Montag, 18. November 2013

Ludwig Klages, "Mensch und Erde".

aus NZZ, 14. 10. 2013                                                                                                                          Jürgen Reitböck, pixelio.de

Ökologisches Manifest
Ludwig Klages' «Mensch und Erde» neu ediert

von Uwe Justus Wenzel · Es gibt Sätze, die über ein Jahrhundert hinweg - gespenstisch - nachklingen. Vielleicht auch dieser: «Die meisten leben nicht, sondern existieren nur mehr, sei es als Sklaven des 'Berufs', die sich maschinenhaft im Dienste grosser Betriebe verbrauchen, sei es als Sklaven des Geldes, besinnungslos anheimgegeben dem Zahlendelirium der Aktien und Gründungen, sei es endlich als Sklaven grossstädtischen Zerstreuungstaumels; ebenso viele aber fühlen dumpf den Zusammenbruch und die wachsende Freudlosigkeit.» - Vor hundert Jahren, im Oktober 1913, hat Ludwig Klages dies geschrieben und in seinem Grusswort an den Ersten Freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meissner, knapp dreissig Kilometer östlich von Kassel, vorgetragen.

Der damals einundvierzigjährige Lebensphilosoph ist mit seinem rhetorisch brillierenden Weckruf «Mensch und Erde» zu einer beinahe archetypischen Gestalt der Zivilisationskritik geworden. Die Anklageschrift gegen den «Fortschrittsmenschen», etwa dreissig Seiten lang, ist nun in einer neuen Edition bei Matthes & Seitz zugänglich. «Ringsumher» habe dieser Mensch «Mord gesät» und die Natur rücksichtslos vernutzt: Hoch- und Urwald, Zugvögel und Pelztiere, Wale und Büffel bringe er zum Verschwinden; mit «giftigen Abwässern der Fabriken» verjauche er das «lautere Nass der Erde». Dafür, dass der «Fortschrittler» auf dem Altar einer «Erfolgsreligion» opfere, macht Klages das Christentum verantwortlich, das den Menschen in eine «vergötterte Gegenstellung zur gesamten Natur» gebracht habe - und dessen Mission sich im Kapitalismus erfülle. Allerdings fügt sich im Blick des Sehers auch das Christentum in einen «noch viel älteren Entwicklungsgang» ein, der davon herrühre, dass seit je der «Geist» sich über die «Seele», das «Wirken» über das «Leben» zu erheben trachte.

Obgleich er sich auch gegen die darwinistische Rede vom «Kampf ums Dasein» wandte, war Klages bekanntlich nicht gegen die Infektion durch die nationalsozialistische Weltanschauung geschützt; allein schon sein Antisemitismus brachte ihn in deren Nähe. Auf diese und weitere Ambivalenzen des Lebensphilosophen, Charakterologen und Graphologen geht ein kundiges Nachwort von Jan Robert Weber ein. Es wirbt dafür, «Mensch und Erde» als ökologisches Manifest und «Gründungsdokument der grünen Bewegung zu kanonisieren» - in auch kritischer Absicht, versteht sich.

Ludwig Klages: Mensch und Erde - ein Denkanstoss. Mit einem Nachwort von Jan Robert Weber. Matthes & Seitz, Berlin 2013. 62 S., Fr. 18.90.

Nota.

"In auch kritischer Absicht, versteht sich." Auch! Herr Wenzel, man kennt Sie als scharfen Kopf. Dass Ludwig Klages unter all unsern Obskuranten einer der obskursten war, ist Ihnen nur ein Auch wert? Da hatten Sie wohl einen schlechten Tag. Merke: Dem Geist wird manchmal schon ein verstimmter Magen zum Widersacher.
JE

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