz und fürchte um mein Leben – aber ich gehe zu weit? Haben wir uns so weit umdrehen lassen von der Logik der Fundamentalisten?
Oder ist es Angst vor der Gewalt der Islamisten, vorauseilender Gehorsam angesichts auch einer neuen Masseneinwanderung nach Deutschland?
Vielleicht, aber es ist falsch. Deutschland läuft Gefahr, den Fehler zu wiederholen, den es mit den Gastarbeitern und deren Kindern gemacht hat. Damals scheute man sich, aus kultureller Sensibilität einzugreifen, wollte die Einwanderer nicht bevormunden. Aber heute muss man doch die Frage stellen: Wovor fliehen die Menschen? Sie fliehen doch genau vor dieser islamischen Geisteshaltung, vor dem Hass auf Andersdenkende und "Ungläubige", vor einer Ideologie, die sich über Jahrhunderte verfestigt hat. Und dann kommen sie hierher, und wir sind nicht in der Lage, ihnen zu sagen, dass sie das, wovor sie geflohen sind, hier nicht wiederbeleben können? Es hat doch einen Grund, dass die Menschen nach Deutschland, ins Land der "Ungläubigen" flohen und nicht nach Mekka ins Herz des Islam. Der Grund ist, dass Deutschland eine freie und offene Gesellschaft hat, in der die Menschen frei forschen und denken können. Deswegen lebt Deutschland heute in Sicherheit und Wohlstand.
Was macht die Politik falsch?
Sie hofft auf Schützenhilfe der Islamverbände, die mit staatlichen Geldern islamische Kindergärten, Schulen und Moscheen bauen und die Flüchtlingskinder indoktrinieren wollen. Irgendwann werden die heranwachsenden Muslime dann das Gefühl haben, dass sie ihren Glauben in dieser Gesellschaft nicht ausleben können, im Land der Sünde, wo die Menschen Alkohol trinken. Dann sind sie verloren an die Ideologen des IS.
Sie fordern von den Immigranten eine bedingungslose Annahme unseres Lebensentwurfes?
Ja. Die Flüchtlinge brauchen Unterstützung, aber auch von Anfang an klare Regeln. Die deutsche Gesellschaft ist eine "Mitmachgesellschaft". Lieber Flüchtling, lieber Immigrant: Mach mit, oder du wird es schwer haben. Schau, dass deine Kinder Deutsch lernen. Und wenn du nicht schwimmen lernen willst, lass wenigstens deine Tochter zum Schwimm- und Sportunterricht gehen, weil dieses Land sich verpflichtet hat, deinem Kind zu seiner persönlichen Entfaltung zu verhelfen. Wenn du der Meinung bist, dass du das alles nicht willst, dann geht dein nächster Zug zurück nach Ungarn. So einfach ist das. Wenn sie das nicht jetzt begreifen, dann vielleicht nie. Die Botschaft muss sein: Dieses Land ist gut, weil es frei ist, seine Bürger sich entfalten können und Glauben Privatsache ist. Das macht dieses Land lebens- und liebenswert. Und davon profitierst du jetzt! Also hör auf zu meckern und pass dich an!
Wie sieht Ihre Lösung für den Islam aus?
Es bedarf der Ehrlichkeit. Das setzt voraus, Mohammed seines Heiligenscheins zu berauben. Die göttliche Botschaft – das ist seine Immunität, das ist der Trick. Ich glaube nicht, dass der Islam sich reformieren kann. Die Muslime können aber ihr Denken, ihre Geisteshaltung reformieren und ihr Verhältnis zur Religion modernisieren, indem sie sich zu der Überzeugung durchringen, dass der Glaube Privatsache ist. Es ist erforderlich, mit der Entmystifizierung Mohammeds und der von ihm gestifteten Religion zu beginnen. Von Teilen des authentischen Islams muss man sich verabschieden, von den Zwängen, von den Gewaltlegitimationen. Die Araber immer als Opfer des Westens zu bezeichnen ist kontraproduktiv. Damit wird die Opferhaltung zementiert. Das ist fast rassistisch. Jemand muss das Eis brechen. Ich will so ein Eisbrecher sein.
Nota. - Für die Christen ist Jesus der menschgewordene Gott. Das ist gar nicht zu überbieten. Aber von ihm wissen sie nur, was die Evangelisten über ihn berichten, und die kannten ihn gar nicht. Sie schrieben Jahrhun-derte nach seinem Tod. Die Heilige Schrift der Christen ist Menschenwerk.
Mohammed ist im Islam nicht einmal ein Heiliger. Er ist lediglich ein Prophet – der letzte, endgültige zwar, aber Gegenstand persönlicher Verehrung darf er, ein Sterblicher wie alle, nicht sein. Er hat aber ein dickes Buch hinterlassen. Das stammt jedoch nicht von ihm, sondern von Gott selbst. Der Koran ist Gottes eigenes Wort, er hat die Worte dem Propheten durch den Erzengel Gabriel Stück für Stück auf die Zunge legen lassen. Man kann sie interpretieren nach ihrem semantischen Gehalt: Wie hat Gott dies, wie hat er jenes gemeint? Doch interpre-tieren in dem Sinne, dass man sie in ihren historischen Kontext stellt und ihre Geltung von den Umständen abhängig macht, wäre nur machbar, wenn sie von einem Menschen stammten. Wenn aber der allwissende Gott unter diesen Umständen dieses, unter anderen jenes für wahr hielte, wäre er nicht Gott, und die Vorstellung allein ist lästerlich.
Dass es unter diesen Umständen im Islam eine Schriftexegese gibt, gegen die sich die christliche Hermeneutik betulich wie eine Kinderfibel ausnimmt, liegt nahe, doch niemand ist gehalten, sie zur Kenntnis zu nehmen. Vielleicht sind die fundamentalistischen Theologen grob und ungebildet. Aber an der entscheidenden Stelle dürften ihnen die Gebildeten nicht widersprechen können: Ist der Koran Gottes eigenes Wort, oder ist er das Werk Mohammeds – das ist die alles entscheidende Frage.
Und wenn er das Werk Mohammeds ist - was bleibt dann vom Islam?
Hamed Abdel-Samad ist in den Zeitungen vorgeworfen worden, er schütte das Kind mit dem Bade aus, er schade mit seinen Übertreibungen, ach herrje, seinem eigentlichen Anliegen, und so weiter. Das mag sein, er ist ein Abtrünniger, ein ehemaliger Theologe, diese Leute neigen zu Exzessen. Doch im Hauptpunkt hat er, fürchte ich, Recht: Der Islam ist nicht refomierbar.
JE
"Mohammed kannte als Kind keine Liebe"
In seinem neuen Buch beschreibt der Deutsch-Ägypter Hamed Abdel-Samad den Propheten als paranoid und mörderisch. Der Islamische Staat sei das legitime Kind des Religionsstifters
Die Welt: Sie sagen, Sie würden den islamischen Propheten Mohammed gern endgültig begraben. Was meinen Sie damit?
Hamed Abdel-Samad: Mohammed starb zwar vor 1400 Jahren, aber wirklich begraben wurde er nie. Er gehört nach wie vor zu den mächtigsten Menschen im 21. Jahrhundert. Er herrscht noch immer und ist Vorbild für 1,4 Milliarden Muslime, friedliche wie gewaltbereite. Alle beziehen ihre Legitimation aus seinen Texten und überlieferten Taten. Seine Regeln werden sogar von Nichtmuslimen befolgt: Er darf nicht kritisiert oder gezeichnet werden. Und wir machen mit. Ich sehe das nicht ein. Mohammed und das, was er getan hat, wurde nie kritisch untersucht. Niemand traut sich, ihn als Menschen in seiner Zeit zu betrachten mit all seinen Schwächen, Krankheiten, Zweifeln und Selbstzweifeln. Es wird Zeit, mit ihm abzurechnen und ihn in seiner Zeit zu begraben. Er hat diese Verehrung nicht verdient, und er hat auch diese Macht im 21. Jahrhundert nicht verdient.
Sie gehen hart mit dem Propheten ins Gericht, nennen ihn einen "krankhaften Tyrannen", einen "Narzissten", "Paranoiker" und sogar "Massenmörder". Das wird vielen auch moderaten Muslimen nicht gefallen ...
Ich gehe von einer multiplen Krankheit aus, die aus seiner persönlichen Geschichte resultiert und die die Muslime absorbiert haben. Narzissmus und Paranoia haben ihren Ursprung sehr oft in Minderwertigkeitsgefühlen, Zurückweisungen, Ablehnung. Mohammed ist als Kind oft zurückgewiesen worden. Den Vater kannte er nicht, die Mutter gab ihn weg und starb, als er sechs Jahre alt war. Er hatte keine Leitbilder, kannte keine Liebe, keine Zärtlichkeit, keine Anerkennung. So bildete sich eine Persönlichkeit, die unter Kontrollzwang, Verlustängsten und Paranoia litt. Das erklärt auch, dass Mohammed so viele Frauen geheiratet und sie wie Puppen gesammelt hat. Sein Geltungsbedürfnis war auch ursächlich dafür, eine göttliche Offenbarung zu empfangen. Er hat bestimmt nicht gelogen oder abgeschrieben. Er hatte wirklich eine Eingebung, die er aber nur hat empfangen können, weil er in einer so labilen Verfassung war. Er hat aus der Not eine Tugend gemacht.
Aber danach war sein Erfolg, das Offenbarte unter die Leute zu bringen, zunächst bescheiden.
Genau, er war am Anfang nicht erfolgreich, obwohl die ersten Koranpassagen sanft und friedvoll gewesen sind. Zusammenleben, Toleranz, Rücksichtnahme – niemand war davon beeindruckt. Dann änderte er seine Strategie – und auch die Sprache ändert sich. Mohammed schließt Kriegsbündnisse, im Schatten des Schwertes kam der Erfolg. Erst als Kriegsbeute in Aussicht stand, wurde der Islam auch zu einem ökonomischen Projekt, das immer mehr Anhänger fand. Viele Kriegsfürsten, die Mohammed früher bekämpft hatten, hielten nun zu ihm, weil sie auf das siegreiche Pferd setzen wollten.
Das ist Ihr persönliches Bild des Propheten. Sie nutzen und interpretieren aber die gleichen Quellen, die Sie eigentlich kritisieren. Wie passt das zusammen?
Alles ist in den Quellen enthalten, einiges wurde vertuscht, anderes mystifiziert, wieder anderes hinzugefügt. Ich versuche nur, die Spreu vom Weizen zu trennen. Es gibt Geschichten, die man nicht erfinden kann oder deren Erfindung keinen Sinn macht. Daraus leite ich ab, was Mohammed beschäftigt, besorgt, geängstigt haben mag. Es entsteht also ein sehr menschliches Bild des Propheten.
Viele werden Sie der Blasphemie zeihen ...
Das ist in Ordnung. Die Fundamentalisten und Konservativen rufen das. Aber ich nenne es Vernunft. Historisch-kritische Lesart. Andere trauen sich nicht, sie rechtfertigen lieber und reden schön. Sie sagen: "Ja, Mohammed hat vielleicht 900 Juden an einem Tag getötet. Damals war das ganz normal." Wirklich? Welcher Stamm hat damals 900 Menschen an einem Tag getötet? Keiner, denn es war gängige Praxis, Gefangene gegen Lösegeld freizulassen. Hat Mohammed etwa seine Töchter verheiratet, als sie sechs Jahre alt waren? Kaum. Ich glaube vieles nicht. Ich versuche, aus vielen Puzzleteilen ein Gesamtbild zu erstellen.
Im Moment ist es aber doch so, dass jeder sich seinen eigenen Reim auf den Propheten macht, sich herauszieht, was für ihn nützlich ist. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) habe nichts mit dem wahren Islam zu tun, hört man immer wieder. Aber stimmt das denn?
Diese Behauptung ist nicht nur irreführend, sondern gefährlich. Das würde ja bedeuten, dass wir den Islam so lassen können, wie er ist. Der IS macht nichts, was Mohammed in seiner Zeit nicht auch getan hat. Er zieht aus den historischen Texten für jede seiner Taten eine religiöse Legitimation. Ob Enthauptungen, Versklavung, Vergewaltigung, Ehe mit Minderjährigen, die Vertreibung von Juden und Christen – für alles lassen sich entweder im Koran oder in den Hadithen (Überlieferungen der Taten und Aussagen Mohammeds) Belege finden.
Aber wie steht es mit Massenmord an Glaubensbrüdern? Wo findet sich das in den tradierten Texten?
Nirgends, aber der IS betrachtet seine muslimischen Opfer nicht als Glaubensbrüder, sondern als Apostaten, die vom wahren Glauben abgefallen sind.
Dann lässt sich alles in den Propheten hineininterpretieren und alles rechtfertigen.
Ich könnte sagen, dass die Terroristen vom IS Mohammed missverstanden haben und fehlinterpretieren, wenn aus den authentischen Quellen und Texten herauszulesen wäre, dass Mohammed ein Mönch gewesen ist, der unter einer Palme seine Botschaft verkündet hat, dann friedlich gestorben ist, und die Menschen nach seinem Tode eine Religion begründet haben, die dann missbraucht wurde. So war es aber nicht. Mohammed war Kriegsherr, er hat das Gleiche getan, was die IS-Terroristen heute tun. Es ist die Geisteshaltung Mohammeds, der den Menschen misstraute, die sich bis heute erhalten hat. Die Geisteshaltung eines größenwahnsinnigen Narzissten, der einen inneren Kreis von Gefolgsleuten definiert und alle, die außerhalb dieses Kreises stehen, als Feinde betrachtet, die ausgelöscht gehören. Der IS ist das legitime Kind von Mohammed, in Wort und Tat. Niemand versteht Mohammed so gut wie der IS. Genau wie die Religionspolizei in Saudi-Arabien, die Fanatiker in Indonesien, Boko Haram in Nigeria, al-Schabab in Somalia und die Hamas im Gazastreifen. Sie stammen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten, berufen sich aber alle auf die gleichen multiplen Krankheiten des Propheten und damit auch seiner Religion.
Sie wollen die Menschen aus der Reserve locken, das ist Ihnen ja mit Ihren bisherigen Büchern auch schon gelungen. Diesmal aber gehen Sie den Propheten direkt an. Haben Sie nicht die Befürchtung, alle zu verprellen, also auch jene aufgeklärten Muslime, die vielleicht empfänglich für Ihren Denkansatz wären?
Ich mache ganz andere Erfahrungen. Die wesentlichen Thesen des Buches habe ich in mehreren Internetvorlesungen auf Video aufgenommen und bei YouTube eingestellt. Allein in den vergangenen drei Monaten haben 1,1 Millionen Menschen in der arabischen Welt das angesehen. Beschimpfungen und Bedrohungen bin ich gewohnt. Aber ich war überrascht, wie viel Zuspruch ich bekam. Es gibt einen Diskurs, und das ist ein Zeichen dafür, dass die Muslime in der arabischen Welt bereit sind für eine offene Auseinandersetzung über ihre Religion und ihren Propheten. In der Diaspora, die sich den Luxus gönnt, ein romantisiertes Bild vom Islam aufrechtzuerhalten, ist der Diskussionsbedarf nicht groß. Im Westen ist man immer noch der Meinung, eine schützende Hand über die Muslime halten zu müssen.
Sie wollen also eine Erweckung, eine Reformation, die mit einem Tabubruch einhergeht?
Es gibt das Phänomen der Aufklärung durch Verstörung. Ich möchte, dass die Islam- und Mohammed-Kritik zu einer Normalität wird. Niemals würde man einem Christen solche Fragen stellen, der ein Buch "Jesus – eine Abrechnung" vorlegt. Niemand käme auf die Idee, den Autor zu fragen, ob er nicht fürchte, zwei Milliarden Christen vor den Kopf zu stoßen. Die Tatsache, dass mir diese Fragen gestellt werden, ist die beste Legitimation für das Buch. Ich will erreichen, dass kein Autor oder Zeichner um sein Leben fürchten muss, nur weil er eine Figur kritisiert, die vor 1400 Jahren gestorben ist.
Sind die Christen gegenüber den Muslimen im Vorteil?
Ja, weil Jesus dazu einlädt, Gutes zu tun, und man mit Fug und Recht behaupten kann, dass die Kreuzritter die Lehre Jesu missbraucht haben, weil Jesus niemals einen Feldzug geführt und niemals irgendjemanden enthauptet hat. Drei Kernaussagen des Christentums sind: 1. "Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat." 2. "Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein." 3. "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" Daraus kann man ohne Probleme eine humanistische Lehre entwickeln. Die religiösen Regeln wurden von Menschen geschrieben, sie haben nicht diese Immunität wie im Islam.
Kann der Reformprozess damit beginnen, dass die Muslime über sich selbst lachen können müssen?
Ja, aber das geht nur, indem man die Menschen herausfordert. Im Moment bestimmen die Fundamentalisten die Regeln. Sie sagen, man darf über Mohammed so nicht schreiben. Und wir nehmen das an. Ich bin ein freier Mensch, und ich habe dafür teuer bezahlt. Ich nehme die Freiheit ernst. Und ich bin darin kompromisslos. Viele hassen mich dafür. Aber es gibt auch viele, denen ich eine Stimme gebe. Ich suche nicht nach Verbündeten, ich war immer allein. Und ich rege mich auch nicht auf über die Fundamentalisten, die mich töten wollen. Ich rege mich über die vermeintlich liberalen Muslime und Deutschen auf, die mir sagen, du gehst zu weit. Ich lebe unter Polizeischutz und fürchte um mein Leben – aber ich gehe zu weit? Haben wir uns so weit umdrehen lassen von der Logik der Fundamentalisten?
Oder ist es Angst vor der Gewalt der Islamisten, vorauseilender Gehorsam angesichts auch einer neuen Masseneinwanderung nach Deutschland?
Vielleicht, aber es ist falsch. Deutschland läuft Gefahr, den Fehler zu wiederholen, den es mit den Gastarbeitern und deren Kindern gemacht hat. Damals scheute man sich, aus kultureller Sensibilität einzugreifen, wollte die Einwanderer nicht bevormunden. Aber heute muss man doch die Frage stellen: Wovor fliehen die Menschen? Sie fliehen doch genau vor dieser islamischen Geisteshaltung, vor dem Hass auf Andersdenkende und "Ungläubige", vor einer Ideologie, die sich über Jahrhunderte verfestigt hat. Und dann kommen sie hierher, und wir sind nicht in der Lage, ihnen zu sagen, dass sie das, wovor sie geflohen sind, hier nicht wiederbeleben können? Es hat doch einen Grund, dass die Menschen nach Deutschland, ins Land der "Ungläubigen" flohen und nicht nach Mekka ins Herz des Islam. Der Grund ist, dass Deutschland eine freie und offene Gesellschaft hat, in der die Menschen frei forschen und denken können. Deswegen lebt Deutschland heute in Sicherheit und Wohlstand.
Was macht die Politik falsch?
Sie hofft auf Schützenhilfe der Islamverbände, die mit staatlichen Geldern islamische Kindergärten, Schulen und Moscheen bauen und die Flüchtlingskinder indoktrinieren wollen. Irgendwann werden die heranwachsenden Muslime dann das Gefühl haben, dass sie ihren Glauben in dieser Gesellschaft nicht ausleben können, im Land der Sünde, wo die Menschen Alkohol trinken. Dann sind sie verloren an die Ideologen des IS.
Sie fordern von den Immigranten eine bedingungslose Annahme unseres Lebensentwurfes?
Ja. Die Flüchtlinge brauchen Unterstützung, aber auch von Anfang an klare Regeln. Die deutsche Gesellschaft ist eine "Mitmachgesellschaft". Lieber Flüchtling, lieber Immigrant: Mach mit, oder du wird es schwer haben. Schau, dass deine Kinder Deutsch lernen. Und wenn du nicht schwimmen lernen willst, lass wenigstens deine Tochter zum Schwimm- und Sportunterricht gehen, weil dieses Land sich verpflichtet hat, deinem Kind zu seiner persönlichen Entfaltung zu verhelfen. Wenn du der Meinung bist, dass du das alles nicht willst, dann geht dein nächster Zug zurück nach Ungarn. So einfach ist das. Wenn sie das nicht jetzt begreifen, dann vielleicht nie. Die Botschaft muss sein: Dieses Land ist gut, weil es frei ist, seine Bürger sich entfalten können und Glauben Privatsache ist. Das macht dieses Land lebens- und liebenswert. Und davon profitierst du jetzt! Also hör auf zu meckern und pass dich an!
Wie sieht Ihre Lösung für den Islam aus?
Es bedarf der Ehrlichkeit. Das setzt voraus, Mohammed seines Heiligenscheins zu berauben. Die göttliche Botschaft – das ist seine Immunität, das ist der Trick. Ich glaube nicht, dass der Islam sich reformieren kann. Die Muslime können aber ihr Denken, ihre Geisteshaltung reformieren und ihr Verhältnis zur Religion modernisieren, indem sie sich zu der Überzeugung durchringen, dass der Glaube Privatsache ist. Es ist erforderlich, mit der Entmystifizierung Mohammeds und der von ihm gestifteten Religion zu beginnen. Von Teilen des authentischen Islams muss man sich verabschieden, von den Zwängen, von den Gewaltlegitimationen. Die Araber immer als Opfer des Westens zu bezeichnen ist kontraproduktiv. Damit wird die Opferhaltung zementiert. Das ist fast rassistisch. Jemand muss das Eis brechen. Ich will so ein Eisbrecher sein.
Nota. - Für die Christen ist Jesus der menschgewordene Gott. Das ist gar nicht zu überbieten. Aber von ihm wissen sie nur, was die Evangelisten über ihn berichten, und die kannten ihn gar nicht. Sie schrieben Jahrhun-derte nach seinem Tod. Die Heilige Schrift der Christen ist Menschenwerk.
Mohammed ist im Islam nicht einmal ein Heiliger. Er ist lediglich ein Prophet – der letzte, endgültige zwar, aber Gegenstand persönlicher Verehrung darf er, ein Sterblicher wie alle, nicht sein. Er hat aber ein dickes Buch hinterlassen. Das stammt jedoch nicht von ihm, sondern von Gott selbst. Der Koran ist Gottes eigenes Wort, er hat die Worte dem Propheten durch den Erzengel Gabriel Stück für Stück auf die Zunge legen lassen. Man kann sie interpretieren nach ihrem semantischen Gehalt: Wie hat Gott dies, wie hat er jenes gemeint? Doch interpre-tieren in dem Sinne, dass man sie in ihren historischen Kontext stellt und ihre Geltung von den Umständen abhängig macht, wäre nur machbar, wenn sie von einem Menschen stammten. Wenn aber der allwissende Gott unter diesen Umständen dieses, unter anderen jenes für wahr hielte, wäre er nicht Gott, und die Vorstellung allein ist lästerlich.
Dass es unter diesen Umständen im Islam eine Schriftexegese gibt, gegen die sich die christliche Hermeneutik betulich wie eine Kinderfibel ausnimmt, liegt nahe, doch niemand ist gehalten, sie zur Kenntnis zu nehmen. Vielleicht sind die fundamentalistischen Theologen grob und ungebildet. Aber an der entscheidenden Stelle dürften ihnen die Gebildeten nicht widersprechen können: Ist der Koran Gottes eigenes Wort, oder ist er das Werk Mohammeds – das ist die alles entscheidende Frage.
Und wenn er das Werk Mohammeds ist - was bleibt dann vom Islam?
Hamed Abdel-Samad ist in den Zeitungen vorgeworfen worden, er schütte das Kind mit dem Bade aus, er schade mit seinen Übertreibungen, ach herrje, seinem eigentlichen Anliegen, und so weiter. Das mag sein, er ist ein Abtrünniger, ein ehemaliger Theologe, diese Leute neigen zu Exzessen. Doch im Hauptpunkt hat er, fürchte ich, Recht: Der Islam ist nicht refomierbar.
JE
Samstag, 3. Oktober 2015
Zwiespalt ist unser Nationalcharakter.
Romantik ist allerdings “eine deutsche Affäre”, denn nirgends ist Ironie so nötig und in der Geschichte so gegen-wärtig, wie bei uns!
Der hervorragende Zug im deutschen Nationalcharakter ist, spätestens seit dem dreißigjährigen Krieg, seine Zerris-senheit. Was ‘das Deutsche’ sei, war daher immer umstritten. Was hat nicht alles schon – und mit demselben Recht! – als “typisch deutsch” gegolten: Pedanterie und Überschwang, Plumpheit und Poesie, Innerlichkeit und Aggression, gemütliches Selbstgefallen und himmelstürmender Größenwahn, Tiefsinn und Technik, Dumpfheit und Dialektik, Romantik und Realpolitik, der gottergebene Fleiß des Ackerviehs ebenso wie faustisches Genie; Beamtendünkel und versonnene Philosophen, Kunst und Ursprung, Dämon und Philister; Weltanschauung und Schrebergarten, Todes-verachtung und Vollwertkost. Aber alles gründlich!
Der hervorragende Zug im deutschen Nationalcharakter ist, spätestens seit dem dreißigjährigen Krieg, seine Zerris-senheit. Was ‘das Deutsche’ sei, war daher immer umstritten. Was hat nicht alles schon – und mit demselben Recht! – als “typisch deutsch” gegolten: Pedanterie und Überschwang, Plumpheit und Poesie, Innerlichkeit und Aggression, gemütliches Selbstgefallen und himmelstürmender Größenwahn, Tiefsinn und Technik, Dumpfheit und Dialektik, Romantik und Realpolitik, der gottergebene Fleiß des Ackerviehs ebenso wie faustisches Genie; Beamtendünkel und versonnene Philosophen, Kunst und Ursprung, Dämon und Philister; Weltanschauung und Schrebergarten, Todes-verachtung und Vollwertkost. Aber alles gründlich!
Gegensätze gibt es wohl auch bei den andern. Doch als typisch wird dort jeweils nur eins von beiden gelten. Bloß für uns sind die zwei Extreme immer gleich-charakteristisch: “Dass der Deutsche doch alles zum Äußersten treibet / Für Natur und Vernunft selbst, die nüchterne, schwärmt!” heißt es in Goethes Zahmen Xenien, und die zwei Seelen, ach, in seiner Brust kann ein Deutscher gar nicht mehr nennen, ohne dass es abgedroschen klingt. ‘Das Deutsche’ ist immer auch… das Gegenteil; seinem Wesen nach offenbar unbestimmt, aber das mit aller Schärfe.
Die andern großen Nationen schauen sich selbst in einem lebendigen verbindlichen Menschenbild an, in dessen charakteristischen Zügen die Spuren der gemeinsamen Geschichte lesbar sind. Der englische gentleman personifiziert die historische Vereini-gung von Adel und Großbürgertum zur typisch britischen Oligarchie, im französischen citoyen verbinden sich der plebe-jische Stolz des Sansculotten mit römischer Staatsvergötzung, der amerikani-sche pioneer vereinigt den beengten Blick auf den nächstliegenden Vorteil mit einer kontinentalen Weite des Horizonts.
Kein Wunder! Denn die Bildung eines Volkes zur Nation ist Sache eines um seinen freien Inneren Markt siegreich kämpfenden Bürgertums. Es waren aber die deutschen Städte, die vom dreißigjährigen Krieg verwüstet und entvölkert waren. Was an Bürger-tum übrig war, duckte sich ängstlich unter den Stand der Duodez-”Reichsfürsten”, denen eine deutsche Nation ein Gräuel war. Das Problem der deutschen Verspätung war das Problem unserer rachitischen Bourgeoisie. An Emanzipation war nicht zu denken, als höchstes Lebensziel konnte unser Bürger davon träumen, “bei Hofe zugelassen” zu werden. Und wie ging das? Durch Anbiederung an das höfische Beamtentum. Und das Mittel dazu war Bildung! In den Salons, in den Theatern, Museen und Musiksälen konnten sich deutsche Bürger “gleichrangig” fühlen mit den Edelleuten, und – wer weiß? – vielleicht wurde man wie Goethe und Schiller sogar geadelt. Bildung war der deutsche Ersatz für bürgerliche Befreiung.
Genau 200 Jahre nach dem westfälischen Frieden hat dann die Pariser Juniinsur-rektion dem Professorenparlament in der Paulskirche einen solchen Schrecken eingejagt vor der “roten” Revolution, dass unserer Bourgeoisie nichts anderes übrig blieb, als unter Bismarck dem preußischen Leutnant die Stiefel zu küssen. Das waren unsere Nationaltypen: der preußische Leutnant und der deutsche Professor, und dazwischen – wankend – der Korpsbursche; Vater, Sohn und hl. Geist: die Dreieinigkeit des deutschen Gesamtphilisteriums.
Dagegen erwuchs vor guten hundert Jahren der Wandervogel, der zur Jugendbewegung ausuferte, zu der Jugendbewegung, die das Beiwort “deutsch” nicht braucht, weil sie sowieso einzig war. Sie knüpfte direkt und ausdrücklich an die Romantik an, und Ironie war ihr neben der Blauen Blume – wer weiß das schon noch? – gar nicht fremd; war doch ihr Ideal das vogelfreie Fahrende Volk, “ehrlos bis unter den Boden”!
Denn katzbuckelnde Spießer, rüpelnde Leutnants und dün- kelhafte Akademiker waren nie das ganze Deutschland. Nur – während die kraft-strotzenden Bourge-oisien der andern Nationen ihre produktive Energie frei in ihre Tagesgeschäfte verausgaben konnten, musste das gedemütigte niedere Volk in Deutschland seinen Drang gegen sich selber kehren, musste ‘das Ich sich setzen, indem es sich sich-selbst einem Nicht-Ich entgegensetzt’! Später sollte Marx spotten, bei den Deutschen fänden Revolutionen immer nur im Geiste statt. Aber immerhin – dort fanden sie statt; statter als sonst wo!Nein, der deutsche Michel ist nicht das ganze Deutschland. Dazu gehören noch Kant und Fichte, Marx und Engels, Schopenhauer und Nietzsche – lauter, mit Verlaub, ra-dikale Denker! Diese Radikalität ist sicher nicht für jeden Deutschen typisch gewor-den. Aber sie kommt doch nur bei uns vor. Nämlich immer da, wo sich deutscher Tiefsinn mit abendländischem Scharfsinn paart.
Auch der Hang zu Endlösungen stammt freilich aus dieser Mischung, er vereint Radikalität mit Pedanterie, und das nennt er gründlich. Aber da liegt der Abgrund: Er vereint! Wirft sie zusammen in einen Topf und verrührt sie zu einer trägen Masse. Sie gehören zusammen, allerdings – aber so wie Licht und Schatten, nicht als Grauton, sondern als Spannung, als Konflikt. Und das macht uns wiederum noch ein bisschen abend-ländischer als unsere Nachbarn.
Selbstverständlichkeit kennzeichnet nämlich nicht den Reichtum abendländischer Kultur, sondern die Fülle ihrer konkurrierenden Werte. Die reichste Kultur ist eine solche, wo die An-ordnung, die Umordnung der Werte prozessie-rend immer wieder neu geschieht – im Mei-nungskampf der Öffentlichkeit. Es sind die Problematizität und der Widerstreit mannig-faltiger Gebote, die dieser Kultur ihren Tonus verleiht und dem Einzelnen die eigne Wahl, nämlich eine persönliche Bildung (da ist sie wieder!) zumutet. Das gibt es nur im Abendland, und in diesem Sinne kann man sagen, nirgends sei das Abendland abendländischer als zwischen Rhein und Oder, zwischen Baum und Borke; bei uns. Da, wo alles, was gilt, stets voll und ganz gelten will, und sich ipso facto in der Schwebe hält. Ich sage nicht, dass jeder Deutsche zum Ironiker taugt, ach herrje. Aber die deutsche Kultur als Ganze, ich meine: als ganzer Strom, ist selbst ironisch. Wenigstens, wenn man sie mit Abstand betrachtet.
Aber dann – ja, dann wird man selbst zum Ironiker.
im November 2008
Abonnieren
Posts (Atom)