Sonntag, 19. Februar 2017

Europe first.


aus Der Standard, Wien, 19. Februar 2017, 18:59

Trump sei Dank: Europe first!
In München zeigte sich deutlich wie nie, dass Europa für sich selbst sorgen muss

von Christoph Prantner

Europa muss Donald Trump dankbar sein. Der gern per Ferndiagnose auf die Politcouch gelegte und auf Zurechnungsfähigkeit analysierte US-Präsident hat seinerseits einen kathartischen Prozess in Gang gebracht. Die Europäer haben auf der Sicherheitskonferenz so deutlich wie selten zuvor begreifen dürfen, dass sie sich endlich am Riemen reißen müssen. Es mag unfreiwillig sein, aber: The Donald ist auch ein Dialektiker. Einer, der unversehens eine Menge an politischen Gegensätzlichkeiten erzeugt, durch deren Zusammenprall am Ende doch so etwas wie Fortschritt herauskommt.

Von der derzeitigen US-Regierung also ist nicht zu erwarten, dass sie die westliche Welt beherzt in Schutz nehmen oder ihr gar eine Richtung vorgeben wird. Deswegen muss Europa aufrüsten – militärisch und vor allem ideologisch. Es muss seine Interessen selbstständig definieren, seine Einflussmöglichkeiten taxieren, eine gemeinsame Realpolitik machen. Die Rhetorik vom größten Friedensprojekt oder dem größten Binnenmarkt – je nach Gusto und Weltsicht und jedenfalls immer unter dem nuklearen Schutzschirm der Amerikaner – wird nicht mehr ausreichen, um in einer Welt zu bestehen, die zunehmend unberechenbarer wird. Verbündete inklusive. Vizepräsident Mike Pence zum Beispiel hat die Europäische Union in seiner Ansprache in München mit keinem Wort erwähnt.

Die beste Chance für die EU, sich zu sortieren und viele Dinge zu klären, ist der Brexit. Nach allem, was auf den Gängen des Bayerischen Hofes in München zu hören war, wird es eine recht ruppige Scheidung geben. Für die Briten, deren politische Spitzen wie ihre angelsächsischen Vettern in Washington einen bemerkenswerten Hang zum Hinterlassen verbrannter Erde entwickelt haben, wird ein harter Brexit eine politische wie ökonomische Katastrophe werden. Und auch der Union wird er schmerzen, keine Frage. Aber eher in der Art eines Muskelkaters.

Denn wenn alles gut läuft und eine wiedergewählte deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Verein mit einem französischen Präsidenten, der nicht Marine Le Pen heißt, es schafft, den europäischen Laden zusammenzuhalten, wird die Union danach stärker sein als je zuvor. Frei nach dem Leitmotiv Trumps muss es also heißen: Europe first!

Diese Stärke wird Europa brauchen, um seinen Platz in der neuen Weltordnung zu behaupten – gegenüber turbokapitalistisch veranlagten kommunistischen Mandarinen in Peking, von interner Misere gebeutelten russischen Revisionisten mit Großmachtfantasien und gegenüber einer US-Führung, die Amerika ohne Not und entgegen allen großspurigen Ankündigungen kleiner und einsamer macht, als es bisher gewesen ist.

In München, so ließ es sich aus vielen Gesprächen ableiten, haben die meisten Mitgliedsstaaten der Union diesen Trend erkannt. Selbst das Führungspersonal in renitenten Hauptstädten, in denen gern eine große nationalistische Lippe geführt wird, hat inzwischen weitgehend überzuckert, dass weder Russland noch die USA echte Alternativen sind. Sosehr der "Freiheitskampf gegen Brüssel" daheim kultiviert werden mag, so wenig wird er in den Institutionen tatsächlich geführt.

Europe first! Das Europa der Gegensätze und Differenzen wird genauso wieder zur Gemeinsamkeit finden. Das ist die gute Nachricht aus München. 





 ebd., 19. Februar 2017, 18:29

US-Senator McCain:
Trump geht mit den Medien wie ein "Diktator" um
Republikanischer Senator sieht Überleben des Westens und seiner Werte in Gefahr

München/Washington – Auf der Münchner Sicherheitskonferenz und im US-Fernsehen hat der republikanische Senator John McCain scharfe Kritik an US-Präsident Donald Trump geübt. Dessen Umgang mit den Medien erinnere ihn an autoritäre Regime, sagte er aus München zugeschaltet in der TV-Show Meet The Press am Sonntag: "So legen Diktatoren los."

Auch in einer Rede auf der Sicherheitskonferenz kritisierte er seinen Parteifreund implizit. Ohne Trump beim Namen zu nennen, meinte der Republikaner die Führungsschwäche US-Präsidenten, als er sagte, es gehe um das Überleben des Westens und von dessen Werten. Klare Ansagen eines Republikaners. ...

Üblicherweise hat der alte Republikaner die Russen im Visier oder die Chinesen. Diesmal residiert der Adressat seiner Rede in 1600 Pennsylvania Avenue, Washington D.C. Ohne einmal den Namen Donald Trump zu erwähnen, nahm er dessen politische Standpunkte unter Beschuss. Es ging um nichts weniger als den ideologischen Luftkampf um den Westen und dessen Werte.

Die westliche Welt sei nicht nur in größter Gefahr, es stelle sich sogar die Frage ihres Überlebens. Dies sei kein "Alarmismus", im Gegenteil: "Wir sollten dieser Frage mit tödlichem Ernst begegnen", erklärte McCain.

Wahrheit und Lügen

Es gebe eine zunehmende Abwendung von universalen Werten zu ethnischen Standpunkten oder de facto unverhandelbaren Glaubenspositionen. Man könne wachsende Ressentiments gegenüber Flüchtlingen und Migranten beobachten. Die Unfähigkeit, ja der Unwillen, Wahrheit von Lügen zu unterscheiden, werde immer ausgeprägter. Und immer mehr Bürger der westlichen Welt würden nichts Verwerfliches mehr an autoritären Führern finden. Daraus schließt der alte Kalte Krieger, dass der Westen und seine Bürger vielleicht noch die militärische Macht hätten, ihre Werte und Interessen zu verteidigen, aber oft nicht mehr den nötigen Willen dazu.

Er mache sich wie die Euro päer große Sorgen wegen des entstehenden globalen Führungsvakuums. Dass die in München anwesenden Spitzen der US-Politik diese Sorgen teilten, sehe er aber nicht.

Im Vorwahlkampf musste McCain – der als US-Pilot über Vietnam abgeschossen wurde, mehrere Jahre im berüchtigten Gefängnis Hanoi Hilton verbrachte, dort gefoltert wurde und einen VIP-Gefangenenaustausch als Admiralssohn ablehnte – seine Integrität von seinem Parteifreund infrage stellen lassen. Die Anwürfe kommentierte er damals nicht. Stattdessen sagte er in München mit Blick auf Trump: "Ich akzeptiere es nicht, dass unsere Werte gleichwertig sein sollen mit jenen unserer Gegner. Ich glaube stolz an den Westen. Für diesen sollten wir stets einstehen. Wenn wir es nicht tun, wer soll es dann machen?" (pra.)  


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